Meine Regierung: die ersten 100 Tage

Pulp Fiction Wie ich 2021 Bundeskanzler wurde, ein weitgehendes Programm für soziale Reformen auf den Weg brachte und schließlich scheiterte. Ein Tatsachenroman in drei Akten.

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Illustration: Kasimir Malewitsch – Red Cavalry

(Prolog Akt 1)

Es war nicht einfach gewesen. Die Aasgeier von den kapitalgesteuerten großen Medien hatten uns jede beschissene Minute des Wahlkampfes zur Hölle gemacht. Vor allem Maria, meine neue, gutaussehende Freundin, litt zunehmend unter dem Druck, dem wir alle ausgesetzt waren. Was sollte ich sagen? Mea culpa – auch ich. Unvergessen, als wir eines Abends – die Hochphase des Wahlkampfs lief gerade an – in einer Hotellounge im völlig unglamourösen Charlottenburger Norden saßen und uns gerade einen Salad Caesar genehmigten. Die Meute der Boulevardhyänen, die uns seit Wochen mit allen Tricks niedermachten, Klick-klick-klick. Maria war überrascht, guckte erst ungläubig, dann empört, verkleckerte sich an einem Bissen. Das Dressing, das an ihrem Dekoletée herunterlief … Unmittelbar darauf der Ausraster von mir. Der Typ hatte es zweifellos verdient, aber was hinterher kam … Nunja, Sie kennen ja diese Medienmeute.

Mittlerweile war ich froh, dass ich diesen Typen nicht gekillt hatte. Alles war vorbei. Glücklich überstanden – allet tutti, wie der Berliner zu sagen pflegt. Das Blitzlichtgewitter knatterte wieder. Diesmal konnte man den Anlass jedoch nur als positiv bezeichnen. Unsere Partei hatte die Wahl geschafft. Ab-so-lute Mehrheit; mehr, als irgendein Mensch erwartet hatte (die Meinungsfritzen inklusive). Vor mir, vor unserer glorreichen Bewegung lag jede Menge Arbeit: die Umsetzung eines Programms, dass die sozialen Rechte in Deutschland in vollem Umfang wieder herstellen wollte. Das und mehr. Blitz-blitz.

»Sie können sich Ihren Fotoapparat vielleicht auch sonstwohin schieben.«

Gerôme drängte Mr. Nachhaltig nachhaltig-dezent von unserem Pulk ab. Sehr richtig. Dass ich alsbald Bundeskanzler werden würde (jedenfalls, sofern nicht alle Stricke rissen), hieß nicht, dass mir so ein Heinz blöd kommen konnte. Blitz-blitz. Ich smilte verbindlich, schüttelte ein paar Hände. Uthoff, dem Vorsitzenden der neuen Zeitarbeitergewerkschaft, schüttelte ich sie besonders fest. Unauffällig sah ich mich nach Edith um. Meiner Pressemanagerin. Irgendwie mußten wir an diesem Abend noch so etwas wie eine Regierung zusammentuckern – jedenfalls, bevor die anderen schneller waren und uns doch noch austricksten. Edith schaute tough daher wie immer. Violettene Bluse, schwarzes Kleid dazu – immer busy. Und dabei wie aus dem Ei gepellt.

»WAS WOLLEN SIE TUN GEGEN DIE ARBEITSLOSIGKEIT?«

Lakai, Vorname: Nina. Diese notorische Streberin von 4-TV. Lass stecken.

»Müller steht bereit. Die anderen warten im Bundeskanzleramt. Ich denke, es bringt jetzt nichts mehr … du weißt schon …«

Edith Wieland. Sie stubste mich dezent mit dem Ellbogen. Professionell bis auf die Knochen. Ich nickte ihr leicht zu. Das Wolfsgrinsen verkniff ich mir.

»Ja. Ziehen wir’s durch.«

1.

»Scheißenochmal, du kannst nicht alle an die Wand stellen, die dir nicht in den Kram passen. So läuft das nunmal nicht.«

»Edith – es war ein Witz. Ein WITZ, verstehst du?»

Alle schwiegen. Edith war ziemlich mit den Nerven durch und entsprechend lauter als sonst. Maria hatte sich zwischenzeitlich auf die Couch gelegt, die an der Fensterseite des Konferenzraums stand, sich eingerollt und war eingedöst. Es war vier Uhr am Morgen. Wir waren rund zwanzig Leute. Erst mal das Dreckige Dutzend. So pflegten die Schweinemedien sie zu titulieren – die wichtigsten Parteileute der PfSG, der Partei für Soziale Gerechtigkeit. Darunter: Gerôme Dalladier, ein Mann, der für die französischen Trotzkisten jahrelang die etwas handfesteren Jobs erledigt hatte. Edith, die smarte, immer gewinnende Pressesprecherin. Einser-Abitur, Vita: exzellent. »Big« Georg Gram, Parteivorsitzender – persönlich etwas unzugänglich, allerdings unverzichtbar, um den Laden in der Spur zu halten. Mehmet Sarrazin, Parteiintellektueller und Verfasser des Bewegungsbestsellers Die kommende Welt. Ruhiger Typ; was er sagte, hatte jedoch Hand und Fuß (ansonsten, meine private Meinung: ein Idiot, wie er im Buche stand). Sonia Carmaud, unsere Frauenbeauftragte (mein Tipp: besser war es, du legtest dich nicht mit ihr an). X, Wistleblower, Hacker und unser technisches Genie.

Hinzugestoßen waren ein paar Leute aus dem äußeren Kreis. Darunter Roland Würmeling von den Radikaldemokraten. Persönlich zweifelsohne in Ordnung. Allerdings nicht unbedingt einer, auf den man zählen mochte, wenn es hart auf hart kam. Vervollständigt wurde die Runde von Rita Stein. Sie kam von den Außerparlamentarischen. Einer Bewegung, der wir viel verdankten. Die wir nunmehr jedoch in unsere Planungen einbeziehen mußten. Quit pro quod – eine Hand wäscht die andere, so läuft das in der Politik.

Ich will nicht mit dem parteiinternen Kleinkram langweilen. Nach vielen Telefonaten, verschickten SMS, ein paar Videokonferenzen, Streits um Zigaretten und anschließenden Terassen-Kleinkonferenzen hatten wir die Regierung der PdSG glücklich zusammengezimmert. Ich wurde Bundeskanzler, Edith meine Pressesprecherin. Gerôme, jedenfalls fürs Erste, Chefe de la Security. Big Georgie kriegte den Fraktionsvorsitz, Mehmet das Amt für Medienaufklärung und Kultur. X (sein ausgeschriebener Name war Xonan, aus dem jedoch ebenfalls keiner klug wurde, weshalb wir es meist bei »X« beließen) blieb in der Reserve für die revolutionäre Infrastruktur und Sonia bekam ihr Traumministerium für Frauen, Familie, Arbeit und Soziales. Ich merkte mir vor, dass diese Zusammenballung von Macht vermutlich noch Trouble nach sich ziehen würde, aber zunächst führte kein Weg daran vorbei. Würmeling schließlich wurde Außenminister.

Und so gingen wir dann vor die Presse. Womit wir – jedenfalls im Rückblick betrachtet – das auslösten, was später als der Beginn der Revolution in Deutschland bezeichnet wurde.

2.

Die ersten Wochen verliefen vergleichsweise unspektakulär. Die anderen warteten, dass wir aus dem Bau krochen, uns eine Blöße gaben. Selbstredend taten wir ihnen den Gefallen nicht. Am zweiten Tag biss ich in den sauren Apfel und verabredete mich mit Lakai von 4TV zu einem Schönwetter-Exklusivinterview. Ich war prächtig in Stimmung und gut vorbereitet; es wurde der Renner. Am dritten Tag schließlich erfolgte die Wahl der neuen Bundesregierung – ein vorgezogener Termin, für den wir gehörig Druck aufgebaut hatten. Die Abstimmung im Bundestag erfolgte zwar nicht turbulenzenfrei, aber schließlich in unserem Sinn unproblematisch (Mehrheit ist Mehrheit). Am Tag darauf wurde unsere Regierung vom Bundespräsidenten vereidigt. Augen wie Knöpfe, Knöpfe, die wie Kohlen zu glühen schienen, ein Erlebnis. Bis heute werde ich den Haß nicht vergessen, der im Blick dieses Typen lag. Am Tag darauf boxten Sonia, Würmeling und Georg im Bundestag die erste Regierungserklärung durch. Nunja, ich sagte »durchboxen«. Vielleicht nicht das richtige Wort. Außer vagen Absichtserklärungen ließen wir nichts durch.

Die wirklichen Entscheidungen fielen woanders.

In der »Woche danach« bezogen wir Logis im Kanzleramt. Machten die Rotweinbestände aus den Legislaturperioden Merkel und Schröder nieder. Es war fast wie eine WG. Allerdings etwas arbeitsintensiver. Im Wesentlichen baldowerten wir unsere Machtabsicherung aus. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Lenin. Folgerichtig liefen die wirklich wichtigen Weichenstellungen am Parlament vorbei. Gerôme erhielt das Placet zum Aufbau einer republikanischen Selbstverteidigungspolizei. Eng zusammenarbeiten sollte er dabei mit den Außerparlamentarischen. Rita und Gerôme würden ein gutes Gespann abgeben. Sich ergänzen. Und gleichzeitig gegenseitig auf die Finger gucken. Der impulsive Gerôme, der für jeden abstrakten Zusammenhang nur ein verächtliches »Fuck you!« übrig hatte. Und die gewissenhafte Stein – theoretisch beschlagen, belesen, ein Leben im Dienst der Arbeiterklasse. Ja – das würde passen.

In der vierten Woche war es an der Zeit, ein paar weichenstellende Machtproben anzugehen. Ich (in Wirklichkeit: Mehmet, unser Parteitheoretiker) hatte im Bundestag ein Gesetz angekündigt zur Gewährleistung der Sozialen Sicherheit. Flankiert wurde das Ganze durch eine Großdemonstration der Gewerkschaften und Außerparlamentarischen. Vor dem Reichstag brannten Reifen. Die Polizei versuchte einzugreifen, aber Gerômes Leute drängten sich demonstrativ als Puffer dazwischen. Die Polizei zog ab; die Arbeiter verzichteten dafür auf den Sturm auf das Parlament. Ich telefonierte indess mit ein paar von meinen neuen Kollegen – der US-Präsidentin, dem französischen Präsidenten und dem Präsidenten der Russischen Förderation. Es schien zu klappen. Die Amis wurden zusehends nervös und die Russen sprangen auf das in Aussicht gestellte Handelsabkommen an. – Bingo.

3.

In den beiden Monaten darauf wurde es zunehmend ernst. Die Rechten hetzten, was das Zeug hielt. Lakai hatte altes Material über mich ausgegraben. Vor allem Gerôme, den Chef der neuen Sicherheitspolizei, ging sie mit einer bis dato unbekannten Bösartigkeit an. Die Lage war prekär. X und seine Wistleblowertruppe hatten herausgefunden, dass es die Amis auf größere Verwicklungen angelegt hatten – in der Hoffnung, dass wir verfrüht mit den geplanten Sozialisierungsmaßnahmen losschlagen würden. Darüber hinaus schien es undichte Stellen zu geben. Nicht nur die üblichen Dinge, die an die Medien durchgestochen wurden. X war am Ende seiner Kunst – ein Ereignis, das ziemlich selten vorkam. Kurz vor Weihnachten schließlich kam Georg in mein Büro. Zusammen mit Yanis Papandreu, Ex-Ökonomieprof und nunmehr unser Finanzminister. Papandreu war aufgelöst und kämpfte mit den Tränen.

»Es ist aus. Wenn wir binnen zwei Wochen nicht Geld organisieren, sind wir am Ende. Und dann ist Schluss mit Lustig.«

»Was heißt das?«

»Ich kann die Scheiße nicht mehr finanzieren. Das heißt es.«

Yanis schaute mich an. Ich schaute zurück. Yanis blickte mir unverdrossen ins Gesicht. Ernst. Oder verzweifelt, je nachdem.

»Wir sind am Ende. Verstehst du das?«

»Warum … zum Teufel?« Ich riss mich zusammen. Auch Georg schaute mich fragend an. »Was ist los?«

Yanis zögerte kurz, dann kam es raus.

»Entweder wir zaubern 40 Milliarden bei. Oder aus dem Gewährleistungsgesetz wird nichts. So einfach ist das.«

Pause.

»Dann ziehen wir die Enteignungen eben vor,« hörte ich mich sagen.

»Geht nicht.« Georg schaltete sich ein.

»Warum nicht?«

»Die Industrie macht uns jetzt schon die Hölle heiß. Kapitalflucht in exorbitantem Ausmaß.« Er machte eine Pause. »Das ist noch gar nichts gegen die Banken. Das wird allmählich richtig brenzlig.«

»Wie viele Tage haben wir noch?« Ich blickte Yanis ins Gesicht.

»Zehn. Wenn es hoch kommt, zwanzig.«

»Wie viel hast du noch?« Ich meinte Kohle.

»Je nachdem. Zehn flüssig. Vielleicht zwanzig weitere. Falls die Opposition nicht rumzickt.«

Ich zögerte. Schweigen. Zehn Sekunden. Zwanzig Sekunden.

»Merde.« Den Rest will ich gar nicht wiedergeben. Wir vertagten uns auf den nächsten (das heißt: denselben) Tag. Krisensitzung. Eine Lösung mußte her.

Die Troubles hatten begonnen. Todmüde fiel ich neben Maria ins Bett.

4.

»Wir müssen das verdammte Loch finden. Ich meine: Kriegt ihr das nicht hin?«

Aufgeregt redete ich auf X ein. Beschwor, bat. Stellte ihm ein Ministeramt in Aussicht. Legte ihm in meiner Verzweiflung schließlich eine Visitenkarte diskret auf den Tisch mit der Bemerkung, falls er mal auf andere Gedanken kommen wolle …? Es war kein Weiterkommen. Seit Wochen bereits versuchten er und seine Leute, sich in die Datencrawler der Amis einzuloggen. Nope. Nichts ging; die Geheimdienste tanzten uns auf der Nase herum. Und wir saßen da mit unseren Lecks und guckten dumm aus der Wäsche.

Ich schaute mich in seiner Abteilung um. Konsolen überall, Laptops, Kabelgewirr. Ich kratzte mich am Kopf und überlegte, wie man in so einer Müllhalde residieren konnte. X bekam – wie alle – ein Salär von 3000 Eus im Monat. (Wir hatten, nichts weiter als Parteiessential, die Vergütungen für Parlamentarier drastisch herabgesetzt. Aber 3000 steuer- und abgabenfrei war immer noch ein stolzer Betrag, wie ich fand.) Obwohl dieser Kerl also genug Kohle hatte, um ein ordentliches Leben zu führen und ein bißchen zu repräsentieren, hatte er es geschafft, binnen vier Woche aus seiner Abteilung eine gottverdammte Nerd-Absteige zu machen. Den Menschen änderst du nicht. Ich klopfte ihm kurz auf die Schulter, murmelte etwas zerstreut »Weitermachen!« und verkroch mich zum Nachdenken in mein Büro.

In der Woche darauf gingen wir in die Offensive. Es war die blanke Not. Und ein bißchen auch der taktisch geniale Plan, den selbige gebiert. Er bestand, wenn man so will, aus einem strategisch wohldurchdachten Drei-Seiten-Zangenangriff. Zwischenzeitlich hatte ich X von den Geheimdienstsachen abgezogen und ihn Yanis unterstellt. Zusammen mit dessen Leuten sollte er der laufenden Kapitalflucht einen Riegel vorschieben. X war in seinem Element. Das Rezept war einfach: Der Schotter wurde geblockt und anschließend dahin umgeleitet, wo er von Rechts wegen hingehörte: auf unsere Konten. Im zweiten Zug setzte ich Gerôme auf die übelsten der übelsten Kapitalverbrecher an. Wir setzten ein paar spektaktuläre Verhaftungen in Szene. Es war fast wie in dem Film »Z«, von diesem Costa Gavras. Die Handschellen klickten und blitzten in der gleißenden Wintersonne. Klick.

Auch die Hetzmedien hatten eine kleine Lektion verdient. Damit sie begriffen, wer nunmehr ihr Herr und Meister war. In einem Anflug von Bosheit hatte ich Lakai eine Exklusivgeschichte versprochen – die sie flugs auch über den Sender schickte. Am nächsten Morgen folgten einige Razzien bei den schlimmsten Medien. Verstoß gegen das Geheimhaltungsgesetz. Im Prinzip war es wie anno beim Spiegel – nur andersherum: Wir waren schließlich die Guten. Nach diesem Befreiungsschlag kam dann Phase drei. Wir peitschten einige außerordentliche Enteignungsgesetze durch das Parlament. Die wiederum verschafften Luft für die Finanzierung der ersten Sozialgesetze. Am Ende einer ereignisreichen Woche konnte man sagen: Wir waren aus dem Gröbsten raus. Ich kreuzte zufrieden die Hände hinter dem Nacken, lehnte mich in dem ledernen Wippsessel zurück und blickte, etwas melancholisch gestimmt, über den Platz der Republik in Richtung Reichstag. So machte man Politik.

5.

Eine negative Auswirkung des Ganzen waren die verstärkten Streitereien mit Maria. Sie fühlte sich zurückgesetzt, nicht beachtet. Ich sei nie da. Die Streitereien drehten sich um Bagatellen.

»Was ist an diesem Libanesen in Kreuzberg nicht gut genug?« Ich war ratlos.

»Wir könnten doch mal was Besseres unternehmen. Verdammt – du bist BUNDESKANZLER …«

»Was meinst du mit ›Besseres‹? Werd’ mal etwas konkreter.« Irgendwie war ich auf Krawall gestimmt. Kein gutes Zeichen. Ich atmete durch und zog die Reißleine. »Wir könnten in die Oper gehen. Ich telefonier’ und frag’ durch, was heute gespielt wird.«

»Du kannst nicht in die Oper.« Mild-belehrendes Tremolo, dazwischen beleidigter Unterton.

»Warum ›kann‹ ich nicht in die Oper? Ich bin Bundeskanzler.«

Sie seufzte, vielleicht ein Tick zu theatralisch.

»Tja, ebend, mein Guter.«

Sie ließ die Erkenntnis zwei Sekunden im Raum stehen. Als der Groschen immer noch nicht fiel, hub sie zu einer längeren Erklärung an. Als ob ich denn nicht wisse, dass an jeder Ecke irgendwelche Journalisten lauerten. Leute, die etwas von mir wollten. Irgendein Heinz von der Regierung. Oder der Opposition. Und dass es am Ende doch darauf hinauslaufen würde, dass ich mit Hinz und Kunz parliere. Nur nicht mit ihr. An dem einzigen Abend, den wir für uns hätten. Sie schaute mich vorwurfsvoll an. Die Tränen flossen.

»Gut», meinte ich. Ich hatte keine Lust zu streiten. »Lassen wir uns eben was hochbringen. Ich ruf beim Reichstag-Catering an und frag’, was die noch so da haben.«

»Manno –« Es platzte aus ihr raus und ihre Stimme vibrierte höhnisch – ähnlich wie in einem schlechten Tatort-Finale, wo sich der Täter in immer mehr Widersprüchen verfängt. »Dass du so billig bist, hätte ich nicht gedacht.«

»Es ist doch nur –«

»Ach, fick dich.«

Mittlerweile war ich ebenfalls in Rage. Ich hatte keine Ahnung, was sie wollte, wollte es im Grunde auch nicht mehr wissen und bereitete mich auf einen geordneten Abgang vor.

»Ja. Du dich auch.«

Ohne weitere Worte griff meine Jacke, ignorierte die Vase, die hinter mir an der Wand zerdepperte, orderte mir kurz einen Mietwagen mit Fahrer. In einem trotzigen Impuls spielte ich mit dem Gedanken, mich ins Berliner Nachtleben zu stürzen und dort richtig auf den Putz zu hauen. Aber Maria hatte Recht. Es ging nicht. Zweiter Impuls war, bei Gerôme vorbeizufahren; er würde gewiss eine standesgemäße Sause zusammenimprovisieren. Irgendwas hielt mich jedoch ab; mir war klar, dass ich das selber durchstehen mußte, allein. So landete ich doch nur in meinem neuen Appartment in Mitte, trank ein, zwei Gläser Rotwein, schaute über die Lichter der Stadt und sinnierte über den Gang der Welt. Um mich abzulenken, schaute ich ein, zwei Folgen der Sopranos.

Zwischendurch mußte ich eingenickt sein. In einem düsteren, rätselhaften Traum war ich Tony Soprano, und Maria war zu meiner Angetrauten Carmela mutiert. Zwischendurch enthielt der Traum immer wieder Einschub-Sequenzen. Wie Maria und ich uns kennenlernten – im Frühjahr, als unsere Partei allmählich Schlagzeilen machte. Geträumt – wenn man so will: posthum – ergab unsere Beziehung plötzlich Sinn. Und der Streit. Maria war nie groß hinausgekommen über ihr Neureichen-Mileu im Westend; im Grunde war der Kudamm der äußerste Fixpunkt ihrer Welt. Der Sex mochte toll sein (und er war es eigentlich noch immer). Doch nun zeichnete sich etwas anderes ab. Etwas, was sie nicht kannte, sie in gewisser Weise überforderte. Die Kontrolle war ihr längst abhanden gekommen. Und nun schlug sie blindwütig um sich. Verständlich. An ihrer Stelle hätte ich es vielleicht genauso getan.

Oder nicht? Ich wälzte mich unruhig hin und her. Antworten brachte mir der Traum leider keine. Im Grunde nur weitere Fragen.

Es war der 99. Tag unserer Regierung.

Fortsetzung:

Meine Regierung: die zweiten 100 Tage

Meine Regierung: die letzten 100 Tage

Gekürzter Vorabdruck aus dem 2024 erscheinenden Erfahrungsbericht Meine Zeit als deutscher Bundeskanzler. Edition Gauche, Paris.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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