Pocken-Karneval in der Eifel

Buch Steffen Kopetzkys neuer Roman »Monschau« startet als vielversprechende Allegorie – und endet uninspiriert da, wo die Geschichte eigentlich interessant würde.

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Lokalkolorit macht noch keinen Roman: Monschau in der Eifel

Einen mangelnden Sinn für Allegorien kann man Steffen Kopetzky, geboren 1971 im bayerischen Pfaffenhofen, kaum vorwerfen. Manchmal verstecken sie sich in Details – etwa in seinem Roman Der letzte Dieb, in dem – so jedenfalls der »Trivia«-Abschnitt im Wikipedia-Eintrag zum Autor – eine Wikipedianerin auftritt und ihren ersten Wikipedia-Artikel schreibt. Manchmal ist das komplette Handlungssetting eine Allegorie. Etwa in Propaganda von 2019, in dem Kopetzky seine Hauptfigur, einen deutschstämmigen Propagandaoffizier der US-Army, einem der wohl sinnlosesten Gemetzel in der Endphase des Zweiten Weltkriegs aussetzt, der Schlacht im Hürtgenwald, um ihn alsdann in einen Propagandakrieg der etwas anderen Art hineinzubeamen – dem in Vietnam. Hier die Modem-Signale einer neuen Zeit, da Kindermädchen-Job für den marodierend-alkoholisierten Résistancekämpfer Ernest Hemingway – für stimmig durcherzählte Geschichten ist Steffen Kopetzky meistens gut.

Warum also nicht eine mit aktuellem Zeitbezug? Eine Geschichte, die eine Pandemie zum Thema hat, ist im Anblick der aktuellen Mega-Turbulenzen durchaus naheliegend. In gewisser Weise sind Pandemien zeitlos. Anstatt sich schreiberisch jedoch auf die klassischen Plagen zu verlegen wie die Pest des 14. Jahrhunderts oder die Spanische Grippe, hat sich Steffen Kopetzky ein obskures Ereignis aus der Gründergeschichte der Bundesrepublik ausgesucht: ein lokaler Pockenausbruch am westlichen Rand der Republik – geschehen 1962 in Monschau. Vom Hürtgenwald, dem (realen) Schlacht-Schauplatz in Propaganda, ist das ehemalige Textilindustrie-Zentrum nur ein halbes Dutzend Dörfer weit entfernt. Der Einstieg in Monschau gestaltet sich flüssig. Schnell ist die Leserin und der Leser drin in Kopetzkys wirtschaftswunderzeitlichem Hocheifel-Setting. Bei den Rither-Werken in Lammerath herrscht Alarm. Ein Mitarbeiter des Unternehmens, dass hochwertige Ofenanlagen für die ganze Welt produziert, hat sich bei einer Geschäftsreise in Indien mit den Pocken angesteckt. Nun breitet sich die Seuche aus; die obligatorischen Institutionen treten auf den Plan. Im Roman sind das der Düsseldorfer Virologe Günter Stüttgen und sein ehrgeiziger Assistent, der von Kreta stammende Jungmediziner Nikos Spyridakis.

Wo Seuchenexperten tun, was sie eben tun, sind meist auch die obligatorischen Bedenkenträger nicht weit – hier in Gestalt des allmächtigen Fabrikmanagers Seuss und der Rither-Tochter Vera. Wobei letztere allerdings weniger interessenbewusste Gegenspielerin ist als stark von französischem Existenzialismus angehaucht. Denn: Während ihres Studiums in Paris hat sich die nunmehr mit dem Metier Journalismus liebäugelnde Heimkehrerin Sartre, Beauvoir und den Jazz angelacht. Dass sie sich zügig in den griechischen Betriebsarzt verliebt, der nunmehr die Pandemiebekämpfung vor Ort leitet, hat so gesehen eine gewisse Folgerichtigkeit. Man könnte sagen: In der kargen Hochebene am Rand der Ardennen finden sich zwei verwandte Seelen. Weil zwei zu wenig sind für eine Welt und diese zudem ihre eigenen, größeren Krisen hat wie etwa den Bombenterror der OAS in Frankreich oder auch die Hamburger Sturmflut, fächert sich das Terrain des Romans zunehmend auf. Weitere Akteure kommen ins Spiel – eine Luxemburger Investmentbankerin, subalterne Firmenangestellte mit Kriegsvergangenheit, ein Sensationsreporter der Illustrierten Quick, die komplizierten Familienverhältnisse der Familie Rither und schließlich die gleichfalls nicht unkomplizierte Familiengeschichte des griechischen Mediziners.

In gewisser Weise ähnelt der Mittelteil von Monschau der Landschaft, in der er spielt. Es gibt Berge und Täler, unerwartete Geschehnisse und dramatische Zuspitzungen. Ein wirklicher Blick hinter die Kulissen bleibt allerdings aus – obwohl wir bald erfahren, dass Rither-Chef Sessen in der Nazi-Kriegswirtschaft ganz oben mit dabei war und auch weitere Akteure einschlägige Vergangenheit am Wandersstock kleben haben. Die beschriebene Liebe ist ein Ding für sich. Im Mittelteil wird die Annäherung zwischen Nikos und Vera zwar in geradezu detailversessener Manier geschildert. Der – zartzüchtig nach Ku’damm-Manie stattfindende – Eifel-Liebesreigen kulminiert schließlich in einem überdreht-skurrilen Pockenfasching in der Monschau-Nachbarstadt Düren: Ähnlich wie die Lockdown-geplagten Bundesbürger heutiger Tage wichen auch die damaligen Monschauer – wer kann es ihnen verdenken? – in weniger reglementierte Nachbarregionen aus.

Bis zu diesem Punkt etwa am Ende des zweiten Buchdrittels ist Monschau ein zwar nicht fulminanter, aber doch leidlich mit Vergnügen zu lesender Roman. Die ebenso züchtige wie detailliert beschriebene Liebesgeschichte mag Geschmackssache sein. Inhaltlich allerdings hat der Roman mit der – rheinisch-prall beschriebenen – Faschingsepisode seinen Zenit überschritten, sein Pulver verschossen. Anders gesagt: Die Verwicklungen, die danach kommen, sind unlogisch, unnachvollziehbar, wirken konstruiert-aufgesetzt und streben einem Ende entgegen, dass in jeder Beziehung ratlos, ja: ärgerlich macht. Irgendwie wirkt das Finale, als wäre Kopetzky von den Ansprüchen, zeitkritischen Roman, Liebesroman, Gesellschaftsroman und Allegorie zu den aktuellen Geschehnissen in eine einzige Handlung zu überführen, irgendwann überfordert gewesen. Handlungsweisen gleiten abrupt in exteme Unlogik über, die Motive dahinter erklären sich durch nichts und die losen Fäden zum Ende hin sind schließlich zahlreicher als die in einer durchschnittlichen Tatort-Folge. Das aufgesetzte Happy-End ganz am Schluss sowie der – angesetzt und an der Stelle als Handlungs-Großsprengung wirkende – Epilog machen das Ganze nur schlimmer. Grosso modo endet Monschau so, wie es auch ein Interview im Trierischer Volksfreund nahelegt: Der Druck, das Werk zu Ende zu bringen, sei – so Kopetzky – aufgrund der Corona-Krise schon recht hoch gewesen.

Leider hat sich Steffen Kopetzky auch die Option für einen möglichen Folgeroman gründlich verbaut. Die Thematik Monschauer Pocken wird in Monschau abgeschlossen; Folgeromane der Sorte B, welche die losen Fäden vom Roman A zusammenzuführen versuchen, sind darüber hinaus auch grundsätzlich eher eine Anleitung zum Autoren-Kamikaze denn ein guter Rat. Fazit so: Nach Propaganda, einem wirklichen Ausnahmeroman und einer der Belletristik-Highlights 2019, nunmehr ein durchschnittlicher bis schwacher Nachfolger. Zumindest längerfristig dürfte Kopetzky, sonst eines der etablierten Erzähl-Talente, die Scharte wieder gutmachen können. Denn: Auch andere Größen der deutschen Gegenwartsliteratur – ein gutes Beispiel an der Stelle ist Juli Zeh – haben im Lauf ihrer Jahre ein stark unterschiedliches Oeuvre abgeliefert.

Vielleicht ist es für Steffen Kopetzky an der Zeit, sich darauf zu besinnen, dass eine in einen Roman gegossene Geschichte a) plausibel sein, b) irgendeinen Sinn ergeben sollte. Selbst dann, wenn gefühlter oder auch tatsächlicher Aktualitätsdruck auf Manuskiptabgabe drängen.

Steffen Kopetzky: Monschau. Roman. Rowohlt, Berlin. März 2021, 352 Seiten, 22 Euro. ISBN 978-3-7371-0112-7.

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Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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