1 x Grüne, 1 x Linke, 2 x Frankfurt

Wahlkampf Am 8. und 10. September zelebrierten Grüne und Linkspartei ihre zentralen Frankfurt-Auftritte. Habeck & Baerbock versus Bartsch, Wissler & Gysi. Impressionen von vor Ort

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Am 08.09.2021 sprachen Annalena Baerbock und Robert Habeck am Römerberg in Frankfurt am Main
Am 08.09.2021 sprachen Annalena Baerbock und Robert Habeck am Römerberg in Frankfurt am Main

Foto: Imago / Hannes P. Albert

Nouripour, Habeck, Baerbock: Die Grünen

Die Grünen sind lockerflockig, staatstragend und Publikums-befüllfähig auch für große, repräsentative Örtlichkeiten. Was liegt in Frankfurt/Main da näher, als den Römer in Beschlag zu nehmen – den touristisch reichlich frequentierten, von Fachwerkhäusern gesäumten Platz zu Füßen des Frankfurter Rathauses? Zumal an jenem Mittwoch, dem 8. September auch das Wetter mitspielt. Also nichts wie hin – eine bessere Gelegenheit für Frankfurter und Frankfurterinnen, die Spitzenkandidaten Habeck & Baerbock vor Ort zu erleben, gibt es nicht. Ein erster Blick zeigt: Naturverbundene Technikdilettanten sind da keinesfalls am Werk. Ein doppelter Kordon Absperrgitter umringt den eigentlichen Ort des Geschehens. Im Kern: die Bühne, davor Sitzplätze für die VIPs sowie eine kleine Tribüne für die Kamerateams der großen Medien, drumherum, teils innerhalb der Gitter, teils außen davon: Backstage-Bereich mit der Technik sowie ein, zwei Stände mit den obligatorischen Auslagen.

Die Stimmung ist aufgeräumt bis erwartungsvoll. Publikum – mixed: teils Altgrüne, viel grüner Nachwuchs, sonst: viele Neugierige und Anhänger(innen) der eher gediegen-bürgerlichen Sorte. Bis zum Beginn der Hauptveranstaltung – den Reden der vier Kandidaten Düring, Nouripour, Habeck und Baerbock – wird sich die Menge auf schätzungsweise mehrere Tausend hochakkumuliert haben. Erstes Bild: der grüne Ordnerdienst – schwerlich zu übersehen mit seinen phosphorgrünen Masken und Westen. Was mir schwante, tritt schnell ein. Der Besuch der Wahlkampfveranstaltung schippert unversehends auf die Konfliktschiene zu. Meine Stippvisite an dem – zu dieser Zeit kaum frequentierten – Seitenrand der Bühne scheint für gleich zwei auf mich zukommende Ordner(innen) unversehends zum Problem zu mutieren. Nachdem ich den Rüffel wegen der fehlenden Maske lapidar pariert habe mit dem Hinweis auf die allgemeine derzeitige Verordnungslage sowie das maskenfreie Gruppen-Rumgeschäkere im Backstage-Bereich, gehts weiter mit Musik.

Das Musikprogramm – ich zwischenzeitlich vor der Bühne und, die Eigenverantwortung soll schließlich nicht zu kurz kommen, mit Maske – ist mixed. Romie, ein Duo aus zwei Frauen aus Dreieich, hat sich sichtlich dem Old-School-Folk verschrieben. Passt scho’ – würde man in Bayern sagen. Was ich allerdings nicht verstehe, ist die Anteaserung des dritten Stücks. »Kippen bitte nicht auf dem Pflaster austreten« und »am besten Nichtraucher werden« mag zum Livestyle der beiden grünen Elfen zwar passen wie die sprichwörtliche Blume in die Vase. Nur verstehe ich nicht, warum das Duo dann ausgerechnet einen Folksong mit »Cigarettes« im Titel zelebrieren muß – es gibt doch noch hunderttausend weniger Bedenkliche. Nach dem zweiten Rüffel – eine Gruppe mußte vor mir vorbei, weswegen ich meinen Standpunkt 50 Zentimeter nach hinten verlagerte und obgleich von einer indignierten Dame angesprochen werde mit der Aufforderung »Entschuldigung, können Sie bitte ABSTAND halten?« – muß ich erst mal zur Apotheke. Ibuprofen-aufmunitioniert kann ich mir dann noch den Kurzauftritt von Alli Neumann ansehen. Musikalisch: absolutes Kontrastprogramm. MIT Zwischenansagen, die Neumann zufolge nicht ganz jugendfrei ausgegefallen wären, wäre das Ganze vielleicht noch besser geworden.

Der Sinn der etwas ausführlich geratenen Vorfeld-Beschreibung: Die Lust auf moralgeschwängerten Furor sowie damit verbundenes Zurechtweisen Anderer scheint zumindest beim grünen Aktivisten- und Wählerkern ein allseits präsentes Momentum zu sein. Die Direktkandidatin für den Wahlbezirk Frankfurt am Main I, Deborah Düring, bestätigt das auf sicher ungewollte Weise. Düring, Vorsitzende der Grünen Jugend Hessen, akzentuiert sichtlich auf den eher kapitalismuskritischen Teil der grünen Programmatik. Allerdings klingt das Ganze eher pflichtschuldig als wirklich enthusiastisch und mit Herzblut. An letzterem nicht fehlen lässt es Omid Nouripour, Direktkandidat im Nachbar-Wahlbezirk. Nouripour, Auslandsexperte sowie gestandener Lokal-Parteikämpe in einer Person, hätte in seinem Baron-Noir-Look mit brauner Lederjacke die Veranstaltung vermutlich auch ohne die beiden Stars nach ihm gravourös bestritten. Persönlich gehört er zu jener Sorte gemäßigt linker Politiker, die einerseits zwar klar reformorientiert sind und dazu auch den Kompromiss nicht scheuen. Umgekehrt verfügt er über Engagment, Leidenschaft und auch persönliche Glaubwürdigkeit.

Fazit: Mit der Erststimme würde ich’s mir bei Nouripour durchaus überlegen. Wäre da nicht die Abgrenzeritis der Grünen gegenüber der Linkspartei – bei der ich nicht weiß, wie weit sie auch von ihm mitgetragen wird. Von den Stars des Abends hat mir Baerbock besser gefallen als Habeck. Während der Schleswig-Holsteiner seine Rede doch recht stark in Form einer bildungsbürgerlich grundierten Weckpredigt in Sachen Verantwortungsethik vortrug, kam Baerbock unprätenziös zur Sache und sagte an, was sie (die Grünen) grosso modo gern anders machen würden. Darunter ein Punkt, den man meiner Meinung nach nicht gering veranschlagen sollte: die Forderung, das Wahlalter auf 16 herabzusetzen. Den Ausklang der Veranstaltung schließlich bildete das, was schlechterdings zu erwarten war: Ein schöner Land. Umgekehrt muß man allerdings konstatieren: Wegen Wahlspot-Sangeskünsten steht die Partei nicht zur Wahl – auch wenn Nouripour, der in seiner Freizeit gelegentlich als Rap-DJ auftritt, den Internetheiterkeit beflügelnden Spot zumindest in einem hessenschau-Interview doch recht arg schönredete.

Bartsch, Wissler, Gysi: Die Linke

Die zentrale Veranstaltung der Linkspartei findet zwei Tage später statt: Freitag, 10. September. Ort diesmal: die Hauptwache, das informell-logistische Zentrum der Frankfurter City. »Informell« ist bei diesem weiten, erst vor wenigen Jahren durchgehend zur Fußgängerzone gemachten Areal nicht unwichtig. Unter der Hauptwache befindet sich die B-Ebene, unterhalb der B-Ebene der innerstädtische Nahverkehrsknotenpunkt aus U- und S-Bahn-Linien. Etwas dichter als in den Stadtteilen fällt hier der Anteil von Mitbürger(innen) mit nicht-geburtsdeutschem Background aus. Optisch setzt das Obst- und Gemüseareal im Zentrum der B-Ebene die standorttechnischen Akzente. All das soll heißen: Bereits das Durchgangspublikum ist hier ein anderes als das von Lokalpolitik-Officials und Touristen gestellte am Römer.

Angekündigt sind: Dietmar Bartsch, Fraktionsvorsitzender der Partei, die Co-Spitzenkandidatin Janice Wissler und Shootingstar Gregor Gysi. Zunächst einmal heißt es: etwas Musik. Die kommt von der Reggae-Soul-Funk-Band Olé Pistole. Verglichen mit der Veranstaltung der Grünen zwei Tage zuvor fallen gleich mehrere Dinge auf. Das Verhältnis zwischen Masken und Nicht-Masken ist mixed; grosso modo entspricht es den derzeitigen Konventionen in der zentralen City – also etwa: fifty-fifty. Der Veranstaltungsmoderator weist kurz nochmal darauf hin, dass Corona noch nicht vorbei sei; das war’s dann. Einen Ordnerdienst hat die Linkspartei ebenfalls aufgestellt. Da der – anders als die bei der grünen Hauptveranstaltung – keine Ambitionen in Sachen Volkserziehung an den Tag legt, bleibt das Ambiente rund um die Veranstaltung spätsommerlich-relaxed. Deutlich anders sind schließlich auch die Besucher: Migranten und Migrantinnen, Junge mit mehr oder auch weniger Antifa-Look, eine Reihe Gesichter aus den diversen Kämpfen der zwei letzten Jahrzehnte, Ältere – kurzum: das typische Publikum, dass man so oder so ähnlich von einer Linkspartei-Veranstaltung gewohnt ist.

Gegen 17.30 Uhr legt Dietmar Bartsch los. Wie auch die beiden Anschlussredner arbeitet Bartsch den kompletten Querschnitt gängiger Linkspartei-Themen ab. Die soziale Schieflage – Stichworte: Mindestlohn, der marode Gesundheitssektor, explodierende Mieten sowie speziell während der Corona-Krise nach oben geschossene Unternehmensgewinne, Renten, Altersarmut und Hartz-IV – steht dabei eindeutig im Mittelpunkt. Für verstärkten Beifall bei der erst im dreistelligen Bereich liegenden, zum Veranstaltungsfinale dann auf 1000 bis 2000 Menschen angewachsenen Zuhörermenge sorgen die Ausführungen zum aktuellen Afghanistan-Debakel.

In diese Kerbe hinein haut dann auch die Anschlussrednerin, Janine Wissler. Bei allen Rednern für Zustimmung und Heiterkeit sorgen die Hinweise auf den derzeitigen Wahlkampfschwerpunkt des unionschristlichen Hauptgegners. Markus Söder hat die Rote-Socken-Kampagne auf dem CSU-Parteitag nochmals ein Stück hochgekurbelt mit seinem Bild vom »scharf linken Eintopf«, der im Fall einer RGR-Regierung drohe. Da sich zwischenzeitlich auch ein Fach-Hochkaräter in Sachen Steuerehrlichkeit, Uli Hoeneß, in den Chor der Warner eingeklinkt hat, mangelt es an plastischen Vorzeigebeispielen, welche Interessen Union und FDP vertreten, nicht. Janine Wisslers Rede ist pointiert, engagiert und zeichnet ein prägnantes Bild der aktuellen Situation. Gregor Gysi schließlich liefert sozusagen den persönlichen Paradefall, wieso beim Schienenverkehr noch Luft nach oben vorhanden ist. Später als geplant angekommen, muß er von der Bühne direkt wieder zum Zug – der nächste Wahlkampfauftritt wartet. Ein kleines Wunder: Obwohl Gysis Hochzeit als Politiker zehn bis zwanzig Jahre zurückliegt, rockt er Parteiveranstaltungen noch immer. Der Grund: Vieles, was andere mit Ingrimm und Leidenschaft anprangern, stellt Gysi mit seinem bemerkenswerten Sinn für Humor und Pointen bloß.

Gegen einen kann allerdings auch Gregor Gysi wenig ausrichten: Sankt Petrus in Gestalt des Wetters. Zum Ende der Veranstaltung schickt ein Platzregen seine feuchten Vorboten über den Platz. Vielleicht gar nicht so schlecht, dass Gysis Tagesplan an jenem Freitag eng getaktet ist. So haben Olé Pistole Gelegenheit, den soundtechnischen Abschlusspunkt zu dieser Veranstaltung zu setzen. Und der kann eigentlich nur aus einem Stück bestehen: dem guten, alten Respect von Aretha Franklin. Zu empfehlen bleibt bei dem Sound nur: Booking, Frankfurt – Booking, Hessen! Fazit so: kein auf volkstümlich-harmlos gebürsteter Mitglieder-Sangeschor; die Linke bleibt zumindest musikalisch unverwechselbar ihren Roots treu. Abgesehen von dem Redner-Trio, dass sein Bestes gab, den gerade nicht so exzellenten Prognosen-Trend für die Partei herumzureißen respektive in Wahlstimmen umzuschmieden, bleibt ein Eindruck: Frei nach dem Motto »Umverteilen: Ja – umerziehen: eher nicht« bleibt Die Linke auf der linken Hälfte des politischen Spektrums die Partei mit der geradlinigsten Selbstpräsentation.

Ob es für Größeres reicht, weiß derzeit keine(r). Allerdings: Eine gut durchwachsene Andockstelle für Stimmen, die auf soziale Anliegen fokussiert sind, ist Die Linke allemal. Zumal man hier wenigstens ungefähr weiß, was in der Packung drin ist.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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