Mashup 3.1: Neue Deutsche Wellen

Popmusik Nena, BAP – oder lieber Slime? Wie auch immer: In den Achtzigern lernte die deutsche Rockmusik, deutsch zu sein und gleichzeitig zeitgemäß. Ein Bericht über Geburtswehen – die, nach vielen Krämpfen, schlussendlich von Erfolg gekrönt waren

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Besucher eines Punk-Konzerts Anfang der 1980er Jahre.
Besucher eines Punk-Konzerts Anfang der 1980er Jahre.

Foto: Chris Moorhouse/Evening Standard/Getty Images

Eines muß man ihnen lassen: An popmusikalisch Irritierendem haben die Achtziger fürwahr nicht gespart. Bereits auf internationaler Ebene wartete das Jahrzehnt mit geradezu krassen Brüchen auf. Auf dröge-verkiffte Hippie-Mucke folgte erst einmal das hoch ungleiche Duo Punk und Disco. Als ob das alles nicht genug wäre, schwenkte zur Jahrzehnt-Mitte hin die ganze Konstellation um auf leichtlebigen Synthie-Pop, eingängigen Gitarrenrock und mit Dolce Vita kokettierenden Düster-Wave. In der damaligen Bundesrepublik indess spielten gleich alle verrückt. Zeitversetzt kamen Punk und New Wave zwar auch hier wohlbehalten an. Der Umgang mit den neuen Styles war allerdings derart aberwitzig, dass der Ausverkauf dem musikalischen Frühling fast auf dem Fuß folgte.

Die neue Welle mit dem »deutsch« im Namen war kommerziell zwar immens erfolgreich. Mit dem Erfolg einher ging allerdings eine musikalische Verflachung, der selbst in der – ästhetisch schon aus Tradition ziemlich schmerzbefreiten – deutschen Musikindustrie ihresgleichen sucht. Ungenügend verdaut geblieben ist die Ära auch im pophistorischen Rückblick: Einerseits wird der Ausstoß meist kurzlebiger Produkte unter dem Markenzeichen »Neue Deutsche Welle« als Dolchstoß in den Rücken ebendieser Welle angeprangert. Andererseits loben dieselben Kritiker, Journalisten, Fernsehmacher, Produzenten und Sonstwie-Mitmischer die NDW als Schlüsselereignis, sozusagen als 18. Geburtstag der deutschen Rockmusik in den Himmel. Fazit: Irgendwie klingt das Kapitel zur deutschen Rockmusik »made in Eighties« so, als müsse es neu geschrieben werden.

Bewegt waren sie zweifelsohne – die bewegten Achtziger. Der Beitragsautor hat sie – unter anderem als Mitbeteiligter an Konzertveranstaltungen mit Hans-A-Plast, Daily Terror und den Toten Hosen – am eigenen Leib erlebt. Von einer »Neuen Deutschen Welle« jedoch war Anfang der Achtziger nicht mal ansatzweise die Rede. Das Terrain der neuen Szene bestimmten Formationen wie etwa die aus Düsseldorf kommende Frauenpunkband Östro 430. Die Musik der ersten Welle war provokativ, laut, oft dissonant – und inhaltlich Lichtjahre entfernt von dem, was zwei, drei Jahre später unter dem Label »Neue Deutsche Welle« vermarktet wurde.

Auch entstehungsgeschichtlich waren Östro, Hans-A-Plast, Male, Rotzkotz, Slime, DAF und wie sie alle hießen auf biologisch beanstandungsfreiem Mist gewachsen. Im Wesentlichen formierte sich die Szene um drei Zentren: Hannover, Berlin (mit dem SO36 als maßgebendem Auftrittsort) und Düsseldorf (mit dem Ratinger Hof). Im Grunde war das, was wenig später in die »Neue Deutsche Welle« einmündete, Musik-Underground von seiner besten Seite. Nachvollziehbar wird die Entwicklung so eigentlich nur, wenn man das Kapitel NDW in seine drei Bestandteile zurückpuzzlet und den vierten, der nicht dazugehörte, am Ende zur Rechnung hinzuaddiert. Die Phasen so: Punk-Import (bis etwa 1981), stilistische Vielfalt auf der Basis von Punk & New Wave (bis etwa 1983) und Ausverkauf (NDW, ab etwa 1983). Bestandteil vier: der Teil der deutschen Rockmusik-Szene, welcher mit der beschriebenen Entwicklung nichts oder nur wenig zu tun hatte.

Nicht unwichtig, sondern nachgerade identitätsbestimmend war im popkulturellen Umbruchsjahrzehnt der Faktor Kulturkampf. Bei weitem nicht alle nämlich surften in der »Ich geb’ Gas, ich will Spaß«-Dekade auf der neuen Welle mit. Stilistisch einen deutlichen Kontrapunkt setzten vor allem Musiker(innen) aus dem weiteren Umfeld der Friedensbewegung: die Kölner Mundart-Rocker von BAP beispielsweise, oder die feministische Rock-Bardin Ina Deter. Wenig am Hut mit Neuer Deutscher Welle hatte auch das wohl erfolgreichste deutsche Rock-Exportprodukt: die Scorpions aus Hannover. Wichtig ist diese Feststellung aus dem Grund, weil die Germany-eigene Variante des Kulturkampfs zwischen »Hippies« und »Punks« auch innerhalb der musikinteressierten Szenen auf heftige Weise ausgetragen wurde. Ein 1980 neu aufgegleistes Musikmagazin – Spex – verdankt ihm nachgerade seine Entstehung. Und auch alltagstechnisch war ein Outing zugunsten von BAP – oder umgekehrt: der Toten Hosen – ein Ding, das sorgsam abgewogen werden wollte. Was insgesamt sagen möchte: Die Verlaufslinien »neu gegen alt« waren weitaus komplizierter, als es heutige Fest-Nabelblicke auf das wilde Jahrzehnt nahe legen.

Punk (made in Germany)

Der Abschnitt zur deutschen Punkwelle kann an der Stelle kurz ausfallen: Kaum lief sie an, war sie schon wieder vorbei. Die ersten Punks waren – parallel zur Entwicklung im United Kingdom – bereits Ende der Siebziger aufgetaucht. Die musikalische Rezeption allerdings beschränkte sich weitestgehend auf das Goutieren der britischen Heroes – also Sex Pistols, Stranglers, Ian Dury und ähnlichen Außenseitern des Rockgeschäfts. Entsprechende Bands formierten sich eher zögerlich; die reine Lehre, dass drei Akkorde bereits einer zuviel seien, behinderte die bandpraktische Professionalisierung doch erheblich. Friedensfreunde, Antifaschisten und ähnlich Bewegte bemerkten den Umstand, dass hier was Neues entstanden war, spätestens 1980 beim Rock-gegen-Rechts-Festival in Frankfurt/Main. Auftritt: Hans-A-Plast. Die Formation um die quirlige Sängerin Annette Benjamin mischte mit ihrem schnellen Straßensound nicht nur die dröge Politszene auf. In kurz-knappen Zweieinhalb-Minuten-Stücken wie zum Beispiel Rock’n’Roll Freitag, Lederhosentyp und Hau ab du stinkst brachte sie ziemlich alles auf den Akkord, was punkseitig zu den bleiernen deutschen Verhältnissen zu sagen war.

Fast vergessen, in Zeiten der »Deutsche Wohnen & Co. enteignen«-Kampagne allerdings nicht oft genug aufzuführen: Anfang der Achtziger erlebten Bundesrepublik und West-Berlin einen Häuserkampf, dessen Intensität sich auch im großen Rückblick kaum plastisch vermitteln lässt. Festzuhalten bleibt, dass das Verhältnis zwischen Punks und autonomer Szene zwar eng war und auch in der Zukunft eng blieb, allerdings keinesfalls konfliktfrei vonstatten ging.

Zur Haus-und-Magen-Kapelle des linkspolitisierten Punks avancierten bald Slime – eine Formation aus Hamburg, die mit englischsprachigem Streetpunk gestartet war, dem autonomen Lebensgefühl jedoch bald mit Stücken wie Deutschland muß sterben, damit wir leben können auf den Sprung half. Dass Slime mehrmals an Indizierungen und Verboten entlangschrammten, gehörte zum Kurs quasi mit dazu. Und auch die Berichterstattung der (west)deutschen Großmedien glitt punkseitig nicht selten in eine Vorform der Kriegsberichterstattung ab – etwa, wenn BILD, Spiegel & Co. Stimmung machten etwa gegen die Hannoveraner Chaostage oder die autonom-punkige Szenerie, welche sich im dortigen UJZ Kornstraße einquartiert hatte.

Hannover war eines der Zentren des (frühen) deutschen Punk. Düsseldorf das zweite, und hier fängt es an, komplizierter zu werden. Das Hannoveraner Label No Fun! kann sich rückblickend zwar aufs Panier schreiben, mit Bands wie Hans-A-Plast, Rotzkotz und Bärchen und die Milchbubis mit die konzentrierteste Dosis an Deutschpunk in Plattenrillen gegossen und vertrieben zu haben. Die Konkurrenz folgte allerdings auf dem Fuß. Zentrum der Düsseldorfer Szene war der Ratinger Hof. Geschuldet personellen Querverbindungen zur Düsseldorfer Kunstszene, waren die vom Rhein kommenden Produktionen stilistisch weitaus breiter aufgestellt als diejenigen der in der Beziehung etwas orthodoxeren Hannoveranern. Entsprechend ist der Unterabschnitt »Punk aus Düsseldorf« eher einer für den Hauptabschnitt »New Wave (made in Germany)«. Eine Band gilt es dabei zwingend zu erwähnen: die Toten Hosen. In der Düsseldorfer Szene war die Band zwar schon aufgrund ihres späten Gründungsjahrs (1982) eher randständig. Mit ihrem antifaschistisch-friedensbewegt grundierten Spaßpunk – Anspieltipp an der Stelle: das beherzte Schlager-Crossover Azurro – stürmten sie allerdings bald die Hitparaden. Und etablierten sich schließlich – zusammen mit den Berlin-Spandauer Ärzten – als die Aushängschilder des deutsch(sprachig)en Punk.

New Wave (made in Germany)

Spaß- oder Fun-Punk? Die Haltung, die ganze Punk-Chose nicht allzu eng zu sehen, erwies sich zur Jahrzehntmitte hin zwar als gangbarer Weg zwischen dem Destroy der Hardcore-Punker und dem Ausverkauf der Neuen Deutschen Welle. Bleibende Bands allerdings hat das Sub-Genre allerdings nicht hervorgebracht – sieht man einmal von den Ärzten ab, die jedoch stetig eine Kategorie für sich waren und dem Fun-Punk gemeinhin eher selten zugerechnet werden. Der Rest? Als mit am langlebigsten erwiesen sich die aus Bremen kommenden Mimmi’s, die mit ihrer Synthese aus Freude am Leben und linkspolitischer Botschaft ebenfalls wenig Berührungsängste mit schlagerähnlichem Liedgut kannten. Was blieb vom Genre übrig? Vielleicht ein Hauch von Erinnerung. Etwa an den Wahren Heino – ein Berliner Gewächs, der mit seinen Sangeskünsten das Vorprogramm der Toten Hosen rockte und alsbald in juristische Konflikte mit dem echten Heino geriet.

Bezeichnend an den funnigen Intermezzo war, dass sich mit dem dazugehörigen Etikett selbst solche Bands kaum schmücken mochten, die der Leichtigkeit des Underdog-Seins durchaus eine Portion, nunja: Spaß abgewannen. Zwischen allen Stühlen saßen etwa die aus Hagen stammenden Extrabreit. Den Punkern galten sie als zu poppig, der Kunstfraktion als zu proletenhaft und den Linken als viel zu indifferent. Hinzu kam, dass Extrabreit mit ihrem Glam-Punk – anders als die bei kleinen Labels vor sich hinkrepelnden Bands der ersten Welle – keine Probleme hatten mit Major-Firmen und alsbald sich einstellendem Erfolg. Einer ihrer eingängigsten Stimmungstitel: Hurra, hurra, die Schule brennt aus dem Jahr 1982 – eine message, die man zwar so oder so verstehen kann, in Sachen Teenie-Rebellion jedoch unverwechselbar an den Spirit der frühen Siebziger anknüpfte.

Zurück nach Düsseldorf. Neben Punk-nahen Formationen wie Male oder der Frauenkapelle Östro 430 formierte sich hier auch die Band, die bald als die Paradeband des deutschen New Wave schlechthin gefeiert wurde: Fehlfarben. Fehlfarben gaben der hetrogenen Szene aus Original-Punkern und mehr auf Kunst versierten New Wavern das, was bislang fürs höhere Selbstverständnis noch gefehlt hatte: Sinn und Selbstermächtigung. Und was konnte das mehr auf den Punkt bringen als eine Textzeile wie »Geschichte wird gemacht – es geht voran«?

Der nihilistische Text des Fehlfarben-Runners mochte nah am pessimistisch-schwarzen Zeitgeist gebaut sein. Den Titel als Hitwonder des deutschen New Wave heimste indess eine andere Formation ein. Mit Stücken wie Berlin und Blaue Augen zeigte die aus Berlin kommende Formation Ideal nicht nur, dass die echte und einzige Avantgarde immer noch in der Mauerstadt beheimatet war. Die Refrain-Ansage »Deine blaue Augen machen mich so sentimental« stellte darüber hinaus unter Beweis, dass die Jungen & Wilden von der Musikfront keinesfalls nur düsteren, auf Destruktion versierten Weltuntergang draufhatten. Anders formuliert: Mit Ideal hielt auch das Sentiment, die dosierte Romantik Einzug im New Wave. Ob Ideal (und Fehlfarben) noch dem originären Wave zuzuordnen sind, oder ob sie bereits die Flaggschiffe der Neuen Deutschen Welle bildeten, darüber gehen die Meinungen auseinander. Gleichfalls die, ob Ideal oder aber Fehlfarben die Schlüsselband sind zum Verstehen der Periode. Vor allem die Musikkritik aus dem Spex-Umfeld hat sich da recht eindeutig auf Fehlfarben festgelegt. Lasse ich – Achtung, Geschmacksurteil – den Stimmungsmix en revue passieren, der meiner Meinung nach die musikalischen Achtziger ausmachte, würde ich behaupten, dass Ideal die weitaus paradigmischere, zum Jahrzehnt passendere und darüber hinaus auch unterhaltsamere Combo der beiden gewesen ist.

Wer »Düsseldorf« sagt, muß eigentlich auch DAF sagen – wie Deutsch-Amerikanische Freundschaft. Da DAF fest zum Kanon der Ära dazugehören und der Punk & Wave der Achtziger unter anderem jede Menge Frauen ins Rampenlicht spülte, halte ich diese Abzweigung für inhaltlich weitaus ergiebiger. Die erste sind Fred Banana Combo. Die aus drei Mitgliedern – dem Briten Bill Brown am Bass, dem Gitarristen und Sänger Gottfried Tollmann und der Sängerin Nicole Meyer – bestehende Formation lag selbst zum rheinisch-toleranten Punk-Wave-Gemix made in Düsseldorf ziemlich quer. Das Prelude der Band aus dem Jahr 1980 offerierte großteils eingepunkte Oldie-Varianten – etwa des Beatles-Klassikers Yesterday. Es folgten zwei Alben, die FBC eigentlich den Titel »die Can des deutschen New Wave« hätten einbringen müssen – satter Bläsersound, kombiniert mit treibenden Wave-Gitarren (The Captain), politische Apokalypso-Szenarien (Soldaten des Grünen) und schließlich Liebeslieder der Sorte, welche Lou Reed nie komponiert hat, aber besser mal hätte komponieren sollen (Nowhere bei mir). Die zweite Band waren Malaria!, ein weiteres Berliner Gewächs. Das aus den beiden Musikerinnen Bettina Köster und Gudrun Gut bestehende Duo machte nicht nur auf avantgardistischsten Avantgardismus. Tracks wie Kaltes klares Wasser und Cheerio erwiesen sich rückblickend auch als fruchtbare Andockpunkte für Musiker(innen), die eher aus der Techno- und Hip-Hop-Szene kamen als von der Rockmusik.

Neue Deutsche Welle

Mit ins Wave-Boot zu nehmen wäre schließlich noch Der Moderne Man (wichtig: »Man« mit einem n), eine weitere Band aus Hannover. Hollow Skai, Mitbegründer von No Fun! und neben Raul Hillsberg einer der wichtigsten Paten der neuen Musik, hat die Geschichte der Band in seinem Buch zur Neuen Deutschen Welle als eine einzige Aneinanderreihung von Pleiten, Pech & Pannen beschrieben. Erst konnte die Gruppe nicht so recht, dann ging ihr Sound unter in der Flut von NDW-Veröffentlichungen, welche die Major-Konzerne nunmehr auf den Markt warfen. Ebenso 39 Clocks – ein weiteres Hannoveraner Gewächs, dass mit seinem Velvet-Underground-artigen Gitarrenschrammel-Sound allerdings eher zwischen Punk und New Wave einsortiert gehört. Anspieltipps an der Stelle: Frau Krause (Der Moderne Man) und Shake the Hippie (39 Clocks). Rückgriffe auf die ersten Bestandteile der Neuen Deutschen Welle sind an der Stelle erlaubt, weil die die dritte, die Neue Deutsche Welle (NDW) im engeren Sinn, nichts Substanzielles leistete. Genauer: Mit Synthie-Sound unterlegte Eintagsschlager, wie sie Acts wie Hubert Kah, Markus, Falco, UKW und ähnliche Acts ab etwa Jahrzehntmitte auf den Markt warfen, versuchten lediglich das kommerziell auszuschlachten, was andere – von der Industrie unbeobachtet – auf den Weg gebracht hatten.

Nichtsdestotrotz gab es Ausnahmen. Die beiden wesentlichsten: Trio und Nena. Das Trio Krawinkel, Remmler und Behrens hatte sich bereits vor der Gründung von Trio seine musikalischen Meriten erworben. Das Erfolgsrezept des Trios bestand im Wesentlichen darin, dass sie die »Scheiß drauf!«-Haltung des Fun-Punks in hundertprozentigen Nonsense überführten. Musikalisch hinzu kam ein instrumentaler Minimalismus, der die Band fast ans Metier der zeitgenössischen Liedermacher heranrückte. Bekanntester Hit, auch der Verfasser dieser Zeilen kam seinerzeit nicht darum herum: Da, Da, Da. Zweite Ausnahmeprominenz der NDW war das Fräuleinwunder aus Hagen, Nena. Wo Trio den NDW-Rummel im Prinzip verarschten, transformierte ihn Nena erfolgreich um in Richtung rockunterlegtem Deutsch-Pop. Auf Nur geträumt (1982) folgte 1983 der internationale Charterfolg 99 Luftballons (siehe Clip oben), auf 99 Luftballons eine ganze Batterie ähnlich aufgeräumt klingender Songs wie Rette mich, Irgendwie, irgendwo, irgendwann und Ähnliche. Die Erfolgswelle ebbte Anfang der Neunziger zwar ab. Als eine der Wenigen aus der NDW-Ära schaffte es Nena allerdings, sich karrierell neu zu erfinden und im neuen Jahrtausend eine Karriere als Crossover-Star für Rockfans, Hausfrauen und Techno-Fans gleichermaßen auf den Weg zu bringen.

Nena, Trio, Die Toten Hosen, Ideal und Fehlfarben mochten zwar die beständigsten Acts aus jener Periode sein. Die Neue Deutsche Welle (gemeint hier: alle drei Aggregatzustände) war allerdings stetig überlagert vom Erfolg anderer, nicht (oder jedenfalls: nicht in Gänze) zur Welle gehörender Formationen. Ein Fall für sich war dabei stets Nina Hagen. Speziell im alternativen Milieu konnte man sich dem Glaubensbekenntnis zur feministischen Rockröhre par excellence kaum entziehen. Auch hier kann man über das Oeuvre geteilter Meinung sein – insbesondere betreffs der Frage, wann der innovative Sound aufhörte und die Transformation zum medialen Zelebrity-Act begann. Ansichtssache ist letztlich auch, ob oder inwieweit Nina Hagen in die NDW-Schublade (im weiteren Sinn) einsortierbar ist. Ihre erste Begleitgruppe, Spliff, setzten hier zwar ein paar bemerkenswerte Akkorde. Das Beispiel Nina Hagen macht allerdings deutlich, dass Rock made in Germany auch in den Achtzigern keinesfalls eine Tanzveranstaltung war, die sich ausschließlich der neuen Welle verschrieben hatte.

Überspringen wir das Zeitmonument Udo Lindenberg, übergehen wir an der Stelle Rio Reiser und seine Scherben. Auch abseits der aufgeführten Großen war die deutsche Rockszenerie der Achtziger vielgestaltiger, als es die NDW-Schublade nahelegen will. Ein bemerkenswerter Act war die feministische Rock-Chanteuse Ina Deter. Mit Neue Männer braucht das Land lieferte Deter nicht nur den seinerzeitigen Schlüsselsong für das frauen- und friedensbewegte Alternativmilieu. Auch musikalisch war der Weg der – ursprünglich vom Skuffle und der Liedermacherei kommenden – Berlinerin bemerkenswert. Zusammen mit ihrem Produzenten und Band-Bassisten Micki Meuser brachte Deter einen Sound auf den Weg, der den aus der Disco-Ära in die NDW herübergeschwappten Synthie-Pop integrierte und mit diesem Gebräu eine kompakten und aussagekräftige Botschaft formulierte. Gänzlich abseits des NDW bewegten sich BAP aus Köln. Die Mundart-Rocker um den Dylan-Fan Wolfgang Niedecken machten Rockmusik, die stilistisch zwar keinerlei Anzeichen von Neuerungs-Ambition an den Tag legte. Uumgekehrt war der Sound von BAP jedoch so eingängig, dass die Formation aus dem Stand zur Haus-und-Magen-Band des friedensbewegten Milieus avancierte. Einfacher ausgedrückt: Form Follows Function – ein Rezept, dass offensichtlich auch dann funktioniert, wenn man es auf der vorwiegend gefühligen Seite ansiedelt.

Fazit

Im Reigen ausgenommen wurde bislang Deutschlands beliebtester Rocksänger ever: Herbert Grönemeyer. Mit Männer lieferte er – nach Ina Deters neuen Männern – die zweite Achtzigerjahre-Wasserstandsmeldung zur ewigen Symbiose der Geschlechter. Auch Grönemeyer ist fraglos dem eher NDW-fernen Rockschaffen jener Jahre zuzuordnen. Was blieb? Vor allem erstmal Spex. Bis weit ins neue Jahrtausend schied die erst in Köln. später in Berlin herausgegebene Zeitschrift die Anhänger des alten Rock (kurz: Mucke genannt) von den wahrhaft progressiven, fortschrittlichen Tendenzen in Rock & Pop – Trends, welche die Spex-Redaktion im Lauf der Jahre getreulich aufspürte (oder immerhin: vermeinte, aufgespürt zu haben). Ausgleichend hinzu gesellte sich im Lauf der Neunziger die deutsche Ausgabe des Rolling Stone; ab da hatten die Anhänger herkömmlicher Mucke dann wieder weniger Grund zum Meckern.

Die weiteren Wege der im Beitrag Aufgeführten verliefen – wie könnte es anders sein? – unterschiedlich. Von Trio weilt lediglich noch Stefan Remmler unter den Lebenden. Campino von den Toten Hosen und Wolfgang Niedecken (BAP) haben sich im Lauf der Jahre zu zuverlässigen Erklärbären gewandelt – für all jene Dinge, wo Zeitschriftenredakteure und TV-Moderatoren jugendkulturell nicht so recht durchblicken. Grönemeyer ist der Star schlechthin, Nina Hagen immer noch für den ein oder anderen Event gut und Nena – nunja: an ihrer Haltung zur Corona-Pandemie scheiden sich neuerdings die Geister. Ansonsten gab es viel Crossover: Nena zusammen mit Techno-Produzent Westbam, Westbam mit Computerstaat von Abwärts. Die No-Fun!-Combo Rotzkotz schafften es gar, ihr Stück Gettin’ to None einmal – inklusive Piano! und deutschem Text – selbst neu einzuspielen (Schatten der Vergangenheit) und einmal covern zu lassen. Wobei die Coverversion von Beatclub mit dem Titel Chien d’amour so rar ist, dass sie selbst in der großen Tube bislang nicht auffindbar ist.

Der Rest? Slime machen immer noch ihren alten, unangepassten Politrock – auch wenn Brüche, das kommt mit dem Alter, ebensowenig ausbleiben wie das obligatorische Hin und Her mit Trennung und Reunion. Annette Benjamin von Hans-A-Plast ist – wieder – mit von der Partie. Der verlinkte Live-Auftritt zusammen mit Slime hat aussteuertechnisch zwar noch etwas Luft nach oben. Die punkige Stimmung jedoch stimmt bis zum letzten fehlgesetzten Gitarren-Akkord. Soweit fidel sind ist auch die (reformierte) Damen-Kult-Punk-Kapelle Östro 430; 2021 produzierte sie homestudiotechnisch einen Song zum Jahresthema Nummer eins. Der Rest hat sich seine Meriten vor allem als Türöffner erworben. Der Sound von Fehlfarben & Co. führte direkt zum Indierock respektive Diskurspop der Hamburger Schule. Die Linie von Ideal, Malaria! & Co. hat sich vor allem im Pendant zur Hamburger Schule, der Berliner Schule verewigt. Aufzuführen hier: die Lassie Singers, ihr zeitweiliges Mitglied, der Liedermacher Funny Van Dannen, und natürlich das Elektropunk-Duo Stereo Total. Übergreifend formuliert: Seit den Achtziger Jahren ist die Frage, ob deutsche Band deutsch singen »dürfen«, vom Tisch. Und auch musikalisch hat sich die Neue Deutsche Welle in eine Reihe späterer Richtungen eingegraben. Möglich oder sogar wahrscheinlich, dass der substanzielle Teil der Richtung sogar von dem Hype profitiert hat, welcher unter dem Etikett »Neue Deutsche Welle« aufgezogen wurde.

Wenn man es im Gesamten betrachtet, ist das für eine Welle nicht mal so schlecht.

Info

»Mashups« sind Samplings, bei denen zwei oder mehr Musikstücke zu einem zusammengesamplet werden. Diese Beitragreihe »mashupt« Themen, Künstler(innen) und Stile der Pop- und Rockmusik. Die bisherigen Folgen:

Staffel 1: (1) Hardrock versus Country | (2) Stones versus Dylan | (3) Feuerzeugballaden | (4) Funk versus Soul | (5) Wader versus Scherben | (6) Clash versus Cure | (7) Der »Club 27« | (8) Reggae-Time | (9) Venus, Glam & heiße Liebe | (10) Raves & Bytes | Staffel 2: (1) Die Hüter der Tradition | (2) Die Weitergabe der Staffel | (3) Gabriel und Werding | (4) Global Villages | (5) Der Schmerz des weißen Mannes | (6) Die Leichtigkeit der Dinge | (7) Der Schwermetall-Report | (8) Beatz & Reime | (9) Hillbilly-Dynastien | (10) Retro-Mania

Die nächste »Mashup«-Folge kehrt in die Jetztzeit zurück und widmet sich den zeitgenössischen Genres (Contemporary) R&B und Hip Hop.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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