Nau: Brot und Spiele

Kultur »Dau: Natasha« war gestern: Wie man in Deutschland 2020 ein Nazi-Lager errichtet, selbiges als »Kunst« deklariert und dafür noch ganz viel Kohle bekommt.

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+++ Disclaimer: Artikel enthält Überspitzung und Polemik – allerdings auch drei Körnchen Wahrheit +++

Nachdem der auf der Berlinale 2020 gezeigte Film »Dau: Natasha« – wenn auch mit gewissen kontroversen Hindernissen der Sorte taz und Monopol-Magazin – längst fällige Ketten gesprengt hat, gilt es nunmehr, unzeitgemässe Denkverbote ad acta zu legen und sich der Post-Postmoderne in all ihren Konsequenzen zuzuwenden. Kulturell Interessierte Berlinerinnen und Berliner kennen die Hürden, welche diesbezüglich noch zu stemmen sind, sogar aus eigener Anschauung: Trotz Zuspruch von Filmprominenz sowie Interessierten aus der politischen Sphäre scheiterte 2018 der Versuch, in Berlin eine exterritoriale Kunstzone zu etablieren, mit deren Hilfe auch das normale Publikum die Schrecken von Mauer und stalinistischer Gewaltherrschaft hautnah hätte erleben dürfen.

Stattdessen ging die Installation des russischen Kultregisseurs Ilja Chrschanowski nach Paris. Hier mag sich der eine oder die andere die Frage stellen: Paris statt Berlin – wie arm ist das? Hätte nicht gerade Deutschland mit seiner reichhaltigen Vergangenheit allen Grund, sich modernen, sozusagen in Echtzeit stattfindenden Formen der kritischen Aufarbeitung vorbehaltlos zu öffnen? Dabei sind die Deutschen schon heute, was moderne Kunstformen anbelangt, weitaus besser als ihr Ruf: Die »Körperwelten«-Tour des Aktionskünstlers Gunther von Hagens – hergestellt mutmaßlich mit Leichen von in China Hingerichteten – waren auch kommerziell ein schlagender Erfolg. Darüber hinaus verwiesen die »Körperwelten« auch inhaltlich in die richtige Richtung: Anstatt humanistische oder neosozialistische Bedenken zu hegen bringt es viel mehr, »nach vorne« zu denken – das Publikum goutiert die damit einhergehenden Shocking-Effekte durchaus. Und, das Beste: wird darüber hinaus ein Stück weit sogar politisch aufgeklärt.

Kritik an »Nau: Natasha« (sowie dem Rest des von Chrschanowski verarbeiteten Filmmaterials) muß man sich bei alldem keinesfalls verkneifen. Für russische Verhältnisse – typisch: Putin ließ, wie der Regisseur im Interview beklagt, den Film wegen »pornografischer« Sequenzen verbieten – mag die Berlinale-Premiere genau das Richtige sein. Für eine so exportmächtige Nation wie Deutschland bedarf es indess sicher keines künstlichen Imports. Gefragt wäre vielmehr der Mut eines Ausnahme-Regisseurs wie Tom Tykwer (»Babylon Berlin«) – und, noch besser: der Versuch, ein gleichwertiges Unterfangen in Deutschland auf den Weg zu bringen. Wie wäre es mit »Nau: Brot und Spiele« – einem ebenfalls auf Jahre angelegten Projekt, in dem das Deutschland der Jahre 1933–37 neu in Szene gesetzt und damit ein Stück weit hautnah wiederbelebt wird?

Zugegeben: Auf den ersten Blick erscheinen die Hürden beträchtlich. Hürde eins wäre wohl das Finden geeigneter Lokalitäten. Selbstredend wäre es nicht nötig, symbolträchtig bis zum Äußersten zu gehen und eine der noch bestehenden Gedenkstätten (wie etwa die des KLs Oranienburg) in ein temporäres Lager umzuwandeln. Hier sprächen nicht nur verfassungsmäßige, möglicherweise juristische sowie Gedenkgründe dagegen. Ein Dorf oder Ortsteil – sagen wir: in Thüringen, Sachsen oder auch Hessen – würde sich als Live-Location ebenso eignen. Und wäre – was die unspektakuläre Normalität im NS anbelangt – womöglich sogar lebensechter.

Ein Problem wäre sicherlich die Anschubfinanzierung. arte sowie das Medienboard Berlin-Brandenburg haben bereits bei »Dau: Natasha« gezeigt, dass sie keine Anstalten falsch verstandener Traurigkeit sind. Bekanntlich gibt es darüber hinaus eine Reihe Unternehmer, die durchaus bereit sind, ihr Investitionskapital in eine vielversprechende neue Partei wie etwa die AfD zu stecken. Wäre dieses Geld nicht entschieden besser angelegt in einer demokratischen Investition, welche den Alltag der NS-Diktatur auf realistische, ungeschönte und gleichwohl lukrative Weise nachstellt? Sicher ist hier nicht der Raum, in finanzierungstechnische Details einzusteigen. Klar allerdings ist, dass da, wo ein Wille ist, sicher auch Wege existieren, einem entschlossen anvisierten Ziel näher zu kommen. Steigt zusätzlich die Politik mit ein, sollte sich der alte Grundsatz schließlich bewähren, dass da, wo deutsche Gründlichkeit am Werk ist, jedes Ziel am Ende auch erreicht werden kann.

Auch in Bezug auf die Größe müßte sich ein Unterfangen wie »Nau: Brot und Spiele« keinesfalls verstecken. Was die Rekrutierung von Schauspieler(inn)en und Kompars(inn)en anbelangt, könnte man problemlos auf bereits existierende Rechtsgrundlagen zurückgreifen. Ein sicher problemlos gangbarer Weg wäre es, dem Projekt das benötigte Personal über Jobvermittlungen im Rahmen von Hartz-IV zuführen. Wie allgemein bekannt, drücken sich im Bereich des Leistungsempfangs auch zahlreiche Schauspieler(innen) sowie sonstige Angehörige der sogenannten Kreativberufe herum. Entsprechende Lösungen – im Rahmen sogenannter Ein-Euro-Jobs auch organisatorisch ohne Mühe aufgleisbar – wären nicht zuletzt auch aus Kostengründen sicher eine attraktive Lösung.

Käme der Dreh – beziehungsweise die Produktionsarbeiten. Mittels entsprechender Schweige- und Einverständnisklauseln sollte das Fußpersonal dieses kulturell sicher einzigartigen Experiments mühelos in einer für das Projekt dienlichen Spur gehalten werden können. Dem Ausgleich dienende Lokalitäten in Form von Lokalen im Original-Ambiente sowie Reichs-like Formen des gewerblich organisierten Matratzendienstes dürften nicht nur die Originalität der Produktion fördern, sondern auch die allgemeine Akzeptanz bei den am Projekt Mitarbeitenden. Um ungestörte und auch medial nicht über Gebühr belästigte Dreharbeiten zu garantieren, wäre zusätzlich an die Aufstellung geeigneter, das Gelände mit der nötigen Sorgfalt bewachender Security- und Polizei-Einheiten mitzudenken. Positives Signal hier wäre: Die Polizei kann nicht nur, wenn Corona oder Autonome im Anmarsch sind – sie versteht sich auch auf Kultur.

Folter, Vergewaltigung und Ähnliches: Sicher sollten die Dreh-Verantwortlichen entsprechende Vertragsklauseln unterschreiben, dass sie die nötigen Vorkehrungen zur Vermeidung echter Toter treffen. Zu Tode Geprügelte oder gar Hingerichtete wären nicht nur straf- und verfassungsrechtlich eine Herausforderung, sondern auch dem Gesamrenommée des Projekts abträglich. Für den filmisch zu inszenierenden Alltag jedoch sollte gelten: so echt wie möglich; keine falsche Scheu. Richtig betrachtet böte ein Kunstprojekt mit mehreren hundert Probant(inn)en die Möglichkeit, auch rechtsextreme Jugendliche und Erwachsene auf geeignete Weise einzubinden. Und – betrachten wir die Angelegenheit ohne Scheuklappen: Was wäre besser geeignet und gleichzeitig originaler als ein »echter« SA-Sturm? Eine solche Kombination würde nicht nur für eine Resozialisierung im besten Sinn sorgen, sondern auch dafür, dass der »Handlungsfaden« den nötigen Biss erhält.

Wären, wie auch das Redaktionsnetzwerk Deutschland erkennt, #MeToo sowie ähnlich zu veranschlagende Kampagnen. Deren Aktivitäten sind zwar auch aus menschenrechtlicher Sicht durchaus zu begrüßen. Allerdings gilt es hier abzuwägen zwischen grundsätzlich begrüßenswerten allgemeingesellschaftlichen Bestrebungen und der Überlegung, dass da, wo Neues geschaffen werden soll, ab und an auch gehobelt werden muß. Man muß »Hobeln« – womöglich gar gegen den Willen von Beteiligten – da nicht gleich im Wortsinn verstehen. Klar allerdings sollte sein, dass #MeToo und ähnliche Bewegungen auf den Schutz eher notabler respektive prominenter Personen hin abgezielt sind. Auch wenn es in dem Bereich einiges zu beachten gilt, ist doch grundsätzlich klar, dass »#MeToo« kein Modell sein kann etwa für eine ALG-II beziehende Teilzeit-Kindergärtnerin oder ähnliche Personen. Nicht, weil das nicht ein Idealziel für eine ferne Zukunft wäre, sondern aufgrund der praktischen Erwägung, dass auch ein wirtschaftsmächtiges Land wie unseres überzogene Antidiskriminierungsforderungen kaum einlösen kann.

Kurzum: Deutschland muß etwas wagen – nicht zuletzt auch kulturell. Für diese Ansicht stehen unter anderen: der allseits beliebte Regisseur Tom Tykwer, Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller, der Berliner Kultursenator Klaus Lederer sowie CDU-Bundeskulturfachfrau Monika Grütters. Sie immerhin haben in aller Konsequenz erkannt, dass es in Deutschland letzten Endes nur auf eines ankommt: funktionierende Spiele – und ab und an auch einen Happen Brot dazu.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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