Leitmedien im Kriegstaumel

Ukraine-Krise Die großen Medien agieren in der Ukraine-Krise längst als Konfliktverstärker. Neutralität und Ausgewogenheit? Für Warmduscher. Blick auf eine abgeschottete Elite.

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http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/67/Euromaidan_Kyiv_1-12-13_by_Gnatoush_005.jpgLegitime Demonstration oder Blaupause für die Neuordnung der Welt? Demonstation auf dem Kiewer Maidan, Dezember 2013. Foto: Nessa Gnatoush. Quelle: Wikipedia / Wikimedia Commons. Lizenz: Creative Commons Attribution 2.0 Generic.

Auch wenn man es nicht möchte: An den vor Konfliktfreude triefenden Antirussland- Schlagzeilen der deutschen Leitmedien kommt niemand mehr vorbei. Mediale Blüten, 7. August 2014. Aufmacher in der Online-Ausgabe der Zeit: Ukraine – Besorgnis vor Einmarsch russischer Truppen wächst. Die Welt: Russischer Vize-Minister nach Kritik entlassen. Die Online-Ausgabe der FAZ warnt Russland vor den Folgen seiner Gegensanktionen. Headline: Vergeltung mit Bumerang. Hauptschlagzeile bei Spiegel Online: Handelskrieg mit Westen – Brasilien will Russland mit Geflügel aushelfen. Lediglich bei BILD muß die Ukraine hintanstehen. Grund: aktuelle Wetterturbulenzen – Dürren, Überschwemmungen, Tornados. Anders ARD und ZDF. Die Webseite der tageschau macht der bellizistischen Vorreiterrolle, welche die ARD-Nachrichtenformate innehaben, auch am 7. August alle Ehre. Mal wieder Foto: der Erzböse – wer sonst? Horrorstory zum Bild: Russlands Sanktionen gegen den Westen: Wem schadet Putin mehr? Auch bei heute.de stehen die Sanktionen im Mittelpunkt. Lediglich der Titel klingt ein wenig nüchterner: Einfuhrstopp für Fleisch und Milch aus EU und USA.

Die Konflikt-Einpeitscher

Hat Russland gerade eben die Millionenstadt Donezk bombardiert? Sich Sanktionen ausgedacht, um den Westen an die Kandarre zu nehmen? Ob man den Newsletter-Potpourri der führenden Leitmedien für gleichgeschaltene Meinungsmache hält oder für ausgewogen-sachliche, dem Ernst der Lage angemessene Berichterstattung, hängt sicher auch vom eigenen Standpunkt ab zu dieser Krise. Genau dies ist allerdings der springende Punkt: Unterschiedliche Meinungen gibt es im Land durchaus. Eine unterschiedliche Berichterstattung allerdings nicht. Im Gegenteil: Seit Beginn der Revolte auf dem Maidan wird Tag für Tag, Stunde für Stunde derselbe Einheitsbrei, dieselbe Sichtweise rausgehauen – als gälte es, jede andere Sicht der Dinge in Grund und Boden zu stampfen. Hallo, möchte man sagen: Leben wir noch in einer Demokratie? Findet irgendwo noch so etwas wie Pluralismus statt? Oder, falls das zu viel verlangt ist: mindestens eine professionelle Trennung von Meinung und Information? Fehlanzeige. Streiten kann man sich allenfalls darüber, ob die Türme des bundesdeutschen Qualitätsjournalismus am 2. Mai dieses Jahres einstürzten oder erst am 17. Juli. An dem Tag, als in Odessa ein Gewerkschaftshaus brannte und die freie Presse tunlichst wegschaute? Oder an dem Tag, als die MH17 über der Ukraine abstürzte und bereits vor dem Absturz jeder Zeitungspraktikant wußte, wer schuld daran ist?

Wie auch immer: Der Presse-GAU der deutschen Leitmedien ist seit Monaten evident. Seit dem Absturz der malayischen MH17 sind die Töne auf Vor-Kriegslevel angelangt. Auf dem nächsten könnten sich die Schlagzeilen möglicherweise so anhören: NATO-Einmarsch in Russland – Es ist vollbracht! Mehr und mehr Leserinnen und Leser haben zwischenzeitlich den Kanal voll. Schreiben wütende Kommentare. Kündigen Abos. Oder demonstrieren gar – Ende Mai vor dem Berliner ARD-Hauptstadtstudio, diese Woche in Berlin gegen die Springer- und in Hamburg gegen die Spiegel-Berichterstattung. Frage: Wie geht man mit alldem um? Protest, Abokündigungen, Müll einfach nicht glauben – all dies sind sicher sinnvolle Verhaltensweisen. Man kann vieles tun: Man kann schimpfen, polemisieren. Den Dialog suchen. Jammern. Man kann auch Bösewichter aufbauen. Verschwörungen suchen – zur Not bei den Bilderbergern. Dieser Beitrag ist, was seine Anliegen angeht, bescheidener. Er gibt nicht vor zu wissen, was genau bei ARD, Zeit oder bei anderen Flaggschiffen des Qualitätsjournalismus schief läuft – und noch dazu, warum. Stattdessen konzentriert er sich auf vier einigermaßen klar nachweisbare Punkte. Punkt eins: Wie, mit welchen Techniken wurde und wird manipuliert? Punkt zwei: Welche Differenzen, welche Eigenheiten sind bei den Großen im Geschäft feststellbar? Punkt drei: Welche Machtkonzentrationen, welche Netzwerke tragen diese Form der Berichterstattung? Und schließlich, Punkt vier: Welche Art von Berichterstattung wäre angemessener, demokratischer, einer freien, pluralistischen Presse würdiger?

Wie sie manipulieren

Die Tatsache der Manipulation lässt sich auf vergleichsweise einfache Art klären. Es genügt, die vorgesetzten Texte, Filme und Features kritisch auf ihre Message hin abzuklopfen. tageschau.de etwa offeriert in der Beispielstory die Meinung bereits vor den Fakten. Denn: Wieso ist es gesagt, dass Putin sich selbst schadet? Sind die Gegensanktionen nicht eine durchaus angemessene, vernünftige Reaktion? heute.de macht die Schaden-Aussage zwar recht konkret, unterschlägt allerdings die Spirale von Ursache und Wirkung. Denn, auch hier: Wer hat den nun anlaufenden Handelskrieg eigentlich vom Zaun gebrochen? Das Nachrichtenportal des Spiegel fokussiert zwar ebenfalls auf das Sanktionen-Thema – allerdings im spiegeltypischen Sozialdarwinismus Marke »Jeder ist seines Nächsten Feind«. Lehre so: Die Brasilianer unterlaufen also unsere Sanktionen. Das merken wir uns. Darüber hinaus lanciert der Artikel eine weitere Bedrohung – zumindest für den gebildeten Homo transatlanticus: Die eingeleiteten Sanktionen könnten nicht zu einem nachhaltigen Schaden für Russland führen wie offensichtlich erhofft. Sondern dazu, dass sich die bedrängten Länder außerhalb des NATO-Schirms wirtschaftlich stärker beispringen.

Was tun Zeit und Welt? Die Zeit setzt ziemlich plump auf die Russenangst-Karte. Und manipuliert dabei auf die plumpste aller möglichen Weisen. Denn: Wer genau hat Angst vor einem russischen Einmarsch? Die bombardierte, von der Außenwelt abgeschnürte Bevölkerung von Donezk? – Die dürfte die Russen eher hoffnungsvoll erwarten (und sei es nur deswegen, dass eine halbwegs gefahrlose Flucht aus dem umzingelten Kessel möglich wird). Bei der Welt schließlich ist die Nachrichtenauswahl ebenfalls nur oberflächlich neutral. Message hier: Da hat einer Putin widersprochen. Der Mann fliegt (klar, der soll mal froh sein, dass er nicht im Gulag landet). Russland = Diktatur.

Welche Manipulationstechniken werden bei der rundum bezaubernden Qualitätsmedien-Berichterstattung zum Einsatz gebracht? Etwas vergröbert sind es sechs: Kontrastsetzung, Wichtigsetzung, Relativieren, Verschweigen, Falschinformation und Stimmungsmache. Technik eins, die Kontrastsetzung, dürfte die sein, die am häufigsten zur Anwendung kommt. Hierbei wird ein für die westliche Sichtweise eher ungünstiger Sachverhalt nicht direkt unterschlagen – allerdings kontrastiert mit einer höherwertig angesetzten Hauptgeschichte. Aktuelles Beispiel: Berichte über die Lage der Zivilbevölkerung in den umkämpften Regionen in der Ostukraine. So verschweigt die ARD ihren Zuschauern nicht, dass es den Menschen in den Bürgerkriegsgebieten schlecht geht, dass Bombardements stattfinden wie aktuell in Donezk, und dass hunderttausende auf der Flucht sind. Da diese Meldungen allerdings die Empathie des Publikums in eine (aus Sicht der Medienmacher) unerwünschte Richtung lenken könnten, werden sie kontrastiert mit einem Haupt-Spin. In der Regel bildet dieser den aktuellen Stand der »Gesamterzählung«. Am 2. Mai, während der Katastrophe in Odessa, war es das Schicksal der zeitweilig arretierten OSZE-Kriegsbeobachter. Aktuell stehen (mindestens) zwei dieser politisch erwünschten »Haupterzählungen« zur Verfügung: a) die neuerlichen Truppenkonzentrationen an der russisch-ukrainischen Grenze, b) der Schauplatz der Sanktionen und Gegensanktionen.

Die Technik der unterschiedlichen Gewichtung ähnelt der Kontrastiertechnik zwar stark. Allerdings ist der anvisierte Effekt etwas anders. Während bei der Kontrastiertechnik unliebsame Ereignisse mit der Haupterzählung überspielt werden (nach dem Motto: »Jetzt aber wieder zurück zum Thema«), werden beim Gewichten Meldungen zwar gebracht – allerdings mit minderer Gewichtung, minderer Priorität. Motto: »Hiermit haben wir unserer Informationspflicht Genüge getan«. Ein Beispiel für diese Sorte News: eine dpa-Meldung vom 4. August über Ausschreitungen von Angehörigen des Rechten Sektors bei einem Konzert der ukrainischen Popdiva Ani Lorak. Peinlich für die Machthaber in der Ukraine ist diese Meldung nicht nur aufgrund der Tatsache, dass die Randale offensichtlich werden lässt, wie dünn die demokratische Firniss über den nationalistischen, teilweise auch offen rassistischen Leidenschaften ist. Desavouiert wird der demokratische Charakter der Maidan-Machthaber auch durch die Aussage von Innenministeriumssprecher Anton Geraschtschenko, die Schuld (!!) der attackierten Sängerin (Vorwurf war im konkreten Fall die Tatsache, dass sie Auftritte in Russland absolviert hatte) sei nicht so groß, dass man sie, Zitat, »hinrichten« müsse. Ähnliche Meldungen, die im Westen kurz aufflackern und anschließend gleich im Info-Nirvana versinken, betreffen etwa die Frauenproteste gegen die Zwangsrekrutierungen. Peinlich nicht nur, weil sie belegen, dass der Krieg von Porotschenko und seinen NATO-Unterstützern mit jedem Tag unpopulärer wird. Sondern auch deswegen, weil ein Schwerpunkt der Proteste die Westukraine war – eine Region, die bislang als Hochburg von Maidanisten, Swoboda und Rechtem Sektor galt.

Weitere tricky Tricks

Fazit: »Nachrangige« Meldungen und Backgroundinfos sind so verbreitet, dass selbst der durchschnittliche Medienkonsument die ein oder andere mitbekommt. Da das Thema jedoch nicht weiterverfolgt wird, ist absehbar, dass entsprechende Meldungen verpuffen. Die dritte Manipuliertechnik kommt ein stückweit offener daher. Meist handelt es sich um solche News, die sich a) schwer verschweigen lassen, b) bedeutungstechnisch derart von Gewicht sind, dass einfaches »in der Luft Verpuffen-Lassen« nicht genügt. Ein typisches Beispiel hier sind aktuelle Berichte von den Bombardierungen der Innenstadt von Donezk. Einerseits ist der Sachverhalt so gravierend, dass er sich kaum vertuschen lässt. Zweitens sprechen bereits die Bilder eine bewegte Sprache.

Ein probates Mittel, unliebsame (aber leider nicht zu umgehende) News abzuschwächen, ist die Technik der Relativierung. Hierbei wird die Information mittels irgendwelcher Zusätze in Zweifel gezogen. Beispiel: Man sieht – wie hier im ARD-Paradebeispiel – die zusammengebombte Innenstadt. Dass die Separatisten – oder die Bevölkerung – ihr eigenes Rückzugsrefugium weiträumig zerlegen, ist wenig wahrscheinlich. Ebenso, dass die ukrainische Seite Greueltaten von sich selbst in Szene setzt – so dumm ist man selbst in den Kiewer Führungsstäben nicht. Was macht die ARD? Durch die verbale Infragestellung der Information (O-Ton: »(…) nachdem die ukrainische Luftwaffe erstmals Ziele nahe des Zentrums der Millionenstadt angegriffen haben soll. Die ukrainische Armee bestreitet das allerdings.«) soll das mit den Augen Gesehene nach Möglichkeit abgewertet werden. Pointiert formuliert: Die Zuschauer sollen den Worten der ARD-Beitragssprecherin mehr glauben als dem, was sie gerade im Video sehen.

Lügen haben kurze Beine – was angesichts der gerade beschriebenen Technik besonders auf der Hand liegt. Die Technik des Verschweigens von Hintergrundinfos ist da etwas effektiver. Bekanntestes Beispiel hier: die Berichterstattung über das Massaker im Odessaer Gewerkschaftshaus am 2. Mai. Es war ja nicht so, dass ARD, ZDF, Zeit und so weiter komplett abtauchten. Die rudimentären Basic-Infos wurden, wenn auch in verstümmelter Form, durchaus gebracht. Lediglich im Hinblick auf die Verursacher, auf den genauen Werdegang der Konfrontation und so weiter wackelte man halt – vorgeblich nichtwissend – mit den Ohren. Allerdings ist der 2. Mai in Odessa nur ein besonders krasses Beispiel für diese Art der Leser- und Zuschauermanipulation. Zum Tragen kam die Technik der Informationsvorhaltung im Ukraine-Konflikt stets da, wo es vorrangig darum ging, auf unliebsame Fragen und Hintergründen nicht eingehen zu müssen. Typische Themenbereiche, die mittels dieser Technik abgehandelt wirden, waren der Background der Sowoboda-Partei, die fragwürdige Rolle des Rechten Sektors bei den Maidan-Ereignissen im Februar oder auch ganz allgemein der ultranationalistische, mit Rassismus, Spaltung und Gewalt aufgeladene Gesellschaftsalltag der neuen ukrainischen Demokratie. Beispiel: eine »Kunstausstellung« in Kiew, bei der gedungene Russländer(innen) zwecks Amüsement der Besucher(innen) in Käfigen ausgestellt wurden. (Infos über die Welt in ihrer ganzen Pracht gibt es schon: Hier dass Ganze als Film bei YouTube.)

Lügen mögen kurze Beine haben – als Notbehelf kommen sie auch in der aktuellen Propagandaberichterstattung nicht zu knapp zum Zug. Bekanntestes Beispiel: der Absturz der malayischen Airline MH17 – genauer: die Schwierigkeiten, aus diesem Vorfall die zur aktuellen Eskalationsstufe passenden »Smoking Guns« abzuleiten. Hauptspin hier ist bekanntlich die Behauptung, der Absturz der MH17 sei auf den Einsatz von Flugwabwehrraketen russischer Bauart zurückzuführen. Methode dieser Manipulationstechnik: Mutmaßungen und Propaganda werden – obwohl faktisch nicht unterfüttert – als Tatsachen hingestellt. Dabei werden selbst Widersprüchlichkeiten innerhalb der Propaganda selbst achselzuckend in Kauf genommen: Selbst dann nämlich, wenn man davon ausgeht, dass das russische Raketensystem die Absturzursache war, ist es immer noch ein himmelweiter Unterschied, ob Separatisten von ukrainischem Gebiet aus geschossen haben oder, wie in den ersten Tagen kolportiert wurde, russisches Militär von russischem Territorium aus. Bei der MH17-Geschichte ragt der Propagandaaspekt wie ein 8000er-Gipfel hervor. Da die Geschichte ein Herzstück der aktuellen Eskalation ist, werden die Schuldzuweisungen in Richtung Russland wiederholt und wiederholt und wiederholt und wiederholt und wiederholt. So lange, bis auch der letzte Skeptiker sie glaubt.

Last but not least sollte man die plumpste aller Manipulationstechniken nicht vernachlässigen. Vorteil: Sie benötigt keine Fakten, sondern lediglich das Ressentiment – genauer: die Bereitschaft, zu hassen, sich über andere zu erheben und selbst den dümmsten Mist zu glauben. Epizentrum dieser Sorte Anti-Russland-Propaganda ist die heute-show – ein auf Putin-Bashing geradezu versiertes ZDF-Format. Die Sendung versteht sich selbst als Satire miss, wäre mit dem Prädikat fliegenumschwirrte Jauchegrube für diskriminierungsbedürftige Dummbratzen allerdings treffender beschrieben. Wie man die ganz tumben Ressentiments beim Zuschauer hervorkitzelt, zeigt dieser kleine Ausschnitt zur Winterolympiade in Sotschi. Inhalt des Kalauers: eine russische Kapelle, die sich an Swing versucht und dabei – zumindest aus der Sicht des aufgeklärten, kultivierten Mitteleuropäers – nicht wirklich eine gute Figur macht. Kann man darüber lachen, falls man es nötig hat – sicher. Allerdings: In der Anmoderation verknüpft Moderator Welke den Kapellenauftritt mit den zeitgleich verabschiedeten neuen Gesetzen für Homosexuelle. Zusammenhang: Haben die Mitglieder der durch den Kakao gezogenen Polizeikapelle etwas gegen Schwule? Sind sie schwul (oder möchte der Kalauer selbiges andeuten)? Was im Kopf des Zuschauers hängen bleiben soll, sind offensichtlich Russen, die sich täppisch benehmen, unkultiviert sind und denen (darum) alles mögliche zuzutrauen ist.

Nuancen: Wer manipuliert wie?

ARD, ZDF, Spiegel, Zeit, Süddeutsche Zeitung, FAZ, Welt, BILD und taz: Die großen Neun der bundesdeutschen Leitmedien sind – mit Ausnahme der taz – zwar gleichermaßen auf Anti-Russland-Konfliktkurs gebürstet. Allerdings gibt es Nuancen im Detail, teils sogar deutliche Unterschiede. Interessant hier zu wissen: Wer geht wie weit?

Öffentlich-Rechtliche. Der nicht zu toppende Spitzenplatz in Sachen Russland-Bashing gebührt zweifelsohne der ARD – konkret: den beiden Nachrichtenformaten Tagesschau und Tagesthemen. Selbst laufende Kriegsberichterstattungsmeldungen wie etwa die Bombardierung ostukrainischer Städte durchlaufen, wie weiter oben bereits dargestellt, das Sieb der zweckinkrementellen Nützlichkeitserwägung. Für bedingungslose NATO-Linientreue berüchtigt ist vor allem Tagesthemen-Moderator Thomas Roth (hier nochmal beim Abwürgen von Atais Odessa-Bericht für die tagesthemen am 2. Mai) sowie Vor-Ort-Korrespondentin Golineh Atai (Spitzname: »MissInformation«) Wie stark der Sender mittlerweile im »Kriegspropaganda-pur«-Modus läuft, zeigt die Tatsache, dass selbst die von den anderen Qualitätsmedien übernommene dpa-Meldung über die Randale beim Auftritt der Sängerin Ani Lorak (siehe oben) von Tageschau & Co. vielsagend beschwiegen wurde. Die Linie der unterschiedlichen ZDF-Nachrichtenformate folgt grosso modo zwar derselben antirussländischen Linie wie die bei der ARD. Allerdings ist die Nachrichtenpräsentation beim ZDF infotainmenthaltiger und von daher leichter, verträglicher. Fazit so: Die Hardcore-Fraktion der antirussischen Kriegsjunkies kann sich ihren Info-Mix beruhigt weiter bei der ARD abholen. Weltpolitische Warmduscher hingegen sind beim ZDF deutlich besser aufgehoben.

Spiegel, Zeit, Süddeutsche Zeitung, FAZ und Welt. Die Big Five gelten nicht nur als das mit Reputableste deutschen Medienwald. Auch in Sachen antirussische Agitation bilden sie mehr oder weniger eine geschlossene Front. Ob man lieber Spiegel liest oder lieber die Welt, ist in der Beziehung letztlich Geschmackssache. Was die strategische Gesamtausrichtung angeht, kann man die Zeit als die Führungsfregatte im aktuellen Konflikt bezeichnen. Süddeutsche, FAZ und Welt mögen da noch die ein oder andere Nuance beisteuern, die Richtung ändert sich jedoch wenig. Dies trifft letztlich auch auf den Spiegel zu, der sich Mitte Juli mit einer polarisierenden Anti-Putin-Titelgeschichte aus dem Fenster gehängt hat und deswegen herbe Leserkritik einstecken mußte. Bei Spiegel Online ist das Informationsangebot etwas weitgefächerter – was möglicherweise damit zusammenhängt, dass die Online-Ausgabe derzeit das einzige ist, dass den Ruf »Spiegel-informiert, immer informiert« noch einigermaßen unterfüttern kann. Gemeinsames Merkmal der aufgeführten Qualitätsmedien ist, dass sie ein in Jahrzehnten aufgebautes Renommée ins Feld führen. Andererseits wurde der mit Seriösität verknüpfte Anspruch im Zug der Ukraine-Krise mehr und mehr fallen gelassen zugunsten einer immer unverhüllter zutage tretenden Propagandafunktion. Fazit: Wer vorgefertige Berichterstattung mit klarem Anti-Russland-Feindbild möchte, liegt bei den aufgeführten fünf nicht verkehrt.

BILD und taz scheint (bis auf die enge Nacharschaft in der Berliner Mitte) wenig miteinander zu verbinden. In Sachen Ukraine-Berichterstattung sind sie sich allerdings ähnlicher, als man in den jeweiligen Redaktionen glaubt. Unterschiedlich gehandhabt werden vor allem die Stilfragen. BILD etwa powert seine antirussische Schlagzeilen und Sterotypen im Dauermodus unters Volk. Ob die Schlagzeilen sachlich-faktisch stimmen, ist wie immer nicht so wichtig. Hauptsache, die Linie stimmt und die Message kommt im Volk an. Beispiel: Manipulationen, die der russische Geheimdienst angeblich in der deutschsprachigen Wikipedia vornahm – in Wirklichkeit eine Sommerloch-Ente, hinter der sich faktisch nicht mehr verbarg als ein halbes Dutzend sachlich bedeutungsloser Edits sowie eine getwitterte IP-Adresse. Die taz ist bekanntlich mehr für den intellektuellen Teil des Lesepublikums zuständig. Als Zeitung mit grünlinker Tradition offeriert sie in Sachen Ukraine zwar immer wieder Hintergrundberichte, deren Inhalte das allseits vorgeschnitzte Schwarz-Weiß-Schema konterkarrieren – jedenfalls galt das grob bis in den April/Mai. Andererseits wartet sie regelmäßig mit stramm bellizistischen Ausreißern auf – Ausreißer der Sorte, die die Mainstreammedien teils rechts überholen und im Endeffekt darauf hinauslaufen, den militärischen Konflikt notfalls eigentätig anzuzetteln. Fazit so: Beide. Bitte. Lieber. Nicht.

Last but not least wären an der Stelle noch die Lokalzeitungen aus der zweiten und dritten Reihe zu erwähnen. Why? Einerseits sind sie oft ziemlich bürgerlich, konservativ und kulturell dröge. Andererseits finden die Nöte sanktionsbedrohter Mittelständler hier mehr Widerhall als bei den notorisch auf Dax-Konzerne hin orientierten Genregrößen. Vereinfacht gesprochen: Regionalzeitungen und entsprechende Online-Portale sind nicht so stark von der transatlantischen Wir-machen-mit-egal-was-dabei-rumkommt-Mission durchdrungen wie etwa Zeit, Spiegel & Co. Darüber hinaus darf man zwischenzeitlich eine ganz spezielle Form der Reserviertheit gegenüber der »großen Politik« voraussetzen. Anders gesagt: Die Lokalen sind gerade ziemlich angepisst. Ob Loveparade als Freibrief für das kommunale große Desaster oder aber eine Polizistin, deren Todesumstände staatlicherseits unter den Teppich gekehrt werden – lokal ist man mittlerweile in vielerlei Beziehung hellhörig. Tipp daher: Den (investigativen) Kleinen etwas Gutes tun und, falls es passt, ruhig Abo wechseln ;-).

Konstellationen: Clubs, Geld, Macht

In welcher Konstellation tun sie das, was sie tun? Sieben der neun aufgeführten Leitmedien sind privatwirtschaftlich verfasst. Den fünf großen Medienkonglomeraten in Deutschland – Springer, Bertelsmann, Holtzbrinck, Burda und Bauer – sind drei zugehörig: Welt und BILD (Springer) sowie die mehrheitlich zur Holtzbrinck-Gruppe gehörende Zeit.Süddeutsche, FAZ, Spiegel sowie die genossenschaftlich verfasste tageszeitung sind nicht an ein großes Medienkonklomerat angebunden und von daher etwas eigenständiger. ARD und ZDF wiederum bilden aufgrund ihrer öffentlich-rechtlichen Verfasstheit Gegengewichte. Dafür bilden sie eine engere Symbiose mit dem – in Deutschland eh sehr prominent platzierten – Parteiensystem. Wie konfliktbehaftet diese spezielle Konstellation sein kann, stellte unter anderem der Streit um den ehemaligen ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender unter Beweis.

Wer bezahlt, sagt, wo es längs geht. Grosso modo mag diese Regel zwar stimmen. Bei der praktischen Umsetzung ist allerdings Vernetzung der entscheidende Platzvorteil. Weil die Ukraine-Berichterstattung bereits seit dem Winter deutliche Schlagseiten aufwies, richteten sich die Blicke von Medienkritikern verstärkt auf Netzwerke, auf Lobby-Organisationen und entsprechend ausgerichtete Stiftungen. Im Ukraine-Konflikt sicherten sich transatlantisch orientierte Netzwerke früh eine zentrale Position – beispielsweise die von dem Multimilliardär George Soros gesponsorte Internationale Renaissance Foundation. Ein weiteres Netzwerk ist das Ukrainian Crisis Media Center, welches ebenfalls von George Soros gesponsort wird und das sich dem Kampf gegen echte oder auch vermeintliche russische Propaganda verschrieben hat. Seit die Situation im Land in Bewegung ist, geben sich die unterschiedlichen Stiftungen, Think Tanks und Netzwerke geradezu die Klinken in die Hand. Einen besonderen Prominentheitsstatus erlangte dabei die Konrad-Adenauer-Stiftung. Grund: ihre Unterstützung für den Ex-Profiboxer Vitali Klitschko. Ebenfalls aufzuführen ist an der Stelle die Heinrich-Böll-Stiftung der Grünen. Alleinstellungsmerkmal hier: das antirussische In-Position-Bringen des intellektuell-kulturellen Mittelbaus.

Der Einfluss der aufgeführten Stiftungen auf die Ukraine-Berichterstattung in Deutschland lässt sich recht gut nachvollziehen. Beim ZDF etwa geriet die distanzlose Versendung von Agitpropmaterial »made in UCMC« bereits zum Skandal. Bedeutungstechnisch zählen die beschriebenen Netzwerke allerdings eher zum Mittelbau – quasi zum Architekturbüro, in dem beschlossene Politik feingetunt, in konkrete Berichterstattungspraxis umgesetzt wird. Wo genau jedoch tauschen sich die Entscheidungsträger aus – diejenigen, welche die großen Entwürfe gestalten, die Leitlinien der Politik? Geht es um die transatlantische Ausrichtung der Ukraine-Berichterstattung, wird vor allem ein Zusammenschluss immer wieder als mögliche Erklärung aufgeführt: die Atlantik-Brücke. Die Mitgliederliste der Atlantikbrücke – auszugsweise dokumentiert in Wikipedia – liest sich wie ein Who’s Who der deutschen Politik- und Medienlandschaft. Die Crême der Politik – Angela Merkel, Sigmar Gabriel, Joachim Gauck, Helmut Schmidt, Katrin Göring-Eckardt, Claudia Roth, Patrick Döring und zahlreiche weitere – ist ebenso mit dabei wie Wirtschaftsleute, Bankenvertreter, sowie die obligatorischen Experten aus dem Beratungsmetier.

Wie sieht’s bei den Medien aus? Die ARD etwa ist präsent mit Ex-Tagesthemen-Moderatur Ingo Zamperoni sowie der aktuellen Leiterin des Washingtoner Hauptstadtstudios, Tina Hassel. Das ZDF kann mit dem Grünen Cem Özdemir aufwarten in seiner Funktion als stellvertretender Vorsitzender des ZDF-Fernsehrats. Hinzu kommen Nachrichtenchef Klaus Kleber sowie Ressortleiter und Moderator Theo Knoll. Weitere Promis aus den Leitmedien-Chefetagen: Kai Diekmann (BILD), Tim Arnold (ProSiebenSat.1 Media), Christiane Hoffmann (Spiegel, FAZ), Stefan Kornelius (Süddeutsche), Matthias Döpfner (Axel Springer AG), Josef Joffe (Zeit), Katja Kloger (stern), Michael Kolz (Phoenix) sowie der unabkömmliche John Kornblum. Journalist ist Kornblum zwar nicht. In den einschlägigen Talks zur Ukraine-Krise war er allerdings schon so oft Gast, dass er – da wollen wir an der Stelle ebenfalls nicht kleinlich sein – irgendwie mit zum Inventar gehört.

Wüßte man nicht um die exklusive Funktion dieser Topp-Lobbyvereinigung, könnte man sie für einen erweiterten Berliner Presseclub halten – oder die Teilnehmerliste einer After-Show-Party nach dem Talk bei Jauch oder Will. Eine weitere Besonderheit dieses exklusiven Clubs: Die Mitgliedschaft ist nur durch Kooptation möglich – also via Berufung durch den Vorstand. Auch über die Atlantik-Brücke hinaus sind deren Mitglieder hervorrragend vernetzt. Aktiv sind sie unter anderem in folgenden Vereinen und Initiativen: dem American Council on Germany, der American Academy Berlin, der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, dem European Council on Foreign Relations und – omen es nomen – der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.

Wie hat man sich diese Elite vorzustellen? Vielleicht dergestalt, dass immer noch ein Hauch von Nachkriegsaura weht durch die heiligen Hallen in Berlin-Mitte? Die Zeiten, als Hochkommissar McCoy, ziemlich cool, neue Platten durchreichte, etwa von Anita O'Day? Als alles noch auf Aufbruch stand? Oder eher mit Klassik, Beethoven, dicken Teppichen und einem Abstrakten an der Wand? »Club inclusive« mit Butler, der einem, während man im Ledersofa den Max herauskehrt, die Zigarre ansteckt – so wie in der Serie Mad Men? Wo man sich fühlt wie der gütige König und mit dem gemeinen Volk, dem dummen Leser nichts mehr zu tun hat? Wie auch immer: Die deutsche Politik-, Wirtschafts- und Medienszene wird an der Spitze von einem exklusiven Club bestimmt, einem hermetisch abgeschotteten Haufen. Welche Auswirkungen das hat im Hinblick auf Pluralismus, auf gegenseitige Kontrolle und – in einer Demokratie ebenfalls nicht ganz unwichtig – die Frage grundsätzlich eigentlich unerwünschter Pressekartelle, mag jeder für sich stellen und beantworten. Vielfalt jedenfalls – das sieht irgendwie anders aus.

Eine bessere Berichterstattung?

Die Frage, warum in der Ukraine-Frage nur der Weg der Lemminge offenzustehen scheint, ist mit diesen Punkten allein immer noch nicht beantwortet. Anders gesagt: Selbst aus der Blickwarte eines überzeugten Transatlantikers ist es nur schwer nachzuvollziehen, warum man zwecks Vollzug der westlichen Werte einen Weg einschlägt, der mit etwas Pech in einen globalen Krieg einmünden kann. Von der anderen Seite her aufgezäunt: Auch dann, wenn man die neoliberale Gesamtpolitik beziehungsweise die westliche Wertegemeinschaft und deren Führungsmacht USA nicht in Frage stellt, hätten sich in der aktuellen Krise mehr als genug Anlässe geboten, der selbst reklamierten Rolle als Vierte Gewalt nachzukommen und eine sachlich-ausgewogene Berichterstattung abzuliefern. Das allerbeste Argument hierfür: die Tatsache, dass selbst die deutsche Politik bei weitem nicht so hardlinerisch und blutrünstig agiert wie die Medien.

Woran genau hapert es? Wieso der Zug der Lemminge? Der nicht nur die Glaubwürdigkeitslücke in der deutschen Gesellschaft immer weiter aufreißt, sondern letztlich auch das Renommée und die »Marke« der betroffenen Medien dauerhaft beschädigt? Alternativen hätte es durchaus gegeben. Die wichtigsten wurden bereits im Frühjahr formuliert – unter anderem von der renommierten Ex-ARD-Russlandkorrespondentin Gabriele Krone-Schmalz. Posthum lesen sie sich wie das A und O des seriösen Journalismus. Kurzform: Interessen und Standpunkte klar benennen, auf Feindbildaufbau und diffamierende Begrifflichkeiten verzichten, über unterschiedliche Sichtweisen informieren, Hintergrundinfos bringen. Und, Regel eins, Journalisten-Grundschule: Meinung und Fakten klar erkennbar auseinanderhalten.

Wie zur Zeit evident, haben sich die großen Medien für einen anderen Weg entschieden: den der Propaganda, den der Verflachung, den der Schuldzuweisung und der größtmöglichen Konfliktzuspitzung. In der Ukraine, dem Sujet der Berichterstattung, fliegt diese einseitige Sichtweise ihren Machern jeden Tag mehr um die Ohren. Zuvor – ein Land, dass zwar von einer Kleptokratie regiert wurde, jedoch schlecht und recht vor sich hin funktionierte. Nun: Bürgerkrieg, Hass, Faschisten auf der Straße, nationalistische Leidenschaften voll entfacht. Und: ein Land, das jeden Tag mehr zu einem neuen Vietnam wird. Diesen Haß, diesen Krieg – mit allem, was da noch kommen mag – mit angezettelt zu haben, ist das wohl größte »Verdienst«, das den deutschen Qualitätsmedien in diesem Jahr zukommt.

Was soll man sagen, ihnen mit auf den Weg geben? Aller Voraussicht nach werden sie ihren Riemen unbeirrt weiter durchziehen. Auflagenschwund? Glaubwürdigkeitsproblem? Egal. Offensichtlich stehen höhere Werte auf dem Spiel – Werte, die normale Menschen einfach nicht begreifen können. Letztlich kann man so nur eines hoffen: dass die anvisierte Erschließung der zentralasiatischen Rohstoff- und Energievorkommen durch US-amerikanische Prospektoren all diese Opfer an Menschen wert ist.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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