„Es geht um eine neue Gesellschaft“

Interview Francesca Pick arbeitet für die gemeinnützige Organisation und Online-Plattform OuiShare. Sie glaubt an eine Zukunft der Share Economy
Ausgabe 22/2015
Francesca Pick sieht kollaborative Wirtschaft als intermediären Schritt weg vom Kapitalismus
Francesca Pick sieht kollaborative Wirtschaft als intermediären Schritt weg vom Kapitalismus

Foto: Daniel Seiffert für der Freitag

Benutzen statt Besitzen. Leihen statt Kaufen. Teilen statt Anhäufen. Das Konzept des kollaborativen Konsums, bekannt als „Share Economy“, wird nicht erst diskutiert, seit der Ökonom Jeremy Rifkin behauptet, eine neue Kultur des Teilens würde gerade das Ende des Kapitalismus einläuten. Auf anfängliche Euphorie folgte vor allem in Deutschland scharfe Kritik: Von Post-Kapitalismus könne keine Rede sein, es gehe vielmehr um Kommerzialisierung und Profite für die Betreiber mächtiger Internetplattformen wie der Taxi-App Uber oder des Ferienwohnungsportals Airbnb. Francesca Pick ficht das nicht an, sie glaubt an eine kollaborative Zukunft und arbeitet deshalb für die gemeinnützige Organisation und Online-Plattform OuiShare, entstanden aus einer Pariser Facebook-Gruppe. Von der französischen Hauptstadt aus vernetzt Pick Akteure der globalen Share-Economy-Szene und organisiert das jährliche OuiShare-Fest, zu dessen dritter Auflage Mitte Mai gerade 1.000 Teilnehmer nach Paris gekommen sind, darunter Sozialunternehmer, Open-Source-Fans und Demokratie-Aktivisten.

der Freitag: Frau Pick, Sie arbeiten für eine Organisation, die das Teilen zum gesellschaftlichen Paradigma machen will. Teilen Sie im Arbeitsalltag alles mit Ihren Kollegen?

Francesca Pick: Ja, in gewisser Weise schon. Ich reise viel herum und komme dabei immer bei Kollegen oder via Couchsurfing unter. Und wir helfen uns auch sonst ständig gegenseitig. Einer kann etwas und bringt es einem anderen bei, wir leihen uns gegenseitig Sachen aus. All diese Transaktionen laufen ohne Geld.

Aber wenn von Share Economy die Rede ist, dann geht es meist um eine über das Internet organisierte Art des Teilens, für die Vermittlungsgebühren fällig werden.

In unserer OuiShare-Community gibt es Menschen, die sich für ein geldloses Leben entschieden haben. Das klingt für viele wie eine unrealistische Zukunftsvision. Doch gerade viele Webentwickler sind davon überzeugt, dass das Internet bald in der Lage ist, so komplexe Transaktionen abzubilden, dass wir einfach kein Geld mehr benötigen werden. Das Netz wird es möglich machen, für alles den richtigen Tauschpartner zu finden. Aber das wäre schon der nächste Schritt hin zu einer kollaborativen Gesellschaft, eine der Gemeinschaft und der Zusammenarbeit also. Momentan, klar, läuft das Tauschen noch zum Großteil monetär. Geldloser Austausch funktioniert bisher nur in kleinen Communities. Das auf das gesamte Wirtschaftssystem zu übertragen, mutet derzeit auch für mich unrealistisch an.

Zur Person

Francesca Pick, 25, würde am liebsten ihre eigene Staatsbürgerschaft teilen: Sie ist in Deutschland aufgewachsen und hat einen US-Pass. Den aber müsste sie für die Einbürgerung in Deutschland aufgeben. Pick hat Kommunikations- und Kulturmanagement an der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen studiert, lebt heute in Paris und koordiniert bei OuiShare internationale Projekte

Was genau macht OuiShare?

Unsere Organisation hat sich zum Ziel gesetzt, die einzelnen Akteure der kollaborativen Szene weltweit besser zu vernetzen, um so langfristig eine systemische und kulturelle Veränderung in der Gesellschaft herbeizuführen. Mit kleinen vereinzelten Gruppen schafft man das einfach nicht. OuiShare spricht daher mit den Start-ups, den Unternehmen, den Non-Profit-Organisationen, mit Leuten, die geldlos leben und jenen, die den Kapitalismus komplett abschaffen wollen. Der offene Dialog ist für uns das Wichtigste. Oft haben die verschiedenen Lager noch nicht gemerkt, wie viele Gemeinsamkeiten sie besitzen. Wir bringen sie dann zusammen und zeigen es ihnen. Wenn alle vernetzt sind, gewinnt die Community gegenüber den Vertretern der jetzigen Wirtschaft an Verhandlungsmacht.

Die App Why own it wollte es erleichtern, Dinge über das Handy zu verleihen oder auszuleihen – ohne Geld. Die App wurde von den Medien gefeiert, ist aber inzwischen komplett gescheitert. Ist es nicht einfach so, dass keiner seine teure Spiegelreflexkamera verleiht, wenn er davon nicht irgendeine Art von Profit erwarten kann?

Natürlich ist es nicht ideal, dass Leute ihre Sachen nur aufgrund einer Gewinnaussicht teilen. Aber ohne die würden sie es vielleicht gar nicht tun. Mit grundkapitalistischem Verhalten tragen die Leute also trotzdem dazu bei, die Share Economy zu verbreiten. Man muss das Ganze einfach als intermediären Schritt sehen. Wir sind eben immer noch im kapitalistischen System und dort werden Ziele wie Gewinnmaximierung am meisten belohnt, nämlich durch Wachstum. Damit andere Werte in den Vordergrund treten, müssen wir das System verändern und ganz neue Organisationsstrukturen schaffen. Bei kleinen Start-ups, die ganz langsam wachsen, funktioniert das schon gut. Es dauert nur länger. Aber auch sie werden ans Ziel kommen und zeigen, wie man es anders machen kann.

Wie steht OuiShare zum Vorwurf des Plattformkapitalismus? Demnach werben etwa Uber und Airbnb mit der neuen Kultur des Teilens, haben es aber eigentlich auf nichts anderes als auf die enormen Gewinne abgesehen.

In der Community gibt es dazu keine einheitliche Meinung. Für mich ist aber ganz klar, dass Sharing Economy ein riesiger neuer Bereich der Wirtschaft ist und wir dafür neue Regeln und Regulierungen brauchen. Die Kluft zwischen Technologieentwicklung und Gesetzgebung wird leider immer größer. Deshalb ist es wichtig, die Regierungen bei ihren Regulierungsvorhaben zu unterstützen und sie über neue Entwicklungen zu informieren. Es wird in Zukunft schwerer, die richtige Balance zwischen Regulierung und Innovation zu halten, daher ist der offene Dialog umso wichtiger. Im Gegensatz zu Uber geht Airbnb da bereits auf die Regierungen zu.

Auf welche technologischen Entwicklungen sollten sich die Leute gefasst machen?

Zum einen wird bereits hart daran gearbeitet, dass unterschiedliche kleine Plattformen besser miteinander interagieren können. Das würde Diversität bewahren und den großen, mächtigen Plattformen etwas entgegensetzen. Die andere interessante Entwicklung ist Blockchain. Das ist eine Technologie, auf der das dezentrale Zahlungssystem Bitcoin aufgebaut ist. Blockchain fußt auf einem Code und Algorithmus, der es ermöglicht, einzelne Personen zu vernetzen – ganz ohne Plattform, alles komplett dezentral. Diese Entwicklung ist extrem spannend und könnte alles wieder in eine ganz neue Richtung lenken. Eine Welle von dezentralen Plattformen könnte die jetzt Mächtigen hinwegfegen. Mit diesem Code können alle einfach partizipieren, man braucht niemanden, der reguliert. Es gibt keine Transaktionsgebühren, weil es keinen Besitzer gibt.

Das klingt nach einem ziemlich großen Versprechen: der Demokratisierung der Wirtschaft.

Es sind die Anfänge dessen. Ein funktionierender Markt und die Wirtschaft erfordern von uns, Komplexität zu reduzieren. Dadurch sind die Möglichkeiten direkter Mitbestimmung eingeschränkt. Das Internet ermöglicht uns sehr viel komplexere Kommunikation. Genau dadurch kann Demokratie ganz neu umgesetzt werden. Die Technologie ermöglicht komplexe Verbindungen zwischen verschiedenen Individuen, die ständig interagieren. Wert kann hier anders verteilt werden. Das ist ja auch das Hauptmerkmal der kollaborativen Wirtschaft: Sie baut auf Communities und verteilter Macht auf. Genau darin liegt ja bereits eine Demokratisierung.

Wer nichts besitzt, kann auch nichts teilen. Ist Share Economy nur etwas für eine wohlhabende Elite und grenzt alle aus, die nichts besitzen?

Nein, auf keinen Fall. Alles Neue braucht seine Zeit, um die Gesellschaft zu durchdringen. Komplexe Modelle müssen dafür weiter vereinfacht werden, der Nutzen muss ganz deutlich werden. Erst dann versteht es die breite Masse. Ich stimme zu, dass bisher überwiegend eine Elite die Share Economy nutzt. Viele Plattformen sind entstanden, weil wir diesen Hyperkonsum haben. Die Leute sagen sich: Ich habe zu viel Zeug, was mache ich bloß damit? Die finden es toll, dass sie ihre Sachen zur Verfügung stellen können. Wer nichts hat, kommt natürlich nicht auf so eine Idee. Dennoch können Arme davon profitieren.

Inwiefern?

Langfristig kann der heutige Kapitalismus nicht überleben. Ich glaube fest daran, dass wir die Gesellschaft mit kollaborativem Wirtschaften einen Schritt voran bringen. In Deutschland fehlt die Euphorie für das Thema noch, in Ländern wie Spanien oder Frankreich ist sie um einiges größer. Diese Länder haben große wirtschaftliche Probleme und Teilen ist für viele eine tolle Lösung.

Die Share Economy profitiert also so richtig, wenn es mit einem Land wirtschaftlich bergab geht?

Auf gewisse Weise schon. Das zeigt aber, dass Share Economy wirklich Lösungen aufzeigen und Hilfe bieten kann. Wenn der Druck von außen höher wird und die eigene Existenz auf dem Spiel steht, lernen die Leute über den Tellerrand zu schauen und kommen auf neue Ideen. Auf Dauer wird das nicht ausschlaggebend sein, aber jetzt für den Anfang gibt es den Anstoß.

Warum ist Ihrer Meinung nach die Kritik und die Skepsis gegenüber dem Thema so groß?

Ein Problem ist, dass medial mehr darüber gesprochen wird, als in Wirklichkeit passiert. Außerdem geht es oft nur um Share Economy, was aber nur ein kleiner Teil des großen Ganzen ist: die Idee einer kollaborativen Gesellschaft.

Und die wird dann tatsächlich den Kapitalismus überwunden haben?

Momentan können wir neue Ideen nur innerhalb des bestehenden Systems umsetzen. Oft sind das dann eben nur Plattformen, die auf die bisherigen hierarchischen Strukturen obendrauf gesetzt werden. Aber wofür ich mich ausspreche, das ist die komplette Durchdringung von Organisationen durch das Kollaborative, von oben bis unten. Dazu zählt, wie das Unternehmen strukturiert wird, wie die Gewinne verteilt werden, wie Arbeiter mitwirken können. Wenn uns dieser Schritt gelingt, dann kann man eine langfristige Veränderung herbeiführen. Und dann werden Begriffe, wie Plattformkapitalismus hoffentlich überflüssig.

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Geschrieben von

Madeleine Richter

Haupstadtkind. Weltenbummler. Stadtgeschichtenschreiber. Seit Januar 2015 beim Freitag

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