Mashup 2.1: Die Hüter der Tradition

Popmusik Folkmusik gilt als besonders traditionsverhaftetes Genre. Die erste Folge von »Mashup«, Staffel 2, bohrt dicke Bretter und fragt nach dem Gestern sowie dem Morgen

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Urvater des kritischen US-amerikanischen Folksongs: Woody Guthrie
Urvater des kritischen US-amerikanischen Folksongs: Woody Guthrie

Wikimedia: Woody Guthrie von Al Aumuller, photographer. NYWT&S staff photograph. (Public domain)

Zumindest für Weißbrötchen wie unsereins gibt es kaum ein Populärmusikgenre, dessen Wurzeln so weit zurückreichen wie die der Folkmusik. Beginnen wir direkt mit dem konkreten Exempel: dem lagerfeuererprobten Bürgerkriegs-Traditional Ye Jacobites By Name. Entstanden ist es vermutlich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Popularisiert – respektive mit der bis heute gängigen Textversion versehen – hat es der schottische Nationaldichter Robert Burns. Ein Revolutionär war Burns keineswegs; politisch stand er eher den liberalen Whigs nahe. Mit Revolution hat der Song allerdings nur im weitesten Sinn zu tun; im Gegenteil. Thematisch bezieht er sich zwar auf die Schlachterei, die während der sogenannten Jakobitenkriege in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts stattfand: ein Vendée-ähnlicher Aufstand, im dem schlecht bewaffnete Highlander-Bauernhaufen gegen die gut ausgerüsteten Truppen der Lowlands-Bourgoisie sowie der verbündeten Briten anrannten. Frieden, Mäßigung? Zumindest im Lied ist derlei allenfalls mit der Lupe zu finden.

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Sowas kommt von sowas, könnte man sagen: Als Liberaler war Burns schon via Stellung nicht gerade der Optimale, um speziell diesen Krieg in Zweifel zu ziehen. Im Gegenteil: Der Text liefert subkontextual zwar auch die Einsicht, dass Krieg schlimm ist und die Zeiten eben manchmal hart, in der Hauptsache jedoch zeitgebundene Jakobitenschmähung. Nichtsdestotrotz ist das Lied keinesfalls untergegangen; im Gegenteil. Wenn man die Allegorien ganz weit betreiben möchte, kann man sogar Parallelen konstruieren zur aktuellen »Querdenker«-Bewegung, die – neben allem anderen – ja durchaus auch eine romantische respektive maschinenstürmerische Komponente hat. In anderen historischen Gemetzeln positionierte sich das dazugehörige Liedgut mitunter etwas pazifistischer. Ein bekanntes Antikriegsstück aus der Irish-Folk-Ecke ist Johnny I Hardly Knew Ye. Die Melodie basiert auf einem der bekanntesten US-Bürgerkriegssongs: When Johnny Comes Marching Home – ein Lied, das zumindest im Hinblick auf das Kriegsende Friedensliebe signalisiert. Ambivalenz sells – auch beim Liedgut. Ob mit ordentlich Folkpunk-Wumms wie bei den Dropkick Murphys oder im traditionellen Duktus wie bei Pete Seeger: zur gitarrenbeschwingten Lagerfeuerrunde gehört das Stück ebenso dazu wie etwa Avancierteres aus der Mundorgel-Sammlung der Pfadfinder-Bewegung: zum Beispiel der deutsche Klampfen-Oldie Es soll sich der Mensch nicht mit der Liebe abgeben.

Auch dieser Song, in den Siebzigern vertont unter anderem durch das linkskritische Deutschfolk-Duo Fiedel Michel, hat was. Sagen will er uns, dass Sehnsucht, Begehren und (manchmal) auch Erfüllung stets mit abhängig sind von den Zeiten, der sozialen Stellung und daraus folgend der Anzahl der Silberlinge im Portemonnaie. Natürlich war Folk in den Siebzigern (und danach) eher das exakte Gegenteil von dem, was uns – nicht ganz ernsthaft gemeint – die Sinnaussage dieses alten Lieds nahelegen will. Ob Ingelheimer Folk Festival oder das etwas gemächlichere Pendant in Mainz: Die Liebe in all ihren Formen – dazu jede Menge Rotwein sowie bewußtsseinserweiternde Substanzen – war ein nicht unwesentliches Bindeglied, dass besagte Veranstaltungen im Kern zusammenhielt. Besonders abgefahren, crazy: ein Folkfestival mitten in den südfranzösischen Cevennen, von dem der Autor dieser Zeilen allerdings wenig noch berichten kann – außer, dass es irgendwie mega-geil war.

Sparen wir uns an der Stelle den pophistorischen Genre-Nachhilfeunterricht. Fakt ist, dass die orale Liedgut-Überlieferung in kaum einem Popmusik-Segment eine derart große Rolle spielt als beim Folk sowie seinem weiteren Anverwandten, der Country Music. Egal, ob Arbeiter-, Friedens- oder Antiglobalisierungsanliegen: Kaum ein Popmusik-Segment steht den linkspolitischen Bewegungen ihrer Zeit so nahe wie die Folk Music. Etwas euphemisch formuliert sind es gerade Folkstücke die Art Lieder, die eine Art historisches Gedächtnis ausformulieren – auch wenn das Bonmot »Wer mit Zwanzig nicht links war, hat kein Herz, wer es mit vierzig noch ist, keinen Verstand« auf das Gros der Folkies ebenso zutrifft wie auf die Anhänger(innen) offensichtlicher auf Dissens und Rebellion gebürsteter Musik-Sparten. Etwas pathetisch formuliert: Die Folksong-Interpreten und Interpretinnen sowie ihre Fans halten die Fahne hoch – die der Erinnerung ebenso wie die der optionalen, (hoffentlich) besseren Zukunft. Ein Zustand, der letztlich auch die Nachteile bedeutungslos macht: die provisorischen Einquartierungen bei Freunden, Bekannten oder in abgeranzten Hotels, die nach Wochen on the Road müffelnden Socken und Isomatten, die vielen Tassen mit kaltem Ingwer-Tee, Publikum, das während der Gigs weiterquatscht, WG-Küchengespräche mit Fremden bis drei Uhr nachts und schließlich die hinter der Zeit gebliebenen Clubs und Kneipen, die lediglich noch durch den Idealismus ihrer Betreiber(innen) irgendwie über die Runden gerettet werden.

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Manchmal steht auch größerem Publikum der Sinn nach mehr Sinn. So ist es kein Zufall, dass Bruce Springsteens Reminiszenz-Album mit Songs des mittlerweile verstorbenen Politsong-Barden Pete Seeger als eines der wichtigsten Populärmusik-Alben der Nuller-Jahre gilt. Nicht nur, weil Tradition in immer schnelllebigeren Zeiten zwangsläufig einen wichtigeren Stellenwert einnimmt. Sondern einfach deswegen, weil Springsteen Stücke zusammenführte, die bis heute grundlegend sind für das fortschrittliche Selbstverständnis der links von der Mitte stehenden US-Bürger(innen). Ein weiteres Beispiel – ebenfalls eines aus Springsteens Standard-Repertoire: die Depressionsballade The Ghost of Tom Joad. Die John Steinbecks Roman Früchte des Zorns entlehnten Höllenhunde, die besagten Tom Joad auf die Spur des Elends treiben, sind auch heute durchaus noch aktuell. Weswegen er auch bestens zum generationellen Crossover taugt – hier als Unplugged-Coeinspielung von Rockmusik-Bolide Elvis Costello und einer Band, die vor der letzten Jahrzehntwende neu angetreten ist: Mumford & Sons.

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Lassen wir die alten Zeiten hinter uns. Denn auch das neue Jahrhundert mit seinen neuen Vertriebsplattformen, dem Tod von Vinyl und CD sowie seinen neuen Social-Media-Techniken bietet Bemerkenswertes. Anders als noch vor zwanzig – ja: vor zehn – Jahren, als Techno, Electronic, Retorten-RnB sowie Hip Hop die Musikszenerie bestimmten, werden die folkig-handgemachten Nischen im Internet immer größer. An allererster Stelle wäre hier auf den Umstand hinzuweisen, dass es Musiker(innen) heute beschissener geht denn je. Die neuen Distributionsformen – iTunes & Spotify sei es gedankt – sind so gestrickt, dass Interpreten und Bands nur noch mit Live-Auftritten solides Geld verdienen können. Unter der Hand bietet natürlich auch die neue Marktsituation Chancen. Ohne folkunterfüttertes Lebensgefühl – also etwas Durchlüftung aus dem Reich der Wirklichkeit – kommen selbst die Paradepferde der neuen Medienunterhaltung nicht aus. Beispiel: der Song Far From Any Road aus der TV-Serie True Detective – eingespielt von dem sonst eher der Homemusik und der Kleinbühnen-Auftritte verpflichteten Musiker(innen)-Pärchen Handsome Family. Dem durch die Songübernahme nicht nur Bekanntheit und Ehre ins Haus stand, sondern (aller Wahrscheinlichkeit nach) auch ein warmer finanzieller Regen.

Die Zeiten haben sich aber noch anderweitig geändert. Der Kampf um Aufmerksamkeit und Marktpartizipation zwingt speziell Nachwuchs-Acts zu Performances, die aus dem Mittel des Durchschnittlichen hervorstechen. Umso mehr ist dies der Fall, wenn bereits die adressierte Klientschaft – also die Fans – eher Nischenpublikum und Spezialgenre-Liebhaber sind als Mainstream. Einen ungewöhnlichen Weg wählten 2012 drei Bands aus den Reihen der zwischenzeitlich durchaus breit gestreuten Neotraditionalisten-Szene: besagte Mumford & Sons, dazu Edward Sharpe & The Magnetic Zeros sowie Old Crow Medicine Show. Ein bißchen als Reminiszenz an Bob Dylans Rolling Thunder Revue in den Siebzigern heuerten die drei Bands einen Zug und absolvierten unter dem Aufmacher Big Easy Express eine Auftrittsserie von der US-Westküste bis New Orleans. Ausbeute: unter anderem ein Tour-Film, der die hier gezeigte Live-Darbietung des Rosetta-Tharpe-Oldies This Train nochmals in Anteaser-Form mit enthält.

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Anderthalb Dutzend entfesselte Folkies auf der Bühne, dazu ambitioniertes Filmmaterial – dieses Level lässt sich sicher nur in Ausnahmefällen herstellen. Ein weiteres Merkmal der neuen ökonomischen Situation ist, dass sie Low-Fi-Techniken bereits per se nahelegt. Entsprechend haben die überdimensionierten Anlagen aus der Led-Zeppelin-Ära ebenso ausgedient wie die teuer-überambitionierten Musikclip-Produktionen aus der MTV- und Viva-Epoche. Die Tatsache, dass dies – Metal mag da eine Ausnahme bilden – speziell für Nachwuchsacts kaum noch zu stemmen ist, kommt insbesondere den handgemachten Populärmusik-Spielarten stark entgegen. Der Kapitalismus schafft – frei nach Marx – hier zwar noch nicht gerade seine eigenen Totengräber. Nichtsdestotrotz ist es bemerkenswert, dass gerade in den Genres Folk, Country, Straßenmusik, Chanson, World (und auch Hip Hop) immer mehr Clips gelingen, denen man ansieht, dass die Künstler(innen) aus der Not kreative Tugend gemacht haben. So auch Pokey La Farge – in weiterer Neotraditionalist, der seine Performances stets im originalgetreuen Look der Depressionsära einspielt: hier mit dem Stück Central Time.

Zugegeben: In weiten Bereichen kommt das Folk- und Straßenmusik-Revival eher in Form Craft-Beer-getränkter Retro-Begeisterung daher denn als politisch eingefärbtes Programm. Insofern sind die neuen Folkies vielleicht symptomatisch für die »Generation Millenial«, die gerade dabei zugange ist, ihren Platz in dieser stark unvollkommenen Welt zu finden. Flash Mobs für Videoclip-Einspielungen, Low-Tech-Equipment à la iPod, Handkameras sowie Rückgriffe auf das Konzept der Small Combos aus Zwischen- und Nachkriegszeit passen zur aktuell klugen Gesamtausstattung vielleicht besser als das schwere Rockband-Equipment früherer Tage. Zumindest der Musik schadet die mit dem Ganzen verbundene Experimentierfreude keineswegs.

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Eine Showbühne, auf der neue Trends sich präsentieren, sind nach wie vor die kleinen Festivals. Auch Festivitäten wie das texanische Old Settler’s ermöglichen Zusammenkünfte, Promotion, das Ausnutzen von Synergie-Effekten – hier der Countryrock-Nachwuchsatrice Nikki Lane und dem Old 97’s-Sänger Rhett Miller. Ob Good with God in der Unplugged-Version oben besser rüberkommt oder aber mit surfgetriebenen E-Gitarren im Old-97's-Original, ist Ansichtssache. Offensichtlich bereitet Miller und Lane das Live-Duett vor der Videokamera Freude – und Authenzität ist in dem Business allemal wichtiger als aller Glimmer. Womit wir wieder beim Songgehalt angelangt wären. Good with God ist zwar ein typisch amerikanischer Song – in Good Old Europe so vermutlich nicht möglich. Im Grunde verhandelt er ein Alltagsthema – die Frage, ob das eigene Leben gemäß den eigenen ethischen Ansprüchen gelebt wird oder eben gemäß gesellschaftlich vorgegebener Konventionen.

So wäre es abschließend Zeit, ein Mißverständnis zu klären: dass, dass wo »Folk« draufsteht, nichts als Klampfe, Harp und Stimme vorzukommen hat. Das gilt auch stilistisch. Wie bereits angedeutet fassen Musiker(innen) heute den Bereich der musikalischen Traditionen äußerst weit. Vintage und Retro – wie etwa bei zwischenzeitlich im Erwachsenenalter angelangten Teenager-Combo Kitty, Daisy & Louis – sind ebenso möglich wie Rückgriffe auf Jazz, auf Chanson, auf Blues oder auf sonstige Roots. Zur Spektrum Folk-inspirierter Interpret(inn)en und Bands gehören Neotraditionalistinnen wie die Kanadierin Eliza Mary Doyle ebenso wie Weltmusik-inspirierte Experimentalisten à la Manu Chao oder die elektrisch verstärkte Indierock-Band Calexico. Die Musik ist so vielfältig, wie sie ist. Eine Haltung – neben der Vorliebe zum Handgemachten – haben allerdings alle:

Gute Sachen, darunter auch alte Songs, lässt man nicht verkommen.

»Mashup« geht in die zweite Staffel. Mashups (siehe Wikipedia) sind Samplings, bei denen zwei oder mehr Musikstücke zu einem zusammengesamplet werden. Die Beitragreihe »mashupt« Themen, Künstler(innen) und Stile der Pop- und Rockmusik.

Staffel 1: (1) Hardrock versus Country | (2) Stones versus Dylan | (3) Feuerzeugballaden | (4) Funk versus Soul | (5) Wader versus Scherben | (6) Clash versus Cure | (7) Der »Club 27« | (8) Reggae-Time | (9) Venus, Glam & heiße Liebe | (10) Raves & Bytes

Die nächste Folge erscheint am 21. Dezember. Thema: Garage Rock, Proto-Punk, Lou Reed und Patti Smith.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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