Jutta Ditfurth – Fall einer Ikone

Portrait. Sie diskutierte mit Strauß, rechnete mit den Grünen ab. Auf Demos gegen den Kapitalismus ist sie ebenso präsent wie in Talkshows. Aufstieg und Fall einer linken Ikone.

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Jutta Ditfurth, 2011. Foto: Udo Grimberg. Quelle: Wikipedia / Wikimedia Commons. Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported.

Eine Frage, die sich nach all dem stellen wird: War es das wert? Seit Wochen ist das vorrangigste Thema weniger die Frage, wie man eine funktionierende Friedensbewegung auf die Beine bekommt. Im Fokus steht vielmehr die – potenzielle, vielleicht auch reale – Gesinnung eines bestimmten Spektrums von Friedensfreunden: den sogenannten Montagsmahnwachen. Frage, Linken wie Medien gleichermaßen unter den Nägeln brennend: Wie rechts unterwandert, wie völkisch, antisemitisch und mit Verschwörungstheoretikern durchsetzt ist diese Bewegung? Auslöserin des Ganzen: Jutta Ditfurth – Ex-Grüne, Buchautorin, linke Aktivistin. Initialzündung: ein Interview in der 3sat-sendung »Kulturzeit« Mitte April. Seither überschlagen sich nicht nur auf Ditfurths Facebook-Seite die Tickermeldungen, Kommentare und Flames. Eine Klage von Montagsdemo-Redner Jürgen Elsässer wegen der Etikettierung »glühender Antisemit« hat die Auseinandersetzung zusätzlich beflügelt. Sicher – die Frankfurter Ökolinke erhält eine Menge Zuspruch. Ebenso Plattformen – beispielsweise in der Kolumne »hier konkret« in der Juni-Ausgabe der gleichnamigen Zeitschrift. Allerdings: Da Merkel, Obama, Poroschenko sowie der dänische Neocon-Hardliner und NATO-Generalsekretär Rasmussen kaum warten werden, bis der innerlinke Rosenkrieg made in Germany entschieden ist, fragen sich zwischenzeitlich auch politische Weggenossen: War es das wirklich wert? Ein Artikel in Elsässers Magazin Compact spitzte die Personalia um die – im Beitrag durchaus als verdienstvoll gewertete – Kontrahentin zwischenzeitlich mit einem eigenen Portraitbeitrag zu. Titel: »Die Donna Krawalla der Linken«.

Ditfurths Antimontagsdemo-Kreuzzug

Ist das noch Streit, oder ist das schon Kindergarten? Die Linke veranstaltet derzeit großes Theater. Seit Wochen streiten, mobben, flamen, beleidigen und selbstbestätigen sich Mahnwachen-Anhänger und Mahnwachen-Gegner auf Ditfurths Facebook-Seite in zunehmender Intensität. Live schlagen antideutsche Gegendemonstranten auf, im Gepäck Aluhüte, USA- und Israel-Flaggen. Frage: Braucht die auseinandersetzungsfreudige Frankfurterin tatsächlich dieses Niveau? Und: Ist diese Mischung aus Social-Media-Rumgeflame und Gleichgesinnten-Wärmstube zielführend? Pointiert auf den politischen Punkt gebracht: Wäre es angesichts der wachsenden Kriegsgefahr nicht zweckmäßiger, aufzustehen, sich zu artikulieren, auf eine politische Gegenstrategie zu verständigen? Unabhängig davon, ob diese lautet: Wir wollen mit den Montagsdemonstranten nicht; da sind zu viele aus der nationalkonservativen Ecke dabei. Oder: Wir müssen auch die irgendwie in ein Antikriegsbündnis hineinkriegen.

Unbehagen macht sich breit. Viele würden das Geflame am liebsten per Button-Klick abstellen, zur Tagesordnung zurückrufen, still die Scherben zusammenkehren, die Chose vergessen. Getan ist allerdings getan. Seit Ditfurths 3sat-Interview zieht der Shitstorm stetig weitere Kreise. Wie ein trüber, schmutziger Fluss, der langsam aber stetig ausmäandert, erfasst er immer weitere Kontrahenten. Auch die bekannte Anti-Hartz-IV-Aktivistin Inge Hannemann steht zwischenzeitlich unter Beschuss der Ditfurth-Anhänger. Hannemans Fehltritte: eine nicht genügend eindeutige Abgrenzung von den Montagsdemontrationen. Eine mit dem Antifa-Logo gekennzeichnete Hannemann-Watchseite bei Facebook wirft ihr vor, sich einerseits zwar von rechten Tendenzen distanziert zu haben. Das jedoch, so die Seite, sei nicht genug. So pflege sie – trotz eindeutiger Aufforderungen der Watchseite – weiterhin persönliche Freundschaften mit Personen, die, so die Seite, der neurechten Szene zuzuordnen seien. »Likes« unter dem an schlimmste deutsche Blockwart- und Gesinnungspolizeitradition erinnernden Elaborat: unter anderem Jutta Ditfurth, Autor, und Aluhut für Ken, Gemeinschaft.

Sicher hat die Auseinandersetzung zwei Seiten. Ebenso wahr ist, dass Ditfurth seit ihrem unstrittenen 3sat-Auftritt ebenfalls starken Attacken ausgesetzt ist. Allerdings: Ob die Facebook-Seite der Autorin mehr Hilflosigkeit offenbart im Umgang mit den neuen sozialen Medien oder das Gegenteil, nämlich erwünschte Zuspitzung (respektive Materialsammlung für die weitere Auseinandersetzung), ist schwer zu sagen. Möchte man den Schiedsrichter machen und entscheiden, wer den Krieg im Web gewonnen hat, wäre die aktuelle Tendenz wohl: 2:1 gegen Ditfurth. Auf der Facebook-Seite der Autorin sind die ablehnenden Kommentare geradezu grandios in der Überzahl – wobei einige Einträge eine Kommentarzahl im 500er-Bereich aufweisen. Außerhalb des Webs dürften sich Ablehnung und Zuspruch eher die Waage halten – siehe hierzu auch diesen FC-Artikel. Auch wenn den Schmutzige-Wäsche-Effekt zwischenzeitlich kaum noch jemand leugnen mag: Offensichtlich hat die Diskussion um die Montagsdemos einen empfindlichen Nerv getroffen. Frage so: Welche Nerven genau hat die Intervention von Jutta Ditfurth bloßgelegt?

Du! Sollst! Nie !!! Mit! Rechten! Paktieren! Besagte Regel ist quasi der Urgrund für die aktuelle Anti-Montagsmahnwachen-Echauffierung. Rechts gilt – nicht nur bei der politischen Linken, sondern bis weit in den politischen Mainstream hinein – als die politische Katastrophe schlechthin, der größtmöglich denkbare Super-GAU. Bekanntlich gibt es gerade in Deutschland gute Gründe, Anti-Rechts-Warnungen ernstzunehmen. Wenn es einen politischen roten Faden gibt, der sich stringent durch Jutta Ditfurths politische Biografie zieht, dann ist es dieser. Allerdings gibt es ebensoviel Anhaltspunkte dafür, dass die Frankfurter Ex-Grüne in dieser Frage gern das Kind mit dem Bad ausschüttet – nach dem Motto: Je mehr Feind, desto mehr Ehr’. Sicher – ihre Beobachtungen sind nicht ganz falsch. Oft sogar treffend, prägnant, aufklärerisch im besten Sinn. Der Ton ist es vor allem, der bei der streitbaren Ökolinken oft die Musik macht. Den – oft schmalen – Scheidegrad bildet zwischen brillianter politischer Analyse, politischer Hybris und daraus folgender Mission im Brachialmodus.

Schlagseiten und Löcher hat jedoch bereits die Argumentationsführung. Jutta Ditfurth selbst sieht sich zwar vorrangig als Journalistin, als kritische Buchautorin. Darüber hinaus genießen ihre Werke in linken Kreisen eine bemerkenswert hohe Popularität: nicht allzu kompliziert geschrieben, politisch auf den Punkt kommend; solide Aufklärungsarbeit, stets verbunden mit der »richtigen« message. Die Argumentationstechniken, derer sie sich bedient, haben allerdings stark simplifizierende, holzschnitthafte Schlagseiten. Zwei Muster sind vor allem auffällig: a) die Eigenheit, Kritikpunkte fast ausschließlich aus textlichen Produktionen abzuleiten, also mehr aus diversen Theorieproduktionen als aus dem prallen Leben, b) eine Beweisführung, die oft nach dem Schema der Kontaktschuld vorgeht. Schema: B kennt A. A ist rechts. Also muß B auch rechts sein.

Noch stärker treten die Mankos der Kritik zutage, wenn man die – Ross und Reiter meist unmißverständlich benennende – Darstellung der Bösewichte kontrastiert mit der politischen Utopie, welche die Autorin propagiert, also Emanzipation, Befreiung, Basisdemokratie, die Kontrolle der Produzenten über die Produktionsmittel, Antirassismus, Feminismus. Auffällig hier: Die doch so sehnlich angestrebte Utopie erscheint im Ditfurthschen Oeuvre meist nur in Form von Chiffren, von Allgemeinplätzen, von schablonenhaften, nicht weiter mit Inhalt gefüllten Begrifflichkeiten. Konkreter formuliert: Manchmal hätte man von der Autorin gern eine kleine Landkarte. Wenigstens mit Skizzen, mit Zwischenetappen, wie das schöne Ziel denn erreicht werden könnte. Stattdessen dominiert ein moralisch grundierter Rigorismus, der im Lauf der Jahre fast so etwas wie ihr Markenzeichen geworden ist.

Linke Brüche, linke Selbstgewißheiten, linke Lebenslügen

Frage: Warum polarisiert Jutta Ditfurth so sehr? Die Antwort: weil Jutta Ditfurth – siehe hierzu auch diesen längeren Biografietext bei fembio.org – weitaus mehr ist als eine einfache Personalie. Um ihren Einfluss, ihren Symbolgehalt als linke Ikone zu verstehen, muß man zunächst verstehen, wieso sie zu dem wurde, was sie ist. Ein bezeichnendes Spotlight ist die Elefantenrunde zur Bundestagswahl 1987. Mit am Tisch der Polit-Dinosaurier: eine nicht mehr ganz blutjunge Frau – enerviert, angenehm normal wirkend. Bereits optisch bringt die Vertreterin der Grünen am TV-Pult jene kulturelle Differenz auf den Punkt, welche das grünalternative Milieu vom Rest der Republik unterscheidet. Franz-Josef Strauß, gescheiterter Kanzlerkandidat der Union und CSU-Vorsitzender kann mit Ditfurths Präsenz sichtlich schlecht umgehen; poltert, wird ausfällig, unterbricht, läßt nicht ausreden. Ditfurth hält ruhig dagegen. Auch im Jahr 1987 noch ein Culture Shock. Strauß, der Dinosaurier unter den Dinosauriern, der rechtslastige, aus jeder Pore Stammtisch ausschwitzende Kanzlerkandidat aus dem Jahr 1980 – und dann, als Konterpart, diese Frau …!

Ein Höhepunkt, sicher; ein Bild, für das viele sie lieben werden. Allerdings ein Bild, dass nicht die ganze Wahrheit enthüllt. Denn: In Wirklichkeit agieren Ditfurth und ihre Mitstreiter längst auf abgezirkeltem Terrain. Die Realos um Joschka Fischer sind stramm auf dem Vormarsch – auch wenn es noch ein gutes Jahrzehnt braucht, um die Partei als Ganzes auf diesen Kurs festzuklopfen. Vier Jahre nach der Elefantenrunde zieht Jutta Ditfurth die Konsequenz. 1991 tritt sie aus den Grünen aus. Aus der fundamentalgrünen, ökolinken Parteisprecherin wird Jutta Ditfurth, die Abtrünnige. Erst als Neuparteigründerin: der Ökologischen Linken – einer linksgrün orientierten Neuformierung, aus der über Umwege ÖkoLinX wird, Ditfurths persönliche Ein-Frau-Partei. Später als antideutsche Aktivistin, als scharfzüngige, prägnant formulierende Abrechnerin in eigener Sache. Ditfurths Abrechnung mit den Grünen macht sie endgültig zur Ikone. Derjenigen, die den neuen Kurs der Partei nicht mitvollziehen wollen, derjenigen, die politisch heimatlos geworden sind. Derjenigen, die im neuen Jahrtausend zu den Gehartzten werden. Schaut her: Da ist eine, die nicht schwach geworden ist. Eine, die den Verrat nicht mitmacht, stattdessen weiter aufrecht bleibt – antikapitalistisch, empanzipatorisch. Unsere Jutta.

In Wahrheit war die Ablösung von den Grünen ein langer Prozess. Ein Prozess, in dem Ditfurth durchaus auch umstrittene, nicht für jeden nachvollziehbare Wege einschlägt. Beispiel: eine achtteilige Artikelreihe unter dem Titel »Zahltag, Junker Joschka!« – veröffentlicht 1999 in der konservativen Boulevardzeitschrift Neue Revue. Auch im Buchoeuvre der Frankfurter Autorin bleiben die Grünen zentrales Thema. Ein weiteres, für die Zukunft bedeutsames Thema der nunmehr freischwebenden, ex-grünen Aktivistin: die esoterische Szene, welche sich in Folge von 68 in Deutschland herausbildet hat, zwischenzeitlich zu einem eigenen Milieu geworden ist. Auch dieses Moment – in den Auseinandersetzungen mit den Montagsmahnwachen 2014 wird es massiv mitschwingen – ist nicht wirklich zu verstehen ohne einen Blick auf die kulturell-politischen Umbrüche, denen das linke Milieu Anfang der 1990er-Jahre ausgesetzt ist. Pointiert gesagt: Die Linke gibt freiwillig Terrain preis, die Rechte gewinnt hinzu.

In der alten Bundesrepublik war »links« eine sehr heterogene Angelegenheit. Im linksalternativen Milieu der 1970er und 1980er koexistierten unterschiedliche Roots und Scenes: stramme Politleute & Hippies, Ökofreaks und Marxisten-Leninisten. Esoterische Richtungen hatten, wenn auch eher am Rand, ebenfalls ihren Platz in diesem Milieu – bis hin zu den (allerdings bereits damals stark umstrittenen) Anhängern des indischen Gurus Baghwan aka Osho. Ab etwa 1990 ist dann Schluss mit Lustig. Der radikale Teil der verbliebenen Linken vollzieht den großen Bruch. Antideutsch ist angesagt, später Wertkritik-Lesekreise; hinzu schwappen die neuen Gender- und Queer-Theorien über den Großen Teich. Richtungen allesamt, die weniger auf Lebensgefühl, Utopien oder alternative Aufbrüche gepolt sind als vielmehr auf eine abstrahierende Dekonstruktion. Ein weiterer bedeutsamer Umbruch vollzieht sich parallel in den locker mit dem 68er-Aufbruch verbandelten Jugend-, Subkultur- und Musikscenes. Neonazis kapern immer mehr Musikkulturen – oder versuchen dies zumindest. Gothic, Metal, Punk, später sogar HipHop: Auch der Rock’n’Roll ist nicht länger linkes Heimspiel.

Jutta Ditfurth ist in diesen Umbruchsjahren locker assozierte Aktivistin der antideutschen Bewegung – einem politischen Bündnis, dass sich vor allem im Hinblick auf eine befürchtete Dominanz des wiedervereinten Deutschlands formiert hat. Die frühen 1900er – unter anderem ist dies auch die Hochzeit der rechten Pogrome. Hoyerswerda, Mölln, Rostock. Jutta Ditfurth gehört zu dieser Zeit – ebenso übrigens wie Jürgen Elsässer – zum festen Autorenpool der linken Monatszeitschrift konkret. Mehr und mehr ihr Spezialthema: rechte Esoteriker. Wobei die Frankfurter Autorin den Begriff recht weit fasst. In ihrem 1996 erschienenen Buch Entspannt in die Barbarei (hier eine überwiegend positive Rezension) zeichnet sie das Bild eines weitverzweigten Netzwerkes, dass von obskuren neuheidnischen Gruppen über Waldorfschulen bis hin zu pseudoalternativen Ökogemeinschaften reicht. Biozentrismus, Rechtsantrosophie, Ökologismus, so ihre Beobachtung, dockten direkt an an rechtes, an neonazistisches, antisemitisches Gedankengut. Von Rudolf Steiner und dem anarchistischen Freigeld-Theoretiker Silvio Gesell führten, so die Message, direkte Linien zu Himmler und zur heutigen rechtsesoterischen Szene. Ein gefährliches Netzwerk also. Unemanzipativ, autoritär; eines, das man angehen muss.

Wenn man so will, ist Entspannt in die Barbarei eine programmatische Schrift. Ein Buch allerdings, dass, weniger wohlwollend formuliert, geradezu eine Esophobie offenbart. Vielleicht auch Wut auf alte Roots – Roots, die man nunmehr mit Stumpf und Stiel abkappen will. Dabei in Ditfurths Panoptikum des Schreckens: das ZEGG – ein alternatives, stark von Wilhelm Reich beeinflusstes sowie einem 68er-Vordenker, dem ZEGG-Gründer Dieter Duhm begründetes Gemeinschaftsprojekt. Milieukartografisch ist das ZEGG ein entfernter Ableger der Mühl-Kommune – einem zwanzig Jahre zuvor zwar randständigen, zu »68« jedoch irgendwie dazugehörendem Kommuneprojekt.

In den 1990ern ist allerdings Schluss mit Toleranz. Über Jahre wird das ZEGG sowie das dort praktizierte Konzept der freien Liebe zum bevorzugten Attackeobjekt von kirchlichen Sektenbeauftragten, Feminist(inn)en und Antifas. Zeitgleich zu Ditfurths Buch veröffentlicht eine autonome Gruppe einen Reader zu dem Projekt. Titel: »ZEGG-sismus«. Im Unterschied zu der autonom-feministischen Anklagebroschüre, die – bei aller Kritik – zumindest versucht, die hinter dem Projekt stehenden Bedürfnissen mit zu thematisieren, hält sich Ditfurth mit Differenzierungen, mit Widersprüchlichkeiten erst gar nicht auf. Argumentationstechnisch bevorzugt die ehemalige Grüne mehr und mehr die »Methode Schwarzer«: knackige Behauptungen, schnelle Schlüsse, publikumswirksame Verurteilung. Das Zentrum, so gleich die Abschnittseinleitung auf Seite 63, sei, Zitat: »(…) eine autoritäre, esoterische, sexistische Sekte ›mit seiner Idee der freien Liebe.‹« – Noch Fragen?

Talkshow-Queen meets Chicago Boys

Die politische Aktivistin Jutta Ditfurth bietet in den Jahren »nach« den Grünen ein recht durchwachsenes Bild. Auf der Plusseite: vierzehn Bücher mit durchaus heterogener Thematik – neben Grünen und Rechtsesoterikern Titel zur Barbarei des Kapitalismus, zur Perspektive linker Bewegungen, zu Rudi Dutschke und Ulrike Meinhof sowie, last but not least, zu ihrem eigenen Familien-Background. In den politischen Bewegungen der 1990er und 2000er ist die Frankfurter Autorin ebenfalls ein konstanter Faktor – und macht sich nicht zuletzt als auseinandersetzungsfeste Aktivistin einen Namen. Drei Beispiele von vielen: Anti-Atom-Bürgerinitiativen, die sich – so dieser Artikel aus konkret 1997 – nicht entschieden genug von rechtsesoterischen Strömungen abgrenzten, Auseinandersetzungen zwischen veganen Tierschützern und der (rest)autonomen Szene und schließlich posthumer Klärungsbedarf im Demobündnis »Wir zahlen nicht für eure Krise!« in Frankfurt 2009.

Wie sieht es mit dem basisdemokratischen Anspruch in der eigenen Praxis aus? Laut Wikipedia ist ÖkoLinX eine Frankfurter Kleinpartei – überregional aufgestellt in mehreren Städten, mit politischen Mandaten ausgestattet allerdings nur in der Mainmetropole. Programmatisch vertritt ÖkoLinX zwar die guten, alten Essentials der Anfangs-1980er-Grünen – Bewegungsanspruch, Präsenz, Antikapitalismus, gesellschaftliche Partizipation. Die Webseite der Liste rückt allerdings vor allem eines ins Zentrum: Jutta Ditfurth. Exakt vierzehnmal ist Ditfurths Name auf der Homepage aufgeführt. Hinzukommend: die wichtigsten Bücher, eine Plakatabbildung (zur EZB bzw. der Bankenproblematik: »Macht kaputt, was euch kaputt macht«) plus Foto + Biografielink ihres langjährigen politischen Kompagnons Manfred Zieran. Politische Akteure, auch nur halbwegs bekannt, welche die Strukturen unterfüttern würden: möglicherweise vorhanden; benannt werden sie allerdings an keiner Stelle. Basisdemokratie? Pustekuchen! Verglichen mit dem Personenkult der Frankfurter ÖkoLinX ist die CSU ein basisdemokratischer Chaotenhaufen.

Die meisten Bundesbürger und Bundesbürgerinnen dürften die linkslibertäre Aktivistin indess weniger über ihre Bücher und Publikationen oder von Demobesuchen her kennen, sondern vielmehr über über ihre Dauerpräsenz als Talkshowgast. Gefühlt hält die streitbare Autorin in dem Metier den absoluten Rekord. Ob Hart aber fair, Anne Will, Maybritt Illner, Menschen bei Maischberger oder Boulevard-Talker Markus Lanz – kein Format ohne Jutta Ditfurth; lediglich für die Talkshow von Günther Jauch ließen sich via Internet-Schnellrecherche keine Belege finden. Die Gründe liegen auf der Hand: Geht es darum, jemand zu casten, der einen kritischen, linken Konterpart zum Thema setzen kann, ist die Frankfurter Ökolinke eine der ersten Adressen. Wenn man so will: Eine Win-Win-Situation für viele Beteiligte. Zum einen sind im bundesdeutschen Talk-TV so auch linke Positionen »irgendwie« präsent – unabhängig davon, wie gut oder schlecht einzelne solche Formate finden. Zum anderen wohnt dieser Form Präsenz eine Symbolkraft inne, ein unausgesprochenes Signal, das in zwei Richtungen sendet. Vom TV zum linkskritischen Zuschauer: Sieh – wir berücksichtigen auch euch. Vom linkskritischen Zuschauer zu sich selbst: Siehe – auch wir haben eine durchgebracht! Nicht die Wagenknecht mit ihrem modernisierten SED-Flair, sondern die Radikalste, Konsequenteste, Eloquenteste aus dem Lager der Ökolinken. Viva Jutta!

Allerdings – im Talk-Metier ist der Wurm drin. Stetige Dauerpräsenz nutzt ab; über kurz oder lang tritt der »Blüm-Effekt« ein. Schwerer wiegen dürfte allerdings der Faktor Abgehobenheit. Konkret gefragt, und auf Jutta Ditfurth bezogen: Welche gesellschaftliche Relevanz hat ein TV-Plauderstündchen mit Charlotte Roche, Helmut Karasek und ein paar anderen Gästen über die Sexualität von Erwachsenen? Können die das ohne Sandra Maischberger nicht? Wie kurz der Weg von der Banalität zur »lustischen« Gastdemontage ist, zeigte der Tele-5-Talk Stuckrad-Barre vom 29. November 2012. Was war geschehen? Rückblickend betrachtet erst einmal, dass die erfahrene Medienlinke bei einer Show zu viel zugesagt hatte. Konfrontiert wurde sie in den 45 Sendeminuten allerdings mit einem Format, das weder mit der Behäbigkeit herkömmlicher Polit-Talks zu tun hat noch mit der gelegentlich erkenntnisförderlichen Sendung etwa eines Harald Schmidt. 45 Minuten lang strampelte sich Jutta Ditfurth in einem hermetisch abgezirkelten Medienterrain ab. Einerseits tat Moderator Stuckrad-Barre wirklich alles, politische Inhalte gar nicht erst hochkommen zu lassen. Andererseits zog er aus genau ebendiesen seine Pointen. Im Klartext: Ditfurth bekam die neoliberale Spaßgesellschaft ordentlich beigeweicht.

Highlights der vom ZDF-Nischensender ZDFneo zum Privatfernsehen übergewechselten Jung-und-Wild-Simulation: Stuckrad-Barre spuckte demonstrativ in einen Spiegel, Ditfurth sprühte linke Graffities; am Ende führte Stuckrad-Barre zusammen mit dem Publikum eine Spontandemo durch zu einem benachbarten Aufnahmecontainer, in dem – so Stuckrad-Barre – gerade ein Trashformat abgedreht wurde. Chancen für die sozialistisch-ökologische Ditfurth-Revolution, laut Publikums-Voting – nicht so doll. Brüderle-Faktor der Sendung – Level 4,6. Award für wildgewordene Chicago Boys aus dem neoliberalen ersten Semester für Moderator Benjamin Stuckrad-Barre sowie seine beiden Adlaten Markus Feldenkirchen und Nikolaus Blome – vormerken. Jutta Ditfurth – leider nur die lapidare Feststellung, dass man sich durch die Teilnahme an solchen Sendungen selbst zur Hölle schießt.

Sicher – man mag die Chose mit den diversen Formaten und ihrem Anspruch, krampfhaft originell zu sein, auch lockerer sehen. Dies bezieht teilnehmende Promis selbstverständlich ebenfalls mit ein. Allerdings: Greift man anderthalb Jahre später mit heiligem Furor zur Streitaxt, um eine unliebsame Bewegung zu attackieren, sollte man schon in Rechnung stellen, dass eventuell auch ein paar derjenigen, die nunmehr als Völkische, Antisemiten und Verschwörungstheoretiker am Pranger stehen, die Shows, an denen man mal teilgenommen hat, mitgekriegt haben. Und die sich – das Gedächtnis vergisst nicht –– nunmehr fragen, wieso mit Neoliberalen dass charmante Parlieren funktioniert. Leute jedoch, die sich in Frage Krieg & Frieden große Sorgen machen, die Fascho-Keule gezeigt kriegen. Resummée: Frau Ditfurth, Sie haben ein Glaubwürdigkeitsproblem!

Fazit

Wie wird es weiter gehen? Irgendeine Friedensbewegung wird sich über kurz oder lang zusammenraufen – sofern die Herrschenden, wofür leider wenig spricht, den Konfrontationskurs nicht abblasen. Jutta Ditfurth wird siegen – so oder so. Wie sie das Problem mit ihrer Glaubwürdigkeit regeln wird, soll an der Stelle nicht weiter vertieft werden. Unabhängig davon, wie berechtigt ihre Einschätzungen zum Thema Rechtsesoteriker und Querfrontler sein mögen: Ihre undifferenzierten, nicht oder nur mangelhaft belegten Attacken haben – das zeigt allein ihre Facebook-Seite – zahlreiche Menschen persönlich verletzt und gegen sich aufgebracht. Darüber mag man hinweggehen; vielleicht ist der Stoff ja auch gut für ein neues Buch. Vergleicht man allerdings das Wirken der Frankfurter Ökolinken etwa mit dem von Konstantin Wecker oder auch dem US-amerikanischen Singer/Songwriter und Antiglobalisierungsaktivisten Steve Earle, fällt die Plus–Minus-Rechnung richtiggehend katastrophal aus. Mit ihren Attacken dürfte Ditfurth mehr Menschen von der Linken weggestoßen haben, als Wecker und Earle für sie begeistert, langfristig vielleicht sogar gewonnen haben.

Schlechtes Verhältnis, schlechter Tausch. Einfache Moral von der Geschicht: Nicht jeder ist gleich ein Rechter.

TREFFER-SCORE:

bis 1990: 90:10

1990–2013: 70:30

2014 ff: ??:??

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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