Dass dieser Jubiläums-Artikel nur unvollkommen gelingen kann ohne Heraustreten aus der Komfortzone des objektiv-unbeteiligten Schreibers, schwante mir bereits, als mir das runde Datum in den Blick geriet. Ein Kontinuum in meinem Leben ist Eric Burdon nicht allein deswegen, weil er meinen Musikgeschmack sowie die sich darum rankende Vita nicht unbeträchtlich mit Tönen unterfüttert hat. Zusätzlich geschah das Ganze auf höchst unsynchrone Weise. Beginnen wir die Burdon-Story also zeitversetzt – in einem kleinen Hunsrückdorf Anfang der Siebziger. Beat-Musik – also Stones, Kinks, Yardbirds, The Who sowie weitere Acts der Mitt-Sechziger – hatten sich zwar durchaus auch in den Traditionsrefugien der schwarzen Bauern ihre Präsenz erkämpft. Unsere Clique – ein paar Gymnasiasten, ein paar, die bald in die Lehre gehen sollten – war allerdings schon eine Musikgeneration weiter, also bei Led Zeppelin, Woodstock, Gitarrensolo-durchwirktem weißen Blues und bei dem beginnenden Art Rock. Glück für mich, dass ein Älterer aus dem Clique-Umfeld mir die vergessenen Schätze aus den Mid-Sechzigern vorspielte. Darunter: House of the Rising Sun und Story of Bo Diddley – eingespielt 1964 von einer Formation namens The Animals.
Was erst mal nur nicht verschütt gehen sollte, hat mich seither nicht mehr losgelassen. Die harten Facts indess können einen erst einmal zur Verzweiflung treiben. Die bis Ende der Sechziger mit unterschiedlichen Stücken bestückten (und teils unter unterschiedlichen Titeln vertriebenen) US- und UK-Plattenversionen sind bis heute ein Sammler-Albtraum. Auch was – noch – Original-Animals ist und was – bereits – Eric Burdon im de-facto-Solomodus, lässt sich rückblickend nur schwer auseinanderklambüsern. Was auf die drei Original-Animals-Platten folgte, wies zwar immer noch den typischen Klang-Sound des mal souligen, mal bluesigen und mal rockenden Sängers auf. Bei den Formationen dahinter – Namen: Animals, New Animals, Eric Burdon & The Animals, oder auch: Eric Burdon & The New Animals – blickte indess kaum noch jemand durch. Auch was den Entstehungsort anbelangt, waren die Veröffentlichungen aus der zweiten Sechziger-Hälfte eine eigene Liga. Zwischenzeitlich nämlich war der animalische Rockballaden-Shouter ins sonnige Kalifornien übergesiedelt. Dort brachte er für die umtriebige Love-and-Peace-Subkultur ein paar ebenso aussagekräftige wie hitparadentaugliche Songs in trockene Tücher. Zum Jahrzehntwechsel schließlich war ein neuer, abrupter Wechsel fällig. Burdon tat sich mit einer zwischen Funk, Soul, Latin und Rock oszillierenden Formation aus Los Angeles zusammen und erklärte dem Pop-Establishment den Krieg. Die dazugehörigen Alben: Eric Burdon declares War und The Black Men’s Burdon.
Das Oeuvre, dass sich zwischen House of the Rising Sun und War angesammelt hatte, konnte sich sehen lassen. Umtriebig – und mit wachem Blick ausgestattet – war Eric Burdon wohl schon von Jugend auf. Geboren als Kind eines Elektroinstallateurs und einer aus Irland stammenden Mutter, machte er schon früh seine Erfahrungen mit der britischen Nachkriegs-Klassengesellschaft. Seine frühen Schuljahre beschrieb er in einem Interview als Alptraum, der von Charles Dickens hätte geschrieben sein können. Seine Grundschule, so Burdon, sei eingeklemmt gewesen »zwischen einem Schlachthaus und einer Werft am Ufer des Tyne«, sexueller Mißbrauch, Sadismus und körperliche Bestrafungen an der Tagesordnung. Ein Ausweg war die Musik. Bereits Ende der Fünfzigerjahre mischte Burdon mit in der quirligen, zwischen Soul, Blues, Folk und Jazz oszillierenden Musikszene im Umfeld der Kunstschule, die er zwischenzeitlich besuchte. Dann kamen die Animals, House of the Rising Sun sowie zwei, drei Dutzend Stücke ähnlicher Couleur: When I was young etwa, Good Times oder das allseits bekannte San Francisco Nights. Ein weiteres bekanntes Burdon-Stück stammt ursprünglich von den Rolling Stones. Mit seiner späteren Formation War hat er Paint it Black ebenfalls interpretiert. Allerdings: mit dem Blues-Traditional Tobacco Road und ihrer wohl bekanntesten Nummer, Spill the Wine, hatte die Band die Latte so hoch gelegt, dass auch das zweite Album der Gruppe dies nicht mehr toppen konnte.
Als ich Eric Burdon das erste mal live sah – es wird so 1973 oder 1974 gewesen sein –, waren War bereits Geschichte. Was Burdon – in einer abgeranzten, von Cannabis- und Biergeruch durchtränkten Stadthalle einer größeren Universitätsstadt – jedoch bot, war jenseits dessen, was normale Live-Sänger normalerweise in petto haben. Burdons Bühnenauftritt war keine Show. Was hier zu erleben war, war Song-Performance bis zum äußersten Grad der Verausgabung. Ungeachtet dessen wurde es Mitte der Siebziger es um Eric Burdon ruhiger. Eine persönliche Neuauflage gab es anlässlich eines Portugal-Urlaubs 1979. Am Strand an der Alentejo-Küste war ziemlich alles auf das Elementare runtergebürstet. An Casetten rauf und runter liefen: Ton Steine Scherben, Konstantin Wecker – und Eric Burdon. Der Rest vom einfachen Leben: drei lose hinzugesellte Schwedinnen (oder Norwegerinnen), eine unerbetene Strandkneipenvisite portugiesischer Faschisten und, last but not least, ein Ford Transit, der lediglich aufgrund eine Wette den Weg zurück nach Germany fand. Musik als Gewöhnung? Ich will es jedenfalls nicht ausschließen, dass sich mir Burdon aufgund der damaligen Non-Stop-Beschallung dauerhaft ins musikalische Hirn eingebrannt hat.
Karrieretechnisch war der – zwischenzeitlich nach Deutschland gezogene – Sänger zu dem Zeitpunkt bereits in Untiefen geraten. Künstlerisch gesehen waren die Kooperationen der Mitte- und End-Siebziger – etwa mit Jimmy Witherspoon, Frank Dietz und Udo Lindenberg – zwar sicher bemerkenswert. Mit bekamen sie allerdings nur noch die Unentwegten. Eric Burdon indess tat das, was er von je her am besten konnte: Er agierte sozusagen als Stehaufmännchen in eigener Sache. Der Stand war 1981 zu besichtigen in Christel Buschmanns Film Comeback. Eric Burdon spielte sich selbst aka sein Alter ego – den auf ein Comeback hinarbeitenden Rocksänger Rocco. Man kann Comeback als Road Movie sehen, als Thriller oder als zeittypisches B-Movie. Das Zusammentreffen des Alt-Rockers Rocco aka Burdon mit der neu nachgewachsenen Punk-Generation in der Mauerstadt Berlin brachte allerdings die musikalische Zeitenwende auf den Punkt, die seit den Endsechzigern stattgefunden hatte.
Zu Punkmusik äußerte sich Burdon später in seiner typischen, geradlinigen Ehrlichkeit: »Ich mochte keine Punkmusik, aber ich stimmte dem zu, was sie sagten«. Die Comeback-Dreharbeiten brachten ihm darüber hinaus unliebsame Erfahrungen mit der westdeutschen Staatsmacht ein. Mitten in einer Tournee holte ihn bayerische Polizisten aus dem Zug nach Wien; als mutmaßlicher RAF-Sympathisant verbrachte Burdon zehn Tage im Stuttgart-Stammheimer Hochsicherheitstrakt. Die Anklage reduzierte sich schließlich auf den Punkt Einnahme von Kokain – eine durchsichtige Finte, die nicht nur der Gesichtswahrung der (offensichtlich auf ein Exempel versessenen) Staatsanwaltschaft diente, sondern auch den Effekt zeitigte, dass Burdon auf den Anwaltskosten sitzen blieb. Ein anderer Streitfall währte länger – der mit dem ehemaligen Animals-Keyboarder Alan Price. Anlässe: der Name der alten Band sowie die Frage, ob Burdon bei House of the Rising Sun als Komponist mitbeteiligt gewesen war oder nicht. Die britischen Gerichte verneinten beides. Mit dem Effekt, dass es Burdon – bis 2013 – untersagt war, im Vereinigten Königreich mit Begleitbands unter diesem Namen aufzutreten.
Vital und explosiv, wie er nun einmal war, rappelte sich Burdon wieder auf. Zum Türöffner zurück ins Business avancierte die Zusammenarbeit mit einem weiteren Urgestein der britischen Rockszene: Brian Auger. Ein solider Grundstock neuer Songs ist in den letzten drei Jahrzehnten ebenfalls hinzugekommen. Erwähnenswert hier ist vor allem das Album My Secret Life aus dem Jahr 2004. Ansonsten lässt es Eric Burdon – der seit den Neunzigern wieder an der US-Westküste lebt – zwar ruhiger, allerdings nicht übergebührlich ruhig angehen. Live-Auftritte gehörten auch in den letzten Jahren zum festen Ritual. Die ein oder andere Veröffentlichung ist ebenfalls noch drin – zuletzt Til Your River Runs Dry (2013). Auch in Germany gastiert der Blues-Shouter mit dem souligen Repertoire regelmäßig. Anlässlich einer arte-Konzerteinspielung 2016 bringt das Backstage-Interview den Sänger etwas in Verlegenheit. Gefragt, was er davon halte, auf der Rolling-Stone-Liste der 100 besten Rocksänger mit aufgeführt zu sein, antwortet er in Burdon-typischer Ehrlichkeit: Er zweifele sogar daran, dass er im eigentlichen Wortsinn ein Musiker sei. Was er stetig gemacht habe, sei das Aufgreifen der Eindrücke gewesen, die rund um ihn stattgefunden hätten. Wenn irgendwas seine musikalische Essenz sei, so sei es dies.
Was war sonst? Burdon hat zwei Autobiografien geschrieben – eine eher mit heißer Nadel gestrickte Ende der Achtziger und eine 2004. Im Rock-Business war er fünfzig Jahre ganz dicht am Puls. Eng bekannt war er unter anderem mit Jimi Hendrix und Jim Morrison; bei Hendrix war er derjenige, den Hendrix’ letzte Freundin unmittelbar nach seinem Tod anrief. Den alten und im Lauf der Jahre neu hinzugekommenen Toten im »Klub 27« widmete er 2006 einen Song: Forever 27. Er selbst, so Burdon, habe schlichtweg eine gute Ecke Glück gehabt. Ansonsten – so Burdon etwas selbstironisch 2016 beim Backstage-Interview mit dem arte-Redaktionsteam – sei er eigentlich in einem Alter angelangt, in dem man mit seinem Pudel zusammen auf der Couch sitze. Was ihn nicht davon abhält, auch als US-Amerikaner dezidierte politische Meinungen zu haben. Rock’n’Roll und Blues etwa liebe er, weil es die Musik des Volkes sei, weil sie diesem ein Stück weit seine Würde zurückgäben. Ansonsten: »Amerikas größtes Problem ist der Rassismus. Das zweitgrößte die Polizei«. Durchwachsen ist seine Meinung zur Hippie-Kultur der Sechziger und zu Barack Obama. Anlässlich eines Konzerts in Dortmund 2013 fasste er sie gegenüber dem Online-Portal DerWesten wie folgt zusammen: »Es ist mir egal, ob die Amerikaner die Hippiekultur mögen oder nicht. Hauptsache, ich mag sie. Rückblickend war es ein Traum, der nie realisiert werden konnte. Genau wie mein Traum von Obama.«
Eric Burdon wird am 11. Mai Achtzig. Man greift sicher nicht zu kurz, wenn man sagt: Seine Musik, seine Songs und seine Interpretationen haben eine Generation mitgeprägt. Auf recht multiple Weise: vom blueslastigen Merseybeat-Sound der Frühsechziger über Flowerpower und Funk bis hin zu – blueslastiger, im besten Sinn unprätentiöser Rockmusik im 21. Jahrhundert. In diesem Sinn: Happy Birthday, Mr. Burdon!
Doku:
Rock’n’Roll Animal. Dokumentarfilm von Hannes Rossacher. Kobalt Productions / ZDF / BBC 2020. 57 Minuten. Online bei YouTube (siehe Link)
Kommentare 9
ManN muss nicht jeden Satz von Eric Burdon unterschreiben, vor allem nicht zu politischen Fragen, um sagen zu können: Burdon ist ein ganz Großer, obwohl körperlich eher ein Sitzriese.
Dass er nach seinem Tod telefonieren könnte, ist jedoch auch ihm nicht möglich. Das erzählte mir mal ein Sprachpolizist.
Ich konnte Burdon (mit Brian Auger) Ende der 1980er (?) im Audi Max einer kleineren hessischen Universitätsstadt am Oberlauf der Lahn auskosten. Und wie!.
In Sachen Punk geht es mir ähnlich wie Burdon: die Haltungen habe ich gerne geteilt, auch wenn ich die Mucke eher vernachlässigbar fand.
Gratuliert wird aber erst am Geburtstag selbst.
und schon früh war er selbst-reflektierter als ein punk
und musikalischer:
---> "when i was young"(1967)
und um etwas aus dem vielen hörenswerten herauszupicken:
eric burdon and war: "mother earth".
"Live-Auftritte gehörten auch in den letzten Jahren zum festen Ritual."
Ende September 2019 sollte die allerletzte Abschiedstournee in Amsterdam beginnen und dann noch über Hallen in Dortmund, Düsseldorf, Rostock, Dresden und Nürnberg gehen.
Aber schon in Amsterdam kam es zum Eklat: Die Frau und Managerin von Eric, Marianna Proestou Burdon, attackierte die Veranstalterin und entriss ihr die für den Auftritt gedachte Garantiesumme von 25.000 USD, während Eric Burdon auf der Bühne etwas erzählte von seinem Vater und Chuck Berry und der Gleichung Keine Gage=Kein Auftritt und umgekehrt.
Eric und Marianna Burdon waren danach verwchwunden, angeblich in (Süd)Frankreich untergetaucht, und es lief ein Strafverfahren in den Niederlanden an. Über soziale Netzwerk hat Burdon umgehend die gesamte Tournee abgesagt.
Viele Ticketbesitzer haben bis heute keine Gelderstattung bekommen, weil die Veranstalterin während laufender Gerichtsverfahren und ganz kurz vor Urteilsverkündung in die Insolvenz gegangen ist.
Das WDR- und MDR-Fernsehen haben über die Vorfälle ausführlich berichtet. Erics kurzer Bühnenauftritt in Amsterdam (nur Monolog, etwa eine Minute) lässt sich gleichfalls im Netz finden.
guck an: es geht nicht nur ums musizieren?
es geht auch um entlohnung in cash? es kommt bisweilen
auch zu handgreiflichkeiten unter musik-liebhabern?
und durch ab-zockung erfahren-gewordene ältere musiker:
outen sich als raffke?
wer hätte diese un-schöne schattenseite
der strahlenden kunst-szene vermutet ?
im vor-verkauf erstandene tickets:
haben den status eines risiko-behafteten options-scheins....
Gelinde gesagt würde ich mir die Sichtweise der involvierten Konzertagentur so nicht zu eigen machen. Ohne mir vorschnell eine abschließende Meinung bilden zu wollen, erscheint es mir doch so, dass hier auch von Seiten der Veranstalter einiges schief gelaufen ist – angefangen von der Behandlung der geladenen Künstler, die man kaum als »vertrauensvoll« bezeichnen kann bis hin zur Einforderung einer Setlist – im Metier allgemein üblich ein »Can«, aber keinesfalls ein »Must«. Dass eine solche Lage eskalieren kann – vor allem, wenn es um die für Künstler essentiell wichtigen Künstlerhonorare sprich Gagen geht – liegt auf der Hand und wundert mich keinesfalls.
Wie gesagt kann und will ich mir bezüglich der geplatzten Tour kein abschließendes Urteil bilden. Es gibt eine Reihe Berichte – durchaus auch von seriösen Medien wie von nordbayern.de, Westdeutsche Zeitung, nochmal Westdeutsche Zeitung wegen der Tickets und schließlich jazzandrock.com –, in denen die Schuldverteilung keinesfalls so eindeutig hervorgeht. Zu den Klagen des Veranstalters (die Webseite der Agentur ist blockiert; was mit dem Hinweis auf die zwischenzeitlich erfolgte Insolvenz möglicherweise erklärt ist) ist hinzuzufügen, dass es auch eine Gegenklage gegeben hat (die Ostthüringer Zeitung berichtete im Dezember 2019; der Bericht ist leider Paywall-geschützt). Abschließend hier noch ein Forumslink bezüglich der Kartenrückerstattung; so sind wir alle faktisch halbwegs auf Stand.
Lange Rede kurzer Sinn: Leider nicht die erste Tournee, die sich in einem Großgewitter entladen hat. Als vorsichtiges Resummée würde ich an der Stelle zumindest das ziehen, dass die Angelegenheit (mindestens) zwei Seiten hat.
..."Als ich Eric Burdon das erste mal live sah – es wird so 1973 oder 1974 gewesen sein"...
Ich auf den Schultern der Eltern, 1971?
:-D
Danke für die Reminiszenz.
Beatclub 1970:
https://www.youtube.com/watch?v=4-Xs7NK-7B8
"... in her hands she had a bottle of 'Liebfrauenmilch'..."
War ich da schon auf Welt? Egal, beim Song "The House Of The Rising Sun" in der Fassung der Animals und mit der Stimme des damals 23 Jahren alten Eric Burdon läuft mir wahrscheinlich auch dann noch ein Schauer den Rücken hinab, wenn ich mal 100 Jahre alt oder älter werden sollte.
Es gibt zwar eine Menge Versionen, aber diese Original-Aufnahme (live oder playback?) ist m. E. eine der besten, guckst du hier:
https://www.youtube.com/watch?v=0Fy7opKu46chttps://www.youtube.com/watch?v=0Fy7opKu46c
Nur am Rande: Stimmt es, dass Burdon keinen einzigen Cent Tantiemen aus dem Song bekommen hat und bis heute bekommt? Was sagt man dazu?