Gangster, Hillbilly und Düsternis

TV-Serie Das Genre Qualitätsserie hat längst auch in der zweiten Reihe Sehenswertes in petto. Die Neowestern-Dramaserie "Justified" etwa lotet die Düsternis der US-Provinz aus

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Gangster, Hillbilly und Düsternis

Foto: Screenhot, Trailer www.youtube.com/watch?v=i7Fo0-2AETQ

Die Auftaktszene der ersten Staffel wirkt wie eine Neuauflage der 80er-Erfolgsserie Miami Vice. Raylan Givens, angestellt beim US Marshals Service, erschießt einen Drogensyndikat-Killer in klassischer Showdown-Manier. Da Givens dem Mann 24 Stunden gegeben hatte, um Miami zu verlassen und dieser als erster zur Waffe griff, sind die Schüsse – Givens Selbstverständnis zufolge – "Justified", gesetzlich gerechtfertigt. Naturgemäß sehen Givens Vorgesetzte die Sache etwas anders. Givens wird strafversetzt – ausgerechnet nach Lexington, Ostkentucky, in der Nähe seines Herkunftsorts Harlan.

Den Status von Harlan County – einem ehemaligen Zentrum des Bergbaus und nunmehr Givens neuer Einsatzschwerpunkt – bringt sein neuer Dienststellenleiter wie folgt auf den Punkt: "Nordkorea haben wir noch nicht im System. Die Gegend dort oben auch nicht. Sag mal – kommst du nicht von dort?" Was wie die gängige Ausgangskonstellation eines besseren Pulp-Thrillers daherkommt (Held kommt zurück in seine alte Heimat und gerät dort in die Zwickmühle, seine Loyalitäten neu sortieren zu müssen), entwickelt sich im Verlauf der Serie allerdings zu einer Art Soziogramm von Amerikas Hinterland. Geschossen, geprügelt, geliebt und gehasst wird in Justified zwar reichhaltig. Ungeachtet des bleihaltigen Ambientes enthält die Serie allerdings jede Menge soziale Realität und Lokalkolorit. Und entwickelt sich – von Staffel zu Staffel mehr – zu einer prägnanten wie zeitgemäßen Neowestern-Ballade.

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Die Serie

Dass Justified nicht in Oberflächlichkeiten verharrt, Schema 08-15 durchexerziert oder besinnungslos eine Ballerei an die nächste reiht, liegt unter anderem am Autor des Stoffs: Elmore Leonard, bekannt als Verfasser lakonisch-treffsicherer Gangstergeschichten. Leonard, der unter anderem die Vorlagen lieferte für Quentin Tarantinos Jackie Brown sowie die Mafiakomödie Schnappt Shorty, sorgte als Serienproduzent mit für eine stimmige Umsetzung des Plots. Im Wesentlichen basiert Justified auf der Geschichte Fire in the Hole (übersetzt: Sprengung im Schacht) sowie den Romanen um den US-Marshal Raylan Givens.

Vorlagentreue ist zwar noch kein Garant für eine gute Umsetzung. Justified stellt Elmore Leonards Stärken allerdings pointiert unter Beweis. Prägend für den Charakter der Serie ist weniger die Action als solche als vielmehr die pointieren, lakonischen Dialoge – das stetige verbale Hin und Her, wie es für Leonards Romane charakteristisch ist. Zweites Merkmal sind die treffsicheren Personenzeichnungen – die Figuren, welche die Geschichte tragen. Da ist zum einen US Deputy Raylan Givens (Timothy Olyphant): eine Figur, die man salopp mit dem Begriff Appalachen-Schimanski charakterisieren könnte. Givens hat nicht nur den Ethos der alten Western-Lawmen verinnerlicht wie eine zweite Haut. Dass die Seite des Gesetzes, auf die man sich schlägt, manchmal nur von dünnen Zufällen abhängt, versinnbildlicht Givens Vater: ein kleinkrimineller Redneck, dessen elektronische Fußfessel der – seinem Dad in herzlicher Abneigung verbundene – Sohnemann in einer Szene nicht ganz ohne Genuss der Situation nachjustiert.

Auch das restliche Serienpersonal ist markant durchzeichnet. Gegenspieler von Givens ist Boyd Crowder (gespielt von Walton Goggins, bekannt aus The Shield, einer weiteren Serie des auftraggebenden US-Kabelnetworks FX) – Epizentrum der kriminellen Machenschaften im County und Givens in freundschaftlich-feindlicher Weise verbunden. Für Kabbeleien wie Kabale zwischen beiden liefert die Serie auch gleich einen triftigen Grund: Beide arbeiteten in jungen Jahren in derselben Kohlenmine. Hin und her zwischen den Fronten des Gesetzes bewegt sich auch die herausragende Frauenfigur der Serie: Ava Crowder (Joelle Carter) erschoss ihren Ehemann im Streit. In der ersten Staffel ist sie mit Raylan Givens liiert; in den folgenden gibt sie mehr und mehr die passende Gangsterbraut ab an der Seite von Boyd Crowder. Moral: In Harlan muß jeder sehen, wo er bleibt. Auch wenn "er" eine "sie" ist.

Sicher enthält Justified eine Menge Handlungsinhalte aus dem Standard-Lehrbuch für Pulp-Thriller. Interessant wird die Serie oftmals bei den Nebensträngen. Beispielsweise, als Givens wieder mit seiner Ex Winona anbandelt – einer Gerichtsschreiberin, die den fehlenden Thrill in ihrem Leben auf eigene Weise ausgleicht. Für (nicht nur amouröse) Verwicklungen sorgt dieser Nebenstrang, als Winona in der Asservatenkammer des Gerichts sichergestelltes Geld aus einem zwanzig Jahre zurückliegenden Bankraub entwendet. Raylan Givins als Marshal-Freund, der die Chose in Ordnung bringt, wird spätestens ab dem Punkt alternativlos, als Winona testweise Noten in einer Bank umtauschen will – und dort, Shit Happens, Opfer eines Banküberfalls wird, dessen Akteure bald darauf geschnappt werden.

Bekanntlich besteht die große Kunst gelungener Serien unter anderem darin, eine fulminante letzte Staffel hinzulegen. So auch Justified. Die Akteure in Final Season 6 sind nicht nur die üblichen kriminellen Syndikate mit ihren örtlichen Ablegern und Verbündeten. Nachdem bereits Staffel 2 das Thema Fracking in Ostkentucky sowie die damit einhergehenden Landverkäufe aufgriff, geht es in Staffel 6 um eine mögliche nachhaltige(re) Zukunftsperspektive. Konkret: Marihuana-Anbau, dessen Legalisierung auch in Kentucky auf der politischen Agenda steht. Wer jedoch wird davon profitieren? Justified wäre kein Thriller, stünde vor dem möglichen Happy End nicht die schlechteste unter den Wahrscheinlichkeiten. Im konkreten Fall: ein Kriminellen-Syndikat mit einschlägiger Anbau-Erfahrung in Colorado. Dass nunmehr auch in Ostkentucky auf den Plan tritt, Land im großen Stil aufkauft, Druck erzeugt, Geld unter die Leute bringt und bei den ortsansässigen Kleineignern für Angst und Schrecken sorgt. Fulminant ist die letzte Staffel allerdings nicht nur deswegen, weil sie die diversen Handlungsstränge der Serie zu einem schlüssigen Ende führt. Auch die neu eingeführten Figuren (darunter ein Gunman, der auf der Liste der abscheulichen Filmfiguren filmübergreifend ganz oben einsortiert werden kann) sorgen für eine Feinzeichnung, die selbst für diese feinzeichnungsreiche Serie ungewöhnlich ist.

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Die Musik

Die Appalachen – speziell: Ostkentucky und Tennessee – sind nicht nur als Bergbau-Region oder als Heimat illegaler Whiskeybrenner immer wieder Thema in den Medien. Darüber hinaus ist Ostkentucky das Epizentrum einer besonders naturnahen Variante des Country – der Bluegrass Music. Die musikalische Versiertheit der Regionsbewohner(innen) stellte bereits die Country-Ikone der Sechziger unter Beweis: Loretta Lynn – aufgewachsen in einem Flecken namens Butcher Holler, zwei Counties nördlich von Harlan. (Einen guten Eindruck der damaligen Existenzbedingungen vermittelt der 1980 gedrehte Biografiefilm Coal Miners Daughter; Titel der deutschen Version: Nashville Lady.)

Auch der Justified-Soundtrack zollt den lokalen Traditionen ausreichend Tribut. Titelthema ist Long Hard Times to Come von Gangstagrass – ein Hybrid aus Bluegrass und Hip Hop. Ergänzend hinzu kommt Roots Rock, Blues und Folk – teils unter Mitwirkung üblicher Verdächtiger wie Lucinda Williams (Protection) oder dem Country-Blues-Troubadour Dave Alvin. Alvin steuert zur Serie nicht nur einen weiteren Harlan-Song bei (Harlan County Line). In einer Folge gibt er zusammen mit Band die Liveauftritts-Staffage ab zu einer Szene mit Held Raylan Givens an der Bartheke. Das eigentliche, inoffizielle und in mehreren Staffeln wiederkehrende Musikthema allerdings ist die ohrwurmverdächtige Southern Folk-Ballade You’ll Never Leave Harlan Alive. Hervorzuheben ist das inoffizielle Musikthema auch wegen des Bogens zum Inhalt der Serie. Selbst wenn am Ende von selbiger klar ist, dass es nicht (gänzlich) unmöglich ist, Harlan lebendig zu verlassen, zeigt die Serie doch recht gut, dass der Bruch mit der eigenen Vergangenheit manchmal einen hohen Preis fordert.

Fazit

Die letzte Staffel von Justify wurde 2015 ausgestahlt; Serienstart war 2010. Was heißt: Aktuellste Ware ist Justified sicher nicht mehr. Was den Bekanntheitsgrad anbelangt, stand die Serie – trotz einschlägiger Festivalpreise (unter anderem: Emmy Award 2012) sowie guter Kritiken wie beispielsweise im Spiegel – im Schatten von Publikumslieblingen wie Homeland, Breaking Bad oder The Walking Dead. Summa summarum driftet Justify also recht zügig der vorletzten Stufe der Verwertungskette entgegen – im konkreten Fall verbunden mit exorbitanten Preisunterschieden zwischen günstig zu erstehenden DVD-Boxen und Premiumpreisen bei den einschlägig bekannten Video-On-Demand- und Streaming-Anbietern.

Qualitätstechnisch reiht sich Justified – zusammen mit The Shield und Sons of Anarchy (siehe Kritik) – ein in die Renommierserien-Garde des US-amerikanischen Kabelnetworks FX. Der Ausstoß aufsehenerregender neuer Serien hält zwar unvermindert an. (Jüngste Beispiele: Vinyl von Martin Scorsese und Mick Jagger sowie die Netflix-Dramaserie Bloodline.) Fans von Thriller-Serien der härteren Gangart dürften an Justified jedoch auch nach Ausstrahlungsende ihre Freude haben.

Ähnlich wie bei Tennessee Whisky oder auch Bluegrass-Musik. Die mit den Jahren bekanntlich ebenfalls reifen.

Weitere Kritiken:

»Verlotterte Männer in ›Justified‹: Duelle im Drecknest«, Sven Sakowitz, taz, 9. März 2012

Musik:

You’ll Never Leave Harlan Alive. Als vergleichsweise junges Appalachen-Traditional in der Originalversion von Darrell Scott sowie Interpretationen von Brad Paisley, Dave Alvin, Patty Loveless, Ruby Friedman, Kathy Mattea und Anderson Family Bluegrass.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

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