Ende der Siebziger Jahre sah Gott, dass die Rockmusik sich nicht nach seinem Geschmack entwickelt hatte. Also stieg er vom Himmel herab, wirbelte einmal kräftig durch das Geschehen, schärfte seinen Getreuen, die er kurz mit auf die Seite genommen hatte, etwas ein von wegen »Ihr müßt mehr auf die Roots achten« und machte sich darauf gleich wieder von hinnen. Seine Getreuen gaben ihr Bestes. Binnen fünf Jahren hatten sie die Rockmusik derart neu eingenordet, dass kaum noch ein Anhänger des alteingesessenen Pharisäerkultes (auch: »Artrock« oder »Progrock« genannt) sich in dem neuen Geschehen zurechtfand. Die neuen Stile hatten unterschiedliche Namen. Ein wichtiger (manche sagten sogar, es sei der wichtigste oder jedenfalls Allerwahrste, Allerauthentischste) war Punk. Doch Gottes neue Heerschar bot durchaus Raum für mehr Richtungen. Außer Punk gab es Reggae, Ska kam hinzu und Mods-Nachfolger mit Faible für Porky-Pie-Hüte, Sonnenbrillen und karierte Schwarzweißmuster. Im flackernden Licht neondurchfluteter Bars gesellten sich zu fortgeschrittener Stunde gar ein paar halbseidene Damen und Herren der Gattung Blue-Eyed Soul zur Runde – Simply Red beispielsweise oder Carmel. Hauptverkünder des neuen Evangeliums indess waren stark gitarrenrockbetonte und auf Druckablassen versierte Bands mit den Namen Pretenders, Police und Dire Straits. Und im Untergrund rumorte eine weitere, bis dato unbekannte Richtung: Wave, New Wave oder auch: Gothic.
Aller Differenzen ungeachtet war die Musikszene der Anfangs-Achtziger egalitär bis zum Anschlag. Und: durchlässig. Zugeben mochte das indess niemand. Punks verkloppten Popper; alle (oder jedenfalls die meisten) hassten Faschos. Aber sonst? Letztere auch hier ausgenommen, kamen im Schein der Neonbar alle zusammen. Denn: Wer wollte schon groß einen Unterschied machen, wenn die Tom Robinson Band songtextlich die Regenbogenkoalition umriss, die nötig war, um endlich Power in die Dunkelheit hineinzubringen? Dass die Zeit der zugekifften Hippies endgültig perdu war, galt allgemein als Konsens. Schwarze Klamotten waren auf einmal – unbedingt – angesagt. Und Konsumverzicht? Auf den wollte – nach Nina Hagens »White Punks on Dope«-Covereinspielung »Ich glotz’ TV« – auch niemand mehr was geben. Folglich kamen später Sade sowie eine Welle, die sich Neue Deutsche Welle nannte, mit der Gleichung »Schlager + bunte Klamotten + Ironie« jedoch weitaus prägnanter charakterisiert ist. Disco war auf den Dancefloors – zumindest denen des Vorstadtproletariats – bereits seit zehn Jahren angesagt. Nach den hektischen Achtzigern – ein, zwei Fluppen, und schon waren sie vorbei – bereitete sich die Republik bereits auf den Mauerfall und das »Anything Goes« der Nineties vor. Allerdings ist es immer schlecht, eine Geschichte vom Ende her zu erzählen. Berichtet werden soll daher von zwei Schlüsselsongs, die am Anfang jener Umbruchperiode standen – der eine ein Punkstück und Mobilisierer für jede Hausbesetzerdemo, der andere so richtig nach dem Weltschmerz-Feeling der Epoche: »London Calling« von The Clash und »Boy’s Don’t Cry« von den Cure.
London Calling
Beide Bands – Cure und The Clash – waren Bestandteil jener auf Fundamentalopposition eingestimmten Szenerie, welche sich Mitte der Siebziger anschickte, die Rockmusik-Welt vom verschwurbelten Kopf auf die Füße zu stellen. In gewisser Weise war eine Schmerzkur angesagt. Keine Band hatte den neuen Mix aus Provokation und neuen Sounds so gut drauf wie die Sex Pistols. In deren Umfeld – unter anderem als Vor-Band – schärften auch The Clash ihr Profil. Anders als die Pistols mit ihren zerstörungsdurchtränkten Zweieinhalb-Minuten-Abrißbirne-Nummern waren The Clash durchaus eine Band mit Traditionsbewusstsein. Das Grundsetting – die Dominanz der klassischen Besetzung Gitarre/Gesang, Bass, Drums – hatte sich die Formation um Sänger und Gitarrist Joe Strummer beim Merseybeat der Sixties-Machart abgeguckt – also: Yardbirds, Animals, Them und The Who. Hinzu kam – für reinkarätige Punkcombos wie die Pistols auch auch Ramones undenkbar – ein guter Schuß Reggae. Reggaedurchtränkt war auch »Armagiddeon Time«, die B-Seite der Single-Veröffentlichung vom dritten Album. »London Calling«, A-Seite und Titelsong des gleichnamigen Albums, begründete den Ruf von Clash gleich in zweierlei Hinsicht: a) als straighteste Vertreter des Punkrock, die damals zu haben waren, b) als linkspolitisches Flaggschiff der zeitgleich entstandenen »Rock against Rassism«-Bewegung.
Not war am Mann (und an der Frau): Die konservativ-neoliberale Regierung unter Margaret Thatcher polarisierte nicht nur in sozialer Hinsicht. In ihrem Windschatten formierte sich eine militant auftretende Straßen-Rechte, deren Ausläufer in Form der Skinheads auch in die neue Jugendbewegung hineinreichten. The Clash und andere Bands setzten hier ein Gegenzeichen. Vom Text her beschreibt »London Calling« ein apokalyptisches London – gezeichnet von Atomkraftwerk-Unfällen, Riots sowie sozialem Elend. Der Refrain ist kämpferisch gestimmt; er appelliert, sich mit Gleichgesinnten zusammenzutun. Die Titelzeile ist einer alten BBC-Parole entliehen und hier quasi gegen den Strich gebürstet. Die entschiedene Haltung wird durch das Video zum Song unterstrichen. Strummer und Mitstreiter stehen in Formation; der Clip selbst ist in grobkörnigem Schwarzweiß. Nichts hier ist beschönigt – das Stück ist ein einziger Weckruf, und so wurde es seinerzeits auch rezipiert.
Links, gegen den Strich gebürstet und renitent blieben The Clash auch in späteren Jahren. Als Combo hielten sie bis 1985 durch. Frontman Joe Strummer, verstorben im Sommer 2002, spielte »London Calling« auch zu späteren Gelegenheiten. Bemerkenswert ist die Version anlässlich seines Gastspiels bei den Pogues. Die – ebenfalls aus der Szene um die Pistols hervorgegangene – Folkpunk-Formation hatte ihren delirierend-genialen (oder: genial-delirierenden) Sänger Shane McGowan 1991 rausgeschmissen und benötigte dringend Ersatz. Ob Strummer für die Pogues-Backlist ein adäquater Ersatz war, ist Ansichtssache. Seine mit den Experten des irisch durchschwängerten LmaA-Lieds dargebotenen Live-Versionen von »London Calling« gehören jedoch zum besten Stil-Crossover, welchen die britische Rockszenerie Anfang der Neunziger zu bieten hatte.
Der Song selbst war zu jener Zeit längst zum Grundrepertoire aller links- bis linksautonomen Bewegungen avanciert. Wie weitgehend dieses einzelne Stück die Scheidelinie markierte zwischen dem sich stärker politisierenden Teil der Punk-Bewegung und jenen, für die einfach Sex & Drugs & Rock’n’Roll ihr Ding blieb, wird sich vermutlich nie klären lassen. Auch der Punk – jene Musik, welche die Rockmusik umgestülpt hatte wie kaum eine Richtung zuvor – verabschiedete sich ab Mitte der Achziger Jahre zunehmend von der Bühne. Was er hinterließ, waren unterschiedliche Scenes und Sub-Scenes: Hausbesetzer, Autonome, Lifestyle- und Straßenpunks. Und schließlich eine Richtung, die – unter dem Label New Wave; umgangssprachlich auch einfach: Wave – die Chose zuerst auf eine breitere Grundlage stellte, später jedoch ein eigenes Großgenre ausformte: Gothic.
Boys Don’t Cry
Zumindest textlich scheint es auf den ersten Blick keinen größeren Gegensatz zu geben zwischen dem auf politische message gebürsteten The-Clash-Klassiker und »Boys Don’t Cry« von The Cure. Historisch steht die 1979 erfolgte Single zwischen dem ersten Album der Band und dem zweiten. Pophistoriker verorten den treibend-melancholischen Gitarrensound, welcher zum erstrangigen Wiedererkennungsmerkmal der Band avancierte, als den Scheidepunkt zwischen Punk und New Wave. Der Text von »Boys Don’t Cry« ist selbst für heutige Verhältnisse ein Offenbarungseid: das rückhaltlose Geständnis eines Mannes an seine Ex-Geliebte, dass er sich wie ein Arschloch verhalten hat, demzufolge selbst Schuld daran ist, dass sie mit ihm Schluss gemacht hat und er – darüber weinen möchte, es allerdings nicht kann. Weil: Männer weinen eben nicht.
Vom Kampf-Impetus der Clash waren The Cure damit Lichtjahre entfernt. Nichtsdestotrotz wurde »Boys Don’t Cry« zu einem Allzeit-Klassiker der Band, zu dem Erkennungsstück von The Cure schlechthin. Ebenso wie The Clash wurden auch The Cure im Umfeld der Sex Pistols groß. Die Richtung des Gothic begründete die Band fast im Ein-Mann-Alleingang. Robert Smith, Sänger, Gitarrist und Songschreiber, gab den Cure nicht nur sein unverwechselbares Gesicht und eben den typischen melancholischen Weltschmerz-Sound. Als Aushelfer beförderte er auch die Karriere der zweiten maßgebenden Gothic-Band: Siouxsie & The Banshees. »Boys Don’t Cry« war dabei nicht mal der paradigmische Song der Band schlechthin. Weitaus typischer für den Cure-Sound war die langgestreckte, in Sachen Gitarren-Weltuntergangsriffs sicher ergiebigere Gruftieeloge »The Forest« – ebenfalls eine Auskoppelung aus dem Highlight-Album »Three Imaginary Boys«. Smith selbst indess wurde im Lauf der Jahre zum fleischgewordenen Sinnbild aller (Rock)-Männer, die weinen möchten, es aber nicht können.
Dass The Cure am Anfang jener Stil-Hauptrichtung standen, die später unter dem Label »Gothic« firmierte, ist insofern weniger verwunderlich als konsequent. Man könnte auch sagen: Smith und the Cure hatten es darauf angelegt – von Anfang an. Sowohl programmatisch als auch lebensweltlich sowie vom Outfit her schieden sich Punks und »Grufties« zunehmend voneinander. In den Neunziger Jahren hatte die »Schwarze Szene« – »New Wave« war zu der Zeit bereits Schnee von gestern – endgültig ihre Eigenständigkeit erreicht. Auffällig ist die Diskrepanz, was die bemerkenswerten Cover-Versionen anbelangt. Anders als der Clash-Klassiker blieb »Boys Don’t Cry« seiner Szene verhaftet. Sicherlich gibt es vom künstlerischen Aspekt her bemerkenswerte Einspielungen. Was die Genres anbelangt, machte der Song allerdings nie derart die Runde wie der Klassenkampf-Appell der Kollegen um Strummer & Co.
Das Öffentliche und das Persönliche
Straight-links oder divers? Im Rückblick ist es bezeichnend, dass zwar beide Songs sich bis heute »gehalten« haben – allerdings mit unterschiedlicher Bedeutung und mit unterschiedlichem Kontext. Als Betrachter muß ich mich selbstkritisch fragen, ob ich in Sachen Songvergleich der geeignete Objektivierer bin. Sicher: Ich mag – und das bis heute – beide. Allerdings war mein Zugang schon in den Achtzigern ein, nunja: vielleicht besonderer. Der auf Programmatik getrimmte Clash-Song fungierte in den Achtzigern als Erkennungshymne für alle, die mehr als nur DKP- oder sonstwie traditionslinks sein wollten. The Clash – und damit auch »London Calling« – waren Programmatik: politische Programmatik und Lebensgefühl in einem. Keine Fete, auf der »London Calling« – vielleicht im Gleichklang mit Nina Hagens »Auf’m Bahnhof Zoo« – nicht hoch und runter genudelt wurde. Fast – für ein paar Jahre – sah es so aus, als ob der von der Punk-Welle entfachte Blitzkrieg die Welt entern würde: musikalisch vorgegriffen auch diesmal wieder von Nina Hagen, die im Clip oben Frankieboy Sinatras Crooner-Schnulze »My Way« mal eben vom Kopf auf Berliner Füße stellt.
The Cure waren exklusiver und – gleichzeitig, in meinem Fall – banaler. Zwei, drei Thekenbedienungen meiner damaligen Stammkneipe hatten ein Faible für die wavigen Gruftie-Rocker. Hinterfragbar war das wenig: Ebenso wie heute die iTunes-Songliste die kneipentechnische Hintergrundbeschallung steuert, so taten das damals Cassetten – rückblickend die noch bessere Ausrede, nicht am Laufmeter den Sound zu wechseln. Wie auch immer: Die Cassettenvorlieben von Conny und Lisa brachten mich im konkreten Fall auf den Geschmack – und adelten den Sound von The Cure zu einer Art Soundtrack, der als Hintergrundrauschen über Jahre mitschwang. Im musikalisch-politisch verfeinerten Rückblick von heute ist frappierend, wie gut beide Songs nach wie vor funktionieren. »London Calling« hat sich als Hymne verselbständigt; als Kracher funktioniert es bei einem Stadionrock-Hochkaräter wie Bruce Springsteen ebenso wie bei begrenzt bekannten Politpunk-Combos oder Straßenmusikant(inn)en. Wenn man so will, transportiert das Stück eine zeitlose klassenkämpferische – oder jedenfalls: entschieden Gesellschafts-unkonforme – Haltung. »Boys Don’t Cry« funktioniert anders. Nicht nur, weil sein Schöpfer nach wie vor als der ungekrönte König des nah am Wasser gebauten Weltschmerzes durch die Lande tourt. Auch politisch ist das Stück hochaktuell. Man muß die Brücke nicht schlagen zur Subkultur der Emos oder heutigen Ansätzen im Queer-Milieu. Dass männliche Gefühlswelten – auch für Männer – oft toxisch sind, ist mittlerweile immer stärker Allgemeinplatz. Nirgends wird dieser »Point of View« wohl politischer als da, wo man das politische Wirken echter Männer vom Schlag Trump oder Erdogan in live beobachten kann.
So bleibt der Popmusik auch hier ihre (widerspruchsvolle) Dialektik erhalten: »London Calling« rekurriert auf linkes Klassenkampfdenken – insofern auf das Soziale, die nach außen gerichtete Komponente. »Boys Don’t Cry« hingegen betont die (männliche) Innerlichkeit, ist insofern klar identitätspolitisch ausgerichtet. Eine Binse sicher, dass das Strömenlassen der Tränen uns Rechtspopulisten und soziale Schieflagen nicht vom Hals schafft. Ebenso sicher ist allerdings, dass die von Smith & Co. songtechnisch zugespitzte Problematik weiterhin virulent bleibt: spätestens dann, wenn wieder mal eine Frau einem Partner den Laufpass gegeben hat – und die Tränen partout nicht fließen wollen.
Mashups (siehe Wikipedia) sind Samplings, bei denen zwei oder mehr Musikstücke zu einem zusammengesamplet werden. Die »Mashup«-Textreihe kapriziert sich auf Schlüsselsongs – wobei in jeder Folge zwei vergleichbare Popmusik-Stücke im Mittelpunkt stehen.
Bisherige Folgen: (1) Hardrock versus Country | (2) Stones versus Dylan | (3) Feuerzeugballaden | (4) Funk versus Soul | (5) Wader versus Scherben
In der nächsten Folge begeben wir uns auf die Spuren von Janis, Jim & Co. Titel: »Mashup Vol. 7: der »Klub 27«
Kommentare 18
In diesem Forum mag man sicher den kämpferisch-harten Kommentar zur Zeit, aber wohl auch den intimeren eines Bekenntnisses zum Politischen des Privaten. Das soll nicht mein Thema sein. Ich möchte hier erläutern, warum London Calling solch eine Resonanz bis heute findet. Und zwar nicht nur, vielleicht weniger mit der message, der Formulierung eines Lebensgefühls, sondern weil man musikalisch einen mitreißenden Ausdruck dafür gefunden hat. Demgegenüber sind The Cure (nochmals, um nicht mißverstanden zu werden: rein musikalisch) belanglos, und auch von The Clash kenne ich kaum Vergleichbares.
Grundlage des Stücks ist eine musikalische Schleife bzw Pendelbewegung aus drei/vier/zwei Schritten, die Harmoniefolge I e-Moll: E-G-H, II F-Dur: E-F-A-c, III G-Dur: G-H-d-e, IV d-Moll: D-A-(c). Man kann das allerdings auch modal hören als Tonleiter EFGAHcd. Und als Quintenversetzung: EH-Fc-Gd-DA. Das fabelhafte an Musik ist die Mehrdeutigkeit dieser Sprache, man kann unaufgelöste Akkorde oder solche, die Dissonanztöne enthalten, immer unterschiedlich auflösen. Und so ist III als Umkehrung von I mit Septime lesbar. Und wenn man die Stufe IV zunächst ausläßt, haben wir die dominante Pendelbewegung I-II-I-I. Daß sie der Kern des Stückes ist, macht das Bassriff zu Beginn klar: Hˌ-E*G-E-G-c und Hˌ-E*G-E-G-C, Und das wird in der Gesangslinie wiederholt: H-G-E-c. Damit wird überdeutlich, daß vorrangig diese Verrückung von E nach F gemeint ist, und das eindringliche daran ist die Reibung kleine Sekunde EF und Tritonus HˌF durch die stehengebliebene Quart HˌE. Die Wirkung des Stückes beruht im Wesentlichen auf dieser Dissonanz. Und ich möchte hinzufügen der punkigen Rohheit der Kadenz IV-I, die klassisch geschönt dem Molldreiklang den Akkord Fis-A-H-dis vorsetzen würde.
Ihren Kommentar werde ich wahrscheinlich noch mehrfach lesen müssen, um ihn zu verstehen. Ich werde ihn verstehen! Danke
Eine Beschreibung zweier Gruppen, die ich nicht, damals und auch nicht heute, auf dem Schirm hatte und habe. Musikalisch finde ich sie weniger erregend. Allerdings wie immer von Ihnen dezidiert beschrieben. Und wie immer, ich wiederhole mich gerne, macht es Spaß Ihren Maschup zu lesen.
I’m Sorry – aber bei E, H, Gd und so weiter verstehe ich schlichtweg Bahnhof. Ich denke, ebenso wird es auch den meisten anderen Nicht-Musikstudierten gehen. Wie schon in vergangenen Diskussionen bezweifele ich darüber hinaus, dass E, G und so weiter objektivierbare Qualitätsgaranten sind (etwa nach dem Motto: G-E ist höherwertig, E-G hingegen minderqualitativ). (Um nicht mißverstanden zu werden: Ich halte niemanden davon ab, dass so zu sehen. Denke jedoch, dass Forist(inn)en, die mit diesem formalen Handgepack hier herumjustieren möchten, dies mehr oder weniger auf eigene Gefahr tun.
Wie bereits gesagt ist objektivierbare Qualität (die ich – wieso soll ich an etwas glauben, an dem sogar das Bauhaus gescheitert ist? – sowieso bezweifele) im Rahmen dieser Reihe auch nicht mein Ding. Ich schreibe über gesellschaftliche Phänomene – wobei unter Umständen durchaus einkalkuliert sein kann, dass eine Chose »qualitativ» (gesetzt einmal der Fall, dies ließe sich objektivierbar bewerten) eher bescheiden ist, als gesellschaftliches Phänomen jedoch durchaus bemerkenswert. Punk kann man sicher auf diese Weise bewerten. Allerdings will ich nicht verhehlen, dass mein Zugang insgesamt doch ein ziemlich durchlebter ist. Oder, anders gesagt: Rein »wissenschaftlich« angegangen (wieder gesetzt den Fall, das gäbe es) würde mir die Reihe nicht nur keinen Spaß machen. Ich sähe auch anderweitig wenig Sinn darin und würde, wenn dies schon sein muß, dann lieber den Köpfen überlassen, die sowas von Beruf praktizieren.
Nichtsdestotrotz will ich dem Thema »Qualitäskriterien« nicht vollends ausweichen. Bei einer der nächsten Folgen (über den Inhalt kann ich leider nicht mehr verraten) ist das sogar ein recht zentraler Aspekt. Aber sonst? Wie gesagt – ich mag beide der beprochenen Songs (und eine Reihe der anderen Erwähnten dazu). Falls das schlechter Geschmack sein sollte, kann ich damit prima leben – mit der Form »Stigma« schlage ich mich als Rebellionserprobter schließlich schon eine gute Weile rum ;-).
Interessant ist die Markierung des “Boy who want's to cry“. Zwar waren Wave und Gothic inhaltlich vielgestaltig, und doch mögen The Cure mit “Boys don't cry“ eine Wegmarke gelegt haben zur melancholischen Romantik oder auch Androgynität in der Szene, deren Vorreiter sie wohl aber eigentlich auch gar nicht sein wollten.
Siouxsie & the Banshees würde ich jedoch nicht an zweite Stelle setzen. Aber gut, sie stehen für den Übergang vom Punk zu Wave/ Gothic. Im Grunde war's ja wie Familie: The Clash, Sex Pistols und Siouxsie bestritten 1976 das erste, legendäre Punkkonzert im Londoner 100-Club. Sid Vicious da noch an den Drums von Siouxsie. Und Robert Smith spielte später auch zeitweise bei Siouxsie. Sängerin Siouxsie Sioux wurde die Style-Ikone für Gothic-Mädels.
Interessant tatsächlich auch der Stilmix bzw. die stilistische Offenheit. Dass The Clash immer hochpolitisch waren, mag sie auch zum Reggae/Dub geführt haben; haben sich diese doch auch als Ausdruck von Ethnizität und (!) Emanzipation unter den Einwanderern karibischer und afrikanischer Herkunft in GB gerade zu dieser Zeit etabliert. Nicht unerwähnt bleiben dürfen hier auch Bauhaus, die Grandseigneurs des dandyliken und kunstavantgardistischen Gothic-Rock. Mit Sänger Peter Murphy eine Bowie-Kopie (die stimmliche Ähnlichkeit frappierend) schwebten sie zwischen originären Gothic-Themen und DADA und scheuten auch nicht Ausflüge in den Dub.
Danke für die Erinnerung jedenfalls! The Cure waren zwar nie so wirklich mein Ding, aber The Clash dafür umso mehr. Auch noch die späten, poppigen.
Nunja, durch eine Funktionsharmonik-Brille kann man das so deuten. Und ich meine doch - wir hatten das kürzlich ja schon -, das Rock und Pop mit derartigen Analysen nicht hinreichend begegnet werden kann. Die Formalisierung ist schon bei der Klassik schwierig und schließt zu viele Parameter aus, hat da aber immerhin noch seinen Hintergrund. Ich kann die 3 + 1 Akkordfolge von London Calling nun mit dem gleichen Recht auch banal nennen.
PS: D-Dur bem Beschließen des Refrains (“and I live by the river“). Da wird die Modalität reizvoll durchbrochen.
Man braucht Musik nicht unter dem Kriterium der künstlerischen Qualität der Schönheit betrachten. Das stimmt und das gilt sogar für die meisten Konsumenten. Und ich habe keine Einwände gegen die kulturgeschichtliche Betrachtungsweise in dieser Reihe. Selbstverständlich ist es ein interessantes Thema, wie sich Gesellschaftliches in kulturellen Aktivitäten spiegelt. Mein Thema ist ein anderes, philosophischeres, abstrakteres, aber es braucht sich niemand dadurch angegriffen oder herabgesetzt fühlen – die idiosynkratischen Reaktionen auf mein Thema verstehe ich ehrlich gesagt nicht.
Im Fall der klassischen Musik, wohl auch eher im Jazz, und allgemeiner in dem, was man als Kunst bezeichnet, ist die ästhetische Qualität der zentrale Gesichtspunkt, wer da behauptet, Schönheit liege im Auge des Betrachters, sei vor allem subjektiv, hat die geistige Dimension der Kunst nicht verstanden. Niemand muß Kunst verstehen, aber das ist dann eine Form geistiger Armut.
Die Popularmusik ist an erster Stelle Gebrauchsmusik, keine Kunst. Aber es ist sehr erfreulich, wenn sie über ihre Funktionalität hinauswächst und ästhetische Qualitäten entwickelt. Dem gilt mein Interesse, auch weil ich darin einen enormen kulturellen Fortschritt erblicke. Und ich denke, es ist durchaus auch die ästhetische Qualität, mit der sich viele Stücke der Rockidole ins Bewußtsein der jüngeren Konsumenten eingebrannt haben, neben Gestus, Style und anderen Äußerlichkeiten.
Das ist mein Ansatz, und das habe ich hier wieder zu exemplifizieren versucht. Falls meine Argumente nicht überzeugen, sollte man ihnen widersprechen und gegebenenfalls die Schönheit bestreiten oder woanders finden. Also, um es nochmal zu sagen: Ich habe eine bestimmte musikalische Struktur dafür verantwortlich gemacht, daß dieses Stück von The Clash so eine starke Resonanz gefunden hat, und ähnliches finde ich bei den Rolling Stones, Bob Dylan und wie sie alle heißen. Das höre ich so und das analysiere ich dementsprechend. Und das ist nicht anders als in der klassischen Musik, die gleiche Semantik des Ausdrucks, nur reichen die Parallelen nicht über die ältere Moderne hinaus.
Ich verweise auf meinen Vorkommentar. Meine ästhetische Analyse soll keineswegs die musiksoziologische ersetzen, in diese Richtung geht ja Zietz. Nur halte ich die ästhetische Dimension für geradezu borniert unterschätzt, allgemein, nicht nur hier. Ich denke, daß der Musikgeschmack sehr genau über die ästhetische Intelligenz Auskunft gibt. Für die 68er war es nicht unwichtig, die bessere Musik zu haben, der Aufstand gegen die falschen Lebensformen war auch ein Aufstand gegen den schlechten Geschmack. Mit der teilweisen Restauration ist auch der schlechte Geschmack teilweise zurückgekommen.
Zur Banalität. Ästhetik hat in meinem Verständnis eine extensionale und eine intensionale Seite, kurz: Komplexität und Suggestivität. Zu ersterer gehört handwerkliche Virtuosität, zu letzterer Stimmigkeit, Tiefe, Notwendigkeit. Das Ideal treibt die klassische Musik an bis in die zeitgenössische. Die populäre Musik bleibt niederkomplex, sowohl, weil sie auf ein großes Publikum abzielt, als auch weil sie nicht die Musik von jahre- bis jahrzehntelang ausgebildeten Spezialisten ist. Das andere ästhetische Prinzip kann sie aber durchaus verfolgen, wie bewußt auch immer, intuitiv tut sie das. Nicht das Einfache ist banal, sondern das Einfache, das mit überflüssigen Mitteln erzeugt wird, dies ist ein fundamentales Ökonomieprinzip. Übrigens die harmonische Verrückung in London Calling ist doch eher ein seltenes Klangbild. Und ebenso die Kadenz D-Dur (richtig: hier muß ich mich korrigieren, man hört das Fis, es ist Dur) nach e-Moll, die weder richtig funktionsharmonisch noch modal ist. Diese Lösung kann man nicht als optimal ansehen, aber trivial ist sie auch nicht.
Meine Frage ist wie im Vorkommentar: wird die ästhetische Wirkung bestritten oder die analytische Begründung dieser Wirkung?
(& @miauxx:)
Ja – die Zugänge zu Musik sind divers: ein Fact, der wegen mir gern hunderttausend weitere Jahre so bleiben darf.
Zum Thema Qualität habe ich mich bereits in einem Kommentar zu einem früheren Beitrag als unzuständig erklärt. Das heißt: Wer da wiegen und messen will, kann das gerne tun. Nur für mich wiegen die gesellschaftlich-kulturellen Faktoren einfach schwerer.
Ein Beispiel zur Veranschaulichung: Im letzten Jahr war ich im Mittelrheintal und dort – es war Samstag – auch auf einem Open Air-Grillfest mit Live-Begleitkapelle, welches der größte Gastronom am Ort ausgerichtet hatte. Die Kapelle – drei Stimmen plus Akustikgitarren – nudelte das zu erwartende Programm zeitloser Popstücke durch. Die Musiker zogen ihr Repertoire tapfer durch – eine eher undankbare und vermutlich auch eher in Maßen versilberte Aufgabe. Zwei, drei Frauen brachten dem Nachwuchs die nötigen Kniffe in Sachen Sich-Bewegen auf der Tanzfläche bei; das war’s im Wesentlichen. Gut – also qualitativ überdurchschnittlich – war die Darbietung keinesfalls. Aber – und jeder wußte das auch: Darauf kam es nicht an. An kam es auf das Schaffen einer informelle(re)n Stimmung – also um Entspannung und einen angenehmen Background. Und, ebenfalls nicht unbedeutsam: es war eben kein Schunkelschlager oder Ähnliches aus der Güteklasse, sondern eben – internationaler Pop mit Rock-Flair.
Was hat das mit Punk zu tun, oder, allgemein: dem Thema? Auf die Rezipienten kommt es an. Kulturell wesentlich ist der Fact, dass unsere Gesellschaft genügend divers ist, sich eine Reihe unterschiedlicher Formen informellen Beisammenseins zu leisten. In richtig autoritären Regimen (also Marke Nordkorea, Saudi-Arabien oder auch Iran) sind diese Vergnügungen gecancelt oder zumindest stark reglementiert. Gefahr droht allerdings auch von der neoliberalen Seite. Nicht umsonst favorisieren die Neoliberalen allesamt Formate, in denen Konkurrenz und auch das Sich-Verbiegen integrale Bestandteile sind (Beispiele: Bohlen, Dschungelcamp, DSDS und so weiter). Demgegenüber steht eine Kultur doch vergleichsweise freier Informalität. Jazz etwa dürfte – nach der Klassik – die wohl am meisten bezuschusste Musikform sein (was ich absolut richtig finde; Sozialisten sollten hier mindestens doppelt so viel sponsoren wie die Bürgerlichen). Diese Informalität wiederum ist nicht nur ein Anzeichen dafür, wie liberal / zivilisiert / sozial befriedet eine Gesellschaft ist. Die sozialen Kämpfe der letzten hundert Jahre haben gezeigt, dass auch diese informellen Freiheiten keinesfalls selbstverständlich sind und im Zweifelfall eben immer wieder eingekämpft werden müssen. Ein nicht unwesentlicher Bestandteil dabei: der Kampf um den authentischen künstlerischen Ausdruck – ein Terrain, auf dem es die letzten hundert Jahre, Jazz, Rock und so weiter sei es mitgedankt, doch beachtliche Fortschritte gegeben hat.
Man MUSS natürlich diesen theoretischen Background nicht haben, um sich an Rockmusik zu erfreuen (oder auch: über sie zu schreiben). Allerdings kommt es weder von ungefähr, WELCHE Stücke sich im Detail ins kollektive Gedächtnis eingebrannt haben noch die Art und Weise, wie diese Musik rezipiert wird. Das ist in etwa das Spielfeld, dass ich persönlich interessant finde (während ich zu anderen Aspekten, insbesondere auch zu denen der Verwendung bestimmter Tonleiter-Abfolgen, wenig beitragen kann). Entsprechend bin ich gerade auch in Kulturfragen entschieden linker Populist. Vor dem Hintergrund auch – ob richtig oder danebenliegend sei an der Stelle dahingestellt – meine Präferenzen in dieser Beitragsreihe. Wie gesagt: Man kann durchaus einen anderen Zugang zu Popmusik / Popkultur haben (oder auch, obwohl ich nicht glaube, dass es das in Reinform gibt: gar keinen). Kultur – so sie wichtig ist – bedeutet aber auch: über selbige reden. Da beim »Reden« auch der Längenfaktor mit eine Rolle spielt, belasse ich es einfach dabei und setze an der Stelle ein »Open End«.
Alledem widerspreche ich nicht. Ich gebe nur zu bedenken: „Böse Menschen haben keine Lieder“ ist absolut falsch. Daher soll man sich niederlassen, wo es gute Lieder gibt. Darum haben Eisler und Schönberg Programme gegen die musikalische Dummheit entworfen. Dummheit ist eine moralische Kategorie. Das sollte auch ein Populist (ich kritisiere Populismus nicht) im Hinterkopf haben.
Guter Hinweis zum Reggae/Dub. The Clash passten aus meiner Sicht in keine der Kategorien so richtig. Punk war zwar ganz sicher nicht rechts, aber er war eben auch nicht in dem Sinne links, dass er irgendwie in die Kontinuität von Arbeiter- oder Sozialbewegung gepasst hätte, dazu war er zu nihilistisch. Ganz anders Reggae, wo Programmatik zumindest, seit er hier im Westen auftauchte, ein wesentliches Element war. The Clash vereinbarten diese scheinbar unvereinbaren Welten, und dabei entstand etwas neues.
@miauxx & Richard Zietz
Interesante Überlegungen zu The Cure und Gothic. Ich glaube, über die Frage, was eigentlich Gothic lostrat, kann man genau so diskutieren wie vor einigen Monaten zur selben Frage bezüglich Metal.
Letztlich muss man sagen, dass Gothic einen langen Weg hinlegte. Optik und Klang Ende der 1980er Jahre hatte schon kaum noch zu tun mit den Vogelnestfrisuren und weiß geschminkten Gesichtern bei The Cure, aber ohne die wäre es eben auch nicht "passiert". Das selbe kann man sicher auch über Siouxsie sagen.
Bauhaus ist ein Fall für sich, natürlich ist "Bela Lugosi is dead" ein Klassiker des Genres, aber wenn man sich die Alben der Zeit anhört, ist da erstaunlich wenig "Gothic" bei (und verdammt gute Musik).
Für mich wurde Gothic eigentlich erst Gothic mit Sisters of Mercy, die es einfach - auch mit dem notwendigen Anteil Selbstironie - gnadenlos übertrieben. Das war die Zeit, wo dann scharenweise Vogelscheuchen in den Discos ihren drei-Schritte-vor-Hocke-drei-Schritte-zurück-Hocke-Tanz inszenierten. Zum von denen meist völlig übersehenen Humor muss ich einfach auf die vielen Konzerte verweisen, wo nicht wenige ohne Schminke und schwarze Kluft vorn an der Bühne standen und sich mit einem Joint in der Hand der Zeitlupen-Elvis-Hüftschwünge vom sich mit Fluppe in der Hand am Mikrophonständer festhaltenden Andrew Eldritch erfreuten.
Zurück zu The Cure. Ich bin froh, dass der Autor hier das Album "Three Imaginary Boys" erwähnt. Auch das hat eigentlich wenig mit Gothic zu tun, dazu ist es viel zu minimalistisch (was aus meiner Sicht auch gerade die Genialität des Albums ausmacht) - ich denke an das großartige "10.15 Saturday night" mit dem herrlichen tropfenden Wasserhahn. Und auch nicht unerwähnt bleiben soll, dass dieses Album für mich klar in die Top-10 der besten je gemachten Coverarts gehört (irgendwo in der selben Region wie Searching for the young Soul Rebels).
Auch wenn The Cure zweifellos ihren Anteil an Gothic haben, sind sie für mich immer ein Unikum geblieben. Und dabei stört eigentlich ein Song wie "Boys don't cry", denn er war erfolgreich (igitt), weil verhältnismäßig leicht konsumierbar und betont ein stilistisches Element der Band, das ich eigentlich gar nicht so typisch fand. Ihre Großartigkeit zeigen sie aus meiner Sicht vor allem in den etwas sperrigeren Teilen des Frühwerks. Aber, wie wir ja auch schon häufiger hier geschrieben haben, bleibt es ja vor allem eines - Geschmacksache, und jeder von uns verbindet auch seine eigenen Geschichten damit.
" Punk war zwar ganz sicher nicht rechts, aber er war eben auch nicht in dem Sinne links, dass er irgendwie in die Kontinuität von Arbeiter- oder Sozialbewegung gepasst hätte, dazu war er zu nihilistisch. Ganz anders Reggae, wo Programmatik zumindest, seit er hier im Westen auftauchte, ein wesentliches Element war. The Clash vereinbarten diese scheinbar unvereinbaren Welten, und dabei entstand etwas neues."
Ich meine, das trifft's auf den Punkt!
" Gut – also qualitativ überdurchschnittlich – war die Darbietung keinesfalls. Aber – und jeder wußte das auch: Darauf kam es nicht an. An kam es auf das Schaffen einer informelle(re)n Stimmung – also um Entspannung und einen angenehmen Background."
Ja, eben, so ist es. Bei, na sagen wir mal, populärer Musik gilt insbesondere, dass es den "innermusikalischen" Aspekt (also etwa eine Analyse der Harmonik, wie sie W.Endemann oben anstellt) und den "außermusikalischen" Aspekt niemals für sich isoliert gibt.
»Punk war zwar ganz sicher nicht rechts, aber er war eben auch nicht in dem Sinne links, dass er irgendwie in die Kontinuität von Arbeiter- oder Sozialbewegung gepasst hätte, (…)«
Ich glaube, man muß die unvereinbaren Welten nicht zwangsläufig miteinander vereinen (oder man geht her und sagt: »Clash waren aktiv in der RAR-Bewegung, da wurde auch Reggae gehört und so kam sowas von sowas«).
Beim Punk war das Glück, dass einige fähige Leute im Punk und aus den politischen Bewegungen (Hausbesetzer etcetera) zugepackt und doch große Teile der Bewegung ins linke Lager geholt haben. Als Mitbeteiligter an diversen Konzertveranstaltungen (unter anderem mit Hans-A-Plast, Slime, Daily Terror sowie Hosen plus wahrer Heino) habe ich die Chose recht hautnah mitbekommen. Mitbekommen habe ich auch, wie speziell eine Reihe Enthusiasten der British-Original-Punk-Richtung in die rechte Richtung abgedriftet sind.
Zehn Jahre später hatte sich das ausdifferenziert. Letzte maßgebliche Welle war Fun-Punk (also Hosen, Ärzte usw.). Dann war’s in gemäßigter Form Attitüde und in der härteren das, was in großstädtischen Fußgängerzonen zu besichten ist. Last but not least haben die Autonomen eine Menge Leute aufgesogen. Aus musikalischer Warte für mich interessant ist, wie Punk und die Stile darauf die Rockmusik verändert haben. Nichts war Anfang der Neunziger noch so wie zehn, fünfzehn Jahre zuvor. Ich persönlich denke, dass das Aufnorden der Rockmusik ein großer Verdienst war – vielleicht sogar der Wichtigste.
Ich verstehe @mbert nun nicht unbedingt so, dass soziale Strömungen unbedingt zusammengedacht werden müssten, als vielmehr, dass die politischen The Clash das Politische des Reggae im Westen aufgenommen bzw. sich mit der Emanzipationsbewegung der Einwanderer karibischer/ afrikanischer Herkunft in gewisser Weise solidarisiert haben. Das war bemerkenswert nicht nur unter dem Aspekt, dass die Band immer ausdrücklich politisch war, sondern auch, dass sie die Grenze des Punk als Angelegenheit Weißer durchbrochen haben. Und das war sie im Grunde ja schon - was sich auch daran zeigt, wie Sie selbst auch erwähnen, dass die Grenzen Richtung rechtsnationaler Orientierung fließend waren. (Findet man auch in den späteren Abarten des Punk, wie z.B. im us-amerikanischen Hard- und v.a. Hatecore-Umfeld).
So wie ich den Kommentar verstehe, denke ich, gibt das ganz gut meine Auffassung wieder. Ich habe ja nun selber mein ganzes Leben lang Musik gemacht, wenn auch der Plan, irgendwann mal Rockstar zu werden, schon länger ad acta gelegt ist :)
Aber letztlich scheint mir das, was wir bei The Clash am Ende als Gesamtkunstwerk bewundern, letztlich einfach das Resultat von Inspirationen und Sympathie zu sein, was einfach beim Jammen, Basteln und Arrangieren seine Spuren hinterlässt. Ich denke schon, dass da zusammenwuchs, was - vielleicht aus anderer Perspektive so gedacht - eh zusammengehörte, ich würde da aber auch keinen "Masterplan" sehen.
Die Nähe von Punk und Reggae ist uns ja noch viel direkter bei den ganzen 2-tone Bands etwa zur selben Zeit ins Gesicht gesprungen, ich denke da besonders an das erste Specials-Album. Interessant ist da auch, dass die optischen und musikalischen Übergänge zur rechten Skinhead-Szene oft so fließend war, dass man sich irgendwann genötigt sah, den Abstand z.B. durch Aufnäher auf der Jacke etc. ganz entschieden herzustellen.
So wenig wie der Chemiker die Qualität des Wasser über ihre atomaren Bestandteile und ihre chemische Formel mit H2O auch nur annähernd mit den lebenswirklichen Bezügen von Wasser darstellen kann (es hat seinen spezifischen, analytischen Kontext und Sinn/Zweck), so wenig kann die begriffliche Beschreibung musikalischer Werke das vermitteln, was Schönheit hier hinsichtlich von Rythmus/Melodie beim Empfänger jeweils individuell auslöst.
Denn selbst wenn zwei Empfänger/Kenner in Sachen Musik sich einvernehmlich über ein Stück auslassen können, haben sie doch oft eine unterschiedliche Empfindung/Resonanz dazu, also warum bei diesem ein Klassiker/Hit und beim andern eher das Gegenteil.
Vielleicht wäre es sinnvoll "Schönheit" hier noch zu differenzieren, denn eine mögliche, zugrundeliegende "objektive" Schöhnheit wäre dann losgelöst vom individuellen Wohlgefallen daran, was wiederum mit der individuellen Einzigartigkeit jeder Person zu tun hat.