Parteien zur Wahl (Vol. 3): die FDP

Bundestagswahl 2013 Who's the Devil is the FDP? Ein Beitrag zur ihrer Kandidatur fällt schwer. Um ihn zu liefern, mußte ich mir selbst gegenüber einen Schwur ablegen. Hier das Ergebnis.

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Die FDP – gibt's die noch? Beginnen wir mit den wenigen Good News: Ein Außenminister, der dieser Partei angehört, schafft es in regelmäßigen Abständen in die Nachrichten. Die Partei ist in der aktuellen Bundesregierung vertreten und hat darüber hinaus sogar einen Vorsitzenden. Die Schlagzeilen und Zahlen zur FDP sind indess die reine Katastrophe. Politisch befindet sich der gelbe Koalitionspartner im Dauertief. Bereits der Start lief mies. Die mit Beginn von Schwarz-Gelb neu eingeführte Hotelsteuer wurde allgemein als Bevorteilung einer FDP-nahen Wählerklientel gewertet. Der Hick-Hack-Kurs beim Thema Steuererhöhungen – erst: Nein, dann: Gut, geht wohl nicht anders – kam in der Krise ebenfalls nicht an. Die Sparmaßnahmen unter der Ägide von Philipp Röslers Gesundheitsministerium entwickelten sich ebenfalls zum Popularitätsdrücker erster Güte. Summa summarum profilierten sie die FDP auch auf dem Gebiet der praktischen Sozialpolitik als das, was sie ist: eine marktradikale Partei der sozialen Kälte. Mit klassisch wirtschaftsliberalen Argumenten begründet die FDP schließlich auch ihren aktuellen Sturmlauf gegen die Bürgerversicherung. Was war noch? Pleiten, Pech & Pannen im Entwicklungshilfeministerium (ein Ressort, welches die FDP laut Parteiprogramm 2009 ganz auflösen wollte, dann allerdings doch lieber mit einem der ihren, dem hemdsärmeligen Bundeswehroffizier Dirk Niebel besetzte), polarisierende Statements über spätrömische Dekadenz, übergriffig-sexististische Altherrensprüche sowie – last but not least – ein Parteivorsitzender, der seiner Partei das Gesicht verleiht, das sie verdient: das eines BWL-Studenten, der gerade in die PR-Abteilung eines Unternehmens aufgestiegen ist.

Pleiten, Pech & Pannen

Marktradikalismus, gemixt mit beharrlicher Klientelpolitik sowie einer Flexibilität, die im Fall des Falles jederzeit in blanken Opportunismus umkippen kann. Die beste Nachricht zur FDP ist aktuell die, dass Außenminister Westerwelle einigermaßen unfallfrei seinen Job verrichtet. Gute Berater oder Einsicht? Ausfälligkeiten in rechtspopulistische Stammtischgefilde verkneift sich der Außenpolitiker Westerwelle jedenfalls strikt. Reicht ein Außenminister ohne Fremdschäm-Effekt aus, um die Fünf-Prozent-Hürde zu stemmen? Die FDP steht auch im Jahr eins nach ihrem Tiefpunkt desolat da. „18 plus“ ist seit längerem ausgeträumt; bereits „8 plus“ wäre aktuell ein geradezu phänomenales Ergebnis. Die Umfragewerte sind zwischenzeitlich zwar etwas angestiegen. Wären aktuell Bundestagswahlen, könnte die Partei mit 4 bis 5 Prozent rechnen. Der Wiedereinzug in den Bundestag erscheint so nach wie vor als Zitterpartie. Allerdings: Dass die FDP Stehaufmännchen-Qualitäten hat, hat sie bereits mehrfach unter Beweis gestellt – zuletzt bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein 2012 und Niedersachsen 2013. Politischer Restinstinkt oder schlicht die Laune des Glücks? Mit Wolfgang Kubicki und Christian Lindner schickte die Partei zwei Spitzenkandidaten ins Rennen, die a) nicht so desavouiert waren wie der Rest der abgehalfterten und in Dauer-Intrigen involvierten Parteispitze, b) einen gewissen persönlichen Sympathiebonus haben und c) ungeachtet aller tatsächlichen Indifferenz für einen „Liberalismus mit menschlichem Antlitz“ stehen.

Frage also: Wird es die FDP (wieder) schaffen? Oder ist die eiserne Reserve mit Kubicki und Lindner bereits verschossen? Prognose an der Stelle: Möglicherweise knapp – aber sie kommen durch. Grund sind weniger die aktuellen Wahlumfragen, welche ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Union und Rot-Grün prognostizieren. Nimmt man die in den Mainstreammedien so beliebte politische Farbenlehre als Anhaltspunkt, kann Merkel mondän auf Gelb verzichten. Mit der Steinbrück-SPD sowie den Grünen stehen Koalitionspartner bereit, die gegenüber der FDP den Vorteil haben, weniger desavouiert und politisch verbraucht zu sein. Etwas „farbiger“ könnte es koalitionstechnisch allenfalls dann werden, wenn Linke, Piraten oder AfD (bzw. irgendeine Kombination aus diesen drei Parteien) eine einfache Mehrheitsfindung erschweren. Allerdings sollte man den klassischen bürgerlichen Mehrheits-Beschaffer FDP nicht vorzeitig abschreiben. Die Zweitstimmen-Kampagnen, mit denen die FDP gezielt als Mehrheitsbeschaffer supportet wurde, sind in der Sozialgeschichte der BRD fast so etwas wie eine feststehende Konstante. Den Grund könnte man etwas salopp mit der Parole Business geht vor Gemeinwohl umschreiben. Konkret: Anders als die CDU, die sich als Volkspartei versteht und so gewisse integrative Momente aufweisen muß, war die FDP von je her die Partei des frei flottierenden Geldes. Eine Rolle, die sich auch aufs Image übertrug: So konnten die Liberalen schon immer mit dem Ruf locken, dass bei ihnen selbst dann noch was ging, wenn alle anderen Karten ausgereizt waren. Folge: Während der CDU die Rolle der staatstragenden Gründerpartei zukam, übernahmen die Liberalen wahlweise die Rolle derjenigen, die das System von Kalk befreiten, oder die der neoliberalen Hardliner, die die Partikularinteressen des großen bis mittelgehobenen Wohlstands verfochten.

Eine kurze Parteigeschichte des deutschen Geldes

Die Janusköpfigkeit der FDP – hier sozialliberal orientierte Modernisierer, da Wirtschaftsliberalismus pur – ist nicht nur eine historisch weit zurückreichende Grundeigenschaft der deutschen Liberalen. Die Rolle der FDP im politischen System ist auch eine Folge des einzigartigen deutschen Sonderwegs in die kapitalistische Moderne. Beide sind eng miteinander verwoben. Begonnen hatten die deutschen Liberalen als Vertreter des „zweiten Standes“ – des emporstrebenden Wirtschaftsbürgertums, das die Adelsvorrechte mehr und mehr als unzweckmäßig, einengend und unzeitgemäß empfand. Anders als die Demokraten der 1948er-Revolution, deren Basis vor allem Kleinbürger, Handwerker, Arbeiter sowie Angehörige der Intelligenz waren, vertraten die Liberalen vorrangig wirtschaftliche Aufsteiger sowie gemäßigte Reformer aus den Reihen der Staatsbürokratie. Folgerichtig war nicht eine politische Neujustierung ihr Ziel, sondern vor allem die Abschaffung wirtschaftsbehindernder Einschränkungen und Grenzen. Die Melange, die Fortschrittspartei und Nationalliberale mit dem Bismarck-Regime eingingen, prägte das Verhalten der deutschen Liberalen auch in der Zukunft. Vor und während des Ersten Weltkriegs traten Liberale großteils als Kriegsbefürworter in Erscheinung, zu einem nicht unwesentlichen Teil gar als Parteigänger der Alldeutschen. In der Weimarer Zeit spalteten sich die Liberalen auf in einen demokratischen Zweig, der bereit war, sich auf das demokratische Experiment einzulassen und einen nationalliberalen, der diesen Weg lediglich unter Vorbehalten mitging. Mit dem geläuterten Zweckdemokraten Gustav Stresemann stellte diese konservativ-wirtschaftsliberale Richtung immerhin den wohl bekanntesten Außenminister der Weimarer Republik.

Auch die neugegründete FDP war nach 45 vor allem für Skandale gut. So etwa für die Naumann-Affaire. Was war geschehen? Altnazis hatten mittels organisierter Parteieintritte – vor allem in Nordrhein-Westfalen – versucht, die FDP für ihre Zwecke zu kapern. Der Unterwanderungsversuch scheiterte an der Intervention der britischen Besatzer; weitere Konsequenzen hatte die Affaire nicht. Ende der 1960er-Jahre hatten die Liberalen ihren zweiten Frühling. Anders als die in ihren antikommunistischen und ständischen Traditionen erstarrte CDU legte sie einer Modernisierung der westdeutschen Gesellschaft sowie der Entspannung des Verhältnisses mit den Warschauer-Pakt-Staaten keine Knüppel in den Weg. Als musikalische Zugabe lieferte ihr Parteivorsitzender die wohl peinlichste Schallplattenaufnahme der 1970er. Der Rest der Geschichte ist bekannt. Seit den frühen 1980ern fungiert die Partei als zuverlässiger Mehrheitsbeschaffer der Konservativen. Bliebe die Frage, wie die deutschen Liberalen das liberale Kernanliegen gelöst haben: die Absetzung des Adels. Man muß nicht an Otto Graf Lambsdorff denken, um zu dem Resummée zu kommen: vor allem durch freundliche Umarmung. Allerdings: Die Tatsache, dass – anders als in Frankreich, Italien und anderen Ländern – ein Bruch mit der alten Feudalklasse nie ernsthaft in Erwägung gezogen wurde, betrifft die anderen Parteien des deutschen Parteiensystems ebenso. Folge: Das „liberale“ Geld – das der ehemaligen Emporkömmlinge und Systemmodernisierer – hat sich nicht durchgesetzt. Sondern mit dem alten Kapital der langsam in den Hintergrund tretenden Ständegesellschaft vermischt, verheiratet oder sonstwie verbandelt.

Eine Folge dieser „Erfolgsgeschichte“: Aller demokratischen Fortschritte ungeachtet hat es einen Bruch mit der Klasse der Junker, Grossbesitzer sowie sonstigen Geburtsbevorteilten nie gegeben. Politisch firmieren Restbestände des Adels ebenso wie das Bürgertum im engeren Sinn unter dem Label „Bürgertum“. Letzteres vertritt auch die CDU. Allerdings mit der Einschränkung, dass sie mehr Staatspartei ist und von daher mehr die Gesamtinteressen des Staates im Auge hat als die FDP. Bürgerliche Aufsteigerschichten werden auch von den beiden anderen Systemparteien vertreten – der SPD und den Grünen. Die SPD ist traditionell zwar stärker auf klassische Kleinbürgerschichten ausgerichtet sowie Angehörige der noch abgesicherten Facharbeiter-Belegschaften. Als Partei der Staatsbürokratie (und der darin arbeitenden Beamten) ist sie jedoch ähnlich staatsnah wie die CDU – und staatsnäher als die Grünen. Deren Kernanhängerschaft wiederum rekrutiert sich zwar ebenfalls überdurchschnittlich stark im Sektor der Staatsbeschäftigten. Hinzu kommen allerdings klassische Selbständige sowie – Hiwi-Personal und untere Hierarchieebenen hier abgezogen – jede Menge Anhänger in den Medien- und Dienstleistungsberufen. Fazit: Was die soziale Stellung der Anhängerschaft angeht, sind die Grünen näher bei der FDP als bei CDU oder SPD. Während die Grünen neue, dynamische Aufsteigerschichten repräsentieren (ähnlich wie die Liberalen der ersten und zweiten Generation), sammelt sich um die FDP das bereits etablierte Geld- und Sozial-was-darstellen-egal-wie-Kapital. Nicht immer, nicht ausschließlich (wozu, wenn es Stimmensplitting gibt?), aber im Endeffekt recht kontinuierlich und effektiv.

Fazit: lieber nicht

Wie werden die Kernschichten des Geldbürgertums – die Speckgürtel um Hamburg, im Berliner Umland oder im Taunus nördlich der EZB-Bankenmetropole Frankfurt am Main – im September 2013 stimmen? Was wird sie bewegen, welche Fragen umtreiben? Und wie wird die FDP den widersprüchlichen, an sie gerichteten Erwartungen gerecht? Sicher – neben den klassisch wirtschaftsliberalen versucht die Partei verstärkt auch „sozialliberale“ Signale zu senden. Als „sozialliberales Gewissen“ der FDP tingelt beispielsweise Ex-Justizminister Gerhart Baum verstärkt durch die einschlägigen Talkformate. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger versucht sich derweil in Sachen Datenschutz zu profilieren. Ein weiteres Vorhaben von ihr dürfte – eventuell, vielleicht – im nächsten Jahr Gesetzespraxis werden: die Verkürzung des Karzers für Insolvenzschuldner von derzeit 6 auf 3 Jahre. Einerseits bewegt sich die verringerte Frist zwar vorsichtig an die für Schuldner weitaus kommoderen Verhältnisse in den deutschen Nachbarländern heran. Das Kleingedruckte der neuen Reform – in den Medien wie üblich kaum oder gar nicht Thema – knüpft das Ganze allerdings an Bedingungen. Bedingungen, die dafür sorgen, dass im Endeffekt wohl lediglich ein paar Tausend FDP-nahe „First-Class-Schuldner“ von der Gesetzesveränderung profitieren. Ein Paradelehrstück ist dieses eher randständig gehandelte Thema letztendlich für alle Systemparteien: Man tut, als brächte man eine großartige Reform zuwege. Hinter den Kulissen jedoch dingst man die Dinge so hin, dass entweder alles beim Alten bleibt. Oder man beschließt eine Verschlechterung und verkauft den Wähler(innen) diese als Verbesserung.

Um die Erfolgschancen der FDP zu erörtern, ist ein Blick auf die Wahlkampf-Sachfrage dieses Wahlkampf-Sommers ganz aufschlussreich: Steuern runter, Steuern wie gehabt, oder Steuern hoch? „Steuern runter“ ist – das kann nur wenig überraschen – auch dieses Mal ein Kernanliegen der FDP. Die CDU hält es im wesentlichen mit „Steuern wie gehabt“, verspricht in ihrem Programm allerdings „Kirchhof light“ – die ein oder andere Vereinfachung im Steuerrecht. Grüne und SPD hingegen haben sich auf Steuererhöhungen festgelegt – ein Punkt, zu dem sie ohne Gesichtsverlust kaum noch auf Abstand gehen können. Zwar wird nach Wahlen wenig so heiss gegessen, wie es im Wahlkampf gekocht wurde. Um Vermögenssteuer, Bankenabgaben und ähnliche Schmerzen zu umgehen, kann es jedoch gut sein, dass eine kritische Masse von Anlegern erneut auf die Option „liberal“ setzt. Nicht als Grundsatzentscheidung. Wahrscheinlich nicht mal als entschiedenes Votum für die Fortführung von Schwarz-Gelb. Sondern als sinnvolle Klassen-Investition in das, was dem Bürger und der Bürgerin das Wertvollste ist – das Geld.

Richard Zietz bloggt bei freitag.de. Darüber hinaus betätigt er sich als kritischer Autor bei dem Online-Portal Wikipedia.

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Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

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