Die Ampel ist rot, ich warte in der Linksabbieger-Spur und fühle mich plötzlich peinlich fehl am Platz: Neben mir rollt ein selbstfahrender Volvo von Uber geschmeidig aus, der Fahrer rückt sich mit einer Hand die Brille zurecht und kräuselt mit der anderen seinen Schnurrbart. Im gleichen Moment fährt von rechts ein selbstfahrendes Auto von Google vorbei, dieser eierförmige Futurismus, der aussieht, als ob EVE aus dem Film WALL·E – Der Letzte räumt die Erde auf eine heiße Affäre mit einer BMW-Isetta-Knutschkugel gehabt hätte. Ich selbst sitze auf einem fast 30 Jahre alten Motorrad, das mit sehr viel Liebe und generösem Gebrauch von Gaffer-Tape zusammengehalten wird. Ein Anachronismus in einer Stadt, in der die Zukunft längst angekommen ist.
Selbstfahrende Autos sind so historisch unvermeidbar wie die nächste Staffel Gute Zeiten, schlechte Zeiten. Aber neben Uber und Google reißen sich mehr als 10.000 andere Start-ups im Silicon Valley darum, Teil der unausweichlichen Zukunft zu sein. Gleitgel mit Cannabis, Aromakerzen, die nach neuem Macbook riechen, ein soziales Netzwerk für imaginäre Freunde und eine USB-Tastatur mit nur einer einzigen Taste, dem Hashtag: Sie träumen davon, reich und berühmt zu werden. Hinter diesen 10.000 Start-ups stecken ebenso viele Unternehmer, die Jahre ihres Lebens dafür opfern, ein Start-up zu führen, das aller Wahrscheinlichkeit nach pleitegehen wird – selbst wenn sie eine sinnvolle Idee haben. Aber warum nur? Finanziell gesehen lohnt es sich kaum. Die meisten Gründer könnten bei Microsoft oder SAP viel mehr verdienen und weitaus weniger arbeiten. Aber für viele dieser unternehmerischen Millennials sind die Großraumbüros mit ihren Neonröhren und funktionalen Deckenpaneelen so attraktiv wie ein sibirischer Gulag, nur mit WLAN.
Wie anders ist da das Start-up-Leben: aufstehen, wann immer man will, kein Mikromanagement, keine Arbeitszeiterfassung und auf keinen Fall Meetings. Ein Start-up ist die sozial akzeptierte Form des Daseins als Anglistik-Doktorand bis Lebensende. Der uramerikanische Optimismus, dass wir alles erreichen können, was wir wollen, kombiniert mit der Ungeduld der Generation #InstantGratification und dem Narrativ von der „Rache der Nerds“, in dem soziale Außenseiter wie Mark Zuckerberg den Status von Rockstars haben: Ein Start-up zu gründen wird zur verklärten Traumkarriere.
Neulich hat mir eine 24-Jährige ihre Visitenkarte in die Hand gedrückt. „Co-Founder, CEO & Tech Ninja“ stand darauf. Wie viele Angestellte ihre Firma denn habe? „Oh, bislang bin es nur ich“, sagte die Königin ohne Königreich und versteckte sich schnell hinter dem Pluralis Majestatis: „Aber wir stellen bald mehr ein.“
Natürlich gibt es unter den vielen mehr oder minder ambitionierten CEOs auch die, die zwischen ihren Sitzsäcken und Tischtennisplatten tatsächlich die Welt verändern. Aber vielleicht geht es ja gar nicht darum, erfolgreich zu sein. Vielleicht versuchen die Millennials in Start-ups ja einfach nur, ihren Job zu mögen. Das ist doch nicht zu viel verlangt, oder?
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