Mashup 2.6: Die Leichtigkeit der Dinge

Popmusik Weißes Wohlbefinden, schwarze Grooves, beschwingte Zeiten: Thema dieser Folge ist der Blue-Eyed Soul von Dusty Springfield bis Amy Winehouse.

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Künstlerisch war der Blue-Eyed Soul mit Amy Winehouse an seinem unwiderbringlichen, unverrückbaren Höhepunkt angelangt
Künstlerisch war der Blue-Eyed Soul mit Amy Winehouse an seinem unwiderbringlichen, unverrückbaren Höhepunkt angelangt

Foto: Simone Joyner/Getty Images

Die Kneipe, die ich mir zu jener Zeit angelacht hatte, war der Hammer. Genauer: der Sound, das Ambiente. Anstatt Neonlicht plus schwarz-weiß gekachelter Plastik- und Chrom-Stilistik warme Gelb- und Rottöne – dazu angenehme Grooves; mal Wave, mal Achtziger-Rock, hinzukommend der Smooth-Jazz von Sade. Die Tochter eines Nigerianers und einer Britin mischte gerade die Hitparaden auf – mit Titeln wie Smooth Operator und The Sweetest Taboo. Gepflegtes Wohlbefinden war Ende der Achtziger zunehmend im Kommen – und das zu Zeiten, in denen die Einstürzenden Neubauten avantgardistischste Härte verordneten und der Rest vom Land im Neue-Deutsche-Welle-Trullala versumpfte. Auch politisch war die Welt nicht gerade eitel Sonnenschein. In Großbritannien hatte die Eiserne Lady der Bergarbeitergewerkschaft, für die wir Jahre zuvor noch Benefiz gemacht hatten, gerade das Rückgrat gebrochen, in den USA brachte ein gewisser Mr. Reagan sein Star-Wars-Programm auf den Weg, und in Deutschland rief – nach der erfolgreichen, unverhinderbaren Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen – ein Kanzler aus der Pfalz ein Etwas mit dem Namen »geistig-moralische Wende« aus.

Wunden zu lecken gab es also einige. Nichtsdestotrotz war das Mittel der Wahl umstritten – genauer: eher eine marginale als eine majoritäre Angelegenheit. Der Eichstandard in Sachen zeitgemäßer Beschallung war zu jener Zeit Synthie-Pop – ein Amalgam aus Disko und Neuer Deutscher Welle, das sich das Schlechteste aus beiden Welten unter den Nagel gerissen hatte, und um das zu jener Zeit kaum jemand herumkam. Doch auch die althergebrachten Rocker wollten sich keinesfalls die Butter vom Brot nehmen lassen. Für groovige Klänge gab es also einiges an Gegenwind. Fragen so: Wie konnte ein so offensichtlich auf Vintage gebürsteter Stil wie Blue-Eyed Soul Anziehungskraft gewinnen? Und wo zum Teufel kam er her? Um die zweite Frage als erstes zu beantworten: Die Sixties-Ikone Dusty Springfield ist sicher zwar stilprägend aufzuführen. Für die Entwicklung in den Achtzigern ist sie allerdings zweitrangig. Personal, Sounds und Stil-Präferenzen kame vor allem aus der britischen Northern- und Rare-Soul-Szene – einem Milieu, in dem Schwarz und Weiß schon immer eng zusammenhingen. Anders gesagt: die Wurzeln in dem Boden, in dem hier gegraben wurde, reichten recht tief.

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Wo lassen wir ihn also beginnen – den Blue-Eyed Soul? Willküren wir einfach und fangen an bei Miss Peggy Lee. Mit ihren Song Fever aus dem Jahr 1956 gelang der vom Big-Band-Metier in den Jazz herübergewechselten Sängerin nicht nur ein bedeutsamer Konterpart zum damals angesagten Rock’n’Roll. Lees lediglich von Bass, Drums und Fingerschnipsen untermalter Gesang barst geradezu vor unterdrückter Energie. Die durch den Text verstärkte erotische Spannung (»You give me fever«) war im Grunde der perfekte Gegenpart zu Elvis’ Heartbreak Hotel. Auf die Rock’n’Roll-Seite wechselte die dem gepflegten Jazz zugetane US-Atrice nie. Songtechnisch allerdings blieb Fever ein Monument – zeitrobust und im Grunde bis heute unverwüstbar. Was kam noch? An Dusty Springfield führt natürlich kein Weg vorbei. Son of a Preacher Man ist allen Pulp-Fiction-Fans ein fester Begriff. Springfields Ruhm in dem Metier begründet allerdings mehr oder weniger auf ein einziges Album: Dusty in Memphis – eine mit viel Spaß erfolgte Produktion in den American Studios in Memphis, Tennessee. Die Solitärstellung, die Springfield in Sachen Blue-Eyed Soul eingeräumt wird, lässt allerdings unberücksichtigt, dass Soul-angehauchte Musik in den Swinging Sixties insgesamt stark angesagt war. Beispiele: Sonny & Cher, der britische Entertainer Tom Jones, vom Rock-Jazz kommende Formationen wie etwa Julie Driscoll, Brian Auger & The Trinity. Oder auch eines berühmten Vaters bekannte Tochter – Nancy Sinatra, die mit These Boots are made for Walking (siehe Clip oben) 1966 einen weiteren Standard des Genres ablieferte.

Sade

Richtig wiederentdeckt wurden die souligen Sixties-Grooves erst wieder in den Achtzigern. Sade – mit vollem Namen Sade Adu – kam ursprünglich vom Smooth Jazz, einer Richtung, die Kritiker gern auch als Fahrstuhlmusik abklassifizieren. Hinzu kamen Jazz-Rock, zeitgemäßer RnB sowie eine Prise Reggae. Als Blue-Eyed Soul lässt sich der Stilmix von Sade im Grunde nur schwer bezeichnen. Im Grunde war ihr Sound ein einziges Feiern der leichten, unbeschwerten Dinge. Bis es soweit war, bekam sie es erst mal mit dem obligatorischen Gegenwind zu tun. Plattenfirmen fassten die Demos zu Diamond Live – dem ersten einer Staffel von Alben, die sich später millionenfach verkauften – ungefähr an wie heiße Kartoffeln. Simple Fachexpertise: »zu jazzig«. Wie so oft kam der Erfolg über die richtigen Verbindungen. Der britische Guardian beschrieb den Breaking Point in Sades Karriere 2011 folgendermaßen: »Als Robin Millar, der die ersten beiden Alben der Band produzierte, sie 1983 zum ersten Mal traf, waren sie noch nie in einem richtigen Studio gewesen. Die 24-jährige Sade Adu hatte gerade ihr Modedesign-Studium abgeschlossen und an ihren kreativen Schreibfähigkeiten gearbeitet. Sie hatte einige raue, hausgemachte 4-Track-Demos von Your Love Is King und Smooth Operator, die sich anhörten wie eine Funkband, die Free Jazz spielt. ›Es war einfach, aber die Songs waren gut – und dann war da noch diese Stimme‹, sagt Millar. ›Ich habe immer gedacht, dass es bestimmte Stimmen gibt, mit denen sich die Menschen besser fühlen: Bing Crosby, Frank Sinatra, Nat King Cole und Ella Fitzgerald. Und als ich Sade zum ersten Mal hörte, hatte ich wirklich das Gefühl, dass sie es hatte ... Sie hatte auch eine erstaunliche Wirkung auf die Menschen im Studio, sowohl Männer als auch Frauen – ihr Charisma und wie sie aussah.‹«

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Eine Musik im Grunde für Connaisseure. Mainstream war diese Musik in der zweiten Achtzigerhälfte immer noch nicht – trotz millionenfach verkaufter Alben. Ein unignorierbarer Sub-Sound indes schon. Welches Sade-Stück der absolute Knaller ist, ist noch schwerer zu entscheiden als bei anderen Künstler(inne)n. Die vermutlich geläufigste Nummer ist Smooth Operator. Why Can’t We Live Together (siehe Clip oben) – ein abgehangener Soul-Titel aus den Siebzigern und eine der wenigen Fremdinterpretationen – bringt Sades Oeuvre ebenfalls gut auf den Punkt. Warum schaffen wir es nicht zusammenzuleben, miteinander klarzukommen? Anziehung und Abstoßung – das alte Lied. Ein weiterer bekannter Sade-Titel ist Cherish the Day – ein Hohelied auf die Überwindung typisch weiblicher Abhängigkeiten in Beziehungen und thematisch so ebenfalls ein Spot, wie er in der Popmusik allenthalben geläufig ist. Die Sängerin schließlich ging, wie sie kam: Nach vier Alben war erst mal Schluss. Der Rest: Neuerscheinungen im Jahrzehnt-Takt, gelegentliche Tourneen und ein Leben abseits medialer Öffentlichkeit. Was zwei Schlüsse nahelegt. Erstens: Gute Dinge brauchen – ähnlich wie gutes Design – ihre Zeit. Zweitens: Nachhaltiger Erfolg ist auch möglich, ohne sich selbst unablässig durch die Manege zu treiben. Wie es scheint, hat Sade Adu diese zwei Punkte für sich gut gelöst.

Während Sade Adu Blue-Eyed Soul ohne allzu viel Blue-Eyed Soul zelebrierte, bauten andere weiße Künstler nah an den Roots von Aretha Franklin sowie dem dazugehörigen Sechzigerjahre-Spirit an. Einer der kommerziell erfolgreichsten war Simply Red. Richtig »Blue-Eyed Soul« ist eine seiner frühen Nummern – Sad Old Red. Der Rest pendelte sich zunehmend auf der Bahn zwischen Mainstream-Pop und RnB ein – sicher eine Musik, die ihre Berechtigung hat, aber für meinen Geschmack zu überzüchtet und mit zu viel Zuckerguss darüber. Kommen wir zu Carmel. Mit vollem Namen Carmel McCourt, vermittelte die 1958 in den britischen Midlands geborene Sängerin stets einen Appeal von Musikhochschule. Der Erkundungstrip zu den Roots schwarzer Musik war allerdings in jeder Faser stilecht. Zusammen mit ihrer Band zelebrierte sie Gospel-Shaker wie Bad Day, Soul-Balladen wie I’m Not Afraid of You und Chansontitel wie J’oublierai Ton Nom – letzteren übrigens zusammen mit Original-Interpret Johnny Hallyday. Noch gebundener an das Umfeld der britischen Northern-Soul- und Barjazz-Szene war Sarah Jane Morris. Mit Me and Mrs Jones spielte sie 1989 ein beachtenswert ausdrucksstarkes Cover des Softsoul-Klassikers von Billy Paul ein. Hörenswert darüber hinaus: I’m Missing You und Ever Gonna Make It – zwei Morris-Titel aus demselben Zeitfenster, der die Soul-Ausnahmestimme dieser Künstlerin ebenfalls unter Beweis stellt.

Vaya Con Dios

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Vaya Con Dios haben mich ins Rechnen gebracht. Anlass war ein Konzert Mitte der Neunziger in der Frankfurter Alten Oper. Zuvor hatte ich die Band bereits zwei Mal in der Batschkapp erlebt – zu der Zeit ein (etwas arrivierterer) Tempel alternativpunkiger Rhein-Main-Subkultur und für ein neues Licht am Popfirmamenthimmel darum gerade gut. Zum Nachrechnen brachte mich die Gleichung Erfolg versus Ausgaben. Anderes gefragt: Wie viel muss eine Band einspielen, um eine Live-Besetzung inklusive Bläserset sowie die obligatorische Tour-Truppe drumherum auf die Beine stellen zu können? Dass Bandsängerin Dani Klein – zumindest meiner unmaßgeblichen Meinung nach – nicht nur die ausdrucksstärkste Soul-Stimme Kontinentaleuropas war, sondern als Unternehmerin auch circa zwei Dutzend Mäuler zu stopfen hatte, fand ich angesichts des Wegs der Band bemerkenswert. Simpel gefragt: Ab wann trägt sich so ein Sound? Zumindest in ihrer Gründungszeit waren Vaya Con Dios ein typisches Brüsseler Kellerclub-Gewächs. Ein Charakteristikum der Formation war, dass ihr sämtliche zeitangesagten Stile am Rücken südwärts vorbeigingen. Musikalisch lebten Dani Klein & Mitstreiter in einer Parallelwelt – ähnlich wie, um ein aktuelleres Beispiel zu bringen, das Vintage-Trio Kitty, Daisy & Lewis. Stil-Zutaten: Sixties-Soul, Blues, eine gute Prise Barjazz und schließlich, wir bewegen uns im frankophonen Raum, ein Schuss Manouche nach Django-Reinhardt-Art sowie Chanson.

Mit Nah Neh Nah, ausgekoppelt aus ihrem zweiten Album Night Owls von 1990, hatten Vaya Con Dios ihren zeitüberdauernden großen Hit. Der Rest indes war Drama pur. Gitarrist Willy »Willy Willy« Lambregt stieg noch vor Veröffentlichung der ersten Platte aus. Bassist Dirk Schoufs wiederum verließ die Band, um mit der Jazzsängerin Isabelle Antena zusammenzuarbeiten; 1991 verstarb er an den Folgen einer Heroin-induzierten HIV-Infektion. Was blieb, war Dani Klein und der alte Bandname. Das Oeuvre fächerte sich stilistisch mit der Zeit immer mehr auf. Swing und Sinti-Jazz bestimmten die ersten beiden Alben, Blues und Soul die beiden darauffolgenden. Vielfaltstechnisch war allein das bereits bemerkenswert – zumal Dani und ihre Gruppe auch den eigenen Backlist-Bestand gern mal variierten (sofern sie ihn nicht zum Covern freigaben – was 2011 zu einer hitparadenträchtigen Neuauflage von Nah Neh Nah führte). Später kam der Fundus des französischen Chansons mit hinzu. Besonders ausdrucksstark: eine deutschsprachige Nummer – Es wird schon wieder gehen aus dem Soundtrack zu dem Hermine-Huntgeburth-Film Das Trio mit Götz George.

Die höheren Weihen der etablierten Rockmusik-Geschmackspäpste ließen ungeachtet des Erfolgs auf sich warten. Der Radio-Moderator Frank Laufenberg konzedierte der Band generös, ihre Musik klinge, als sei sie unter der heißen Sonne Spaniens eingespielt worden. Der Guide Michelin der Branche, das im Rowohlt-Verlag erscheinende Rock-Lexikon, führte die Band erst gar nicht auf. Der Spiegel konzedierte 1998 in Sachen Ursachenerforschung, Belgien liege popmarkttechnisch halt eben etwas abgelegen – als könne die Ignoranz nicht auch mit dem germanischen Überlegenheitsgefühl zu tun gaben, welches die Belgier in zwei Weltkriegen hautnah zu spüren bekamen. 2013/2014 schließlich legten Vaya Con Dios aka Dani Klein eine fulminante Abschiedstour hin – frei nach dem Motto: Man soll stets dann gehen, wenn es am schönsten ist. Mit dabei: Gründermitglied Willy Willy, der in Look At Us Yow den Aktustikgitarre-Part spielte und 2019 an Krebs verstorben ist. Was bleibt? Eine Sängerin, die nach einer erfolgreichen Karriere nunmehr die Ärmel herunterkrempelt, um sich dem Oeuvre von Alt-Vorbild Billy Holiday zu widmen. Ebenso: Dutzende zeitloser Stücke (etwa: Don’t Cry for Louie, Pauve Diable oder Stay with me) sowie ihr – in der Öffentlichkeit weniger bekanntes – Engagement für die stark verbesserungswürdige Situation der in Europa lebenden Sinti und Roma oder auch gegen das von Extremisten betriebene Auseinanderfallen des belgischen Staats. Fazit: Bei manchen genügen für all das zehn Leben nicht. Bei Dani Klein reicht dafür die Energie von einem.

Amy Winehouse

Amy Winehouse, verstorben 2011, gilt rückblickend als Star – als der vielleicht letzte echte Star des an Tragödien nicht gerade armen Popbusiness. Ist Dani Klein die ausdrucksvollste Soulstimme des Kontinents, so gebührt der jüdischstämmigen Soul-Enthusiastin aus dem Londoner Umland der Titel expressivste Sängerin. Bereits ihr Erstling, die 2003 erschienene CD Frank, offeriert alles, was dem späteren Megastar außerordentlich, bemerkenswert war – ein paar Anklänge an Billy Holiday, RnB, Singer-Songwriter-Nummern, dazu eine Stimme, die in jeder Sekunde hundertprozent bei sich selbst war. Bemerkenswert allerdings war die Art und Weise, wie Winehouse all die Stile, die diesseits der Rock-Grenze auf der Straße lagen, zusammensamplete und daraus etwas eigenes machte: Amy Winehouse eben. Wie so vielen Künstler(inne)n war ihr die musikalische Karriere zwar nicht direkt in die Wiege gelegt. Die Jazz-Plattensammlung ihres Vaters und sicher auch das Soul-affine Umfeld der britischen Popmusik haben ihren Weg jedoch sicher begünstigt – unbedenklich in Angriff genommene Stil-Überraschungen wie die 2008 veröffentlichte Mini-Veröffentlichung The Ska inklusive.

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Die Nachteile, welche auf ihrem persönlicher Weg zum Tragen kamen, sind hinlänglich bekannt. Psychische Probleme, Drogen, Ko-Abhängigkeit in der Partnerschaft und – vielleicht – zu viel, zu plötzlicher Ruhm. Die alte Chose. Am Ende, am 23. Juli 2011, hatte ihr König Alkohol den Rest gegeben. Die Amy-Mania währte zu jener Zeit bereits einige Jahre. Und auch rückblickend noch gibt es kaum den Hauch eines Zweifels, wieso gerade Amy Winehouse dieses große, fulminante, beeindruckende Idol wurde, von dem Jugendliche wie Erwachsenen gleichermaßen hin und weg waren. Ihr vielleicht ausdrucksstärkster Titel – zugegeben eine persönliche Wahl – ist Back to Black, eine Auskoppelung aus dem gleichnamigen Album von anno 2006. Winehouse interpretiert ihn auf großen Festivals und unplugged in intimer Runde gleichermaßen. Die Instrumentierung wechselt – hier die an die Ska-Besetzung angelehnte große Band (siehe Clip oben), da lediglich Gitarre und Stimme. Die Botschaft ist immer dieselbe, und die Botschaft wird von der Stimme getragen – in Highlight-Momenten auf eine Art, in der man spürt, wie sich die imaginäre Hand von Amy zu Aretha und von dieser zu Billy durchreicht und so Gänsehaut-Feeling entsteht. Von Back to Black stammt ein weiteres bekanntes Winehouse-Stück – Rehab. Unvergessen schließlich auch Valerie – eine (kritische) Ode an eine Herumtreiberin und eventuelll Winehouses alter ego. Der passende Clip stammt von ihrem Produzenten Mark Ronson. Als Winehouse bei den angesetzten Drehterminen nicht erschien, inszenierte Ronson das offizielle Song-Video kurzerhand im Karaoke-Stil – mit einem halben Dutzend junger Frauen aus dem Publikum, die für den (fehlenden) Sängerinnen-Part stellvertretend einsprangen.

Über Amy Winehouse sind Filme herausgekommen, Dokumentationen erschienen und schließlich Bücher. Lebendig macht sie das alles nicht mehr. Und sie fehlt. An Versuchen, Nachfolgestars zu hypen, hat es ebenfalls nicht gemangelt. Die bekanntesten sind – wir bewegen uns weiter im Reich der informellen Kurznamen – Duffy und Adele. Beide können gut singen, zweifelsohne, und beide haben auch die ein oder andere Soul-Nummer im Repertoire. Persönlich liegt mir Adele etwas mehr (Anspieltip an der Stelle: Rolling in the Deep), aber das ist Geschmackssache. In der Summe dokumentiert der Hype um die beiden vor allem den Willen der multinationalen Musikkonzerne, einen Stil, eine Figur oder was auch immer bis zum Exzess auszureizen und den letzten müden Cent daraus zu pressen. Künstlerisch war der Blue-Eyed Soul mit Amy Winehouse an seinem unwiderbringlichen, unverrückbaren Höhepunkt angelangt. Konsequenterweise hätte man die Chose an jenem 23. Juli 2011 beerdigen sollen. Es war eine schöne Zeit – fünf lange Jahrzehnte mit zum Teil bemerkenswerter Musik. Aber nun war die Party vorbei.

Durchaus möglich, dass zukünftige Generationen mit dem Begriff Soul nichts mehr anfangen können. Möglich, dass es nur noch computerisierte Musik gibt – ohne Emotionen, ohne Leid, ohne ein Anzeichen, dass die Musik von Menschen gemacht wurde. In düsteren Momenten befürchte ich exakt dies. Allerdings mit dem Wissen, dass in der Vergangenheit ein nachgerade herrlicher Versuch getätigt wurde – die Grenzen zwischen schwarz und weiß zu überbrücken.

Im Grunde ist Popmusik das wohl dauerhafteste Zeugnis von diesem Versuch.

Info

»Mashups« (siehe Wikipedia) sind Samplings, bei denen zwei oder mehr Musikstücke zu einem zusammengesamplet werden. Die Beitragreihe »mashupt« Themen, Künstler(innen) und Stile der Pop- und Rockmusik.

Staffel 1: (1) Hardrock versus Country | (2) Stones versus Dylan | (3) Feuerzeugballaden | (4) Funk versus Soul | (5) Wader versus Scherben | (6) Clash versus Cure | (7) Der »Club 27« | (8) Reggae-Time | (9) Venus, Glam & heiße Liebe | (10) Raves & Bytes

Staffel 2: (1) Die Hüter der Tradition | (2) Die Weitergabe der Staffel | (3) Gabriel und Werding | (4) Global Villages | (5) Der Schmerz des weißen Mannes

Laut und mit viel Headbanging geht es in der nächsten Folge weiter. Titel: der Schwermetall-Report. Sie erscheint am Mittwoch, dem 31. März.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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