Fußball-Liebe

Fußball Der linke Amateur-Fußball hat seine eigene Geschichte. Ebenso der saarländische Profi-Fußball. Spannend, wenn beides zusammen kommt – wie in dem Buch »Fußball-Liebe«

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Im Amateurfußball lebt die viel beschworene Fußballkultur bis heute
Im Amateurfußball lebt die viel beschworene Fußballkultur bis heute

Foto: Christof Koepsel/Bongarts/Getty Images

Wenn im Mai die Glöcklein ausschlagen und die Lebenssäfte wieder sprießen – dann wird es für manche Zeit, die Fußballschuhe auszupacken und den sportlichen Wettkampf zu pflegen. Im Südwesten der Republik, im stark von französischem savoir vivre geprägten Saarbrücken hat dies eine langjährige Tradition. Am 28. Mai findet zum 30. Mal der Voyeur Cup statt – ein alternatives Fußballturnier, das 1986 als Spaßveranstaltung einiger fußballbegeisterter Polit-WGs begann und mittlerweile aus dem Veranstaltungskalender der Saar-Metropole nicht mehr wegzudenken ist.

Saarländische Fußball-Geschichte(n)

Flankiert wird das diesjährige Turnier von einer Buchveröffentlichung der eigenen Art. Ungewöhnlich sind an Fußball-Liebe gleich mehrere Dinge. Zum einen das kompakte, in jede Jackentasche passende Postkartenformat. Zum zweiten der publizierende Blattlaus-Verlag – ein Saarbrücker Druckservice-Betrieb mit tief-alternativen Wurzeln. Zum dritten die drei Autoren. Bernd Rausch und Joachim p Schmitt sind vor allem den Einwohner(inne)n des Saarbrücker »Chinesenviertels« wohl vertraut: als politische Aktivisten, als Mit- und Haupt-Herausgeber diverser Publikationen (Saarhexe, Voyeur, Stadtzeitung), als Autoren, Kneipenbetreiber, Künstler und DJs. Beide sind oder waren zudem tragende Mitausrichter des Voyeur Cup. Für den traditionellen Vereinsblick auf das saarländische Fußballgeschehen schließlich sorgt Mitautor Nummer drei: Reinhard Klimmt, saarländisches SPD-Polit-Urgestein, Ex-Ministerpräsident, Fußball-Enthusiast sowie langjähriger Aufsichtsratsvorsitzender des 1. FC Saarbrücken.

Linker Szene-Fußball und offizieller Vereinsfußball – wie geht das zusammen? Die Beantwortung dieser Frage bleibt letztlich dem Leser und der Leserin überlassen. Die acht Fußballgeschichten des Buches widmen sich unterschiedlichen Ausschnitten, Erfahrungen, Lebenswelten. FCS-Trainer und Ex-Torwart Dieter Ferner umreißt in seinem Vorwort den thematischen Bogen aus vereinsaktiver Sicht. Reinhard Klimmt gibt – im anschließenden Interview mit Bernd Rausch und Joachim p Schmitt – Einblicke in die wechselhafte Geschichte des 1. FC Saarbrücken. Die anschließende Kurzgeschichte (Die wunderbare Welt der Fußballzwerge) widmet sich zwei speziellen Highlights der saarländischen Fußballgeschichte: dem Spiel der – damals noch unter eigener Landes-Flagge antretenden – Saar-Auswahl gegen die deutsche Nationalmannschaft 1954 und dem EM-Vorqualifikationsspiel gegen die albanische Nationalmannschaft 1983. Zwei Austragungen übrigens, in denen die bundesdeutsche Elf obsiegte.

zwischen Praxis und Theorie

Wie wird man – als Linker aus kleinbürgerlichem und/oder proletarischem Haushalt – im Saarland fußball-sozialisiert? Auf welchen verschlungenen Wegen führte das Ganze zum Voyeur Cup? Auskunft darüber geben zwei weitere Kurzgeschichten. Einen selbstironischen Blick auf das Innenleben des Voyeur Cups wirft die Geschichte Wie aus einer Lesung über Fußball eine Straßenschlacht wurde. Im Anschluss liefert Mitautor Joachim »Puma« Schmitt die große, Rückblicks-Story – wenn man so will: das Weitwinkel-Panorama zu den vielen Schnappschüssen. Ein weiterer Beitrag schlägt den Bogen zurück zum traditionellen Arbeiter- und Vereinssport, was interessante Einblicke liefert. Ähnlich wie die Bewohner(innen) der östlichen Bundesländer nämlich kennen auch die des kleinen, westlichsten das Gefühl, nicht so recht drinnen zu sein, nicht so recht dazuzupassen ins große, deutsche Gefüge. Folgerichtig schimmert immer wieder die Frage durch, ob eine »Saarländische Nationalmannschaft« – rein sportiv gesehen – nicht die beste aller Lösungen wäre.

Frage: Kommen große Entwürfe sowie linkstheoretische Analysen nicht zu kurz auf diesen knapp 200 Seiten? Korrekte Antwort: Fußball-Liebe ist, wie der Titel bereits sagt, ein Fan-Buch, genauer: eine Liebeserklärung an den Fußball von unten. Zudem hat es Abhandlungen zur Verfaßtheit des Fußballs immer wieder gegeben – nicht zuletzt auch aus explizit linker Warte. Beispiele: zwei beim Verlag Die Werkstatt erschienene WM-Titel von Dietrich Schulze-Marmeling. (Wer sich näher für die Frage interessiert, ob es ihn überhaupt gibt, den »linken« Fußball: hier ein Interview mit Schulze-Marmeling.) Vom theoretischen Standpunkt sind derartige Fragestellungen sicher interessant und ergiebig. Ebenso wie bei anderen linken Themen bleibt es allerdings meist beim Konstatieren. Bei der Feststellung, dass man auf die Entwicklung (zu) wenig Einfluss hat – auf den zunehmenden Trend zur Kommerzialisierung, auf das Selbstverständnis des Sports als solchen und, last but not least, auf die verbliebene Fankultur. Fußball-Liebe setzt hier, wenn man so will, einen kleinen Gegenpart: bruchstückhafte Ausschnitte, Angebote und Beschreibungen, wie (regionale) Fußballkultur im Kleinen lebt – und durchaus wachsen, Wurzeln schlagen kann.

Fazit

Für Fußballbegeisterte, Freunde und Fans des saarländischen Fußballs ist Fußball-Liebe sicher ein Werk, das jedes Regal ziert. Die unterschiedlichen Blickwinkel sind rappelvoll mit Ereignissen, Erinnerungen und Sichtweisen. Ergänzt wird der anektotische, nicht zu ernste Blickwinkel durch die üppige Bebilderung, welche das Buch durchzieht. Auch hier gilt das Motto: Gelbe Karte für Perfektion, der Spaß ist das Wichtigste. Zumindest für von außerhalb Kommende gibt es allerdings ein kleines Manko anzumelden – ein fehlendes »Vermittlungs-Kapitel« mit den nötigen Basic-Infos: etwa über die spezielle Verankerung des saarländischen Vereinsfußballs in einer stark von Arbeiterbevölkerung dominierten Region, über das oft nicht unproblematische Verhältnis der Saarländer(innen) zum »Reich« und schließlich speziell zur Historie des (sanierungsgeplagten) Nauwieserviertels (im Eingeborenen-Jargon: »Chinesenviertel«). Fazit hier: das »Chinesenviertel« ist zwar – schon allein größentechnisch – mit Kreuzberg (Berlin) oder St. Georg (Hamburg) nicht zu vergleichen. Als zentraler Innenstadt-Kiez nimmt es jedoch eine durchaus vergleichbare Rolle ein.

Politische Probleme schwingen in Fußball-Liebe so implizit mit. Hintergrundkulisse: eine Innenstadt im (wechselvollen) Kampf widersprüchlicher Interessen – und die Menschen, die ebenjene bevölkern: Studis, Zuzügler, Alteinheimische, Szene-Bewegte wie Normale. Was passiert, wenn all dies zusammentrifft? Die beiden Hauptautoren Bernd Rausch und Joachim p Schmitt bringen hier jede Menge einschlägige Erfahrung mit. Nicht zuletzt literarische. Mit ihrer (im gleichen Verlag erschienenen) Big-Trouble-Buchreihe beschreiben die beiden bereits seit Jahren das »Chinesenviertel« als Epizentrum widerborstiger Lebensentwürfe. Dass das Ganze nicht (immer) bierernst ausfallen muß, davon zeugen nicht nur regelmäßige Lesungen – Veranstaltungen, die oft als Performance ausgelegt sind (teilweise zusammen mit der Theatersprecherin und Autorin Nelia Dorscheid). Mental sind Saarländer(innen) sowieso bekannt für ihre überdurchschnittliche, französisch angehauchte Toleranz – nach dem Motto Leben und leben lassen. Ein »Must« ist Fußball-Liebe so nicht nur für Exilierte, die das »Ländche« verlassen haben. Auch denjenigen, die sich allgemein für Szene-Geschichte, Zeitgeschichte und Fußball interessieren bietet Fußball-Liebe pralle Impressionen.

Das Buch:

Bernd Rausch, Joachim p Schmitt, Reinhard Klimmt: Fußball-Liebe. Buchreihe »Grenzfälle« im Blattlaus-Verlag. Ca. 200 Seiten, 9.90 Euro. ISBN 978-930771-98-1.

Voyeur Cup:

Impressionen zur Halbzeit 2001. TV-Feature von SaarTV auf YouTube.

Ohne (viel) Worte. Spielauschnitt vom Voyeur Cup 2007.

Bilder zu 28 Jahren Voyeur Cup bei takt.de

Mehr:

Infos zur »Big Trouble«-Buchreihe bei takt.de

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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