Corona-Songs Vol. 2

Ablenkung Der musikalischen Kreativität scheint das Corona-Virus nichts anhaben zu können. Lieder zur Krise gehen im Netz allerorten viral. Hier die Ausbeute Nummer zwei.

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Man nehme: einen Musiker oder eine Musikerin, stecke ihn oder sie in Quarantäne und heraus kommt – eine herzergreifende Ballade, ein bissiger Country-Song oder ein Rap-Titel, der den Zeichen der Zeit voll auf eins auf die Glocke gibt. Zugegeben – ganz so einfach ist die Chose nicht. Allerdings: die Ausbeute an Songs, die sich musikalisch mit der aktuellen Krise auseinandersetzen, ist seit dem letzten Beitrag merklich gewachsen. Qualitativ hat sich wenig geändert. Es gibt Spreu, es gibt Weizen. Vieles ist gutgemeint, und im Rahmen der Krise ist eigentlich jeder Song ohne Unsinn und Verschwörungstheorien besser als keiner. Die Auswahl mit originärer Message versehener oder sonstwie originaler Corona-Songs ist mittlerweile beachtlich. Sebel mit seinem – bereits in der letzten Folge erwähnten – Lied »Zusammenstehen (Corona Virus Lied)« hat es zum Monatsende gar zur kleinen Homestory im Rahmen der »Hart aber fair«-Krisenberichterstattung gebracht. Der Bochumer Sänger forderte die Fans seines Stücks auf, zusätzliche Instrumental- und Gesangspassagen aufzunehmen, um das Rohmaterial für eine gemeinsame Aufnahme zusammenzusamplen. Das Ergebnis: ermutigend; eine englischsprachige Version von »Zusammenstehen« ist ebenfalls bereits in der Pipeline. Mit einer »v2«-Version ihres Stücks »Corona Weltuntergang« haben auch FreiWild zwischenzeitlich nachgelegt – textlich, die Lage ist ernster geworden, noch einen Tick entschiedener auf Sich-nicht-unterkriegen-Lassen abgestellt als die Erstvariante.

Manu Chao: »Soñé otro mundo (Coronarictus Smily Killer Serial)«

Wie gehen eigentlich Musiker(innen) in anderen Ländern mit den extremen Alltagsveränderungen um? Vermutlich ähnlich wie die hierzulande. Beginnen wir unsere Top Six mit einem Kämpen für eine gerechtere Welt – dem musikalischen Globalisierungsgegner Manu Chao. Das globetrottende Flagschiff der sogenannten Mestizo Musik hat eine kleine Galerie neuer Einspielungen online gestellt. Nicht jede kreist thematisch um das derzeitige Thema Nummer eins. Textliche Widerhaken enthalten jedoch die meisten dieser im Homeoffice-Modus eingespielten Stücke. »Soñé otro mundo (Coronarictus Smily Killer Serial)« (Clip: siehe oben) ist Akustikgitarre-Schiene in der abgespecktesten Form, feelingstechnisch wie gewohnt sophisticated und bringt uns kosumverwöhnten Nordlichtern eine hierzulande fast vergessene Eigenschaft nahe: Gelassenheit.

Die Ärzte: »Ein Lied für jetzt«

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Auf spezielle Weise ist Gelassenheit auch bei Track #2 unserer Auswahl mit im Spiel. Bereits die Splitscreen-Technik im Video zeigt, dass ambitionierter Umgang mit Homeoffice-Technik für die Berliner Punkband Die Ärzte kein Problem darstellt. Der Faktor Professionalität ist erfreulicherweise also in trockenen Tüchern; ebenso der gewohnte Galgenhumor – eine Haltung, von der sich sowohl die Übersensiblen- als auch die Stahlspaß-Fraktion durchaus die ein oder andere Scheibe abschneiden kann. Musikalisch-textlich ist »Ein Lied für jetzt« mehrererlei. Erstens: ein Rock’n’Roll-eingefärbter Song der Sorte, die man vielleicht gerade in Zeiten wie diesen gut gebrauchen kann. Zweitens: ein Werbesong für das im Clip angekündigte nächste Ärzte-Album. Drittens: ein Beweis, dass Minimal Art IMMER funktioniert. Viertens: ein Schmunzel-Song besten Kalibers. Wie auch immer – Bela, Farin & Rodrigo hats sichtlich Spaß gemacht. Die message zum Durchalten: Fun-Punk und Tristesse bleiben weiterhin zwei unterschiedliche Kaliber.

M.I.K.I: »Coronavirus«

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M.I.K.I ist ein Rapper aus dem Fanszene-Umfeld des Ruhrpott-Erstligisten Borussia Dortmund. Stilistisch ist er schwer einzuordnen. Die Vorliebe für Klartext im Wort ähnelt auf den ersten Blick der im Gangsta-Rap gepflegten Sprache. Die großkotzige Attitüde ist M.I.K.I indess schon aufgrund des Fankurve-basierten Backgrounds fremd; ebenso die Thematiken seiner Stücke. Am besten bringt der Titel seines aktuellen Ein-Mann-Labels seinen Stil auf den Punkt – »Malochermusik«: Musik im stilistischen Nirvana irgendwo zwischen Klaus Lage und Fler. »Coronavirus« ist eine musikalische Philippika – ein Weckruf in Rap für diejenigen, die immer noch meinen, Corona sei die neue geile Schwester der gleichnamigen Biermarke. Fazit: Klartext – unbedingt ehrlich – unbedingt nachdenkenswert – und, zumindest für die Freunde und Freundinnen musikalischer Klartextansagen: funzt total.

Luisa Martinez: »Dumm, dumm«

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Man muß den (allzu) Verzagten, den den-Ernst-der-Lage-nicht-Begreifern und den 250-Prozent-Egoisten nicht zwingend mit hartem Hip Hop die Leviten lesen. Es geht auch mit sarkastischer Verachtung, gepflegtem Singer-Songwritin und als Frau. Die Krefelderin Luisa Martinez ist von Beruf Hochzeitssängerin. Ein Job, der – wie jeder mit Menschenumgang verbundene Beruf – auch jede Menge Erfahrungen in Sachen Nähe und Distanz mit sich bringt. »Dumm, dumm« bringt die Haltung der Sängerin denjenigen gegenüber zum Ausdruck, die sich über die aktuell geltenden Einschränkungen hinwegsetzen, um ihren egoistischen Partymach-Ambitionen zu frönen. Verglichen mit M.I.K.As Corona-Elogie spielt Martinez natürlich in einer musikalisch vollkommen anderen Hemisphäre. Die Anliegen der beiden Songs sind sich umständebedingt allerdings erstaunlich ähnlich.

Das Lumpenpack: »Das Coronalied«

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Was im Rahmen dieser kleinen Ausbeute vielleicht noch fehlt, ist ein Bänkelsong. Zugegeben: Mit Gitarrenbegleitung dargebotene Corona-Liedchen finden sich im Netz zuhauf – inklusive Werken, denen man anmerkt, dass beim Einklopfen des Versmaßes sehr viel Kraft mit im Spiel war. Das aus der Poetry-Slam-Szene der Neunziger hervorgegangene Bänkelsong-Duo Das Lumpenpack hat es zumindest geschafft, meine persönlichen Geschmacksvorbehalte gegen diese Form Verskunst zu unterlaufen. Textlich-musikalisch beginnt »Das Coronalied«, wie ein typisches Liedermacher-Lied eben beginnt: etwas aus der Zeit gefallen, bildlich – die liebe Isolation – via Smart Phone synchronisiert und mit üblich geistreicher Wortakrobatik. Das Dabeibleiben lohnt sich jedoch spätestens in der zweiten Hälfte: Ganz auf der Höhe von Götz Widmanns alter Formation Joint Venture ist das – meine persönliche Meinung – zwar noch nicht. Der ein oder andere Betrachtungsaspekt von »Das Coronalied« kommt dieser Eichmarke allerdings durchaus nah.

Kaya Laß: »Gemeinsam«

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Ähnlich wie Sebel (siehe oben und letzte Folge) wurde auch Kaya Laß in der Soulpop-Ecke musiksozialisiert. Die Kielerin war Backgroundsängerin bei der Formation Glashaus; darüber hinaus arbeitet(e) sie als Radiomoderatorin für unterschiedliche Rundfunksender. »Gemeinsam« ist – einerseits – ein Mutmach- und Aufbau-Song der Sorte, die viele derzeit wahrscheinlich brauchen. Mir persönlich ist der Song zu übergefühlig, mit zu viel Pathos versehen und mit Humor sowie Zwischentönen zu gering dosiert. Andererseits: Wenn die aktuelle Krise eines lehrt, dann, dass das persönliche Ego nicht der Nabel der Welt ist. Fazit so: eine pianounterlegte Soulballade mit viel Feuerzeug-Faktor – nicht auszuschließen, dass auch der Rezensent irgendwann umgestimmt ist und bei irgendeiner Gelegenheit im Publikums-Chor den Refrain mitsingt.

Die Hoffnung stirbt zuletzt – insgesamt ein ermutigendes Zeichen. Da wir in Zeiten der Statistik leben, abschließend an der Stelle auch die musikalische Allgemeinprognose: Vermutlich wird der Anteil viral gehender Songs mit unmittelbarem Krisenbezug mit der Zeit zurückgehen. Grund: Ständig den unmittelbaren Horror zu thematisieren kann die Lösung auch nicht sein. Letztlich wird es an der musikalischen Front wohl nach dem Motto ablaufen: Gut ist, was hilft. Ob dies eine Feuerzeug-Ballade ist, ein akustikgitarrenbegleiteter Folksong oder ein Punkstück Marke Homeoffice-Bau ist letztlich gleichgültig. Ebenso auch der Themenbezug: In der Quarantäne und/oder im Social-Distancing-Modus wird eh jede und jeder auf das Aufbau- und Ablenkungsmaterial zurückgreifen, dass er oder sie persönlich am meisten bevorzugt.

Die Ausbeute ist notgedrungen subjektiv; vor allem internationale Acts stehen weiterhin auf dem Zettel. Wer gute, nachdenklich machende, aufbauende oder auch kritische Musikstücke mit Coronakrise-Bezug im Netz findet, kann sie gern hier im Kommentarteil posten. Die besten werden in einem späteren Beitrag aufgegriffen.

Vorbeitrag: »Trostpflaster für den Shutdown«

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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