Die Feinmechanik des Shitstorms

Montagsdemos Die Kampagne Pro und Contra Montagsdemos ist längst zur personalisierten Schlammschlacht entgrenzt. Hauptschauplatz: das Netz. Eine Reise in das Epizentrum des Irrsinns.

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Große Frage: Wasserfrosch, verzauberter Linker oder Rechter? Foto: Holger Gröschl. Quelle: Wikipedia / Wikimedia Commons. Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 20.0 Germany.

Es gibt Sachen, die gehen. Und solche, die nicht gehen. Ob der »Kulturzeit«-Auftritt von Jutta Ditfurth einmal als Geschichte, die ging, gewertet werden wird oder als eine, die überhaupt nicht ging, ist derzeit nicht entschieden. Eines jedoch ahnen viele Beobachter(innen) bereits heute: dass die sieben »Kulturzeit«-Minuten zu den etwas entscheidenderen Momenten in der leidgeprüften Geschichte der deutschen Linken avancieren könnten. Später einmal, im historischen Zeitraffer – ähnlich wie die Eier auf Joschka anlässlich des Kosovo-Kriegs oder die Montagsdemos gegen die Verabschiedung der Hartz-IV-Gesetze. Die Frage, um die es geht, ist im Wesentlichen die Gleiche geblieben: Quo vadis, deutsche Linke? Als bemerkenswerte Wegmarke wird das 3sat-Feature allerdings auch aus anderen Gründen Einzug im kollektiven linken Gedächtnis halten: aufgrund der Art und Weise, wie diese eine Kampagne geführt wurde. Wesensbildende Merkmale: Keule pur, größtmögliche Personalisierung sowie – auf beiden Seiten – ein erschreckend zweckinkrementelles Verhältnis zur Wahrheit. Begeben wir uns hinein – in ein Lehrstück über heilige Hybris, persönliche Eitelkeiten und innerlinke Kreuzzüge im Zeitalter der Web-2.0-Shitstürme.

Ausweitung der Kampfzone

Mach das nicht! MACH! DAS! SO !!! NICHT! Nicht so! In Gedanken dürften diese Sätze vermutlich tausendfach gefallen sein, das ein oder andere Mal vielleicht sogar laut herausgerutscht, vorm TV oder dem YouTube-Fenster auf dem Bildschirm. Wer das Netz und die Medien kennt, konnte sich von Beginn an ausrechnen, daß diese Form der Auseinandersetzung ähnlich enden würde wie weiland die Affaire Wulff – in einer geradezu grandiosen Schlammschlacht. Da waren zum einen die Diagnosen selbst – steil, ohne nachvollziehbare Begründung und vorgetragen lediglich mit der Autorität der eigenen Person. Da waren die personalisierten Anwürfe – Attacken sowohl gegen Einzelne als auch das Publikum, das sich auf den Mahnwachen einfand. Die Keule eben. Bereits beim Sehen fragte man sich unwillkürlich, zu was diese Form der Auseinandersetzung führen würde. Hatte die Ditfurth einen schlechten Tag? War das Format vielleicht suboptimal? Mit seinem Zwang, eine Message zielgerichtet in ein paar Minuten packen zu müssen?

Falsch. Die Botschaft war genau so intendiert. Dass die prominente Ökolinke von Anfang an den moralisch aufgeladenen Antimontagsdemo-Kreuzzug im Sinn hatte (und weniger eine sachlich ausgetragene Auseinandersetzung), tat sie selbst in der Sendung kund. Aktivitäten-Bericht, ab Minute 2:40: »(…) Wie krieg ich das hin, wie krieg ich ne Provokation hin, die Richtung Aufklärung wirkt? Und hab einfach angefangen, diejenigen bei Facebook zu entfreunden und zu entleiten, wo ich fand, die waren bei mir drauf, die waren aber auch bei den Facebook-Seiten von Jürgen Elsässer, Ken Jebsen oder Lars Mährholz oder all diesen neuen rechten Propagandisten. Und das Entfreunden hab ich öffentlich begründet. Das führte zu einer unglaublichen Diskussion. Und jetzt sind es hunderttausende, zehntausende, die sich am Shitstorm beteiligen. Aber auch viele richtig gute Leute, die mitdiskutieren.«

Hunderttausende, zehntausende. Ist hier eine prominente Autorin etwas zu sehr in die virtuelle Scheinwelt von Facebook & Co. abgerutscht? Die Frage muß leider gestellt werden. Sicher wäre die Auseinandersetzung um die Mahnwachen auch ohne besagte Intervention geführt wurden. Linkspartei-Gremien sowie Organisationen der klassischen Friedensbewegung sahen die neue Bewegung bereits im Frühjahr kritisch. Strittig war im Grunde lediglich, ob man sich trotz der Kritikpunkte mit ihr ins Vernehmen setzen soll. An diesem Punkt – der Wahl zwischen zwei Möglichkeiten – setzte die Kampagne von Jutta Ditfurth an. Dies intendierte sozusagen auch die Mittel. Da die klassischen Gremien gemeinhin wenig Raum bieten für Shitstürme, und das Thema aufgrund der Ukraine-Krise sowieso hochpolitisiert war, verlagerte sich die Kampagne mehr und mehr ins Internet. Zusammen mit der Gegenpropaganda, die auf dem Fuß folgte, offenbarte sie mehr und mehr all jene Nachteile, die für die neuen Medien typisch sind: anonyme Verleumdungen, Trolleritis, entgrenzte Personalisierung, bedenkenlos in Szene gesetzte Rufschädigung sowie die wildesten Verschwörungstheorien.

Mit der Keule immer vorne mit dabei: Jutta Ditfurth. So auch in der Juni-Ausgabe der Zeitschrift konkret, wo in Sachen Agitation nochmal Holz beigelegt wurde. Auch die Facebook-Seite der prominenten Ökolinken ist seit dem Frühjahr nahezu monothematisch auf Anti-Montagsagitation ausgerichtet. Einzelne Einträge zur Ukraine-Krise finden sich dort zwar durchaus. Im Meer der Attacken und News wirken sie allerdings wie Barken auf dem großen weiten Ozean; genauer: wie Alibi-Posts, damit nicht ganz der Eindruck entsteht, die Ukraine-Krise sei der Autorin herzlich egal. Allerdings ist die FB-Seite von Jutta Ditfurth nicht die einzige, die zwischenzeitlich Antimontags-Aufklärung ins Netz versendet. Grob beobachtet lassen sich (mindestens) fünf weitere FB-Seiten ausmachen. Aluhut für Ken, gleichfalls ein Facebook-Account, dürfte in der Szene der computeraffinen Neuantifas vermutlich als Einstiegsdroge fungieren. Aufgegleist als Kampagne anonymer Ditfurth-Unterstützer, bietet sie neben den – zwischenheitlich auch auf Gegendemonstrationen zum Einsatz kommenden – Aluhut-Performances mehr oder weniger tendenziöse Artikel mit den brandneuen Personalia aus der Szene.

Die Nachfolger im Geiste sind nach demselben Schema aufgebaut. Auch hier ist die Fixierung auf Montagsdemoredner Ken Jebsen mehr oder weniger auffällig. Namen: GenFM, Die Kentrail-Verschwörung sowie – insgesamt etwas weniger heiter gehalten – Friedensdemo-Watch. Weitere FB-Seiten, etwa Deutsche Gutmenschen Union sowie Die Discordische Welle, bieten einen ähnlichen Mix aus Gaudimax und Agitation – wobei die Montagsdemos hier mehr unter »ferner liefen« rangieren und man aktuell lieber in antideutsch gestimmtes WM-Bashing macht. Geliket werden die aufgeführten Seiten auch von reputableren Facebook-Teilnehmern. »Gefällt mir» bekundeten bei GenFM etwa die FB-Teilnehmer Pro Asyl sowie die Amadeu Antonio Stiftung, bei Aluhut für Ken neben Pro Asyl auch publikative.org, der Anti-Rechts-Seite des Journalisten und tagesschau.de-Autors Patrick Gensing.

Sicher haben die aufgeführten Facebook-Auftritte die ein oder andere humoristische Note. Weniger lustig ist, dass der antimontägliche Internet-Shitstorm mehr und mehr das Flair stalinistischer Schauprozesse verströmt – inklusive persönlicher Denunziation, Verunglimpfung, der ultimativen Aufforderung, sich von persönlichen Freunden zu distanzieren und der Aufforderung, Selbstkritik zu leisten. Ins Visier des – stark mit antideutschen Versatzstücken angehauchten – Web-Furors gerieten unter anderen: die Anti-Hartz-IV-Aktivistin Inge Hannemann, die Musiker Florian Kirner aka Prinz Chaos II, Die Bandbreite und Kilez More sowie der Friedensaktivist Pedram Shanyar (siehe dazu auch diesen und diesen FC-Beitrag). Aktuell stark unter Beschuss wegen seines Montagsdemo-Auftritts am 9. Juni: der Linkspartei-MdB Diether Dehm. Hämischer Newsticker-Kommentar bei Aluhut für Ken: »Berliner Linke distanziert sich von dem Depp.«

Alte Rechnungen werden beim gegenseitigen Austeilen ebenfalls gern mit beglichen. Utz Anhalt, Historiker und diese Woche zusammen mit Jutta Ditfurth Podiumsgast in Hannover, sah am 11. Juni bei Aluhut für Ken altbekannte Defizite am Werk:»›Antisemitismus sei erst bei Massenmord gegeben‹. Das war es dann für Didi Dämlich. Vor Jahren hatte ich mit ihm eine Podiumsdiskussion, wo ich ihm seine Dimitroff-These mit Adornos autoritärem Charakter und Theweleits Männerphantasien um die Ohren haute – jetzt outet er sich endlich als das, was ich damals vermutete. Tausend mal berührt bekommt bei ihm und Elsässer jetzt eine neue Qualität.« Die Wellen personenbezogener Anwürfe und Gerüchte schwappen derweit munter weiter. Selbst der Liedermacher Konstantin Wecker, der sich in Sachen Ukraine-Konflikt ungewöhnlich deutlich exponiert hatte, ist vor den Verdächtigungen der neuantifaschistischen jeunesse dorée nicht mehr sicher. Tenor bei Aluhut für Ken, anlässlich eines gerüchteweise mitbekommenen Montagsauftritts: antifaschistische Wachsamkeit, zumindest vorerst; »warten wir es erst mal ab.«

Zurück in etwas gemütlichere Gefilde. Eines davon, auch wenn man es nicht so recht glauben mag, ist die Facebook-Seite von Jutta Ditfurth. Im Epizentrum des Shitstorms hat sich nach drei Monaten Dauertrouble ein irgendwie seltsam wirkendes Fraternisieren zwischen Trollen, Verschwörungstheoretikern und Neurechten auf der einen und den Freund(inn)en von Jutta auf der anderen Seite eingeschliffen. Im Chat-Plauderton finden sich dort (fast) alle intellektuellen Irrtümer, Phobien und Feindbilder deutscher Linker und deutscher Rechter wie unter einem Brennglas. Mit dabei, damits nicht zu langweilig wird: jede Menge Verschwörungstheorien – solcher und solcher Art. Auftritt User Udo Meisser, Querfront-Fraktion, 14. Juni nächtens um 4:12. Inhalt Post: eine wüste Gleichsetzung von Ostukraine mit Dresden; Haager Landkriegsordnung und Femen werden bei der verbalen tabula rasa gleich mitgenommen. Spielstand: eins zu null für Team Jutta. Wer denkt, dass die anderen besser wären, befindet sich allerdings im Irrtum. O-Ton Atsuko Sehnsucht, Team Antifa, 14. Juni, 7:50: »(…) Was die Ausrottung der UreinwohnerInnen in Nordamerika betrifft, darf ich dich darauf hinweisen, dass Deutschland, also Deutsche, die grösste Einwanderergruppe zur Zeit der Indianerkriege in den USA stellten.« Nunja, man lernt nie aus; die Angelsachsen ohne die vielen deutschen Einwanderer hätten mit den Rothäuten sicher nur Murmeln gespielt. Spielstand: eins zu eins.

Hobel und Späne

Ein Moment, welches für die wechselseitigen Kampagnen geradezu charakteristisch wurde, waren die Tricks und doppelten Böden, die Halbwahrheiten, Unwahrheiten und Übertreibungen der beteiligten Kontrahenten. Ein wesentlicher, sicher nicht zu bagatellisierender Faktor dabei: Hassmails und Morddrohungen an die Adresse von Jutta Ditfurth. Im konkret-Interview Anfang Juni führte die Frankfurter Autorin eine Reihe Kommentare auf, die bei ihr eingegangen seien. Zitat: »Inzwischen sind es mehr als 100.000 Kommentare, ein Drittel Haß. Einer sagt zum Beispiel: ›88! Du Nutte!‹ Manche können sich nicht entscheiden, ob sie mich als ›Jüdin‹, ›Goebbels‹, ›Streicher‹ oder ›Hitlerkind‹ beleidigen wollen. Ich kann mir die Todesart aussuchen. ›Soiter one‹ will einen ›Serben‹ buchen, der mich für ›150 Euro‹ ermordet.« Und weiter: »›Christina Ehlen‹ meint: ›Sie gehören vebrannt und vor einer weltgemeinschaft hingerichtet.‹ ›Helmut Schwarz‹: ›Einmal 10 Minuten mit Ihnen in einem dunklen Raum mit dem recht auf freien Abzug und das problem wäre für immer erledigt.‹ ›Simon Nina Gerlach‹: ›Kann mal jemand der Nutte Jutta den Schädel spalten‹?«

Das Problem: Man würde es gern glauben. Allerdings macht die Frankfurter Ökolinke derzeit selbst Gutgläubigen das Glauben nicht gerade einfach. Da sind zum einen die Zahlen. Sie kommen irgendwie nicht hin. Ditfurths Facebook-Seite etwa dürfte derzeit ein Kommentar-Aufkommen von einigen Tausend aufweisen. Inklusive gelöschter Einträge könnte ein Kommentaraufkommen im knapp fünfstelligen Bereich realistisch sein. Ansonsten: Wer liest, wer klassifiziert eine derart gigantische Summe wie 100.000 Nachrichten – ab Beginn Kampagne also rund 1000 Stück pro Tag? Fazit, äußerst vorsichtig ausgedrückt: Man ist geneigt, die Höhe der Zahlen etwas in Zweifel zu ziehen. Ist das kleinpopelig? Vielleicht. Um es klar zu sagen: Jeder einzelne der aufgeführten Kommentare (und seiner Brüder in Geiste) ist einer zuviel. Allerdings, wenn eine Hassmail, die gar keine Hassmail ist, am 10. Juni zur»Hassmail des Tages« deklariert wird, sinkt das Barometer der mitfühlenden Solidarität ein weiteres Mal. Wurde nur die Betreff-Zeile gelesen und anschließend ins Körbchen sortiert? Titel: »Auch sie jutta werden bald tot sein, ist ihnen das eigentlich klar.« Was folgt, sind allerdings eher eindringliche Beschwörungen der Kriegsgefahr. Sicher mit viel Unsinn. Im Vordergrund des Textes steht allerdings der eindringliche Hinweis, dass ein Atomkrieg auch der prominenten Ökolinken den »Day After« eventuell verdrießen könnte. Nicht unbedingt also etwas, was jeder gleich als »Hass« klassifizieren würde.

Punkt zwei in der Liste war ein veritabler Patzer: Ditfurths Bitte an die FB-Fangemeinde, ihr Material zu liefern, welches den Antisemitismus von Jürgen Elsässer untermauert. Muß man sagen, dass sowas taktisch nicht die allerbeste der Vorgehensweisen ist? Mal ganz pragmatisch gesehen: Sicher kann man bluffen und eine Schmähkritik auch ohne (oder mit wenig) Material an der Hand lancieren. Wirds dann ernst, munitioniert man sich argumentativ notfalls auf, damit man vor Gericht passabel dasteht. Allerdings: Die Chose an die große Glocke hängen, via Facebook-Seite herumlavieren, man würde das umfangreiche Elsässer-Archiv, das man bereits in der Hinterhand hat, nur gern noch weiter vervollständigen – das mußte geradezu zwangsläufig den Eindruck erwecken, dass die Frankfurter Autorin bei 3sat einfach ins Blaue hineingeredet hatte. Eine Aktion, die von der anderen Seite – was sonst? – genau so interpretiert und mit entsprechender Schadenfreude goutiert wurde. Okay, Patzer passieren, c’est la vie. Allerdings: Solche Aktionen liefern, zur bewusst anvisierten Agitprop-Aktion schönmalen und sich weiterhin zur heiligen Johanna der Schlachthöfe hochstilisieren – das ist schon eine recht eigene Nummer.

Punkt drei in diesem Propagandakrieg, in dem schwer zu entscheiden ist, wer gerade draufhaut und wer einstecken muß, waren die gekauften Likes. Via Checktool auf der Seite von stern-TV wiesen Ditfurth-Gegner nach, dass fast 80 Prozent der Likes auf Ditfurths Facebook-Seite aus der Türkei stammen – ein starkes Indiz dafür, dass diese über einen kommerziellen Like-Anbieter implementiert, also käuflich erworben wurden. Die Frankfurter Autorin hat zwischenzeitlich gekontert – mit dem Vorwurf, dass die von Rechten gekaperte Anonymous-Seite die fraglichen Likes auf ihre Seite draufgeschaufelt habe. Eine Situation, wo letztlich Aussage gegen Aussage steht. Sicher: Man muß nicht unbedingt Ditfurth-Fan sein, um der Version der Frankfurter Ökolinken eine gewisse Plausibilität abgewinnen zu können. In ihrer Welt zählt Reputation letztlich mehr als die Anzahl nach oben gestreckter Däumchen-Icons bei Facebook. Nichtsdestotrotz bleiben Fragen: Wieso hat Jutta Ditfurth dem Treiben so lange zugesehen? Und: Wäre an der Stelle nicht vielleicht der Zeitpunkt gekommen, die Schrägheit, mit der diese Auseinandersetzung geführt wird, auf eine etwas gründlichere Weise zu thematisieren?

Punkt vier: fragwürdige Verbündete. Interpoliert auf das gewaltige Netzbrausen in Sachen Montagsdemos, ist der Fall Christian B. sicher eine Marginalie. Allerdings: Wenn man die Querfront der anderen als Hauptpunkt brandmarkt, ist es schon seltsam, wenn man selbst ein Querfront-Problem am Bein hat. YouTube-Nutzern ist der Saarländer Christian B. unter verschiedenen Identitäten bekannt. Unter dem Label Volksfunk stellte er bis Anfang dieses Jahres Verschwörungstheorievideos sowie rechtsextreme Hassbotschaften ins Netz. Bis hin zur Anleitung für den Bombenbau. Dann kam die Polizei. Beschlagnahmt wurde unter anderem eine Handgranaten-Attappe, im Frühjahr erfolgte dann das Urteil. Ergebnis: wohl eher Verwirrung, Einzeltäter, 14 Monate auf Bewährung.

Sicher – jeder verdient eine zweite Chance. Seit Aufkommen der Montagsdemos nutzt Christian B. die auch intensiv: durch das Verbreiten von Anti-Verschwörungstheorie-Clips. Vom Kern derselbe Impetus wie früher: verwackelte Rechnerkamera, Ansprache, Screenshots zur Beweisführung – nur mittlerweile um 180° gewendet, statt Clips wie dem nun Clips wie der. Neu im Fokus: Anti-Montagsdemo-Videos, unter anderem mit dem Titel »Jutta Ditfurth hat recht! Ken Jebsen lügt wie gedruckt!« Auch in diesem Fall stellen sich einige Fragen. Beispielsweise die, warum jemand, der offensichtlich labil ist, quasi von der Anklagebank weg in einer neuen Kampagne mit verheizt wird. Die Aluhut-Fraktion ist – nachdem die rechte Anonymous-Seite versuchte, B. als Betreiber von Aluhut & Co. zu brandmarken – mittlerweile vorsichtig von Christian B. abgerückt. Eingedenk der Tatsache jedoch, dass vielleicht noch das ein oder andere sachdienliche Homevideo abfallen könnte, gibt sich Aluhut für Ken in seiner Einlassung zur Sache vom 12. Juni ungewohnt diplomatisch. O-Ton: »Wir respektieren, dass Christian B. sich als Einzeltäter distanziert hat und nun Aufklärung über rechte Strukturen betreibt.«

Auch im »Real Life« sind die Temperaturen zwischenzeitlich deutlich angestiegen. Laut einem Bericht der Leipziger Internet Zeitung setzten am 15. Juni Unbekannte den SUV eines Sonntagsdemo-Teilnehmers in Brand. Bei Facebook war kurzzeitig ein Bekennerschreiben online von einem Account »Subcommandante Marcos«. Polizeiliche Untersuchungen schlossen eine Fremdeinwirkung zwar recht zügig aus. Die Frage, wieso ein Wagen ganz von sich allein in Brand gerät, beantwortet der polizeiliche Rapport allerdings auch nicht erschöpfend. Die Leidenschaften dürfen also weiter hochkochen. Jürgen Elsässer etwa machte in einem Blog-Beitrag umgehend die Aktivitäten von Jutta Ditfurth für die sich hochschaukelnden Eskalationen verantwortlich. Die wiederum konterte auf ihrer Facebook-Seite mit deeskalierender Häme. Headline eines Eintrags zum Thema vom 17. Juni: »Wahnwichtel: zu blöd, ihre SUVs zu warten«.

Auch ohne brennende Autos haben die Organisatoren der Montagsdemos genug Schwierigkeiten am Hals. Der Wechsel vom eingeführten Montagstermin auf den Sonntag ging offensichtlich auf interne Zwistigkeiten sowie beabsichtigte Neusortierungspläne zurück. Neubesinnung ist angesagt: Die Anzahl der Montagsdemo-Teilnehmer ist seit einiger Zeit rückläufig. Neben internen Streitigkeiten – spektakulärster Vorfall war hier die Spaltung der Erfurter Montagsmahnwache – dürften die Aktivitäten der Gegenseite eine nicht unerhebliche Rolle dabei spielen. Seit das Thema breitere Kreise zieht, gilt die Faustregel: Keine Montagsdemo ohne Gegendemonstranten. Bislang hatte man die Antifa-Aufläufe vor Ort meist toleriert. Wobei »Antifa« nicht ganz der korrekte Begriff ist. Organisiert sind die Gegenaufmärsche – sofern man aus Optik und Ausrichtung Schlüsse ziehen kann – vorwiegend von der transatlantisch orientierten Fraktion, also Aktivisten aus dem antideutschen Spektrum. Auch die Formen haben sich gewandelt. Happeningähnliche Aktionen mit Aluhüten sind zwischenzeitlich stark in den Hintergrund getreten; stattdessen bestimmen Israel-Fahnen mittlerweile stark das politisch korrekte linke Auftreten.

Das Warum

Auch in stark montagsdemokritischen Kreisen macht sich mehr und mehr Ratlosigkeit breit. Sind diese Formen noch adäquat? Die Zeitschrift analyse & kritik zog einerseits zwar ein ernüchterndes Fazit hinsichtlich der Bündnisillusionen mancher Friedensaktivisten. Tonfall, Fragestellungen und Ausrichtung sind allerdings – trotz weitgehender inhaltlicher Übereinstimmung – Lichtjahre entfernt von der überhitzten Rabulistik der Ditfurth-Fraktion. Zusätzlich für Irritation sorgt eine Untersuchung. Eine Arbeitsgruppe der TU Berlin befragte Montagsdemoteilnehmer im Hinblick auf ihre Motive und ihre politische Ausrichtung. Das Ergebnis, so ein Artikel in der Tageszeitung Neues Deutschland, ist durchwachsen. Einerseits entdeckten die Ersteller der Studie zwar Versatzstücke rechter Einstellungen – so etwa den Wunsch nach einer starken Führungsfigur. Auffällig ist darüber hinaus eine stark verkürzte Kapitalismuskritik, ebenso ein überdurchschnittlich ausgeprägter Antiamerikanismus. Geschlossen rechte Weltbilder allerdings konnte die Studie nur bei einer kleinen Minderheit ausmachen. Andererseits: Stimmten die Montagsdemoteilnehmer allein über die Zusammensetzung des Bundestags ab, käme das Traumbündnis aller antikapitalistischen Linken dabei heraus – mit einer absoluten Mehrheit für Linkspartei und Piraten. Nüchternes Fazit des ND-Artikels so: »Die Montagsdemos sind weniger rechts als gedacht.«

Warum also die Rabulistik, mit der sich vor allem Ditfurth und ihr Anhängerspektrum hervortun? Der Verdacht, dass Ditfurth & Co. die Kärrnerarbeit für NATO und EU erledigen, liegt angesichts der Konstellationen nicht nur auf der Hand. Er wird zwischenzeitlich auch offen ausformuliert. Die Webseite Kommunisten-online etwa klassifizierte die Frankfurter Ökolinke offen als Marionette der Herrschenden ab, die sich für eine Strategie des »Divide et impera« habe einspannen lassen. Klassischer Verrat? Oder eher übergroßes Ego – kombiniert mit einem praktischen Geschäftssinn für die Alleinstellung der eigenen Marke? Die Kampagne jedenfalls geht in ihrer altbekannten Form weiter. Termine:18. Juni, Hannover: Podiumsveranstaltung zusammen mit dem Historiker und Tolkien-Experten Utz Anhalt sowie einem Sprecher des Linkspartei-Netzwerks Forum Demokratischer Sozialismus (FDS). 19, Juni, Berlin: Veranstaltung der Ökologischen Linken mit Jutta Ditfurth sowie vier weiteren Teilnehmern. Thema: »Klasse, Bewusstsein und Widerstand. Zwischen Verwirrung, Emanzipation und Faschisierung.« Weitere Veranstaltungen, Thema »Querfront und Neue Rechte«:24. Juni, Regensburg und 25. Juni, München.

Einen wie auch immer gearteten Meinungspluralismus, oder wenigstens einen innerlinken Meinungsaustausch, wird man auf den aufgeführten Veranstaltungen wohl eher mit der Lupe suchen. Hierfür spricht nicht nur das hochgradig aufgeheizte Klima sowie der Rabulismus, den die Ditfurth-Anhänger(innen) zwischenzeitlich an den Tag legen. Auch die Besetzungen der beiden Podiumsveranstaltungen sind klare Kante nach dem Schema »mehrere Gäste, aber nur eine Meinung« gestrickt. Wer die Winks mit dem Zaunpfahl bislang nicht verstanden hat, den klärt die Autorin via Klartext gern auf. Zusatzvermerk bei Facebook zur Hannover-Veranstaltung: »Herzliche Einladung - nur Wahnwichtel und andere Querfrontler_innen müssen draußen bleiben!« Polarisieren – draufhauen – die Keule eben:Das Rockstar-Gehabe der prominenten Ökolinken und die verlorene Bodenhaftung zeigte sich nicht nur in höchst bedenkenswerten Interview-Äußerungen wie beispielsweise in diesem Feature des Schweizer Fernsehens: dass sie keine »satisfactionsfähigen« Gegner mehr fände und die vorhandenen »weglutsche«. Abgesehen davon, dass positive Bezugnahmen auf Standesunterschiede beim Duellieren seltsam anmuten vor dem Hintergrund einer kürzlich publizierten Abrechung mit der eigenen adligen Herkunft: Wenn man alle Gegner auslädt, Verbündete vor den Kopf stößt, bei Facebook stichelt und in TV-Sendungen Schulnoten verteilt ohne weitere Begründung, ist es ziemlich Essig mit den Diskursen unter satisfactionsfähigen Gegnern. Zusätzlich, schlimmer noch, wird auf Dauer etwas anderes ziemlich ramponiert – die eigene Glaubwürdigkeit.

Man könnte sagen. Shit happens. Die aufklärerisch gemeinte Rolling Thunder Revue von Jutta Ditfurth wird weiter durch die Lande tingeln. Vielleicht greifen die großen Medien das Thema ebenfalls wieder auf, nach der WM, nach der Sommerpause. Vielleicht wird sogar ein neues Buch aus der ganzen Angelegenheit: Wer die Facebook-Seite der Autorin verfolgt, braucht nicht viel Fantasie, um zu sehen, dass dort massig Stoff angeliefert wird. Wie sieht es mit dem Rest aus? Anders gesagt: Warum »funzt« das Thema Montagsdemo so stark? Vielleicht wegen den abhanden kommenden linken Orientierungen. Schon seit einiger Zeit kündigen sich linksseitig größere tektonische Plattenverschiebungen an. Epizentrum eins ist die antideutsche Richtung, unter die man auch Jutta Ditfurth und ihre Anhänger(innen) subsummieren kann. Grundausrichtung: Anti-Antiamerikanismus, klare Kante gegen Antisemitismus, eher lifestylig geprägte Kapitalismuskritik mit viel Gender-, Patchworking- und Kulturthemen. Komplettiert wird dieser Theorie-Patchwork durch eine stark ausgreifende, an Begrifflichkeiten aus der Kritischen Theorie angelehnte Auslegung des Begriffs «rechts«.

Das zweite Epizentrum ist zwar weitaus älter als die »Antideutschen«. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs befanden sich antiimperialistische Erklärungsversuche jedoch allerorten auf dem Rückzug. Seit der Finanzkrise, verstärkt seit der Ukraine-Krise, hat sich das geändert. Antiimperialismus rules back. Die Theoriegrundlagen sind zwar optimierungsfähig. Die Aufrufe zu volksfrontähnlichen Bündnissen – gegen den Kapitalismus, gegen die globalisierten Konzerne und vor allem: gegen die politisch-militärische Hegemonie der USA – treffen jedoch immer mehr auf offene Ohren. Das Spektrum der neuen Antiimperialisten ist ebenfalls stark heterogen. Minderheitenströmungen in der Linkspartei – Exponenten: Lafontaine, Wagenknecht, Dehm – lassen sich ebenso dazuzählen wie diffus-bürgerliche Kräfte aus den Reihen von Piraten, AfD oder Querfront-Apologeten wie Jürgen Elsässer oder Ken Jebsen. Grundlage im Wesentlichen: der kleinste gemeinsame Nenner.

Auch wenn hier nicht der Raum ist, die zum Teil hochkomplizierten Konzepte innerhalb der deutschen Linken zu erörtern, sind doch zwei Punkte augenfällig. Die »antideutsche« Seite in diesem Streit erscheint in der oberflächlichen Außenwirkung zwar stärker »links« – nicht zuletzt aufgrund ihres extensiven, agressiv nach außen getragenen Faschismuskonzepts. Der Makel, dass man in der Frage mit den neoliberalen Systemkräften an einem Strang zieht, lässt sich allerdings nur schwer abwischen. Umgekehrt erscheint die »antiimperialistische« Seite derzeit zwar stärker »rechts« (sowohl in der Brandmarkung der Gegenseite als vom Spektrum selbst). Da sie sich stärker auf praktische Fragen kapriziert, also konkrete Forderungen, dürfte sie jedoch langfristig weiter an creditibility gewinnen. Zulauf dürfte ihr auch die Tatsache einbringen, dass sie derzeit die einzige der beiden Richtungen ist, die Antwortversuche auf die aktuellen Konfliktzuspitzungen formuliert – so defizitiär und verbesserungswürdig diese in Teilen auch sind.

Wie diese Fragen sich im Hinblick auf die aktuell weiter an Erbitterung zunehmenden Auseinandersetzungen zwischen Montagsdemo-Gegnern, Montagsdemo-Sympathisanten und Montagsdemo-Teilnehmern auswirken, kann dieser Beitrag nicht vorhersagen. Allerdings: Soll der Porzellanschaden nicht noch größer werden, wären beide Seiten gut beraten, zumindest eine inhaltliche, konstruktivere Ebene der Auseinandersetzung zu suchen.

Bevor in diesem innerlinken Grabenkrieg der erste auf der Straße liegt.

BLICKWARTE:

Der Beitragsautor sieht sowohl die Position der Protagonistin als auch die Art und Weise, wie dafür agitiert wird, stark kritisch.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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