San Francisco ist mehr als eine Stadt. San Francisco ist eine Idee. Eine Idee davon, was möglich ist und was normal ist. Möglich ist zum Beispiel, mit 23 sein Start-Up an Facebook zu verkaufen und dabei genug Geld zu machen, um eine Villa in Süd-Kalifornien kaufen zu können und niemals mehr arbeiten zu müssen. Normal ist, ein sechsstelliges Gehalt zu beziehen und trotzdem nicht zu wissen, wie man im nächsten Monat seine Miete bezahlen soll.
Möglich ist, innerhalb von zwei Stunden die halbe Stadt in eine glitzernde Parade zu verwandeln, um die Legalisierung gleichgeschlechtlicher Ehen zu feiern. Normal ist, dass sich an jedem Mittwochabend im Church Street Café 20 Männer zu ihrer Häkelgruppe treffen. Möglich ist, dass das Silicon Valley weiterhin die kreativsten und intelligentesten Köpfe des Planeten anzieht und wir die Technologien entwickeln, die Hunger bekämpfen, Krebs heilen und saubere Energie für alle liefern.
Normal ist, dass heute morgen vor mir im Café eine erwachsene Frau in einem Dinosaurier-Strampelanzug auf ihren entkoffeinierten Soja-Cappuccino -wartete. Normal ist, dass ich auf dem Weg zur Arbeit an einem Dutzend Menschen vorbeilaufe, die auf der Straße schlafen. Normal ist, dass sich immer mal wieder privilegierte Yuppies bei ihrem Bürgermeister darüber beschweren, dass die Straßen nach Urin stinken und sie jeden Tag unnötig mit Obdachlosen konfrontiert werden. Normal ist, dass das jedesmal einen gerechtfertigten Shitstorm im Internet lostritt, aber trotzdem niemand so genau weiß, wie den 7.000 Obdachlosen in der Stadt am besten zu helfen ist. 7.000, das sind fast so viele wie in Berlin – auf einem Achtel des Raums allerdings.
Mehr als die Hälfte der Obdachlosen in der Stadt haben psychische Erkrankungen und wenig Aussicht auf eine adäquate Behandlung. Das ist an sich kein Geheimnis: Jeder, der einmal frühmorgens durch den Stadtteil -Tenderloin gelaufen ist und dort meinen alten Nachbarn Rob mit nichts als Schwimmflügeln und Klopapier bekleidet in der Mitte einer Straßenkreuzung tanzen gesehen hat, kann das bezeugen.
Das US-Gesundheitssystem – Pardon, der Mangel an einem funktionierenden Gesundheitssystem – ist mitverantwortlich für die Zustände. Und schuld ist zudem, klar, der aufgeheizte Wohnungsmarkt: Die meisten Obdachlosen kommen aus San Francisco selbst und konnten, nach einem Jobverlust etwa, schlicht ihre Wohnung nicht mehr bezahlen. Damit sind wir bei der Frage, wer die Mietpreise hier denn in die Höhe treibt.
Neulich gab mir ein ebenso gut angezogener wie angetrunkener Mittvierziger im Supermarkt selbstlos und unbestellt den Rat, ich solle mein Leben hier in San Francisco genießen, solange die Blase noch hält. Denn wenn die erst einmal platzt, dann ziehen die Techies wieder weg und alles wird so gut, wie es früher war.
Vielleicht sollten wir bis dahin ein bisschen Politik bei Donald Trump abschauen: Wir bauen um San Francisco eine hohe Mauer, um die Techies draußen zu halten. Und wer bezahlt die Mauer? Bei Trump Mexiko. In San Francisco sicher Google.
Kommentare 3
tja, global warming erlaubt immer mehr:
das auswärts übernachten auf öffentlichem grund.
in den besseren alten zeiten haben die müffelnden miet-vermeider wenigstens noch in ihren alten autos übernachtet.
doch donald mit dem großen besen wirds schaffen.
in den hoch-glanz-fassaden wird sich anrüchige armut nicht mehr spiegeln können.
schlechte zeiten für wc-stein- und scheuer-milch-produzenten?
Gut, dass Manuel Ebert einmal so anschaulich über die Kehrseite der amerikanischen Glitzerwelt berichtet.
Bedenkt man, dass diese Obdachlosigkeit überwiegend männlich ist, denkt man auch an ihre Familien, die wo und wie leben müssen? Wer kann sich das bei uns vorstellen, eine obdachlose Familie, Vater unterwegs, Arbeitssuche o. betteln, Mutter u. Kind bei bis zu 4o° Hitze im Auto ohne Geld, Wasser, Essen u. Sanitärmöglichkeit?
Die USA haben die Menschenrechtscharta unterschrieben? Sie halten sich für das Vorbild der westlichen Wertekultur!
Herr Ebert, ich halte Sie für den Träumer. Sie stellen fest, der überhitzte Wohnungsmarkt ist schuld an der hohen Obdachlosigkeit. Und dann fragen Sie wer denn die Mietpreise in die Höhe treibt? Sie sind noch nicht auf die Idee gekommen, dass Sie das sein könnten?
Oder irre ich mich und Sie verdienen nur ein durchschnittliches Gehalt und haben lange nach einer Wohnung gesucht, die sich auch ihr alter Nachbar Rob leisten könnte?
Sie sind im Valley und glauben, dort wird "Hunger bekämpft, Krebs geheilt und an sauberer-Energie-für-alle" gearbeitet. Die meisten Leute verbinden das Valley eigentlich eher mit Firmen wie Amazon, Ebay, Facebook, Google, Apple. Alles Firmen, die eher nicht dafür lobend erwähnt werden, dass sie die Welt verbessern. Diese Firmen verdienen mit relativ einfachen Ideen in einem neuen Medium so viel Geld, dass sie völlig unrealistische Gehälter an ihre Mitarbeiter zahlen können. Ich glaube nicht, dass sich deswegen dort die besten Köpfe sammeln, eher die besten moralisch flexiblen Köpfe, die man für Geld kaufen kann.
Ich halte es für möglich, dass Sie sich etwas vormachen und ein Teil des Puzzles sind, das sie hier als vermeintlich Außenstehender kritisieren wollen.