Orange Is The New Black

TV-Serie Kommerzielles Kalkül und Stoffe aus dem prallen Leben müssen sich nicht ausschließen. Ein Highlight in der Beziehung ist die Knastdrama-Serie »Orange Is The New Black«.

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Orange und Schwarz können viel bedeuten. Im zeitgenössischen Kontext etwa Kodierungen für eine bestimmte Form von Luxus. Nicht den altreichen, dezenten, gediegenen der Oberklasse, der eher in den Tönungen Grau, Blau und Hellbraun daherkommt, sondern den konsumfreudig-hedonistischer Aufsteiger mit einem Faible für Hasardspiele, die gelegentlich ins Auge gehen. In den Vereinigten Staaten haben Orange und Schwarz zwei zusätzliche Bedeutungen erlangt. Warnorange ist die Häftlingskluft in den Sicherheitssektoren US-amerikanischer Gefängnisse, Schwarz wiederum die Vorzugs-Hautfarbe derjenigen, die dort einsitzen.

Dass die Welt des lifestyligen Luxus und die organisierte Tristesse US-amerikanischer Justizvollzugsanstalten vielschichtiger miteinander verbunden sind als man gemeinhin denkt, zeigt Netflix’ vielgepriesene Erfolgsserie Orange Is The New Black, die am 12. Juni in die dritte Staffelverlängerung gegangen ist. Mit vielseitig deutbaren Weltbefindlichkeitsparabeln à la Games of Thrones hat die Netflix-Serie wenig gemein. Ebenso wenig mit den gängigen Klitschees des harten Knastthrillers. Orange Is The New Black kommt, was den Rahmen der Geschichte anbelangt, realistisch-abgerippt bis auf die Knochen. Dafür sorgt bereits die Vorlage. Die Geschichte von Piper Chapman, der Hauptfigur der Serie, ist eng angelehnt an den gleichnamigen Erfahrungsbericht von Piper Kerman – einer akademisch gebildeten Angehörigen der Bostoner Mittelschicht, die von zehn Jahre zurückliegenden Jugendsünden eingeholt wird und wegen Drogen- und Geldschmuggelaktivitäten eine 15monatige Haftstrafe absitzen muß.

Die Serie

Eine naiv-unbedarfte Angehörige eines privilegierten Milieus, der nunmehr eine Odyssee durch das amerikanische Justizsystem bevorsteht: Selbst mit einer exzellenten Vorlage kann bei dieser Konstellation einiges schief gehen. Die Versuchung moralinsaurer Gesellschaftskritik mit erhobenem Zeigefinger ist beim Thema Knast ebenso nah wie gängige Genrestereotypen (Stichwort: Vergewaltigung unter der Dusche) oder der nackte Klamauk. Netflix, offensichtlich selber unsicher wegen des Erfolgs seiner Produktion, vermarktet die Serie unter dem Label »Dramedy«. Seit den Kinoerfolgen der Coen-Brüder und maßstabsetzenden Serien wie den Sopranos ist »Dramedy« zwar ein erfolgreiches Rezept, um ernste Themen publikumskompatibel in Szene zu setzen. Andererseits ist es verblüffend, wie Orange Is The New Black verschiedene Themen- und Genre-Versatzstücke benutzt, variiert und in unterschiedlichen Dosierungen neu zusammensetzt: Pop-Feminismus und Sozialkritik, Anspruch und Komödie, Gefühl und Straßenrealismus, Leichtigkeit und Action.

Hart auf dem Grad zwischen knüppelhart servierter Situationskomik und knüppelharter Realität jongliert bereits der Einstieg in die Geschichte. Piper Chapman, Inhaberin eines Mode-Kleinlabels in Brooklyn, bisexuell und frisch liiert mit dem kumpeligen, etwas unbedarft und bieder wirkenden Journalisten Larry, tritt den Vollzug an in einer ihr bislang unbekannten Parallelwelt – die der US-amerikanischen Frauenknäste. Dass Ausgeliefertsein mit die schlimmste Form subjektiv empfundener Gewalt sein kann, ist ab der ersten Serienviertelstunde unmißverständlich klar. Zack – Vollzug – Zack – Vollzug: Bereits bei der Verabschiedung von Larry im Eingangsbereich von Litchfield – so der Name der fiktiven, im Ostküsten-Bundesstaat Connecticut angesiedelten Haftanstalt – holt die Beamtin Chapman schnell runter auf den Boden der neuen Realität. Zug um Zug erfolgt die obligatorische Einweisungsprozedur: Foto, Fingerabdrücke, nackt ausziehen inklusive Kontrolle nach Drogen (»Arschbacken locker und laut husten«) sowie die Zuweisung von Decken, Unterwäsche, Sandalen sowie der neuen, orangenen Kluft – der neue Einheitslook während der Eingewöhnungsphase. Menschenrechte, Bürgerrechte – ade; willkommen in der reglementierten Welt des Strafvollzugs.

Chapmans Eingewöhnung in diese neue Welt ist das beherrschende Thema der ersten Staffel. Zug um Zug erschließt sich durch Chapmans Blick ein Universum, dass dem normalen Zuschauer unbekannt sein dürfte. Die Schließer von Litchfield sind, Lehre eins, nur in Ausnahmefällen wirklich bösartig. Desinteresse – am Job sowie am Schiksal der Gefangenen – ist weitaus mehr der Normalfall. Ebenso wie die Knastbürokratie – eine Kombination aus absurden Reglements, knappen Mitteln und personeller Inkompetenz. Da ist Caputo – der Chief der Anstalt, der gerne als progressiv wahrgenommen werden möchte, in der Realität jedoch höchst rückgratlos, selbstsüchtig und opportunistisch agiert. Nummer zwei in der Knasthierarchie ist Sam Healey – ein von antifeministischen Obzessionen getriebener Sozialarbeiter. Wie die Anstalt, so die Schließer: Auch bei den einfachen Beamten sind alle Aggregatzustände zwischen Machtmißbrauch und Distanzverlust aus Empathie präsent. Während George »Pornstache« Mendez sich zum Synonym entwickelt für das, was die Kombination aus bösartigem Charakter und Deckung durch das System anrichten kann, steckt ein Kollege von ihm in Schwierigkeiten, weil er sich in eine Insassin verliebt und mit ihr (ungewollt) ein Kind gezeugt hat.

Verschieden – genauer: in ethnisch separierte Cliquen eingeteilt ist, Lehre zwei, auch die Welt der Gefangenen. Da ist die Clique der mittelständisch-weißen Knastlesben, die der älteren Insassinnen, die der – meist aus den Ostküsten-Barrios entstammenden – Latinas sowie die der Schwarzen. Ergänzt wird die Zwangsbelegschaft von Litchfield durch einige Einzelgängerinnen (wie etwa die resolute russischstämmige Küchenchefin Red) und eine Gruppe Unterschicht-Gefangener aus dem Trailerpark-Milieu. Als hervorrragend hervorzuheben ist vor allem die Präsenz der unterschiedlichen Epigoninnen. Neben Red ist da etwa Pennsatucky – eine ehemalige Drogenabhängige, die eine Angestellte einer Abtreibungsklinik, die sie schlecht behandelte, erschossen hat und sich mehr und mehr in eine evangelikal-fundamentalistische Gedankenwelt versteigt. Serientragend ist darüber hinaus Big Boo – eine harte Knastlesbe, die gängigen Klitschees zwar fast bis aufs Haar gerecht wird, sich aber – ähnlich wie John Wayne – als harter Klotz mit weichem Kern entpuppt. Ebenso »Crazy Eyes« Suzanne – eine farbige Borderlinerin, die im Verlauf der Serie mehr und mehr der Dreh- und Angelpunkt wird in Bezug auf die mentale Befindlichkeit in Litchfield.

Wie jede gute TV-Serie enthält Orange Is The New Black fast eine Überdosis an spannender, mitreißender Handlung. Treibender Konterpart von Piper Chapman ist eine weitere Frauenknast-Insassin, die bald hinzustößt: Alex Vause – die Frau, die als Rekruterin für Chapmans ehemalige Hintermänner arbeitete und (vermutlich) gegen sie aussagte. Wie zu erwarten, lebt die liaison dangereuse zwischen den beiden Frauen rasch wieder auf. Mit ihren unterschiedlichen Wendungen liefert sie so etwas wie das dramaturgische Gerippe der Serie – den Kernplot, an dem sich die Serie entlanghangelt. Nichtsdestotrotz meistert Orange Is The New Black den Spagat zwischen Kernhandlung und In-Szene-Setzung eines Ensembles aus rund zwei Dutzend Hauptfiguren mit wahrer Meisterschaft. Aufgelockert wird die – sich zunehmend zur Knast-Telenovela entwickelnde – Serie mit zahlreichen Rückblenden zur Vorgeschichte der einzelnen Protagonisten.

Deutlich variiert die Serie auch bezüglich Grundstimmung sowie Tempo der einzelnen Staffeln. Fokussiert Staffel eins noch stark auf die Geschicke der Hauptprotagonistin, liefert der Auftakt der zweiten Staffel mit die bedrückendsten Bilder der Serie – die Überführung von Piper Chapman in ein Bundesgefängnis in Chicago, wo sie in dem laufenden Drogenprozess gegen die Kartell-Hintermänner aussagen soll. In Erfahrung bringen kann der Zuschauer dabei zweierlei: a) wie das Abrichten von Kakerlaken zum Transport von Zigaretten zwischen einzelnen Gefängniszellen funktioniert, b) dass es im Gefängnissystem immer noch eine Stufe abwärts gehen kann. Die aktuelle, seit Mitte Juni per Streamingservice empfangbare Staffel drei schlägt teilweise ins andere Extrem um. Während die erste Staffelhälfte stark konfliktharmonisierend und comedyhaft daherkommt, schafft es die zweite Hälfte, Gefühlstiefe und Action zu einem furiosen Finale zusammenzuführen. In Sachen Lebensweisheiten hält das (bisherige) Ende der Serie Augenhöhe mit dem Rest. Lapidarer Rat von Red an Chapman, die – in den Augen der Mithäftlinge – zunehmend einen auf Gangster macht: »Fick nicht dort, wo du stehst. Und scheiß’ nicht dort, wo du fickst – das ist Business.«

Das Buch

Flankierend zur Serie ist bei Rowohlt das zugrunde liegende Buch erschienen. Verglichen mit der gleichnamigen Serie kommt Orange Is The New Black. Mein Jahr im Frauenknast zwar deutlich weniger »actionreich« daher – wenn man so will: fast sachlich. Für dienigen, die sich über den Hintergrund der Serie (und allgemein über die Zustände in US-amerikanischen Knäste) informieren wollen, ist Piper Kermans Erfahrungsbericht jedoch eine Quelle, die in fast jeder Beziehung mit Gewinn zu lesen ist. Mit Gewinn weniger deshalb, weil bereits im Vorfeld jedem Leser klar sein muß, dass 400 Seiten Buch nicht den Stoff abliefern können für 29 Serienfolgen. Den Gewinn macht im konkreten Fall gerade der Unterschied aus. Während bei der Serienhandlung unausgesprochen klar ist, dass viele Plotelemente allein dem Mittel der Spannungsverdichtung dienen, beschränkt sich das Buch auf die Schilderung einer (vergleichsweise unspektakulären) wahren Geschichte.

Das impliziert eine Reihe von Vorteilen. Anders als die Serie kapriziert sich Piper Kermans Erfahrungsbericht voll auf die Beschreibung einer Institution, die ihre Absolvent(innen) verdinglicht und zu Vollzugsgegenständen herabwürdigt. Kermans sachliche, sich rein an den Begebenheiten orientierende Darstellung dramatisiert kaum. Stattdessen liefert sie eine unprätentiöse Darstellung dessen, was passiert, wenn eine – kaum als typische Kriminelle zu bezeichnende – Mittelstandsangehörige Bekanntschaft macht mit dem amerikanischen Justizsystem. In einem Interview mit der LA Times brachte Kerman den Unterschied zwischen Buch und Serie mit folgenden Worten auf den Punkt: die Serienfigur »tätigt ein paar Entscheidungen, die anders sind als meine. Ich habe einige Fehler gemacht, als ich eingesperrt war. Sie jedoch legt einige echte Hämmer hin.«

Aufschlussreich ist Kermans Erfahrungsbericht auch aufgrund einiger Fakten zum US-amerikanischen Gefängniskomplex – einem Gesellschaftssegment, dessen Ausmaß und Bedeutung in den letzten Jahrzehnten extrem angestiegen sind. Kermans Fazit im Nachwort: »Nirgendwo auf der Welt befinden sich mehr Menschen hinter Gittern als in den Vereinigten Staaten: 25 Prozent aller Gefängnisinsassen auf der Welt sitzen bei uns ein, obwohl wir lediglich fünf Prozent der Weltbevölkerung ausmachen.« Ursache, so Kerman: der in den Achtzigern begonnene War on Drugs. Der regierungsseitig proklamierte »Krieg gegen Drogen« habe unter anderem dazu geführt, dass Bagatelldelikte mittlerweile mit nicht unterschreitbaren Standard-Haftstrafen geahndet würden. Folge: Während Anfang der Achziger etwa eine halbe Million US-Amerikaner in Haft gewesen sei, seien heute 2,3 Millionen Menschen weggesperrt. Darunter: ein wachsender Anteil Frauen wie eben die, welche sie selbst hinter Gittern kennenlernte – »kleine Straftäter, die zwar schwerwiegende Fehler begangen haben, die aber kaum eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen.« (Nachwort im Buch, S. 381).

Fazit

Mit Orange Is The New Black liefert Streaminganbieter Netflix nicht nur eine Serie auf einem Niveau, dass bislang fast ausschließlich von dem Ausnahme-Anbieter HBO abgedeckt wird. Auch politisch ist die Serie – allem expliziten Material ungeachtet – korrekt bis in die letzte Drehbuchzeile. Einen nicht zu unterschätzenden Anteil daran hat das Darsteller(innen)ensemble, dem man die Spielfreude von Staffel zu Staffel mehr anmerkt. In Bezug auf die Weiterentwicklung des Formats »anspruchsvolle TV-Serie« dürfte Orange Is The New Black eine weitere Wegmarke darstellen. Durchaus möglich, dass eskapistische Plots nach diesem Erfolg verstärkt abgelöst werden durch Stoffe, die sich (wieder) mehr den aktuellen Realitäten zuwenden. Selbst den US-Zuständen gemeinhin wohlwollend gesonnene Medien wie die Zeit, das Online-Magazin Vice oder der stern flankierten die Serie mit teils enthusiastischen Kritiken; vereinzelt wird die Serie bereits mit der Serien-Messlatte schlechthin verglichen – The Wire.

Fazit so: Nach dem Finale des derzeitigen Serien-Straßenfegers Game of Thrones 5 und vor dem Germany-Start der vielerwarteten zweiten Staffel von True Detective ist Orange Is The New Black das Serien-Highlight des Sommers. Wer die Knast-Impressionen der Serie sachlich vertiefen möchte, ist bei der gleichnamigen Buchvorlage von Piper Kerman gut aufgehoben. Alles in allem: Selten ein Fall, bei dem sich spannende Unterhaltung, Aufklärung und Tiefgang derart trefflich ergänzt haben wie bei dieser Serie.

Orange Is The New Black. TV-Serie. 3 Staffeln à 13 Folgen. Als Streaming-TV bei Netflix. Staffeln 1 und 2: im iTunes Music Store sowie als DVD.

Serien-Vorspann mit dem Song You’ve Got Time von Regina Spector.

Piper Kerman: Orange Is The New Black. Mein Jahr im Frauenknast. Rowohlt Taschenbuch, Reinbek bei Hamburg, Januar 2015. 384 Seiten. € 9,99. ISBN 978-3499628801.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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