Böse Buben

Drama-Serie Das »Sons of Anarchy«-Spin-Off »Mayans MC« setzt den amerikanisch-mexikanischen Grenzkrieg als Biker-Drama in Szene. Eine Adrenalin-Soap mit Tiefgang.

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Ezekiel „EZ“ Reyes (J.D. Pardo) ist auf beiden Seiten des Gesetzes aktiv
Ezekiel „EZ“ Reyes (J.D. Pardo) ist auf beiden Seiten des Gesetzes aktiv

Foto: Prashant Gupta/FX

Spoiler-Anteil: 1 % | Es gibt Serien, die so allseitig präsent sind, dass man schlechterdings nicht um sie herumkommt. Andere sind eher Massenware – Futter für den Markt und eingespeist in alle Kanäle, deren Betreiber die nötigen Lizenzgebühren zu zahlen bereits sind. »Mayans MC« zählt zur dritten Kategorie: die handverlesene Gruppe jener Serien, welche es nur mit Biegen, Brechen und Hürden auf den deutschsprachigen Markt schaffen.

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Im konkreten Fall ist das erklärungsbedürftig – zählte doch das Biker-Drama »Sons of Anarchy«, von dem »Mayans MC« ein Spin-Off ist, zu den eingeführten, auch kommerziell erfolgreichen Dramsaserie-Zugpferden. Bei »Mayans MC« hingegen schien, um im Bild zu bleiben, jemand Zucker in den Harley-Tank geschüttet zu haben: Die Pilotfolge, welche gemeinhin über Ausstrahlung oder Nicht-Ausstrahlung entscheidet, mußte das Team um Serienschöpfer Kurt Sutter komplett neu drehen. Im Sommer 2018 schließlich lief die Serie auf dem amerikanischen Pay-TV-Sender FX. Lediglich in Good Old Europe tat sich bis vor kurzem – nichts. Die schlechte Nachricht: Lüften lassen sich die Geheimnisse um derlei Interna schwer bis gar nicht. Neu-Dreh bedeutet gemeinhin, dass der auftraggebende Sender oder Produzent unzufrieden ist mit der gelieferten Ware und Nachbesserungen verlangt – eine Maßnahme, die in aller Regel auf den Faktor Mainstream-Verträglichkeit hinausläuft. Die halb-gute Nachricht: Nachdem die Spekulationen, welcher hiesige Streamingdienst »Mayans MC« bringt, mangels neuer News versickerten, hat sich nun doch etwas getan: Das Epos um den Konkurrenz-MC der nordkalifornischen Sons ist bei amazon prime untergekommen: zwar nicht im Abo-Programm, allerdings für Cash sowie mit untertitelter Originalversion.

Ansonsten haben sich die Befürchtungen nicht bewahrheitet. Verglichen mit »Sons of Anarchy« kommt »Mayans MC« zwar etwas schwerer in die Gänge. Wo der in Nordkalifornien spielende Vorläufer bereits in der ersten Folge der ersten Staffel drei Haken auslegte, die über normales Action-Handwerk weit hinausreichten, führt »Mayans MC« erst mal in das Szenario der beteiligten Unter- und Halbwelt-Gruppen ein. Da sind zum einen die Mayans MC – genauer: das südkalifornische Charter jenes Bikerclubs, der in der Vorgängerserie erst erbitterter Feind, dann Verbündeter der Sons of Anarchy war. Weitere Akteure: ein nordmexikanisches Kartell und die Olividados – eine Gruppe, deren Angehörige von den Kartellen abgeschlachtet wurden und die, als eine Art neozapatistischer Basisorganisation, nun ihrerseits diesen das Leben schwer machen.

Das Set setzt sich von den Redwood-behangenen Bergen Nordkaliforniens deutlich ab. Schauplatz ist die Mojave-Wüste beidseits der amerikanisch-mexikanischen Border. Die Color-Optik präferiert grelle, südliche Farben und auch die Symbolik – beispielsweise die Madonnen-Statue mit umgehängtem Patronengurt im Hauptquartier der Gang – trägt der katholisch-hispanischen Regionalkultur ausgiebig Rechnung. Hauptfigur ist Ezekiel »EZ« Reyes (J. D. Pardo), Anwärter auf die Voll-Mitgliedschaft im örtlichen Mayans-Ableger und, wie wir schnell erfahren, auf beiden Seiten des Gesetzes aktiv. Ins kriminelle Business verstrickt ist auch die Familie: Bruder Angel ist EZ’s Mentor bei der Biker-Gang und auch der ein Fleischergeschäft betreibende Vater Felipe hat, wie im Verlauf der Staffel zunehmend offengelegt, eine bewegte Vergangenheit. Die weiblichen Hauptfiguren sind als passende Conterparts angelegt: Emily Thomas (Sarah Bolger), die Frau des beidseitig der Grenze agierenden Kartellpatrons Miguel Galindo war die Jugendliebe von EZ, und Adelita (Carla Baratta) macht als den Kerlen gewachsene Anführerin der Neozapatisten von Sonora durchaus eine glaubwürdige Figur.

Die Verwicklungen zwischen den einzelnen Akteuren schälen sich zwar etwas langsamer heraus als bei »Sons of Anarchy«. Nichtsdestotrotz bringt Showrunner Sutter auch in der Fortsetzung ein Kaleidospop epischer Verwicklungen auf den Weg. Einerseits gilt Sutter als der »Härteste unter den Harten« – ein Prädikat, mit dem ihn die Zeitschrift Rolling Stone charakterisierte. Differenziert man Serien nach dem Härtegrad aus, wäre eher der Vergleich mit Russ Meyer angebracht. Ebenso wie Meyers Siebzigerjahre-Trashmovies zeichnen sich auch Sutters Serien vor allem durch das stringent durchgezogene Ignorieren gängiger Konventionen und Moralvorstellungen aus. Vor Überinterpretation seiner Serien hat er nichtsdestotrotz abgeraten. »Sons of Anarchy« charakterisierte er vom Wesen her als »Adrenalin-Soap« – als Feuerwerk, dass vor allem gute Action-Unterhaltung abliefere und Shakespeare-Bezüge allenfalls als Nebenprodukt.

Ungeachtet dessen stehen Sutters Serien in einer bestimmten Tradition. Ob man sie einfach als Action bezeichnet, als Dramaserie der härteren Gangart, als Neo Noir oder gar als Produktionen in der – tendenziell linken – Tradition des französischen Polar, ist Ansichtssache (wobei für letzteres unter anderem die Tatsache spricht, dass auch die auftretenden Cops keinesfalls zu den »Guten« gehören – abgesehen davon, dass sich auch auf der »weißen« Seite des Gesetzes die einschlägigen Fraktionierungen von DEA bis Homeland Security und CIA gegenseitig auf die Füße treten). Am ehesten wird »Mayans MC« wohl das Etikett der urbanen Ballade gerecht. Das Set ist hinreichend ausdifferenziert. Auch das zweite wichtige Moment – die Erklärung der einzelnen Figuren aus ihrer jeweiligen Situation und Lebensgeschichte heraus – ist bei »Mayans MC« durchaus gegeben.

Das dritte ist der Realismus, also die Glaubwürdigkeit der getroffenen Handlungs-Anordnung. In Standard-Serien sind die Guten gut, die Bösen böse. Gute Serien hingegen machen betroffen – auch da, wo sie schockieren. Selten wird – Achtung, Spoiler – die Tristesse des Ganglebens derart auf den Punkt gebracht als in der Szene, in der ein Beteiligter seine Mutter umgebracht hat und, neben der Leiche sitzend, die Tat gegenüber einem Freund rechtfertigt mit Weisheiten aus dem Poesiealbum der Underdog-Philosophie.

Gutes und böses Kharma, oder: Es mußte alles so kommen, wie es gekommen ist.

Wer sich den Irrsinn des Anti-Drogen-Kriegs und das gleichfalls ziemlich verrückte Leben beidseits der US-amerikanischen Mauer zu Gemüte führen möchte, für den ist dieses adrenalingeschwängerte Straßenepos vielleicht nicht der schlechteste Einstieg.

Mayans MC. 1. Staffel. Folgen: 10. Länge jeweils: ca. 1 Stunde. Erstausstrahlung: 2018. Im Angebot von amazon prime seit: März 2019.

Weitere Infos bei Rotten Tomatoes.

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Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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