Mein politisches Tagebuch: 04. September 2014

Wochenende Donnerstag – der Tag, an dem auch die Politik auf »Wochenende« umschaltet. Aus diesem Grund auch den Tagebuch-Eintrag zum Thema bereits am Donnerstag.

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Das kommende Wochenende verspricht, politisch eher ruhig zu werden. Die Sachsenwahl ist bereits vier Tage nach der Wahl Schnee von vorgestern. Interessetechnisch schlägt, wie zu erwarten, der russische Wladimir den sächsischen Stanislaw um Längen. Haupt-Spin derzeit, nach anderthalb Tagen der großen Irritation: krampfhafte Bemühungen, Putin und seine Vorschläge zum Durchschlagen des gordischen ukrainischen Knotens (Waffenruhe, Verhandlungen unter Einbeziehung aller Konfliktinvolvierten, Autonomie statt Staatlichkeit für die Ostukraine) auf **Ignore** zu setzen und weiter am Eskalationsschräubchen zu drehen, als ob nichts geschehen wäre. Ansonsten macht die IS weiter Stress. Für diejenigen, die das Wochenende politisch lieber »light« mögen, gibt’s einen neuen leckeren Personenskandal: um die CSU-Politikerin Christine Haderthauer sowie Modellautos, die sie von psychisch kranken Knastis bauen ließ. Modellautos – das ist wirklich schlimm. Wo, zumindest laut Focus, doch eher Gruppenvergewaltigung unter der Dusche der ordnungsgemässe Normalfall in deutschen Justizvollzugsanstalten ist.

Zumindest das miese Novemberwetter ist strikt demokratisch. Es tangiert auch die, welche allwochenends Berlin verlassen und in den heimischen Wahlkreis düsen. Heimischer Wahlkreis ist gut. Wie die Frankfurter Rundschau im Februar berichtete, haben Ursula von der Leyen, Andrea Nahles und Manuela Schleswig zusammen mit Heiko Maas eine Art reichstagliches Girls Camp begründet. Um sich eine teure Berliner Zweitwohnung zu sparen, nächtigen die vier Minister(innen) unter der Woche in ihren Diensträumlichkeiten. Einerseits kann man das systempositiv sehen: Zumindest ein Teil der maßgeblichen Verantwortungsträger ist derart preußisch-überkorrekt, dass er sich wirklich überhaupt keinen Luxus gönnt. Arbeit als einziger Lebensinhalt, sechszehn Stunden, achtzehn Stunden, zwanzig Stunden. Andererseits schwingt bei der Sparbrötchen-Nummer ein guter Schuß Kritikbekämpfung im Vorfeld mit: Wer die merkelantistische Sparmoral derart an der eigenen Person mit durchexerziert, dem (beziehungsweise der) kann man schlecht den Vorwurf machen, er (beziehungsweise sie) presse das Volk eigennützigerweise bis aufs Blut aus.

Wolfgang Thierse ist da ein ganz anderes Kaliber. Der SPD-Politiker wohnt, ganz nachbarschaftlich verwurzelt, in seinem eigenen Kietz am Kollwitz-Platz im vollgentrifizierten Berliner Bionade-Bezirk Prenzlauer Berg. Ansonsten gilt Thierse als barock-sinnenfreudiger Genußmensch – im Unterschied zu den vier Regierungsdamen und -herren, die sich unter der Woche in ihrem Regierungsraumschiff verbarrikadieren und normale, nicht dienstbezogene Kontakte mit dem Volk auf diese Weise strikt meiden (selbst im diesbezüglich ziemlich ungefährlichen, weil für Normalmieter unerschwinglichen Bezirk Berlin–Mitte). Psychologisch gesehen sind Thierse und die Wohnen-auf-der-Arbeit-Fraktion indess zwei Seiten derselben Medaille. Während der eine trotzig-öfffentlich sein privilegiertes Leben lebt und quasi in bekennerhafte Weise dazu steht, verdeutlichen die Girlscamp-Zustände bei den vier Minister(inne)n die Beschleunigung, die Abstiegsängste, die mittlerweile auch ganz oben angekommen zu sein scheinen. Ein Hauch von Wohlfahrtsausschuß, wenn man so will – allerdings unter neoliberalen Vorzeichen. Heute Ministerin – morgen in den Schlagzeilen; wenn es schlecht läuft: EDEKA – Ende der Karriere. Gut, dann was auf der hohen Kante zu haben? Oder lieber agieren mit der Einstellung: »Mindestens die paar Jahre ordentlich gelebt«? – Letztlich Temperamentssache.

Christine Haderthauer wird eher eine unruhigere Sorte von Wochenende ins Haus stehen. Wie wird es laufen? Die Ex-Staatskanzleileiterin und Seehofer-Nachfolgerin in spe verreist, unauffindbar? Oder der Worst Case – Rolläden heruntergelassen, Pressemeute vor dem Tor und dahinter Telefonate und SMS-Nachrichten, oszillierend zwischen Hektik, Hoffnung und Verzweiflung? Wie auch immer: Frappierend an der – zwischenzeitlich auch in Wikipedia in beachtlicher Länge dargestellten – Causa ist weniger das angebliche Corpus delicti als solches: die Tatsache, dass Knackis für Dumpinglöhne teure Liebhaber-Spielzeugautos basteln (anstatt, ebenfalls für Dumping, hochmonotone und teils gefährliche Hilfs-Zuarbeiten leisten für staatliche Betriebe). Frappierend am Fall Haderthauer ist der quasi maschinell einsetzende Vorverurteilungsmechanismus – ein seriell funktionierendes System mediengelenkter Echauffierung und Prominentenhinrichtung, dass grundsätzlich nur üble Motive unterstellt und mittlerweile mindestens ebenso nach stalinistischen Hier-hats-nur-eine Meinung-zu-geben-Prinzipien funktioniert wie weiland die Zustände in Honneckers sozialistischer Zuckerbäckerrepublik. Motto: Gebt dem Volk ein paar Köpfe, dann wird es nach dem Sinn der ganzen Zustände nicht fragen.

Das Wetter. Der Altweibersommer ist von allen stillschweigend gecancelt. Was macht man an so einem Wochenende? Am besten arbeiten. Und, so man in der richtigen Position sitzt, kleinteilig die Ereignisse vorbereiten, die dann später, im großen Rückblick, zu den entscheidenden Ereignissen werden.

Ein normales ruhiges Wochenende also.

In dieser Kolumne erscheinen in lockerer Folge Kommentierungen zu aktuellen (oder auch nicht ganz aktuellen) Zeiterscheinungen.

Folge vier: Ab ins Wochenende!

Weitere Beiträge dieser Reihe:

Folge drei: Knarren und Politik

Folge zwei: Kein Herz für Sachsen

Folge eins: Gruppenfoto mit Damen

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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