Politiker grenzenlos

Politikerkarrieren Die Affären Hinz, Tauber und Claus-Brunner rücken einen Politiker-Typus in dem Blickpunkt, der keinerlei Grenzen mehr kennt. Ego: riesig. Kollateralschäden: egal

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Sicher – die Affairen um die hochstapelnde MdB-Hinterbänklerin Petra Hinz (SPD), den in »Kaninchenjagd-Operationen« involvierten CDU-Fraktionsvorsitzenden Peter Tauber und den Berliner »Killer-Piraten« Gerwald Claus-Brunner haben auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun. Hinz wurden ihre erfundenen Abschlüsse zum Verhängnis. Der Skandal um Peter Tauber nimmt gerade erst an Fahrt auf. Da Tauber derzeit an mehreren Fronten in Bedrängnis steht, lässt sich schwer prognostizieren, in welche Richtung sich die Causa noch entwickeln wird. Bei dem Berliner Piratenpolitiker Gerwald Claus-Brunner wiederum gibt es wenig zu deuteln: Stalking, ein Mord mit geradezu gruseligen Aspekten, Selbstmord inklusive allen Drama-Elementen, welche die Social Medias zu bieten haben. Fakt ist zudem, dass auch Claus-Brunner bei seiner Vita kräftigst geflunkert hat.

Neben allem anderen spielte Mobbing in allen drei Fällen eine essentielle Rolle. Hinz’ MdB-Büro war, wie sich später herausstellte, für dort Angestellte die Hölle auf Erden; Ex-Mitarbeiter berichten von Schikanen sowie einem herabwürdigenden Umgangston. Die »Boy Group« um den hessischen CDU-Aufsteiger Tauber ließ es systematischer angehen: Das Mobbing einer unliebsamen Kreisverband-Geschäftsführerin wurde via Briefing feinabgestimmt und trug – hessischem CDU-Verständnis von saloppen Formulierungen in der Beziehung wohl Tribut zollend – die aus der Konzentrationslager-Terminologie abgeleitete Bezeichnung »Operation Kaninchenjagd«. Die aufgeführten Instrumente: Zuschustern von Arbeit, Bluffs bei Klärungsgesprächen bis hin zur Sitzordnung, Manipulation von Gremien. Tauber bestreitet bislang zwar die Beteiligung, nicht aber, dass er von der zirkulierenden Mobbinganleitung Kenntnis gehabt habe.

Claus-Brunner? Der ehemalige Berliner Piratenpartei-Abgeordnete überwarf sich während seiner Zeit im Abgeordnetenhaus wohl mit allen und jedem. Harsche Worte, Twitter-Tweeds, Androhung von Gewalt und auch hier wohl: Mobbing von abhängig Beschäftigten. Gefahrenzone Politiker? Zyniker mögen da konstatieren, dass Schäden für Leib und Seele lediglich dann zu befürchten sind, wenn Normalbürger(innen) sich in partei- oder arbeitsrechtliche Nähe zu Politiker X oder Politikerin Y begeben. Auch Claus-Brunners Opfer bewegte sich rückblickend gesehen in einem einschlägigen Risikomilieu: dem der Berliner Piraten. Positiv könnte man den Umkehrschluss in etwa wie folgt auf den Punkt bringen: Hält man sich von politischen Funktionsträgern fern, ist das Risiko, später zum Psychotherapeuten zu müssen oder gar als Leiche in einer fremden Wohnung zu landen, ziemlich gering. Entsprechende Zurückhaltung vorausgesetzt, hat man lediglich die normalen Auswirkungen zu vergegenwärtigen: politische Entscheidungen, die sich mal mehr, mal weniger auf das eigene Leben auswirken.

Underwoodisierung der Politik?

Obwohl Korruption, Klüngel, Grabschen sowie das miese Behandeln von Untergebenen so alt ist wie die Politik selbst, gibt die Dichte, welche die drei Fälle aufzeigen, zu denken. Zum einen erinnert der Politikertyp, der hinter den Fällen Hinz, Claus-Brunner und Tauber sichtbar wird, stark an die Politikerfiguren in der preisgekrönten US-Serie House of Cards. In der Rezeption wurde die Serie zumeist hochgelobt als realistische Darstellung von Intrigen, wie sie im Raum der hohen Politik eben üblich sind. Diese Sichtweise ist allerdings nur ein Teil der Wahrheit. Die Serie setzt ein Politikmilieu in Szene, in dem Mord, Erpressung, persönliche Druckausübung, Machtmißbrauch, illegale Amtsanmaßung, Bestechung sowie das Manipulieren von Fakten alltägliche Praktiken sind. In der Beziehung zeigt House of Cards eben nicht den normalen Politikbetrieb. Inhalt ist vielmehr ein Szenario, das aufzeigt, was passiert, wenn in dem »normalen« System Eindringlinge nach oben kommen, die nicht mehr nur nach den üblichen Regeln spielen.

Eine Form des Agierens, die bekanntlich nicht nur auf Celluloid oder in Pixelform vorkommt. Die jüngere Geschichte ist voll mit derlei »Systembrüchen«. Vom Mord an J. F. Kennedy über Watergate bis hin zu den »Smoking Guns« zur Begründung des Irak-Kriegs zieht sich ein roter Faden von Ereignissen, welche die »Normalfunktionsweise« der Parade-Demokratie USA ins Stolpern brachten. Auch Deutschland hat seine diesbezügliche Ereignisserie: Spiegel-Affaire, die Notstandsmaßnahmen im Deutschen Herbst; zuletzt die Zurichtung der öffentlichen Meinung im Zug der Ukraine- und Griechenland-Krise. Unter der Oberfläche: die Verschlussachen im NSU-Komplex sowie die stetiglich Meldungen produzierenden Dauerzustände um die Aktivitäten in- und ausländischer Geheimdienste.

Beunruhigend ist die Serie weniger deswegen, weil sie herausragende Ereignisse in Szene setzt. Das tut sie nicht. Ihre Stärken liegen vielmehr darin, dass sie den Feinmechanismus des Machtmißbrauchs offen legt. Francis und Claire Underwood, die beiden Hauptfiguren, sind einerseits zwar Meister der Skrupellosigkeit, der Manipulation und der Grenzüberschreitung. Folgerichtig blitzt die Option des Cäsarenmords im Verlauf der Serie immer wieder durch. Andererseits wird das an die Staatsspitze strebende Duo fatale ausgebremst durch demokratische Institutionen sowie Checks & Balances, die (noch) funktionieren. Spoilerwarnung: Ein Putsch in den USA ist auch in der 2017 anstehenden Staffel 5 eher nicht zu erwarten. Skeptisch formuliert: Die Chancen, dass die Realität die Serie im Negativen überholt, stehen aktuell höher.

Karriere-Egoshooter

Auf den ersten Blick mögen Petra Hinz, Gerwald Claus-Brunner und Peter Tauber wenig gemein haben mit dem infernalischen Underwood-Duo der fiktiven US-Serie. Allerdings: Massiv und jenseits der Zweifel Grenzen überschritten haben auch sie. (Wobei – für den ethisch robusteren Teil der Leserschaft – im Fall Tauber die eingeräumte Kenntnis der Mobbing-Anleitung bereits ausreicht für das Tätigen dieser Aussage.) Unabhängig von der juristischen Bewertung besteht die Parallelität der drei Fälle darin, dass das eigene Vorwärtskommen letztlich zum Maß aller Dinge avanciert und Kollateralschäden dabei billigend in Kauf genommen werden. Diese Formen der Selbstermächtigung, so unterschiedlich sie im Detail ausfallen mögen, machen die Fälle Hinz, Tauber und Claus-Brunner zur tickenden Zeitbombe – und führen der eh bereits grassierenden Politikverdrossenheit neue Nahrung im Tagestakt zu.

Aufschlussreich sind die Fälle Hinz, Tauber und Claus-Brunner in mehrererlei Hinsicht. Zum einen wegen der – wenn man so will: bis zur letzten Konsequenz durchgezogenen – neoliberalen Biografieentwürfe. Macht, die öffentliche weiße Weste, die Medienpräsenz und der zum Lifestyle dazugehörige Solär sind Absolutheitswerte; alles andere ordnet sich diesen letztendlich unter. Selten machten sich die pathologischen Aspekte dieser biografischen Zweckausrichtung in einer derartigen Dichte bemerkbar wie im Sommerhalbjahr 2016. Merkel-Adlatus Tauber mag – falls nicht noch mehr hinterherkommt – »nur« in das Webmobben einer unliebsamen Parteiangestellten involviert gewesen sein, Hinz »nur« ihre Abgeordnetenbüro-Angestellten drangsaliert sowie die Bio geschönt haben und Claus-Brunner, zumindest subjektiv, unter ehrlichem Liebeskummer gelitten haben.

Frappierend an alldem ist noch etwas anderes: die Tatsache, dass alle involvierten Parteien – SPD, CDU und Piraten – kräftig weggesehen und das disparate Verhalten Einzelner gedeckt haben. Die SPD konnte die Diskussion um das Vortäuschen von Abschlüssen und Mitarbeiter-Mobbing – dank dem späten, aber doch noch erfolgten Rücktritt von Hinz – gerade so unter dem Deckel halten. Die CDU wiederum holt nunmehr ihre spezifische Grabsch-, Intrigen- und Hinterzimmer-Kultur ein – verspätet, möglicherweise jedoch mit Konsequenzen. Die Piraten? Das Statement zur Causa wird ein grelles Spotlight auf die Empathielosigkeit und politische Scheißegal-Stimmung, welche bei den Resten der einstigen Netzavantgarde zwischenzeitlich vorherrschen. O-Ton: »Die PIRATEN Berlin sind zutiefst bestürzt über die Entwicklungen im Zuge der Aufklärung des Freitods von Gerwald Claus-Brunner. Wir trauern mit den Angehörigen und Freunden des Opfers. Wir bitten, von weiteren Presseanfragen Abstand zu nehmen.«

Was tun, wenn der homo politicus nicht mehr unterscheiden kann zwischen »Den Bürger vertreten« und »Den Bürger zerstückeln«? Obwohl die Systemfehler auf der Hand liegen, ist die Selbstrekrutierung des politischen Personals eine grundgesetzlich abgesicherte Heilige Kuh. Im Klartext: Wenn die Parteien nominieren, hat der Bürger nichts mehr zu melden. Durch schlägt diese Form der Funktionseliten-Rekrutierung auf zwei Ebenen. Ablauftechnisch sorgt sie dafür, dass die einschlägigen Gemetzel unter den innerparteilichen Konkurrenten weitaus stärker zur Notwendigkeit avancieren, als dies bei egalitäreren Formen der Kandidatenkür notwendig wäre. Zum zweiten finden die Gladiatorenkämpfe ausschließlich parteiintern statt, die Bürger(innen) sind dabei regelrecht ausgesperrt. Außen vor sind die 99,5% Nicht-Parteimitglieder im Land allerdings auch mental. Die fast ausschließlich mit Parteikarrieristen, Juristen und Verwaltungsfachleuten besetzten Funktionsapparate gelten nicht umsonst als bürgerfernes Politik-Raumschiff, dessen Insassen die Belange der normalen Bevölkerung kaum noch kennen – selbst wenn sie sie subjektiv gesehen gern vertreten möchten.

Was tun?

Da die Parteien – aller Voraussicht nach – weder von dem beschriebenen Rekrutierungsstil noch von ihren demokratietoxischen Regierungspraktiken abrücken werden, wäre mittelfristig vor allem eines wichtig: die pathologischen Züge des neoliberalen Karriere-Lebensmodells stärker in den Blickpunkt zu rücken als bislang. Und diesbezüglich besonders verhaltensauffälligen Funktionsträgern eindeutig zu vermitteln: Ihr seid keine von uns und schon gar nicht sprecht ihr für uns! Positiv gesehen allerdings könnte eine Reanimation der maladen Demokratie lediglich dann erfolgen, wenn die Parteien sich (wieder) stärker in Richtung Normalbevölkerung öffneten. Nicht via Kosmetik, wie es die einschlägigen Spin Doctoren anlassbezogen gern in die Mikrophone sprechen. Sondern real – personell, in der Parteikultur, strukturell, programmatisch. Geschieht dies nicht, wird das passieren, was gegenwärtig passiert. Die Ausreißer werden sich häufen, sich (noch weiter) zu einem Negativ-Gesamtbild aufsummieren. Ob mit oder ohne einem deutschen Francis Underwood: Langfristig wird ein derartiger Prozess die demokratische Grundsubstanz ganz sicher an die Wand fahren.

Zumindest bei ehemaligen Piraten hat die Bereitschaft zur selbstkritischen Reflexion eingesetzt. Ex-Pirat Stephan Urbach etwa kritisiert die Praxis des Gewähren-Lassens und Deckens, die sich in Bezug auf Claus-Brunner innerhalb des Landesverbands eingeschliffen habe. Kritisches zur Kultur der Netzpartei steuert auch die zwischenzeitlich zur Linkspartei übergewechselte Ex-Piratin Julia Schramm bei. Schramm rückblickend zum Fall Claus-Brunner: »Die Piratenpartei war eine krasse, eine lehrreiche Zeit, eine Zeit, die Menschen eine Plattform gegeben hat, die sonst vielleicht nie eine bekommen hätten. Sie war so groß wie die Abgründe tief waren. Wir können dankbar dafür sein, wenn wir lebend und gesund aus diesem Wahnsinn rausgekommen sind.«

Ähnliche Worte aus den »Systemparteien« SPD, CDU und Grüne – das wäre doch mal ein guter Anfang.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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