Mashup 3.0: Alle gegen den Mainstream?

Popmusik Ob Rock, Indie, Hip Hop oder Techno: Jahrzehntelang galt der „Mainstream“ als das Feindbild schlechthin. Eine etwas zu simple Rechnung, findet der »Mashup«-Autor

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Hat »der Mainstream« großflächig übernommen? Sind die Träume von Rock and Roll, Love & Peace ausgeträumt?
Hat »der Mainstream« großflächig übernommen? Sind die Träume von Rock and Roll, Love & Peace ausgeträumt?

Foto: Eric Baradat/AFP/Getty Images

Wer oder was repräsentiert aktuelle Popmusik? Die Gewinner der neuesten The Voice of Germany-Staffel? Allseitig bekannte Boliden aus Rock- und Pop, denen eine Akademie – oder gar der Bundespräsident – besondere Kulturverdienste attestieren? Oder ist es doch der hungrige, stildiverse und im Zweifelsfall gegen den Mainstream-Strich gebürstete Nachwuchs, der sich auf Clubbühnen, bei Straßenauftritten, als Support-Gig auf Festivals oder im Netz Gehör zu schaffen versucht? Jein – alles nicht in Gänze verkehrt. In der Summe allerdings sind Castingshows, Kulturpreise sowie das Rangeln ganz unten im Pop-Maschinenraum nicht mehr als Infoschnipsel – eher Ausschnitte der Realität als die ganze, grandiose, unanzweifelbare Wahrheit. Halbwegs verlässliche Infos von den aktuellen Popmusik-Frontverläufen liefern nach wie vor zwei Medien: das vielgeschmähte Formatradio und eben – Charts wie etwa die Offiziellen Deutschen Charts. Letztere geben für Oktober 2021 folgende Wasserstandsmeldung: Mit gleich zwei Spitzenplatzierungen (Shivers und Bad Habbits) ist aktuell Ed Sheeran der absolute Abräumer – ein Brite, der im Singer/Songwriter-Metier zugange ist und eher als der absolute Anti-Star gilt. Was nicht heißt, dass er die einschlägigen Erfolgskanäle nicht zu nutzen wüßte: Seinen Bekanntheitsgrad beförderte er unter anderem mit Gastauftritten bei der Castingshow The Voice of Germany. Auf den Hitparade-Plätzen ebenfalls vorn mit dabei: Justin Bieber – ein Ex-Teenager, der gleichfalls auf allen medialen Hochzeiten tanzt und bei dem man noch stärker als bei Sheeran ins Grübeln gerät, ob man eine Medienmarke vor sich hat oder doch einen Sänger.

Hat »der Mainstream« also großflächig übernommen? Sind die Träume von Rock and Roll, Love & Peace, Rebellion und Hedonismus ausgeträumt? Rockfans haben das Ausmusterungsschreiben mittlerweile in gedruckter Form vorliegen. Teils mit hämischem, teils mit besorgtem Unterton verkündeten Medien wie etwa Südkurier und MusikExpress 2017 die Neuigkeit, dass R&B sowie Hip Hop die gute alte Rockmusik als Leitstil abgelöst haben. Was heißt das? Zunächst einmal nicht, dass Weltuntergang angesagt ist – auch wenn es besorgten Rockanhängern so scheint. In Wahrheit nämlich hat sich das, was wir unter Popmusik verstehen, schon seit je her in unterschiedliche Märkte aussortiert. Zu den alten, quasi etablierten Marktsegmenten – also internationaler Mainstream-Pop, Jazz, Schlager, Rock, Country, R&B/Disko sowie der Spezialnische fürs gehobene Liedermachen & Songwriting – haben sich um die Jahrtausendwende zwei neue hinzugesellt: Elekronische Musik und Hip Hop. Für die Anhänger(innen) der einen und wahren Richtung – etwa Jazz oder Rock – mag diese Vielfalt zwar betrüblich sein. Die Aufgliederung in separate Einzelmärkte trägt allerdings nur der Tatsache Rechnung, das unterschiedliche Menschen unterschiedliche Arten von Musik hören. Salopp formuliert reagiert der Markt nach der alten Karnevalsprämisse »Jedem Tierchen sein Plaisierchen«. Oder eben, frei nach Marx: Wo eine Nachfrage – da tunlichst auch ein Angebot.

Die Aufseparierung der Musikhörer(innen) erfolgt anhand unterschiedlicher Linien. »Klassik versus Pop« ist immer noch eine wesentliche. In der gesellschaftlichen Elite gehört Klassik nach wie vor Pflichtprogramm. Wer hier dazugehören möchte, kommt um Bayreuth nicht herum – eine Regel, die auch für die ehemalige Managerin der Politrock-Combo Ton Steine Scherben gilt. In den bildungsbürgerlichen Beletagen darunter behilft man sich mit sachverständig kuratierten Tonträger-Sammlungen – vorzugsweise aus dem Bereich der klassischen Moderne. Dem Drang zu liberté und fraternité konnte sich allerdings auch das klassische Oeuvre nicht entziehen. Entsprechend hat sich mit der Zeit eine Art spartenübergreifender Volks-Klassik etabliert; Metaller crossovern populäre Musical-Songs, Flashmob-Chöre suchen mit Verdis Gefangenenchor ihr Fußängerzonen-Publikum. Auf der anderen Seite des Klassenspektrums stehen Partyschlager & Ballermann – Zelebrationsformen, die im gesellschaftlichen Ansehen eher unten rangieren. Neben Klassenzugehörigkeiten wirkt sich auch die Generationenfrage auf das Auf und Ab der einzelnen Musikmärkte aus. Nicht zuletzt aufgrund der Überalterung von Musikern und Fans geriet Rock gegenüber den neuen Stilen R&B und Hip Hop ins Hintertreffen. Wobei auch bei den Alterspatienten Hoffung bleibt: Neue Stile werden zwar – nicht ganz unerwartet – vorwiegend auch von jüngeren Leuten verkonsumiert. Allerdings: Ähnlich wie alte Medien (Beispiele: Radio und TV) sterben alte Musikrichtungen nicht einfach ab. Lediglich ihr Publikum wird – im Durchschnitt – älter und gesetzter.

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Älter und gesetzter werden allerdings nicht nur Bands, Musiker und ihr jeweiliges Publikum. Ähnliches gilt für die (über Popmusik berichtenden) Medien. Zwar gilt auch hier das Marx’sche Diktum, dass im Kapitalismus das Angebote der Nachfrage folgt. Entsprechend gibt es keine Richtung, die nicht von Fachzeitschriften, Fanzines oder entsprechende Webangeboten flankiert wird. Eine Sonderrolle hier spielen in der Hinsicht die großen Leitmedien. Während MusikExpress, Rolling Stone oder auch Nischenpublikationen wie Juice oder der Folker den Wünschen ihrer Leserschaft zielgenau gerecht werden, sind Leitmedien wie Spiegel, F.A.Z. oder New York Times bereits per Definition für das Große, Übergreifende zuständig. Gerade aufgrund dieser Allgemeinzuständigkeit liefern sie einen guten Einblick, wie der reputable, alterstechnisch nicht mehr ganz junge Teil der Gesellschaft popkulturelle Erscheinungen goutiert. Unfreiwillige Komik gehört bei der Konstellation mit zum System: etwa, wenn der Spiegel, wie 2016 bei AnnenMayKantereit geschehen, eine erfolgreiche Band aus der Diskursrock-Ecke an den Pranger stellt, weil sie – der Meinung des Rezensenten zufolge – auf ihrem neuen Album nicht genug Gesellschaftskritik abgeliefert hat.

Die Tatsache, dass Großmedien wie Spiegel, Süddeutsche, F.A.Z. oder Zeit eher die popkulturelle »Bewusstseinslage« einer älteren, arrivierteren Klientel bedienen, schlägt sich auch bei der Themen-Auswahl nieder. Musikalische »Trendscouts« sind sie allesamt nicht. Gemäß der Sozialisation der involvierten Redakteure dominieren Personal Stories und Breaking News über bekannte Größen. Bob Dylan (siehe Clip oben) gilt hier als Eichmarke – schon wegen der literarischen Qualitäten seiner Texte. Zu den Rock-Boliden der Sechziger bis Achtziger – also Dylan, Jagger/Richard, Patti Smith & Co. – haben sich im neuen Jahrtausend die Superstars der letzten beiden Jahrzehnte hinzuaddiert: Ed Sheeran, Justin Bieber, Billie Eilish, Beyoncé, The Weeknd & Co. Recht versierte Berichterstattung liefern besagte Medien allerdings über den medialen Überbau – also jene Veränderungen, die den Großmarkt Popmusik zur Dauer-Großbaustelle machen. Motto: Die Revolution findet schon statt – es ist halt nur eine der Märkte. Eher unterhalb des medialen Radars hingegen vollzieht sich aktuell eine musikalische Veränderung von sehr hoher Tragweite. R&B ist – im Doppelpack mit Hip Hop – nicht nur zum Leitstil unserer modernen Zeit avanciert. Auch die tonangebenden Akteure im internationalen Pop sind großteils nicht-weiß. In der Konsequenz bedeutet dies: Im Unterschied zum vergangenen Jahrhundert wird der Sound des aktuellen Mainstream-Pop nicht mehr von alten weißen Männern mit weißen Geschmäckern vorgegeben, sondern – großteils – solchen, die mit schwarzen (oder migrantischen) Grooves aufgewachsen und sozialisiert worden sind.

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Massenkompatibler, jünger, schwärzer: Wie die neuen Business Rules funktionieren, haben Künstler wie Beyoncé und The Weeknd in den letzten Jahren unter Beweis gestellt. Mit The Lion King veröffentlichte Beyoncé Knowles 2019 ein Soundtrack-Album, das gleich in mehrererlei Hinsicht Grenzen sprengte: a) als strategisch gut platzierte Ankoppelung an den Disney-Blockbuster Der König der Löwen, an dem die Sängerin in unterschiedlichen Funktionen mitgewirkt hatte, b) als kritiklose Zelebrierung eines luxuriösen Dolce-vita-Lebens, c) aufgrund der Tatsache, dass selbst offensiv vorgetragene Identitätspolitik mittlerweile kein Ding mehr ist, bei dem große Medienunternehmen noch zusammenzucken. Im Gegenteil: Wenn Apple, Netflix & Co. derzeit eine Ideologie auf dem Silbertablett herumtragen, dann ist es die von Diversity. The Weeknd wiederum zeigte mit seinem 2021er-Hit Blinding Lights, wie eine offensive Vermarktungsmaschine läuft, wenn sie denn läuft. Blinding Lights (siehe Clip oben) bietet nicht nur diskotauglichen R&B auf höchster Stufe von Dramatik, Oppulenz und Perfektion. Auf den mit einem MTV Music Award prämierten Clip folgte alsbald eine Version, in welcher der Song als Hintergrundmusik in einem Werbeauftritt für den neuen EQC von Mercedes zweitverwertet wurde. Das Bespielen aller verfügbaren Kanäle ist zwischenzeitlich kein Ausnahmefall, sondern Regel – nicht nur im oberen, erfolgreichen Segment des Musikmarkts, sondern auch bei Nachwuchsacts, Selfpromotern und dem tourenden Rest in den unteren und mittleren Rängen der Popmusik. Will heißen: ohne Streaming, ohne YT-Clips ,Facebook-Seite und – wo möglich – Industry-Kooperationen geht mittlerweile kaum noch was.

Was also ist mit dem alten Ding der Rebellion geworden – dem Kampf gegen das Establishment und für musikalische Töne, die diesem (möglichst) abstrichslos Rechnung tragen? Es gibt ihn weiterhin – im guten Sinn ebenso wie im Schlechten. Ebenso wie Major-Firmen und Medien-Imperien, die sich – siehe die Beispiele Ed Sheeran und Justin Bieber – den Nachwuchs hemmungslos krallen und auf ihr Konzept der größtmöglichen Vermarktbarkeit hin zurichten. Was indess deutlich in den Hintergrund getreten ist, sind die alten Geschichten: Schlagerstars, die sich lieber umbringen denn als Schwule outen (Rex Gildo), volkstümliche Interpreten, die lieber Rock’n’Roller geworden wären (Roy Black), Medien, die angesichts von Bill Haley und den Stones den Untergang des Abendlandes herbeifantasierten (seinerzeit: so gut wie alle), Manager, die wie weiland Feudalkönige über das Privatleben ihres Klienten bestimmen (Colonel Tom Parker, Elvis Presley), Sänger(innen) und Bands, die als nicht marktkonform genug behandelt wurden, kritische Liedermacher, denen (teils langjähriges) Airplay-Boykott widerfuhr (Hannes Wader; siehe Clip unten), Künstler, die nie gespielt wurden. Und, und, und.

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Die Geschichte der Popmusik ist voll mit derartigen Geschichten. Großereignisse wie die sich entladende Wut der Jugend im restaurativen Nachkriegs- und Wirtschaftswunder-Deutschland anlässlich von Auftritten des »amerikanischen Massenaufpeitschers Bill Haley« (Spiegel) oder den Stones sowie das legedäre Woodstock-Festival sind konstituierend für jene Aura der Renitenz, die einigen Stilen bis heute anhängt. Mit zur Legende gehört auch das drogeninduzierte, der Sinnkrise oder dem stressigen Tourneeleben geschuldete Ableben einiger Stars. Wie ist es um diese Widerständigkeit heute bestellt, und welche Hürden mussten überwunden werden? Einige Dinge haben sich sicherlich geändert. Auffällig ist, dass die Chancen, das eigene (musikalische) Ding durchzuziehen, heute größer sind als vor fünfzig oder gar siebzig Jahren. Elvis Presley etwa hatte von Anfang an Gegenwind – und das beileibe nicht nur in Form des berüchtigten Colonels. Vermittels konzertiertem Zusammenspiel fast aller wichtiger Player würgte die Musikindustrie die Rock’n’Roll-Welle auf eine Weise ab, die den Begriff »kulturelle Gleichschaltung« durchaus verdient. Heute stehen Nachwuchsacts lediglich vor der Entscheidung, den steinigen Weg zu gehen, sich dafür jedoch selbst treu zu bleiben, oder aber sich der Castingshow-Vermarktungsmaschine als Futter in den Rachen zu werfen. Aussichten: Die meisten bleiben dabei auf der Strecke. Einige allerdings – Beyoncé Knowles als die Madonna unserer modernen Zeit ist da ein gutes Beispiel – schaffen es und kommen so ganz nach oben.

Haben wir einen »Mainstream der Minderheiten« – wie das linke Autorenduo Tom Holert und Mark Terkessidis in den Neunzigern zuversichtlich buchtitelte? Einerseits ja – andererseits auf andere Weise, als es Musikkritik von linksautonom damals konzedierte. Bemerkenswert bei der Vielgestaltigkeit des sogenannten »Mainstream« ist der Umstand, dass Popmusik heute nicht (mehr) aus einem einzigen Zentrum heraus produziert wird, sondern dass sich dieses Zentrum in ein Mega-Netzwerk unterschiedlicher Zentren transferiert hat. Musikalisch keinesfalls mehr outside sind mittlerweile auch Märkte, die früher als kommerziell chancenlos eingeschätzt worden wären. Grund: das stetige Fortschreiten der Globalisierung. Furore macht aktuell beispielsweise Afropop. Sicher kann man die – bis in den karibischen und lateinamerikanischen Raum hin ausstrahlfähige – Popmusik des subsaharischen Kontinents unter gängige Schubladen wie »Ethno« oder »World Music« subsummieren. Kategorien dieser Couleur blenden allerdings die Tatsache aus, dass lokale Musikmärkte schon lange existieren. Via Internet, Social Medias sowie interaktiven Plattformen à la YouTube rücken nunmehr auch diese Märkte stärker ins öffentliche Bewußtsein. Zur althergebrachten Cassette tritt der Clip und der online gestellte Streaming-File. Fazit: Die Popmusik wird internationaler. Was à la longue, ohne große Propheterie, bedeutet: Der angelsächsisch-westeuropäische Anteil wird weiter schwinden – zugunsten neuer Musikmärkte in der restlichen Welt.

Dabei bestünde durchaus Grund, auch die Entstehungsbedingungen der westlichen Popmusik einer kritischen Reflexion zu unterziehen. Eine ihrer langlebigsten Legenden ist die, Popmusik – jedenfalls die geglättete, erfolgreiche und die Charts stürmende Version davon – sei im wesentlichen eine weiße Angelegenheit gewesen. Substanziell wird dieser Legende erstaunlich wenig widersprochen. Stattdessen kapriziert sich die in Germany vorherrschende Form der Popkritik mittlerweile auf den Aspekt, die auf Geschlechterrollen-Auflösung hin angelegten Komponenten in der neueren und ferneren Pophistorie neu zu würdigen. Sicher – ganz falsch ist das nicht. David Bowie, T. Tex und andere haben sicherlich einiges mit über Bord geworfen, was langsam anachronistisch wurde. Aber: Ist das die ganze Popmusik – respektive ihre Geschichte, wie sie beispielsweise Pop-Autor Jens Balzer oder das Musikmagazin spex als wesensbildend herausgekehrt haben? Sicher: Dem entgegen stehen andere, vorzugsweise auf herkömmliche Pop-Musikgeschichte hin abzielende Musikautoren wie etwa Ernst Hofacker. Fazit: Pop- und Rockmusik bleiben eine Baustelle – nicht nur musikalisch, sondern auch dort, wo diskursiv über sie geurteilt wird.

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Ist damit alles in Butter, findet – um im bereits aufgeführten Duktus zu bleiben – am Ende jedes Angebot seine Nachfrage? Gerade mit Blick auf die Entwicklung in Germany können einen da durchaus Zweifel befallen. Noch schlimmer: Pophistorisch gesehen bietet gerade der deutsche Musikmarkt üppig Gelegenheit, die mit grenzenloser kommerzieller Verblendung einhergehende Borniertheit der hiesigen »Mainstream«-Macher in realitas zu studieren. Ernst Hofacker hat diese Aspekte in seinen Büchern aufgegriffen – und recht genau die Tristesse beschrieben, die rockmusiktechnisch noch Ende der Sechziger vorherrschte: eine Tristesse, die letztlich allein der gesellschaftspolitischen Attitüde geschuldet war, die unliebsame Beat-Musik außerhalb der Landesgrenzen zu halten. Und auch Hollow Skai, Labelbegründer und in den Achtzigern Mitbeteiligter an der Neuen Deutschen Welle, schildert in seinem Buch Alles nur geträumt recht anschaulich, wie die etablierten Major-Dependancen erst einen großen Bogen um die neu entstandene Punk- und New-Wave-Szene machten – um kurz darauf unter dem Label »Neue Deutsche Welle« alles auf den Markt zu werfen, was eine Gitarre halten und deutsche Texte singen konnte. Die Düsseldorfer Frauen-Punkband Östro 430 (siehe Clip oben) gehörte nicht dazu. Ihr Kleinlabel Schallmauer Records löste sich 1983 auf; im Jahr darauf auch die Band. Am Ende ist aus dem Schlechten schließlich doch Gutes entstanden – in Form von Independent-Vertriebsfirmen wie etwa Indigo oder Rough Trade. Wenn sie auch nicht die Gesellschaft veränderten, haben Indigo, Buback, Trikont & andere ihren Teil dazu beigetragen, dass wenigstens der unangepasste Musik-Underground in Germany eine solide Überlebenschance hatte.

Sind das alles »Mashup«-Fragen? Sicher, Sure. Weil Musikfans die Fragen ähnlich sehen, die Entwicklungsgeschichte der Popmusik andererseits auf den unterschiedlichen Agenden nicht sehr weit oben rangiert, bestehen auch weiterhin gute Gründe für die Fortsetzung dieser kleinen Beitragsreihe. Wie bereits die beiden ersten »Mashup«-Staffeln widmet sich auch die dritte den Themen, die in der üblichen Berichterstattung als nicht so wichtig erachtet werden. Punkt eins sind die Zusammenhänge – die kleinen im Detail ebenso wie die großen, manchmal Jahrzehnte umspannenden. Kritisch und »independent« bleibt auch der Point of View der einzelnen Beiträge – wobei »kritisch« eher in der Tradition steht, das Gute hervorzuheben und »independent« keinesfalls in der, möglichst viele Scheuklappen um den eigenen Claim herum zu ziehen und den Rest der Musikwelt herunterzumachen. Elitäres hat seine Chance – allerdings nicht, weil »elitär« per se besser wäre. Ansonsten fühlt sich die »Mashup«-Reihe weiterhin einem popmusikalischen Populismus verpflichtet – nicht in dem Sinn, dass das Unterste quasi über den grünen Klee gelobt wird nach dem Motto »Die Massen können nicht irren«. Sondern in einem, der sich dem Gegenstand seiner Betrachtung mit Interesse nähert und dabei auch Richtungen, die mancherorts als degoutant gelten oder zumindest uncool, keinesfalls ausspart.

Was kommt in Staffel 3? Die Geschichte der wechselweitigen Verwerfungen zwischen »Independent« und »Mainstream« werden uns ganz sicher weiter begleiten. Der Aspekt, dass »People of Colour« – also Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner – ganz wesentlich an der Entwicklung moderner Popmusik-Stilistik mitwirkten, wird gleich in vier Stories aufgegriffen: einer zum Jazz, einer zur Vorgeschichte des Rock’n’Roll, einer zu Disco und einer zur aktuellen Contemporary R&B-Szenerie. Mit zwei Beiträgen vertreten sind diesmal die Rockproduzierenden aus Deutschland. Die dazugehörigen Stilrichtungen: Neue Deutsche Welle und Krautrock. Weitere Beiträge in den kommenden Monaten befassen sich mit Indierock, Mestizo (salopp formuliert: eine spezifisch links orientierte Form von »World Music«) und der Popmusik westlich der deutschen Westgrenze – dem Chanson. Beispielhaft sind – last but not least – die Karrieren der beiden übergreifenden Popstars aus den Kindertagen der Rockmusik. Wie üblich ist da nach der Musik zu fragen – ebenso allerdings auch, was der Colonel mit Elvis, die Mafia mit Sinatra und Sinatra mit Elvis zu tun hatte.

Als letztes an der Stelle einen persönlichen Dank an alle, die die vorangegangenen Staffeln mit Lob, Kritik, Anmerkungen und Anregungen flankiert haben. Mir persönlich hat die Reihe auf jeden Fall Spaß sowie mancherlei Erkenntnisgewinn gebracht. In diesem Sinn: Viel Spaß bei der nächsten »Mashup«-Staffel.

Info

»Mashups« sind Samplings, bei denen zwei oder mehr Musikstücke zu einem zusammengesamplet werden. Diese Beitragreihe »mashupt« Themen, Künstler(innen) und Stile der Pop- und Rockmusik. Die bisherigen Folgen:

Staffel 1: (1) Hardrock versus Country | (2) Stones versus Dylan | (3) Feuerzeugballaden | (4) Funk versus Soul | (5) Wader versus Scherben | (6) Clash versus Cure | (7) Der »Club 27« | (8) Reggae-Time | (9) Venus, Glam & heiße Liebe | (10) Raves & Bytes | Staffel 2: (1) Die Hüter der Tradition | (2) Die Weitergabe der Staffel | (3) Gabriel und Werding | (4) Global Villages | (5) Der Schmerz des weißen Mannes | (6) Die Leichtigkeit der Dinge | (7) Der Schwermetall-Report | (8) Beatz & Reime | (9) Hillbilly-Dynastien | (10) Retro-Mania

Staffel 3 steigt ein mit einem Beitrag zur Neuen Deutschen Welle und ihren Vorläufern. Der Rest folgt in unchronologischer Reihenfolge.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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