»Freitag«-Leserblogs – im Modus der Abwicklung?

»Freitag«-Leserjournalismus Immer weniger Blog-Empfehlungen, immer stärker zeitverzögerte Präsentation im »Community«-Sektor – sofern eine solche überhaupt noch erfolgt. Auch statistisch lässt sich das »Ausschleichen« der Community-Blogs gut belegen.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Eingebetteter Medieninhalt

Eindruck von einem gleichförmigen weißen Sand: die kaum aktualisierten »Community«-Artikel im »Freitag«

Ein Effekt, der auch Zufallsleser(inn)en des Online-»Freitag« kaum verborgen bleiben dürfte: Der vielgerühmte Leserjournalismus des »Freitag« ist zwischenzeitlich nichts weiter mehr als eine optische Fassade – online präsent aus allein dem Grund, auf der Homepage das falsche Signal auszusenden, ein solcher wäre zumindest im Grundsätzlichen redaktionell erwünscht. Erster Eindruck: Wo vor zwei, drei oder gar vier Jahren noch stetig neues »Community«-Lesefutter offeriert wurde, pranken aktuell monatelang dieselben Beiträge. Wechsel der präsentierten Artikel erfolgen – nach dem Motto Im August geschrieben, im September oder Oktober in die »Community«-Rubrik übernommenzähflüssig sowie stark zeitverzögert. Was tun? Bloggerinnen und Blogger können natürlich auf Nummer sicher gehen und etwa Literaturkritiken über Tolstoi verfassen – nach dem Motto: zeitlos sells. Für Ehrgeizige birgt allerdings auch diese Strategie Gefahren – beispielsweise die, dass die Redaktion das Thema als nicht aktuell genug erachtet, um dafür eine Empfehlung zu vergeben.

Hinzu kommt eine weitere, für Community-Autor(inn)en recht delikate Veränderung: Längst nicht mehr alle Community-Blogs, die mit dem Prädikat »Empfohlen« versehen sind, landen am Ende in der »Community«-Rubrik oder gar dem »Community«-Abschnitt unten auf der dF-Hauptseite. Dieses Detail mag auf den ersten Blick verwundern: Anscheinend nämlich sind durchaus Artikel vorhanden, welche den Kriterien der Redaktion für besonders gute respektive publizierenswerte Artikel genügen – nur prominent platzieren im bisher üblichen Rahmen möchte sie offensichtlich niemand mehr. Als »Empfohlen« aufgelistet, aber nicht präsentiert, waren in der Gesamtauflistung am 14. September zwei (von 24) Artikeln – einer vom 10. und einer vom 8. September. Zeitgleich offeriert die »Community«-Rubrik mit den acht aktuell Empfohlenen und auch Präsentierten Beiträge, die teils aus dem August, teils sogar noch aus dem Juli stammen. Publiziert wurden sie laut Zeitstempel am 25., 18., 13. und 9. August sowie am 26., 25., 24. und 23. Juli.

Aktualität sieht anders aus. Im Gegenteil konservieren Redaktion und Verlag einen »Community«-Zustand, der eher einem viertel- oder gar halbjährig erscheinenden Periodikum entspricht als dem Online-Auftritt einer Wochenzeitung. Dass dieses Konservieren ein Künstliches ist und selbst dann, wenn man die Redaktions-Kriterien für Empfehlungen eins-zu-eins umsetzen würde, ein höherer Durchsatz mühelos praktikabel wäre, zeigt die Tatsache, dass Nachschub zwar vorhanden ist (selbst nach den eigenen Kriterien), aus unerfindlichen Gründen jedoch nicht zum Zug kommt. Gründe für die nicht erfolgende Aktualisierung der »Community«-Rubrik mag es viele geben – Überarbeitung & redaktionelles Tagesgeschäft, zu wenig Stellen, eventuell auch das inhaltliche Kriterium, dass zu wenig Artikel zur Verfügung stehen, die man guten Gewissens als Community-Aushängeschild verwenden könnte. Vor der Diskussion um Gründe stehen allerdings Zahlen und Fakten. Die allerdings lassen an zwei Punkten leider keinen Zweifel: dass der Blog-Sektor des »Freitag« – verglichen mit der Situation vor zwei Jahren – sowohl weniger genutzt wird als auch sichtbar weniger redaktionellen Support erhält.

Da auch die Liga der mit »Empfohlen«-Prädikat versehenen Beiträge zwischenzeitlich in zwei Ligen unterteilt wurde (echte Empfehlungen, die auch präsentiert werden und Empfehlungen, die lediglich als Trostpreis fungieren), rentiert sich ein statistischer Vergleich mit Frequentierung sowie Redaktions-Empfehlungen in der Vergangenheit. Konkrete Frage: Wie werden beziehungsweise wurden Empfehlungen aktuell, vor einem Jahr und vor zwei Jahren gehandlet? Gab es vor einem beziehungsweise zwei Jahren mehr oder weniger Blog-Artikel, und wie sieht im Vergleich die Anzahl der Empfehlungen aus? Um meine Vermutung, dass der Online-»Freitag« seinen Community-Bereich entweder ganz abwickelt oder aber zumindest ins unbeobachtete Abseits rücken will, zu verifizieren oder gegebenenfalls zu falsifizieren, habe ich auf einige Parameter einen genaueren Blick geworfen.

Kurz zur Vorgehensweise: Bei Überprüfung Nummer eins habe ich die – jeweils 24 Blog-Einträge beinhaltenden – Überblicksseiten für den 13. September ausgewertet – jeweils separat für 2022, 2021 und 2020. Möglich ist eine solche Untersuchung auch ohne Spezialtools; im konkreten Fall offerierten die Seiten 1, 69 und 159 (unter »Alle Beiträge zeigen«) alle benötigten Parameter – konkret: jede 24 Blogeinträge vom 13. September bis einige Tage rückwärts. Für eine zweite Abfrage wurden zusätzlich die vier Folgeübersichten mit dem Artikelaufkommen unmittelbar davor mit einbezogen (numerisch: 2 bis 5, 70 bis 73 und 160 bis 163). Ziel von Überprüfung Nummer eins war die Info, wie viele Tage die jeweilige Beitragsauflistungs-Seite abdeckt, wie viele Beiträge an jedem voll im Intervall präsenten Tag online gestellt wurden und wie viele der jeweils aufgeführten Beiträge schließlich eine redaktionelle Empfehlung erhielten. Bei der zweiten Abfrage ging es um das Verhältnis zwischen »Normalblogs« und empfohlenen Blogs – konkret die Frage, wie viele Beiträge (ausgehend nunmehr von einer Artikel-Gesamtanzahl von 120 und einem Grobzeitraum von nunmehr etwa zwei Wochen) empfohlen wurden.

Das Ergebnis: Auf Seite 1 der Blogbeitrags-Übersicht fanden sich am Mittwoch, dem 14. September morgens zwei Empfehlungen – ebenso in den beiden Vergleichs-Auflistungen für denselben Zeitraum 2021 und 2020. Besonders publikationsfreudig – wenn auch im Gesamttrend deutlich nach unten gehend – war in allen drei Fällen der 11. September. Am 11. September dieses Jahres wurden sechs Blogs publiziert, im Vorjahr sieben und im Vor-Vorjahr noch geschlagene vierzehn. Auskunft über die durchschnittliche »Blog-Freudigkeit« der dF-Community vermittelt zum einen das Zeitintervall, welches die 24 Artikelauflistungen abdecken. Für 2022 reicht es zurück bis zum 8. September (Intervall: weit = es wurde also wenig geschrieben), für 2021 bis zum 7. (Intervall: noch weiter = noch weniger geschrieben) und für 2020 bis zum 10. September (Intervall: kurz = vergleichsweise viel geschrieben). Übersetzt heißt dies: 2022 war der Tagesausstoß an dF-Blogs so là là, 2021 noch mieser; 2020 war das Ende der diesbezüglich glücklichen Zeiten. Auch wenn man die absoluten Zahlen für die beiden – von allen drei Stichproben voll abgedeckten – Tage 12. und 13. September nimmt, steht 2020 am besten da: mit 18 Leserartikeln gegenüber elf 2021 und zehn aktuell.

Über die geschwundene Blog-Schreibefreudigkeit der dFC-Aktiven gibt eine weitere Zahl Auskunft. Die in den letzten zwölf Monaten verfassten Beiträge umfassen 69 Listenseiten (à 24 Beiträge), die für den Zeitraum September 2021 bis September 2020 hingegen 90 Listenseiten – also fast 20 mehr. Das heißt: September 20 bis 21 verfassten die dF-Communard(inn)en rund 2100 Blogs, September 21 bis 22 bis heute hingegen nur noch rund 1650. Welche Parameter für diesen Rückgang verantwortlich sind, ist natürlich Interpretationssache. Dass negative redaktionelle Faktoren dafür jedoch zumindest mit ins Kalkül zu ziehen sind, zeigt das Ergebnis einer zusätzlichen Überprüfung: der Anzahl der Empfehlungen für die ausgewählten 120 Artikel im September 2022, 2021 sowie 2020. Ergebnisse: in der ersten Septemberhälfte 2020 wurden von 120 Blogs immerhin elf mit dem Prädikat »Empfohlen« versehen – also fast zehn Prozent. Für die 120 ausgesuchten Blogs im September 2021 reduzierte sich diese Anzahl auf neun – immer noch ein Wert im kommoden Bereich. In der ersten Septemberhälfte des aktuellen Jahres hingegen gibt es fast einen Absturz zu verzeichnen: von neun im Vorjahr auf nunmehr nur noch vier (!!).

Fazit: Im Wesentlichen belegen die dargelegten Überprüfungen, dass der eintönige Eindruck, den die »Community«-Sektoren optisch wie aktualitätstechnisch vermitteln, mit konkreten Zahlen einhergeht. Nicht Auskunft geben können diese natürlich über Gründe. Da die hier dargelegten Fakten nicht für sich allein stehen, sondern als Teil einer »Linie« betrachtet werden müssen, vermittels der der »Freitag« seinen Community-Bereich zunehmend als Auslaufmodell imprägniert, drängt sich zumindest ein – bereits in diesem Artikel zum Zug gekommener – Vergleich auf: der mit einem (mehr oder weniger bekannten) Filmfestival. Gründe, die für einen solchen Vergleich sprechen, liegen auf der Hand: der Leser-Content beim »Freitag« wird kuratiert; ebenso wie bei einem Festival haben die Content-Anbringer(innen) keinerlei Mitwirkungsrechte bezüglich Auswahl und Prämierung. Der Unterschied: Während Mißwirtschaft bei einem Festival – einem großen zumal – ganz sicher zu medialer und/oder gesellschaftlicher Kritik führen würde, liegt die mit kaum verhohlener Geringschätzung garnierte Gutshof-Bewirtschaftung beim »Leserjournalismus nach ›Freitag‹-Art« – frei nach dem Motto: Es sind ja nur Blogger – im toten Winkel öffentlicher Aufmerksamkeit.

Anders gesagt: Würde eine Festivität wie etwa die Berlinale mit ihren Filmschaffenden so umspringen wie der »Freitag« mit seinen freien Bloggern und Bloggerinnen, wäre sicherlich ein Aufschrei in der »documenta«- oder »Winnetou«-Liga zu vernehmen. Sicher ist das Umgehen des »Freitag« mit seinen Bloggerinnen und Bloggern auch eine Aussage über den Stellenwert, den Blogs respektive Blog-Autor(inn)en in der Medienlandschaft real genießen. Allerdings: eine ehrliche Aussage, dass man seines Spielzeugs »Community« nunmehr überdrüssig ist, sollte einem Medium, dass sich derart Liberalität und Meinungspluralismus auf die Fahnen schreibt wie der »Freitag«, schon abverlangt werden.

Bevor das Ergebnis gänzlich im Nebensatz einer Hausmitteilung verkündet wird.

Anmerkungen:

Die Daten, welche dem Beitrag zugrundeliegen, wurden am Mittwoch, dem 14. September zwischen 7 und 8 Uhr erhoben. Da die untersuchte Rubrik dynamisch aufgebaut ist, »drücken« Artikel, die zwischenzeitlich neu hinzugekommen sind, den Rest stetig nach hinten – weswegen auch die Seitenzahlen der aufgeführten Überblicksseiten tendenziell nach hinten wandern. Die wichtigsten Ergebnisse im Kurzüberblick:

2022: 10 Blogs am 11. und 12. September, 4 Empfehlungen

2021: 11 Blogs am 11. und 12. September, 9 Empfehlungen

2020: 18 Blogs am 11. und 12. September, 11 Empfehlungen

Anmerkung: der erste Wert basiert auf 24 Blogs, der zweite auf 120.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden