Bauhaus ohne Biss

TV-Serie Die Miniserie »Die Neue Zeit« möchte ein authentisches Bild der Weimarer Bauhaus-Ära in Szene setzen, liefert allerdings nur öffentlich-rechtliche Durchschnittskost

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Hundert ist eine runde Zahl. Im konkreten Fall sogar eine stark symbolträchtige. Das im April 1919 gegründete Bauhaus in Weimar markiert wie kaum eine andere Institution Deutschlands kulturellen Aufbruch in die Moderne. Unter dem Motto »100 jahre bauhaus« fand 2019 eine ganze Staffel unterschiedlicher Veranstaltungen statt, welche auf die historische Bedeutung dieser Institution hinwiesen. Zwischenzeitlich ist das Jubiläum auch im fiktiven Bereich angelangt, genauer: als Langfilm (»Lotte am Bauhaus«) und als Miniserie, welche arte und ZDF in der ersten Septemberhälfte ausstrahlen.

Die Bilder, die Spielfilmregisseur Gregor Schnitzler und Serienregisseur Lars Kraume in Szene gesetzt haben, gleichen sich. Auch die Fokussierung auf weibliche Karrieren – respektive die Emanzipationsdefizite im Bürgertum des frühen 20. Jahrhunderts – ist beiden gemeinsam. Während Schnitzler sich voll auf die individuellen Selbstfindungspfade seiner (fiktiven) Hauptfigur Lotte Brendel einlässt, verspricht Kraumes auf 6 Folgen à 45 Minuten angelegte Miniserie »Die Neue Zeit« bereits im Titel, die Gründerzeit des Bauhauses wiederauferstehen zu lassen. Im Mittelpunkt der Serie stehen drei Personen: Bauhaus-Begründer Walter Gropius und die beiden Studentinnen Dörte Helm und Gunta Stölzl. Zeitlich beschränkt sie sich auf die Anfangsjahre – also die Periode von 1919 bis zum von der politischen Rechten erzwungenen Umzug der Schule nach Dessau 1925. Aufhänger der Handlung: das von intellektueller wie erotischer Anziehung bestimmte Verhältnis zwischen Gropius und Helm – eine frei-fiktive Interpretation der seinerzeit gegen Gropius erhobenen Vorwürfe, er unterhalte eine sexuelle Beziehung mit einer Schutzbefohlenen.

Die eigentliche Serienhandlung verfolgt mehrere Linien. Zum einen die amourösen Verwicklungen unterschiedlicher Beteiligter. Roter Faden im engeren Sinn ist der gegen diverse Hindernisse absolvierte Werdegang der Studentin Dörte Helm (wobei zwei dieser Hindernisse bekannte Namen tragen: Gropius und Itten). Eine weitere Ebene, welche die Serienhandlung bestimmt, ist die (feindliche) politische Umgebung, in der die Institution Bauhaus agieren muß. Ebenso wie beim Managen seiner amourösen Verwicklungen erleben wir den von August Dietl gespielten Gropius sozusagen als Löwenbändiger – als Direktor eines Zirkus, der seine freie Schule einerseits erhalten will, andererseits jedoch den politischen Gegebenheiten Rechnung tragen muss.

Allein diese drei Thematiken – das Beziehungsgeflecht an einer exponierten Kunsthochschule, die Emanzipationsgeschichte einer Schülerin und der allgemeinpolitische Handlungsrahmen – wären bereits Stoff für drei Serien. Wie bei öffentlich-rechtlichen Historienproduktionen weithin gängige Praxis, haben produzierende Sender und Regisseur den unbedarften Lieschen und Jens Müller draußen vor den Bildschirmen zusätzlich ein Basispaket mit in die Serie hineingepackt zu der Frage, was für eine Sorte Kunst am Bauhaus fabriziert wurde. Genau an diesem Punkt jedoch scheitert die – von den beiden Branchendiensten tittelbach.tv und dwdl.de als stimmungsvoll und besonders authentisch hochgelobte – Serie. Genauer gesagt: Überfrachtete Ansprüche im Verein mit dem geschichtspädagogisierenden Gesamtkonzept ziehen sämtliche Aspekte von »Die Neue Zeit« mehr oder weniger stark in Mitleidenschaft: die Beziehungs-Feinzeichnung, Dörte Helms Emanzipationsgeschichte, die Historienvermittlung als solche und schließlich das Anliegen, den Zuschauern zusätzlich zu vermitteln, um welche Art Kunst es beim Bauhaus überhaupt gegangen ist.

Eingebetteter Medieninhalt

Dreh- und Angelpunkt ist der ungenau-flapsige Umgang mit den verwendeten historischen Bausteinen. Aus dem Leben der echten Dörte Helm (gespielt von Anna-Maria Mühe) hätte man durchaus ein echtes Drama machen können. Allerdings starb die (nach den Rassegesetzen der Nazis als Halbjüdin geltende) Malerin und Grafikerin nicht, wie in der Rückschau-Ebene angedeutet, via Selbstmord, sondern an einer Infektionskrankheit. Der wirkliche Dramastoff, den Helms Biografie böte – der von Hans Zischler gespielte, konservativ-großbürgerliche Vater etwa wurde von den Nazis gleichfalls ramponiert und überlebte seine Tochter um 25 Jahre – wird hier schlicht links liegen gelassen zugunsten künstlich kreierter Bauhaus-Bezüge. Eine weitere historische Ebene, die in der Form sicherlich nicht stattgefunden hat, ist das Auftreten einer – angeblich feministischen – Journalistin mit dem Namen Stine Branderup. Stilistisch-handwerklich liefert die Gropius interviewende Journalistin die Rückblickebene, aus der heraus die Haupthandlung erzählt wird. Eine Konstellation, die gleich aus zwei Gründen peinlich ist: a) weil die (vermutlich fiktive) Journalistin mit Gropius – sehr professionell – umgehend in einen Dialog zwischen verschmähter Ex-Liebhaberin und Liebhaber verfällt, b) weil das blaue Auge, welches vermutlich vom derzeitigen Ehemann herrührt, einen seltsamen Schatten auf die in der Haupthandlung verfolgte Emanzipationsgeschichte der Bauhaus-Schülerin Helm wirft. Fazit hier: Speziell in diesen Szenen gerät die Schlüssellochperspektive, welche die Serie in weiten Teilen pflegt, zur Schlüpfrigkeitsperspektive.

Anzweifeln könnte man darüber hinaus auch die Figur des Johannes Itten – eines die Frühzeit des Bauhauses prägenden, aufgrund seiner esoterischen Verbindungen hinein ins NS-Umfeld bis heute umstrittenen Lehrers. Seltsamerweise funktioniert dessen Zeichnung als Despot (der er am realen Bauhaus nach Lage der Dinge wohl auch war) im Rahmen der Serie perfekt. Anders gesagt: Erst Itten als Bösewicht verleiht der Serie jene emotionale Tiefe, welche sie sonst über weite Strecken vermissen lässt. Sicher gut gemeint, aber stilistisch etwas befremdlich sind schließlich die choreografierten Tanz- und Gruppenszenen, welche der Serie Stimmungstiefe sowie das dazugehörige Bauhaus-Ambiente verleihen sollen. Aus irgendeinem Grund scheint groovende Swingjugend das Standardbild zu sein, wenn deutsche Filmemacher die positiven Seiten der in Deutschland lange unterdrückten Moderne in Szene setzen wollen. Allerdings: Die Benny-Goodman-Rhythmen, mit denen die Bauhaus-Aspirant(inn)en der Serie die »neue Zeit« feiern, lagen Anfang der Zwanziger noch in der Zukunft. In einem Film, in dem Charleston oder Kaffeehausmusik näher lägen, vermittelt diese Form Swing-Tanzszenen weniger Authenzität denn den pädagogisierenden Fingerzeig öffentlich-rechtlicher Filmemacher nach dem Motto: »Hallo Fernsehvolk, aufpassen: Hier sind die Guten!«

»Typisch öffentlich-rechtlich« ist darüber hinaus die biedere, optisch statische, von Bildungsanspruch geprägte und mit entsprechend künstlichen, schriftsprachlichen Dialogen arbeitende Umsetzungsform. Changierend zwischen den beiden Polen Schwere und Biedersinn, ist sie der Käfig, aus dem derzeit keine deutsche Serienproduktion herauszukommen vermag. Speziell die öffentlich-rechtlichen TV-Macher sind hier seit Jahren festgelegt: Hin zu den neuen Macharten mit ambivalenten Figuren, offenen Handlungssträngen und dynamischer Inszenierung möchten sie nicht. Vor der Experimentierfreude der Goldenen TV-Ära hingegen schrecken sie gleichfalls zurück. Wobei mit Egon Monks 1973er-Mehrteiler »Bauern, Bonzen und Bomben« eine themennahe Referenz zur Verfügung gestanden hätte – eine jener Sorte, welche die bei ARD und ZDF mittlerweile als Standard gepflegte Softzeichnung historischer Stoffe eben NICHT vollführt und gerade deswegen eine emotionale Tiefe erreicht, welche dem deutschen Fernsehen schon lange abhanden gekommen ist.

Kommen wir zu den guten Nachrichten. In dem beschriebenen Rahmen ist »Die Neue Zeit« zwar keine herausragende, umgekehrt allerdings auch keine grundschlechte Serie. Bezieht man den bei ARD und ZDF stets mitzudenkenden »Bildungsauftrag« mit ein und schreckt auch vor der obligatorischen Portion an abgesoftetem Historienkitsch nicht zurück, vermittelt »Die Neue Zeit« ihr Anliegen recht passabel. Die Grundkonfliktlinien des frühen Bauhauses – politisch unruhige Zeiten, Finanzierungsprobleme, Kampagnen der Rechten sowie der Konflikt zwischen Gropius und dem umstrittenen Lehrer Itten – sind nachvollziehbar dargestellt. In einzelnen Folgen – beispielsweise der, in dem die Bauhaus-Schüler mit dem Kapp-Putsch konfrontiert sind – steigt auch das Spannungslevel spürbar. Die Kernfigur im Mittelpunkt wird von Anna-Maria Mühe ein Stück weit nachvollziehbar gemacht und trägt auch verständnistechnisch durch die Geschichte. Fazit so: Wer Historienunterhaltung der Marke ARD/ZDF mag (oder sich an die Darbietungsformen dieser Art Formate hinreichend genug akklimatisiert hat), wird von »Die Neue Zeit« recht solide bedient.

Auch in Anbetracht der Tatsache, dass derzeit im Brainstorming-Prozess befindliche Folgestaffeln betreffs die weiteren Geschicke des Bauhauses wohl ebenfalls kaum grundlegend von der gewählten Marschrichtung abweichen werden.

Die Neue Zeit. 1 Staffel mit 6 Folgen à 45 Minuten. Die ersten drei Folgen stehen aktuell in der arte-Mediathek zur Verfügung. Ausstrahltermine: bei arte ab 4. September (jeweils 20.15 Uhr), im ZDF ab 12. September (jeweils ab 22.15 Uhr).

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden