Härtere Bandagen

Bonapartisten im Aufwind Ob Terror-Rechtfertigung, staatliche Repressionen gegen die Opposition oder systemische Alternativlosigkeit – die bürgerliche Demokratie verabschiedet sich weltweit.

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Beginnen wir mit den guten Nachrichten: Die US-Ermittlungsbehörden erledigen aktuell ihren Job. FBI & Co. fahnden nach den mutmaßlichen Absendern der Rohrbomben-Pakete, die in den letzten Tagen an einige namhafte Trump-Kritiker zugestellt wurden – darunter Ex-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton, der Milliardär George Soros und der Schauspieler Robert de Niro. Ob die Ermittler es – Tage nach der Sicherstellung – immer noch nicht schafften, die Echtheit der heißen Sendungen zu verifizieren, oder ob sie die Infoleine aus fahndungstaktischen Gründen kurz halten, ist dabei wenig von Belang. Der twitternde Präsident – der auch im aktuellen »Fall Terror« seine utilitaristische Grundhaltung unter Beweis stellte und via Twitter Verständnis für die Täter bekundete – mag in den unteren Rängen der Ermittlungsapparate seine Follower und Knüppel- bzw. Schusswaffe-frei-Groupies haben. Im Anblick der Brücken, welche der personalpolitisch erratische Präsident zwischen sich und den Sicherheitsapparaten bereits abgefackelt hat, ist allerdings wenig zu erwarten, dass FBI & Co. unmittelbare Terror-Schanzenhilfe leisten und die Absender der Rohrbomben-Pakete ungeschoren davonkommen lassen.

Alles nochmal gutgegangen: Da Mr. President auch diesmal wieder nicht auf den Roten Knopf gedrückt hat, kann man sich wieder mal trefflich über den Hass, die Häme und den Verfolgungseifer auslassen, mit denen Donald Trump seine politischen Gegner überzieht. Fakt allerdings ist, dass gerade Trumps stetige, sich hin und her der Borderline des gerade noch Sagbaren bewegenden »messages« den (noch verbliebenen) demokratischen Kern der US-Gesellschaft zunehmend aushöhlen. Hinzu kommt, dass nicht nur die Taktung übergriffiger Präsidentenbotschaften in den letzten Wochen (wieder) deutlich zunahm – möglicherweise ein taktischer Schachzug im Hinblick auf die im November anstehenden Kongress-Wahlen, bei dem man konkret sehen muß, was er bringen wird oder auch nicht. Der demokratische Kern des US-Systems wird insbesondere durch die Extremität der aktuellen Botschaften getroffen – dass es vielleicht nicht ganz ok ist, Kritiker seiner Person in die Luft zu sprengen, allerdings auch nicht ganz abwegig. Die präsidiale Logik: Hätten Obama, Clinton, de Niro & Co. ihn, Trump, nicht kritisiert, hätten es auch keine Paketbomben gegeben.

Im Anblick der multiplen US-Baustellen – mittelfristig am spektakulärsten könnte sich der sich anbahnende Showdown an der mexikanischen Border entwickeln – sind Rohrbomben-Pakete abgedrehter Alt-Right-Anhänger nur in randständiger, eher wohltemperierter Form ein Thema in Good Old Europe. Gesamteuropäisches Motto: Die Amis interessieren sich zwar nicht allzusehr für uns – wir allerdings auch nicht für sie. Das ist vielleicht auch gut. Trump-Double Boris Johnson, seine Parteikollegin Theresa May und ihre Brexit-Truppe werden uns vielleicht 2019 schon ein neues, europaeigenes Border-Problem bescheren – die Wiederbelebung des – nach der Jahrtausendwende erfolgreich eingefrorenen – Nordirland-Konflikts. Sprengsätze und Molotow-Cocktails ist man an der irisch-nordirischen Grenzen zwar schon länger nicht mehr gewohnt. Sollten die irrlichternden Brexiteers im Schlepptau von May (deren Regierung auf die Unterstützung der nordirischen Unionisten angewiesen ist) die nordirische Grenze wieder scharf machen, ist es nicht ausgeschlossen, dass auch ein überwunden geglaubtes historisches Phänomen – die IRA – unverhofft wieder auf den Plan tritt.

Halbwegs glücklich beigelegt – zumindest vorerst – ist der Konflikt um die katalanische Autonomie. Ungeachtet weiter gehender Proteste ist die Power bei den Unabhängigkeitsbefürwortern spürbar raus. Die Ablösung des korruptionsbelasteten christdemokratischen Hardliners Manuel Rajoy durch den Sozialisten Pedro Sánchez dürfte die spanisch-katalonischen Beziehungen zwar wesentlich mit entspannt haben. Nichtsdestotrotz bleiben die demokratischen Verhältnisse auch in Spanien fragil. Einerseits dürfte die flächendeckende Präsenz von Podemos zwar entscheidend mit dafür gesorgt haben, dass der – überall sonst in Europa auf dem Vormarsch befindliche – Rechtspopulismus in Spanien nicht so recht greift. Altfalangisten, nach rechts offene Bürgerliche und nicht zuletzt die weiter stetig Zulauf gewinnenden Rechtsliberalen von Ciudadanos dürften im Gesamtkonzert jedoch dafür sorgen, dass die autoritäre Option auch in Spanien weiter auf dem Tisch bleibt.

Insgesamt stellt sich die politische Szenerie des Westens aktuell recht verwirrend dar. Während in den aufgeführten Ländern – den USA, Großbritannien und Spanien – der Autoritarismus klar von rechts kommt (teilweise mit faschistischer bis hin zu rechtsterroristischer Untersetzung) und die aktuellen News-Wasserstandsmeldungen lediglich vermelden, ob ein noch rechterer Durchmarsch gelungen ist (oder eben nicht), herrscht auf dem noch verbliebenen Staatsgebiet der Freiheit eitel Sonnenschein nach dem Motto »WIR sind die GUTEN!« Frankreich und Deutschland mögen in Detailfragen quer liegen. Dem aufgeklärten Bürgertum allerdings – der sogenannten Zivilgesellschaft – gelten Angela Merkel und Emmanuel Macron, abzüglich vielleicht dem ein oder anderen Detail, als die letzten Leuchtgestirne der westlichen Demokratie. Mit Emmanuel Macron verglichen wird insbesondere die Programmatik des derzeitigen deutschen Hoffnungsträgers – der Grünen. Der Berliner Tagesspiegel dichtete speziell deren virilem Co-Vorsitzenden Robert Habeck bereits eine Macron-ähnliche Charismatik an.

Führer befiehl – wir folgen? So schnell wird in Germany gottlob nicht (mehr) geschossen. In Deutschland führt die liberale Gesellschaftsseite derzeit einen Anti-Rechts-Abwehrkampf, dessen Großterrain an den Stellungskrieg während des Ersten Weltkriegs erinnert. Die Wahlergebnisse sind dabei mal so, mal so. Allerdings: der ganz große Durchmarsch der Rechten scheint vorerst gestoppt. Derzeitige Lage: Die Rechten rennen an; der Rest – die Linkspartei eingeschlossen – übt sich in biedermeierlich anmutender Staatsverantwortung. Dass die liberale Seite auch anders kann als einträchtig nebeneinander anzutreten wie bei der Hessenwahl am Sonntag, zeigt der neue liberale Demokratie-Hoffnungsträger in Frankreich. Kürzlich fand – wie in diesem dFC-Artikel näher beschrieben – eine Hausdurchsuchung statt beim Führer der linken Opposition, Jean-Luc Melenchon. Das derzeit weitreichendste Beispiel, wie (Neo-)Liberale linke Opposition notfalls mit Polizeistaats-Methoden zerlegen, um anschließend, ratlos-greinend Krokodilstränen vergießend vor dem faschistischen Drachen zu stehen, findet sich in Brasilien. Man muß die Geschichte von der Demontierung des populären, mittlerweile inhaftierten Ex-Präsidenten Lula mit dem Anschlussakt eines möglichen faschistischen neuen Präsidenten hier nicht im Detail wiederkäuen: Die Entmachtung der Linkspopulisten auf dem südamerikanischen Kontinent ist mittlerweile nahezu abgeschlossen. Die Folge: weiß derzeit keiner. Vielleicht autokratische Militärdiktaturen, vielleicht aber auch neoliberale Zivilregierungen mit entmachteten Parlamenten – Pinochet ohne Militärmütze und Schmisse im Gesicht, unter dem Jubel einer entfesselten, prosperierenden Mittelschicht, die den Prekären der Welt beim Sterben zuschaut.

Die Crux: Der Rest der politischen Schreckensgestalten auf dem Globus – Erdogan, Orban, die Saudis oder auch Putin und die Partei-Autokraten aus dem Reich der Mitte – macht das Bild nur bunter, nicht prinzipiell anders. Im (groß gefassten) Westen mögen sich zwar zwei klar konturierte politische Blöcke einander gegenüberstehen. Der innere Zustand dieser – allesamt unter dem Etikett »Demokratie« gelabelten – Systeme gleicht jedoch mehr und mehr jener abgezirkelten parlamentarischen Schaubühne, auf der Liberale und Konservative im 19. Jahrhundert ihre Kämpfe miteinander ausfochten. Historisch gibt es zwei Traditionen, die diese Neuinstallierung der Oper des 19. Jahrhunderts auf politischem Gebiet einigermaßen adäquat charakterisieren. Die eine ist die des Bonapartismus. Er charakterisiert die Transformation bürgerlicher Demokratien in ein autoritäres Regime – wobei die Transformation durchaus formale Bestandteile wie zum Beispiel Parlamente und ähnliches beibehalten kann. Der zweite ist die des Liberalismus. Auffällig hier: Bereits seit längerem markiert dieser Begriff nicht eine bestimmte (meist am Bürgertum orientierte) politische Richtung. Gerade in den liberalen Gesellschaften hat der Liberalismus in seinen unterschiedlichen Spielformen von »links« bis »neo« längst die Form einer Staatsreligion übernommen – einer Ideologie, innerhalb der zwar Abweichungen artikuliert werden können, die umgekehrt jedoch jeden als Feind hinstellt, der außerhalb des vorgegebenen Kanons politisch agiert.

Fazit: Anlass zur Sorge geben derzeit BEIDE politische Hauptrichtungen. Zwar mag es aktuell sein, dass die liberale Hauptrichtung unbedingt zu unterstützen ist im Kampf gegen die noch schlimmere Alternative, den mit rechtspopulistischen und faschistischen Segmenten upgegradeten Konservativismus der neuen Autoritären. Mit Demokratie im ursprünglichen, 1789 gemeinten Sinn haben BEIDE jedoch ungefähr so viel zu tun wie der sprichwörtliche Fisch mit dem Fahrradfahren. Festzuhalten bleibt dabei ein nicht unwesentliches Detail: dass es letztlich die LIBERALEN waren, die mit ihrer Gier und ihrem elitären Politikverständnis den neuen Autoritären den roten Teppich ausgerollt haben.

Die Ergebnisse dieser Durchlavier-Politik mögen vergleichsweise harmlos sein wie bei der anstehenden Hessen-Wahl (es gibt nichts zu entscheiden) oder dramatisch wie in den USA, wo die Nominierung einer Big Business-Kandidatin die Vorlage gab für den Sieg eines Donald Trump. Gemeinsamkeit: Beide Richtungen kriegen das Simpelste nicht gebacken – eine mit halbwegs gewährleisteter Auskömmlichkeit beziehungsweise Zufriedenheit verbundene Regierbarkeit der jeweiligen Staats-Entitäten. Im Gegenteil: Eine Neuauflage des 19. Jahrhunderts in der Politik kündigt sich aktuell an allen Orten an – mit all seiner Machtversessenheit, seiner Hybris und seiner imperialen Gier. Mag sein, dass die Demokratie, wie wir sie heute kennen, rückblickend nichts weiter gewesen ist als ein Übergangsphänomen – von einer Form der Elitenherrschaft in eine andere.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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