Die dFC und die Nazikeule

Freitag-Community Stehen dFC-Kommentare auch bei mißratenen Satire-Beiträgen in der Pflicht, pflichtschuldigst Heiterkeit zu zollen? Ja. Ein Beitrag über die allseits präsente Nazikeule.

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Die Satire

Die Vergewaltigung und der Mord an einer 19jährigen Flüchtlingshelferin in Freiburg – von der ARD erst nicht berichtet, dann doch – haben zwischenzeitlich auch im Online-Teil des Freitag ihren Niederschlag gefunden. Ein Beitragsautor nahm das Verbrechen als Anlass, mögliche rassistische Ressentiments in Form einer Satire zu konterkarieren.

Eigentlich fangen die Schwierigkeiten hier schon an. Ist das Wort »Verbrechen« überhaupt angemessen? Treibt nicht bereits derartiges Wording einen Keil zwischen Mehrheitsgesellschaft und die, die es zu schützen gilt? Doch genehmigen wir uns etwas freitägliche Satire. Der Beitrag nimmt den Vorfall in Freiburg eher als Auslöser, um sich in ironisierender Form über das Gedankengut von Nazis und Neurechten lustig zu machen. Zu diesem Zweck wird eine imaginäre Situation konstruiert in Form eines Teutonisch heuristischen Instituts für Laienorientalistik, kurz THILO. Das (imaginäre) Institut liefert im Pegida-Milieu gängige »Beweise«: Flüchtlinge notorisch übergriffig, Deutsche immun.

Zwei externe Links (hier und hier) sollen – stilistisch gesehen wohl gedacht als zusätzliches Irritiermittel beziehungsweise dramaturgiesteigerndes Element – den Faktengehalt des Textes »belegen«. Dem unbedarften Leser – also dem tumben Pegida-Michel – suggerieren sie, dass es besagtes THILO-Institut tatsächlich gibt. Klickt man die Links an, führen diese auf das auch im Userprofil aufgeführte Weblog des Beitragsautors. Inhaltlicher Gehalt des Textes: Whataboutism – also Relativierung der unbedarftesten Art. Hier in Form einer Übersprungshandlung, die ein mögliches Trittbrettfahren rechter Kreise im Hinblick auf ein (tatsächlich geschehenes) Verbrechen antizipiert und aus dieser Situation ihren spezifischen »Humor« generiert.

Die Diskussion

Kann und muß man peinliche Texte dieser Couleur so stehen lassen? Oder muß man – schon aus Solidaritätsgründen – in präventive Heiterkeit verfallen? Betrachtet man die ersten Kommentare zum Beitrag, hielt sich der Schmunzeleffekt selbst beim wohlmeinenden Teil der dFC-Mitlesenden eher in Grenzen. Dies änderte sich schlagartig mit einem Kommentar meinerseits um 14:54 Uhr. Wesentlicher Inhalt waren zwei Aspekte: a) die formale Mißglücktheit der »Satire«, b) ihre Unangemessenheit. Mit in meinem Statement enthalten: die Klassifizierung »Sextäter«. Mit anderen Worten: Ich beanstandete nicht nur die Satire und deren Intention. Zusätzlich unterließ ich es, via Wording die Tat so zu verharmlosen, dass sie eigentlich gar nicht geschehen war.

Für einige scheint das Benennen eines Verbrechens schlimmer zu sein als das Verbrechen selbst. Plätscherte die Diskussion (besser: Selbstvergewisserung) unterhalb des Beitrags bislang so vor sich hin, sah sich ein dFC-bekannter Kollege in Reaktion auf meinen Kommentar bemüßigt, mich als »Volksrichter« zu bezeichnen (also jemand, der mindestens in der Ronald-Schill-Liga mitspielt), als jemand, der gut mit der im Artikel eingeführten Kunstfigur »Sahra Siehn« auf Tour gehen könne (die subtile Ausrichtung der Wortkombination ist sicher auch ohne zusätzliche Anmerkung deutlich genug) und generell Scheinwahrheiten fröne aus schwarzrot gefärbten Pegida-Bibeln.

Eigentlich frappierend an diesem communityseitigen Herabsausenlassen der Nazikeule war die Argumentlosigkeit, von der sie begleitet wurde. Dabei stand ich – wie dieses und dieses Statement zeigen – keinesfalls allein mit meiner kritischen Betrachtungsweise. Was mich indess nicht davor bewahrte, mittels weiterer Attacken in die Nazi-Ecke gerückt zu werden – als jemand, der gesellschaftspolitisch die »Retrobrutalität eines Cesare Lombroso« anvisiere (also wahlweise ins Mittelalter oder gar die Frührenaissance zurückwolle), als jemand, der sich despektierlich verhalte (es also an nötigem Respekt – was wohl heißen soll: unkritischer Zustimmung – fehlen lasse) und – seltsam in Anbetracht der Respektlosigkeit, die einen Satz zuvor noch mokiert wurde – am besten gleich bei Pegida, AfD und Russia Today anheuere.

Die Folgen

Sicher könnte man diesem aufschlussreichen Beispiel in Sachen linksliberaler Diskussions»kultur« noch weiter nachgehen – etwa der Achterbahnfahrt der Argumente, denenzufolge der mutmaßliche Täter von Freiburg einerseits durchaus in der Lage sei, ehrliche Reue zu zeigen, andererseits als unschuldiges Opfer von einem fulminanten Justizirrtum bedroht sei. Die fast zwanghafte Täter-Weißwäsche, die ausnahmslos jeden Geflüchteten zu einer jesusähnlichen Figur stilisieren möchte (und in Anbetracht der Fakten natürlich eine Steilvorlage liefert für alle Rechten im Land), wäre sicher ebenfalls ein sich anbietendes Thema. Last but not least hat auch das Argument Gelassenheit das ein oder andere für sich: dass da einfach ein paar die falsche Tageszeit erwischt haben – mit dem Ergebnis, dass sich eine Diskussion weiter hochgeschaukelt hat als von der Sache her nötig.

Hat alles was für sich. Persönlich am frappierendsten fand ich allerdings den Umstand, für welche Pillepalle einige der sogenannten Linksliberalen bereit sind, die Nazikeule rauszunehmen, um sie Andersdenkenden über den Schädel zu schlagen. In meinen Augen zeugt dies nicht nur von dem – auch andererseitig angemerkten Verfall der Diskussionskultur, speziell im Internet. Diametral entgegen steht sie vor allem den Idealen von Meinungsfreiheit und Toleranz, welche man sonst in geradezu gebetsmühlenhafter Form vor sich her trägt. Und die – das Wort »Meinung« impliziert das bereits – eigentlich geradezu das Hohelied unterschiedlicher Meinungen und einer entsprechenden Diskussionskultur singen müßte.

In der Theorie sicherlich. In Wirklichkeit jedoch scheint es damit nicht weit her zu sein. Einigen genügt bereits das Nicht-Amüsiert-Sein über eine mißratene Satire, um wild mit dem Nazihammer auf alles und jede(n) einzuschlagen. Dies soll kein Bashing des – in vielerlei Hinsicht sicher couragierten, für Demokratie und Zivilgesellschaft sich einsetzenden – Linksliberalismus sein. Allerdings sollte man auch nicht (mehr) die Augen davor verschließen, dass sich in manchen Milieus mittlerweile eine Interpretation linksliberaler Grundsätze verfestigt hat, die nur noch mit dem Etikett »stalinistisch« charakterisierbar ist – frei nach dem Motto: Stimmst du nicht zu 100,00 Prozent nicht mit mir überein, bist du ein Nazi.

Dies scheint mir der wesentliche Umstand zu sein. Dass derlei moralische Erpressungsversuche dem eigentlich proklamierten Ziel diametral entgegenstehen, ist eine Binse. Eine Binse, die man vielleicht unter dem Etikett »Gut gemeint, aber in der Praxis gescheitert« abhaken könnte. In sonderbarem Gegensatz stehen die freigiebig ausgeteilten Nazi-Anwürfe mancher Linksliberalen darüber hinaus zu der Hyper-Sensibilität, die sonst gemeinhin in Diskriminierungsangelegen aufgefahren wird. 1 »Nazi« ist doch nicht so schlimm? Betrachtet man den oben bereits skizzierten Konformitätsdruck sowie die Tatsache, dass der »Rechts«-Vorwürfe in unserer Gesellschaft (völlig unabhängig davon, ob sie zutreffen oder auch nur angemessen sind) alles andere als ein Pappenstiel sind, kommt man auch als Linker nicht umhin, gewisse rechtsstaatliche Prinzipien zu schätzen. Insbesondere den Punkt, dass der Gesetzgeber einen engen Rahmen gesetzt hat für derartige Klassifizierungen. Auch wenn einige der Ansicht sind, dass sie wegen Internet-Anonymität und so weiter vor diesbezüglichen Konsequenzen sicher sind.

Interessante Frage ist es letztlich allerdings, ob es politisch klug ist, jeden und jede als Rechten zu flamen – frei nach dem Motto: Viel Feind, viel Ehr’? Anwort: Nein. Denn: Wie soll der Schritt hinein in demokratischere, diskriminierungsfreiere und sozialere Verhältnisse gelingen, wenn man 99 Prozent der Restgesellschaft zum politischen Feind der schlimmsten Sorte deklariert? Wird da nicht vielmehr fleißig daran gearbeitet, der AfD möglichst viele weitere Wähler und Wählerinnen zuzutreiben?

Die letzte Frage sei an der Stelle vollkommen ergebnisoffen gestellt – speziell in Hinblick darauf, dass der auslösende Anlass eher typisch war als besonders spektakulär und herausragend.

WEITERFÜHRENDE INFOS:

Immer her mit der Nazikeule. Kolumne von Sascha Lobo, Spiegel Online, November 2015.

Warum die Tagesschau nun doch über den Mord in Freiburg berichtet. Spiegel Online, 6. Dezember 2016.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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