Farewell, Schimanski!

Erinnern Der Schauspieler Götz George ist tot. Mit ihm geht eine Fernsehära zu Ende. Ein Nachruf

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Sixties-Trash, …

Durchaus möglich, dass man ihn dieser Tage als Talkshow-Gast reaktiviert hätte. Vielleicht mit der Eröffnungsfrage: »Nun, Herr George – wir diskutieren hier gerade über Unzufriedenheit. Unzufriedenheit mit dem politischen System, mit Europa. Haben Sie eine Vermutung, woher diese Unzufriedenheit kommt, welche Ursachen sie hat?«

Wir wissen nicht, wie die Antwort ausgefallen wäre. Möglich, dass sie überrascht, gut möglich, dass sie den ein oder anderen verärgert hätte. Und in der Folge die unvermeidbaren BILD-Schlagzeilen generiert. Ebenso möglich, dass sie zum Nachdenken angeregt hätte. Götz George, am 18. Juni im Alter von 77 Jahren verstorben, war in seinem Leben öfter für Schlagzeilen gut – ebenso wie für Überraschungen. In den Sechzigern gehörte der Sohn des bekannten Schauspielers Heinrich George zu den jungen Gesichtern des sich langsam von der NS-Vergangenheit ablösenden deutschen Wirtschaftswunderfilms – etwa in den beliebten Karl-May-Verfilmungen. Aus damaliger Warte waren Streifen wie Der Schatz im Silbersee, Unter Geiern oder Winnetou und das Halbblut Apanatschi unbeschwerte Kinounterhaltung – gerade richtig, um sich aus der (auch damals keinesfalls unproblematischen) Realität für zwei Stunden wegzuschießen. Aus heutiger Sicht sind Winnetou, Dr. Fu Man Chu und Konsorten fast wieder Trash – besseres Bahnhofskino und »Cinema perverso« auf eine Weise, mit der aktuelle Blockbuster sowieso nicht mithalten können.

Schimanski …

Nichtsdestotrotz wäre vermutlich auch ein Götz George irgendwann in der zweiten (oder ersten) Reihe verschwunden. Der Paukenschlag kam ein Jahrzehnt später – Anfang der Achtziger. Was als nicht sonderlich erwähnenswertes TV-Experiment gedacht war, wuchs sich binnen zwei Folgen zur TV-Krimi-Revolution aus. Die Figur des Horst Schimanski war geboren – fluchend, auch sonst ziemlich runtergerockt, keinem Trouble aus dem Weg gehend und beim schönen Geschlecht (trotzdem – oder deswegen?) stets einen Stein im Brett. Die Aufregung und die Kontroversen, die diese fernseh-untypische Figur verursachte, kann heutzutage wohl nur nachvollziehen, wer die damalige Zeit mitgekriegt hat: Schmidt-Schnauze regierte durch, eine aufkommende Öko-, Alternativ- und Friedensbewegung hielt dagegen, so gut sie konnte und im TV bestimmte die Mattscheibe – immer noch – die bekannte Kombination aus bildungsbürgerlicher Reputierlichkeit und kleinbürgerlicher Spießigkeit.

Zugegeben – es gab andere, die einer Fernsehfigur wie Schimanski den Weg geebnet hatten: Wolfgang Menge beispielsweise mit Fernsehfilmen wie das umstrittene Millionenspiel sowie Ekel Alfred in Ein Herz und eine Seele. Oder auch die Fassbinder-Serie Acht Stunden sind kein Tag. Ungeachtet dieser Vorarbeit machte erst die Schimanski-Reihe den Weg richtig frei. Für eine neue Fernsehkrimi-Generation: weniger prätentiös, lebensnaher, mit echten Grautönen und Helden, die man sich so (oder so ähnlich) zumindest im echten Leben vorstellen konnte. Und, auch das durfte sein: einem Hauch echtem Arbeiterklasse-Pathos. Herausragendes Beispiel: die Fahnder-Reihe mit Klaus Wennemann – genremäßig eine kleine Offenbarung, wenn auch popularitätstechnisch nie heranreichend an das große Vorbild »Schimmi«.

Der Duisburger Hauptkommissar Horst Schimanski wurde Götz Georges größte Rolle. Ins Kinoformat exportiert an der Seite der deutsch-türkischen Schauspielerin Renan Demirkan und untermalt von dem Klaus-Lage-Hit Faust auf Faust. Später in eine eigene Tatort-Nebenreihe abgeschoben – was man so oder so bewerten kann. Die Tage, in denen Proleten fernseh-vorzeigefähig waren, näherten sich zum Jahrtausendwechsel dem Ende. Dem Ende entgegen – was damals noch keiner ahnte – ging gleichzeitig auch das, was TV-Kritiker heutiger Tage rückblickend als das »sozialdemokratische Fernseh-Zeitalter« bezeichnen. Man kann es auch so formulieren: Schimanski wurde in sein eigenes, kleines TV-Reservat weggelobt – damit man den Rest des Programms etwas unbemerkter in die Biederheit und Unbedarftheit der Fünfziger zurückbeamen konnte.

… und Anspruchsgenre

Götz George war Schimanski. Als Schauspieler allerdings war er stets mehr als Schimanski. Die deutschsprachige Wikipedia listet als Film-Oeuvre rund einhundert Produktionen – Fernsehfilme, Kinofilme, George in Hauptrollen, George in Nebenrollen, Seicht-Unterhaltendes ebenso wie Anspruchsvolles. Highlights: die Gesellschaftskomödie Rossini – oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief, die bissige Mediensatire Schtonk!, Charakterrollen wie in Der Totmacher, stimmungsvolle Außenseiter-Dramen wie Das Trio oder auch bemerkenswerte Gastauftritte – wie beispielsweise in dem Nachtschicht-Film Reise in den Tod, in dem George einen Flüchtlings-Schleuser spielte, den ob seiner Taten unvermittelt der große Blues einholt. All diese Rollen spielte Götz George – nicht immer, aber in der übergroßen Mehrzahl – mit einer Leichtigkeit und Souveränität, wie man sie sonst nur von großen internationalen Schauspielern kennt: Robert de Niro beispielsweise oder, hierzulande, einem Ausnahmetalent wie etwa Misel Maticevic.

Wie das bei Schauspielern so ist: Nicht alles war erste Sahne. Umstritten beispielsweise war Georges Rolle in Zivilcourage – einem Drama über migrantische Jugendliche in Berlin–Kreuzberg in Konflikt mit alteingesessenen Edel-Alternativen. Eher als (menschlich verständliche) Ehrenrettung für seinen unter dem NS-Regime erfolgreichen Vater denn als kritische Aufarbeitung wurde der Fernsehfilm George gewertet – sicher kein Highlight in Georges Filmoeuvre, aber eben – menschlich verständlich, nachvollziehbar. Vorzuwerfen war George vermutlich vor allem der Punkt, dass er – als Sohn – diese umstrittene Vita anging. Aber so war er eben. Ein Schauspieler mit Ecken und Kanten und kein stromlinienförmiger Sprechhülsenautomat.

Horst Schimanski hat die Dienstmarke für immer abgegeben. Was bleibt? Laut FAZ-Geburtstagsartikel aus dem Jahr 2008 war er der erste, der im deutschen TV laut »Scheiße!« sagen durfte. Wenige verbanden das mit einer Rolle, die derart authentisch und gleichzeitig populär war. Rückblickend, in ein paar Jahren, wird man vielleicht sagen, dass Götz George eines der, vielleicht sogar das herausragende Gesicht des sozialdemokratischen TV-Zeitalters war. Einer Zeit, in der (wenn auch in Maßen) TV-mäßig noch etwas ging und auch das Unterhaltungsniveau von Fiktiv-Stoffen zwei, drei Ligen über der heutigen angesiedelt war.

Vielleicht. Vielleicht kommt es auch wieder anders. Da dies ein Nachruf ist, sollte er mit einem Lied enden – einem, welches dem Gastspiel der Unterschicht im deutschen TV auf adäquate Weise ebenso gerecht wird wie es den speziellen Glamour der Schimanski-Reihe auf den Punkt bringt:

Faust auf Faust von Klaus Lage & Band.

Interview mit Götz George bei Spiegel Online (6. November 2013)

Götz George über Schimanski: »In den Puffs von Duisburg wurden wir gefeiert«

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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