Die Unvermittelbaren

Koalition Kurz vor dem Finale lässt die FDP die Sondierungsgespräche unverhofft platzen. Ein Knall? Medialer Coitus interruptus? Oder Selbstauflösung des politischen Bürgertums?

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Wer dachte, die zähen Sondierungsgespräche zwischen den Bürgerblock-Parteien CDU, CSU, FDP und Grüne seien lediglich Show für Publikum und das Ergebnis stünde fest, ist seit heute morgen eines Besseren belehrt: Die FDP hat in der Nacht die Sondierungsgespräche abgebrochen. Kein Joke, kein verspäteter Aprilscherz: Sofern diese Woche kein politisches Wunder geschieht, stehen zu Jahresbeginn Neuwahlen an.

Weimar Reloaded? Lust am Untergang? Die angegebenen Gründe sind, gelinde gesagt, äußerst vage: Leider, so FDP-Chef Lindner, habe sich zu den grünen Unterhändlern kein »Vertrauensverhältnis« aufbauen lassen. Das klingt nicht nur deshalb stark an den Haaren herbeigezogen, weil Lindner mit Grünen-Chefunterhändler Özdemir ein vertrauliches Verhältnis pflegt – freundschaftliches »Du« inklusive. Besonders unverständlich ist die geplatzte Liberalen-Bombe vor allem deswegen, weil die Verhandlungen selbst sich bereits in der Zielgeraden befanden. Die taktischen Pirouetten, welche auf selbiger gedreht wurden (und offenbar zum Verhandlungsabbruch führten), irritieren selbst professionelle Politikversteher. Die Süddeutsche Zeitung etwa berichtet, die Lindner-Truppe habe bereits abgehakte Punkte wie Familiennachzug und CETA erneut aufgegriffen und die CSU dabei rechts überholt. Sollte das stimmen, wäre das allerdings ein Vertrauensbruch. Allerdings einer der FDP, die einen gutwilligen Verhandlungspartner auflaufen ließ und – nicht schön, aber in der Politik business as usual – absichtlich so pokerte, dass die Sondierungsgespräche letztlich scheitern mußten.

Falls nicht ein unerwartetes Wunder geschieht, werden sie nun unvermeidbar sein – Neuwahlen. Womit sich die Frage stellt, was die einzelnen Akteure sich davon versprechen. Am wenigsten erbaut dürfte naturgemäß die Bundeskanzlerin sein. Der Verhandlungsabbruch schlägt unmittelbar auf ihr Renommée zurück. Man kann es noch stärker formulieren: Seit letzter Nacht ist Angela Merkel ernsthaft angezählt. Ebenso der »Linksmerkelismus« – also die moderierende, pragmatisch-bürgerliche Politik, für die sie steht. Auch den grünen Verhandlungsführern wird die Option Neuwahlen gehöriges Magengrimmen verursachen. Trotz aller Nähe zum bürgerlichen Lager, welche speziell die Parteispitze seit längerem pflegt, ist das Sich-Einlassen auf eine Bürgerkoalition innerhalb der Partei ganz und gar nicht unumstritten. Anders formuliert: Die Grünen haben von Neuwahlen mit am wenigsten zu erwarten. Ein Verharren rund um die 7-Prozent-Marke dürfte das Beste sein, was sich die Parteioberen erhoffen können.

Auf der rechten Seite sieht die Lage anders aus. Eine Erosion der Merkel-Macht dürfte zwangsläufig den offenen Kampf um die Nachfolge eröffnen. Neben »Merkelianten« (wie beispielsweise die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer) stehen prononciert konservative Aspiranten wie der kulturkampferfahrene Westfale Jens Spahn. Für eine Atomisierung des christkonservativen Lagers spricht auch die Situation der – zwischen pragmatischem Machterhalt und rechtem Stammtisch changierenden – Schwesterpartei CSU. Bleiben AfD und FDP, sprich: National- und Neoliberale. Die Lindner-FDP gibt sich zwar gern modern, zukunftsorientiert und weltaufgeschlossen. Wer die Genese der deutschen Liberalen kennt, weiß allerdings, dass in allen parteikritischen Situation stets der Geldbeutel des gehobenen Bürgertums die Ausrichtung der Partei bestimmte. Erwartbarer Gewinner von Neuwahlen schließlich ist zweifelsohne die AfD. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie Gauland, Meuthen & Co. die neuerliche »Systemkrise« ausschlachten und sich selbst als einzig mögliche politische »Alternative« empfehlen.

Wenn a) die AfD jedoch der einzig mögliche Profiteur b) Merkel / Grüne die einzig möglichen Verlierer und c) Linder & Co. keine blutigen Amateure sind, ist nur eine Folgerung aus dem in Szene gesetzten Coup möglich: eine beabsichtigte Umkalibrierung des Bürgerbündnisses – weg von Merkel und Grünen, hin zu Seehofer und der AfD. Eine mögliche Mitte-Rechts-Koalition unter Einbeziehung der AfD erscheint aktuell zwar als harter Stoff. Allerdings: Zieht man den offen völkischen Flügel um Höcke und Poggenburg ab, könnte die Rechnung durchaus aufgehen. Der innerparteiliche Ausdifferenzierungsprozess ist auch bei den Rechten längst am Gären. Eine AfD ohne die Völkischen – als Mischung aus Nationalliberalen à la Weidel und rechtskonservativen Hardlinern Marke Gauland – wäre für den rechten Unionsflügel ebenso kompatibel wie für die wohlstandschauvinistisch gewendete FDP.

Dass der Ausdifferenzierungsprozess bei den Rechten noch ein, zwei Jahre benötigt und möglicherweise auch die Wähler(innen) nicht mitspielen bei derlei Rankünen, steht auf einem anderen Blatt. Möglich, so eventuell die Hasardeurs-Gedanken bei Lindner, Kubicki & Co., ist eine derartige Koalition notfalls auch mit parlamentarischen Überläufern. Wie das va-banque-Spiel der Freien Demokraten ausgeht, steht so letztlich in den Sternen. Die dahintersteckende strategische Absicht – eine knallhart wohlstandschauvinistische, auch auf neoliberale Konfrontation setzende Politik mit klarem Anker rechts von der Mitte – sollte man allerdings nicht geringschätzen. Möglich, dass die FDP sich verkalkuliert hat und für ihr neuerliches Umfaller-Verhalten bei Neuwahlen die Quittung erhält. Der Putsch gegen die Demokratie, wie wir sie kennen, ist jedoch gesetzt.

»Kampf dem Faschismus« wird im kommenden Wahlkampf zwangsläufig auch heißen: »Kampf dem Faschismus – und seinen neoliberalen Zuarbeitern«.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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