Amerikanische Gräben

Buchrezension Ezra Kleins Buch „Der tiefe Graben“ gilt derzeit als Top-Titel zur Erklärung der politischen Polarisierung in den USA. Diesen Anspruch löst es nur teilweise ein

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Auf Buch-Promotour: Vox-Mitbegründer und Autor Ezra Klein (2020)
Auf Buch-Promotour: Vox-Mitbegründer und Autor Ezra Klein (2020)

Foto: Irn/Wikimedia Commons; Lizenz: CC BY-SA 4.0

Die Frage, ob sich das Phänomen Donald Trump mit dem Wahlsieg des Duos Biden/Harris erledigt hat, lässt sich sicherlich auf unterschiedliche Weise beantworten. In Aussicht auf eine ruhigere (oder jedenfalls: gesittetere) Präsidentschaft Biden haben Medien und Politik den Alarm-Modus bereits spürbar zurückgefahren – ebenso die Masse der Bürger und Bürgerinnen, denen aktuelle Alltagsprobleme wie die schwärende Corona-Pandemie oder auch die wirtschaftliche Situation unmittelbarer unter den Nägeln brennen. In der Hintergrundberichterstattung sowie auf dem Sachbuch-Markt bleiben die „gespaltenen Staaten von Amerika“ natürlich weiter Thema. Im Vordergrund hier: die – auch linkerseits, etwa im ND erörterte – Allround-Frage, wie es überhaupt hatte so weit kommen können.

Exakt dieser Frage versucht auch der Politikjournalist und Medienbegründer Ezra Klein auf den Grund zu gehen. Zumindest in der US-amerikanischen Medienlandschaft ist Klein alles andere als ein unbeschriebenes Blatt. Mit Vox (nicht: Fox) hat der in Irvine, Kalifornien geborene Shootingstar der linksliberal ausgerichteten Politik-Berichterstattung ein Medium mitbegründet, dass sich den Anspruch, Politik auf eine neue, nachvollziehbarere Art und Weise zu erklären, nachgerade auf die Fahnen geschrieben hat. Im Chor der liberal orientierten US-Medien mag Vox eine vergleichsweise unverbrauchte, originäre Stimme sein. Dass jedoch auch die Vox-Macher(innen) letztlich mit dem politischen Mehl backen, dass ihnen zur Verfügung steht, zeigt Kleins im Vorfeld der diesjährigen Präsidentschaftswahl platziertes Buch Why We're Polarized – auf Deutsch erschienen Anfang Oktober unter dem Titel Der tiefe Graben. Die Geschichte der gespaltenen Staaten von Amerika.

Möglich, dass Titel irreführend sind. Möglicherweise müssen sie das sogar – insofern, als dass sich Buchinhalte nur ungenügend in Titel und Unterzeilen pressen lassen. Im konkreten Fall ist zusätzlich in Rechnung zu stellen, dass Erklärer des Trump-Phänomens im liberalen Lager auch in naher Zukunft große Konjunktur haben dürften. Wie auch immer: Bei den üblichen Verdächtigen hat Der tiefe Graben einhellig Lob einfahren. CNN hat gelobt, die Süddeutsche Zeitung hat gelobt; der Fachhistoriker Michael Hochgeschwender äußerte in der FAZ ebenfalls vorwiegend Wohlwollen und Lob. Eine Reihe der aufgeführten Positiv-Alleinstellungsmerkmale sind sicherlich berechtigt: Ezra Klein schreibt prägnant, verständlich und dazu kurzweilig. Wie viele US-Sachbuchautoren – vor allem solche, die eine Message vermitteln möchten – bringt er für seine Thesen lieber ein untermauerndes Beispiel zu viel als eines zu wenig. Das alles mag für die Didaktik gut sein und auch für das Gefühl, nach dem Buch-Zuklappen am Ende einen Mehrwert mitgenommen zu haben. Womit wir zum Buch selbst kämen – und seine zumindest in Teilen kontrovers diskutierbaren Inhalte.

Patt-Situation

Inhaltlich gliedert sich Der tiefe Graben in zwei Teile. Der ersten fünf Kapitel sind mit dem Anspruch verfasst, eine halbwegs schlüssige Entwicklungsgenese zu liefern, für die Tatsache, dass sich die Welten von (überzeugten) Republikanern und (überzeugten) Demokraten immer weiter voneinander entfernen. Zutreffenderweise analysiert Klein die jeweiligen Clouds – mit den Leitmedien Fox (nicht: Vox) und Breitbart hier, Washington Post, CNN und MSNBC da – als Ausdruck eines größeren Phänomens: dem Auseinanderdriften der politischen Programmatik von Reps und Dems. Historische Rekurse, wie die Entwicklung der Radikalisierung, die Klein vor allem auf Seiten der GOP verortet, sind zumindest in zwei Kapiteln präsent. Das erste davon beschreibt die Gesamtentwicklung des US-amerikanischen Rechtsdrifts in groben Zügen. Das Folgekapitel widmet sich dem politischen Positionstausch, den Demokraten und Republikaner im Verlauf der Fünfziger und Sechziger vollzogen. Mit der bekannten Folge, dass die Demokraten ihren konservativ-rassistischen Dixiecrats-Flügel abstießen und die Republikaner erfolgreich diese Lücke besetzten.

Sicher, die Grundentwicklungen sind soweit zutreffend dargelegt. Als Verkäufer einer Message – die Polarisierung ist das Problem, und für Probleme gibt es meistens Abhilfen – schwenkt Klein allerdings in Bereiche ab, deren Erkenntnisse vielleicht den ein oder anderen Trend erhärten mögen, in der hier angebrachten Dosierung allerdings zumindest bei kritischen Leser(innen) Zweifel wecken dürften: den soziologisch-sozialpsychologischer Feldstudien. Jede(r) weiß, dass deren Ergebnisse stark unterschiedlich interpretierbar sind und im Zweifelsfalls stets so ausgelegt werden, dass sie mit den Ambitionen des Auslegers möglichst konform gehen. Warum sich der Vox-Mitbegründer fast ausschließlich auf sozialwissenschaftliches Forschungsmaterial stützt sowie, ergänzend, die Publikationen von Kollegen aus dem Lager der üblichen Erklär-Professionals, ist irritierend bis verwunderlich. Denn: Sowohl auf soziologischer als auch historischer Seite gibt es eine Reihe Titel, welche ebendiese Fragen in den Brennpunkt rücken. Beispiele an der Stelle: die sozialwissenschaftlichen Arbeiten von Torben Lüdjen (siehe hier und hier) oder der fulminante historische Gesamtentwurf der US-Historikerin Jill Lepore (siehe auch: dFC-Rezension hier).

Die letzten fünf Kapitel von Kleins Buch befassen sich mit der aktuellen Lage. Klein charakterisiert sie als Patt-Situation – gekennzeichnet von einer Republikanischen Partei, die sich in den Fängen ihrer radikalisierten Basis befindet und im Groben die Strategie „Land statt Wählerstimmen“ fährt, und einer Demokratischen Partei, die vor der Herausforderung steht, die Möglichkeiten der Regenbogenkoalition, welche die Masse ihrer Wähler(innen) stellt, voll zur Entfaltung zu bringen. Der von Klein ausgemachte Haupttrend: Während die Demokraten – geschuldet einem veralteten, die Reps begünstigenden Wahlsystem – nachgerade genötigt sind, auch Wähler rechts der Mitte anzusprechen, müssen die Republikaner – auch die gemäßigten – mehr und mehr ihrer radikalen Basis Rechnung tragen.

Kleins Abhilfe-Vorschläge am Buchende – mehr Gewaltenteilung, eine Reform der Repräsentativmechanismen an Haupt und Gliedern – mag man inhaltlich teilen oder auch nicht. „Realpolitisch“ sind die USA nicht erst seit der Präsidentschaft von Donald Trump an einem Punkt angelangt, an dem die polarisierte Situation auf irgendeine Weise aufgelöst werden muß. Wer die US-Geschichte kennt weiß, dass historische Wegemarken wie die aktuelle a) durchaus ein beträchtliches Gewaltpotenzial beinhalten und b) zwar relativ lange, aber nicht für ewig in der Schwebe gehalten werden können.

Ezra Klein setzt hier, typisch linksliberal, auch auf demografische Veränderungen. Sicher: À la longue werden die USA diverser, vielfältiger und (noch) urbaner. Generell allerdings markiert diese Hoffnung eine thematische Black Box, welche nicht nur für den US-amerikanischen Linksliberalismus bezeichnend ist: den permanenten Trend, Fragen von Identität und Identitätspolitik als immens wichtig zu veranschlagen und Fragen von Klassenspaltung sowie Armut und Reichtum entsprechend als nachrangig. In dem Sinn ist Der tiefe Graben zwar ein durchaus aufschlussreiches, mit Gewinn zu lesendes Buch. Das Monopol, die US-Verhältnisse (anschaulich) zu erklären, hat der Vox-Mitbegründer allerdings bei weitem nicht. Fazit: ein gutes Ergänzungs-Sachbuch für alle, die wissen wollen, was in den United States aktuell schief läuft – umgekehrt allerdings keinesfalls die Erklär-Bibel in US-Dingen, die manche in diesem Titel sehen möchten.

Info

Der tiefe Graben. Die Geschichte der gespaltenen Staaten von Amerika Ezra Klein Hoffmann und Campe 2020, 384 S., 25 €

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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