Qualitätsserien im Sparbrötchenformat

TV-Serie Mit zwei Miniserien versuchen ARD und ZDF, Anschluss zu finden an das internationale Quality-TV: "Die Stadt und die Macht" und "Morgen hör ich auf"

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»Qualitätsserie« dürfte mittlerweile ein Wort sein, das auch auf den Fluren öffentlich-rechtlicher Fernsehanstalten ohne angehaltenen Atem ausgesprochen werden darf. Der Erfolg von US-Serien wie Sopranos, Breaking Bad & Co. ist mittlerweile Thema medienwissenschaftlicher Abhandlungen, und ganz dem Trend verschließen will man sich auch nicht. Ebenso emminent ist die Tatsache, dass es an Serien »made in Germany« derzeit wenig abzuhandeln gibt. Die erste gute Nachricht lautet so: Ein gewisses Problembewußtsein ist zwischenzeitlich bis in die Chefetagen der großen Sendeanstalten vorgedrungen. Effekt: Da sich immer größere Zuschauerkohorten vom traditionellen Fernsehen verabschieden, sieht man sich mehr oder weniger unter Zugzwang. Ergebnis: Es tut sich was, zumindest ein klein wenig. Der Vortrupp der neuen deutschen Serienoffensive, die von RTL in Auftrag gegebene und zum Jahresende ausgestrahlte Miniserie Deutschland 83 entpuppte sich zwar nicht als deutsches Homeland. Allerdings war sie – die zweite gute Nachricht – auch nicht zur Gänze schlecht.

Nicht vorne, nicht hinten, aber pflichtgemäß beim Trend mit dabei – in Sachen anspruchsvolle TV-Serie scheint dies gegenwärtig die bevorzugte Strategie deutscher Sendeanstalten zu sein. Augenfälligstes Ergebnis sind zwei neue Mini-Serien zum Jahresanfang. In Sachen Volumen ähneln diese zwar eher den beschaulichen TV-Vierteilern alter Tage als aktuellen Serienproduktionen aus den USA, Frankreich oder Skandinavien. Die von ARD und ZDF gestartete Vorbewerbung fiel dafür allerdings so vollmundig aus, als hätten die Öffentlich-Rechtlichen den Aufhollauf zu den internationalen Genrestandards flink-mühelos wie Gazellen absolviert. Das ZDF etwa mochte sich für seine in der mittelhessischen Pampa angesiedelte Falschgelddrucker-Posse Morgen hör ich auf (Starttermin: 2. Januar; Folgen: fünf) unter einem »deutschen Breaking Bad« nicht zufrieden geben. Die Konkurrenz von der ARD stapelte vorbewerbungsmäßig ebenfalls standesgemäß hoch. Der auf sechs Folgen à drei Ausstrahltermine konzipierte Polit-Thriller Die Stadt und die Macht (Start: 12. Januar) spiele – so die Spin Doktoren der Anstalt – in derselben Liga wie die Netflix-Erfolgsserie House of Cards.

Kleinbürgerchaos auf mittelhessisch

Den besseren Part bei der winterlichen Serienoffensive hat das ZDF absolviert. Bastian Pastewka wurde seitens einiger Kritiker zwar als Fehlbesetzung für den am Rand der Pleite lavierenden Bad Nauheimer Druckereibesitzer Jochen Lehmann beschrieben. Pastewka und der reklamierte Tiefgang der Geschichte, so etwa Spiegel Online, passten nicht so recht zusammen. Auch die mittelhessische Kleinstadtidylle inklusive Bad Nauheimer Elvis-Nostalgie oder der Schmuddel des Frankfurter Bahnhofsviertels wirke – so die Frankfurter Rundschau – etwas aufgesetzt. Den Spuren der Sender-Promo folgend, liest sich das in etwa wie: Walter White erwartet, aber nur Pastewka bekommen. In Wirklichkeit allerdings hat die von Pastewka gespielte Figur Jochen Lehmann so gut wie nichts gemein mit dem diabolisch-biederen Walter White aus Breaking Bad. Wenn schon Vergleich, wäre die Referenz eher die Serienvariante von Fargo.

Was passiert? Frei nach dem Murphy’schen Gesetz, dass das, was schief gehen kann auch schief geht, arbeitet sich Lehmann mehr und mehr in den Schlamassel. Der Druckereiunternehmer ist pleite und zudem akut klamm. Für seine Kinder fungiert er vorzugsweise als Taschengeldautomat und Ausgangs-Erlauber, seine Frau Julia (gespielt von Susanne Wolff) betrügt ihn dafür ausgleichshalber mit einem halbseidenen, dafür aber gutaussehenden Kleinstadtstecher. Als Lehmann in seiner Verzweiflung schließlich ein Set 50-Euro-Scheine druckt, um sich seiner drückendsten Verpflichtungen zu entledigen, fangen die Verwicklungen an. Tiefer und tiefer verstrickt sich der tapsige Kleinunternehmer in den kriminellen Sumpf – den der nahen Mainmetropole und den spießbürgerlich daherkommenden, aber nicht minder kriminalitätsaffinen der mittelhessischen Hinter-den-sieben-Bergen-Idylle.

Sicher ist Morgen hör ich auf keine Produktion, die den Sinn des Lebens tief vom Tellerboden aufkratzen will. Genretechnisch kommt sie ähnlich leicht daher wie eine Kiezkomödie: viel Situationskomik, viel Screwballcomedy-Anklänge, viel Milieuzeichnung, und auch die mittelhessische Landtristesse ist treffend und mit viel Liebe zum Detail gezeichnet. Ein deutsches Breaking Bad ist Morgen hör ich auf sicher nicht. Allerdings: Blendet man die Branding-Hybris öffentlich-rechtlicher Sende-Verantwortlicher aus, bleibt als Fazit: Das ZDF bleibt seinem Ruf, gelegentlich als Reservat zu fungieren für kleine Fluchten und Experimente, mit dieser Produktion treu – mit fünf Fernsehabenden (oder alternativ: der ganzen Chose via Mediathek), die auch für US-Kost gewohnte Zuschauer(innen) durchaus unterhaltend ist.

Hauptstädtische Polit-Klitschees

Auch die ARD wäre mit einer besseren PR etwas weniger stramm ins Fiasko geschliddert. Alle Inkredienzen von Die Stadt und die Macht verweisen als Referenz auf die dänische Serie Borgen – nicht House of Cards mit seinen in Washington angesiedelten Hochpolitik-Intrigen. Die ARD-Mediathek bewirbt die Serie in dick aufgetragenem Selbstbeweihräucherungs-Sprech. Während das ZDF-Pendant seine Produktion mit einer nicht üppigen, aber informativen Homepage flankiert, preist die ARD ihren – auch von Print-Mainstreammedien wie der Süddeutschen und der FAZ mit großteils lobender Aufmerksamkeit bedachten – Mini-Sechsteiler als vielschichtige Serie an, als »spannenden Politthriller, packendes Familiendrama und Sittenbild Berlins«.

Roter Faden von Die Stadt und die Macht ist die Lokalpolitik der Hauptstadt sowie – hier setzte der Sender offenbar auf den Borgen-Faktor – eine sympathisch gemeinte Politik-Protagonistin, die für ihre Partei, die CDP, als Spitzenkandidatin antritt. Dass Susanne Kröhmer (gespielt von Silly-Sängerin Anna Loos) idealistisch ist und gern die Welt ein bißchen besser machen möchte, würde man – Borgen hat gezeigt, dass das Rezept funktioniert – auch als Qualitätsserien-Anhänger durchaus goutieren. Was allerdings nicht funktioniert, ist die serielle Abfolge schablonenhafter Klitschees, die diese Produktion Szene für Szene aneinanderreiht. Da ist der Bauunternehmer, der auf dem Dachrand eines parkettbezogenen Chrom-und-Glas-Lofts steht, zwanglos mit einem Telefon-Gegenüber parliert und zwei Serienminuten später tot auf der Straße liegt. Da ist der Yuppie-Journalist (Lederjacke, Dreitagebart), Kröhmers Yuppie-Freund (ebenfalls mit Bart) sowie der in allen Polit-Tricks gewaschene Vorsitzende der CDP, der gleichzeitig auch Kröhmers Vater und wohlwollender Mentor ist.

So viel zum handlungstragenden Personal. Inhalt der Geschichte – neben Kröhmers Kandidatur, die offensichtlich vor allem als dramatischer Treibsatz fungiert – ist ein schwelender Bauskandal. Allerdings müßte man für eine solche Geschichte erst einmal den Schauplatz in seiner Komplexität wahrnehmen – und nicht, weil die Zuschauer sowieso blöd sind, »Berlin« gleichsetzen mit den obligatorischen vier Quadratkilometern rund um Brandenburger Tor und Potsdamer Platz. Inszenierung und Plot sind – Beschönigen hilft hier nicht – in fast jeder Hinsicht eine Pleite: Anstatt Vielschichtigkeit vermittelt die Serie Konfusität, anstatt Handlung raunend-vielsagende Bildatmosphärik, anstatt Gefühlen Pathos und Sprechschablonen, anstatt Originalität und Realismus Krimielemente von der Stange. Strenge Abstinenz übt dieser überfrachtete Polit-Thriller – wir befinden uns schließlich in öffentlich-rechtlichen Gefilden – hingegen in Sachen Politik. Die Parteinamen der beiden – zu Anfang großkoalitionären – Fiktiv-Parteien CDP und SPU sind zwar klar erkennbar an reale Vorbilder angelehnt. Allerdings sind sämtliche realen Anspielungen derart stark verfremdet und allgemein gehalten, dass diese Serie sicher niemandem in verantwortlicher Position seinen Schlaf rauben wird.

Schade ist diese – ihr Potenzial nicht mal in Ansätzen ausreizende – Produktion für die involvierten Haupt- und Nebendarsteller. Silly-Sängerin Anna Loos etwa hat in früheren Rollen durchaus bewiesen, dass sie komplexere Figuren drauf hat. Mit Martin Brambach – in der Serie Krohmers PR-Berater – war zudem eines der Hoffnungs-Gesichter im deutschen Fernsehfilmgeschäft mit dabei. In Die Stadt und die Macht jedochwirkt Brambach deplatziert, kostümiert, überspielend. Fazit: In Sachen Spannung hinterlässt Die Stadt und die Macht einen ähnlich herzlos abgemeierten Eindruck wie die schlechtere, uninspiriertere Hälfte laufender Tatort-Jahresproduktionen. Flankierend hinzu kommen die reaktionären Ideologie-Versatzstücke: die Sozialarbeitermasche etwa, die Loos / Kröhmer als Anwältin gegenüber einem straffällig gewordenen Klienten mit Migrationshintergrund auffährt, unreflektiert zum Einsatz kommende Politsprech-Schablonen wie Fördern durch Fordern und ähnlicher Wortmüll aus der wirtschaftsnahen Propagandakiste. Ärgerlich ist dieser staatstragende Sozialkunde-Unterricht nicht zuletzt auch deswegen, weil die Vorbilder aus den erzkapitalistischen USA souverän ohne diese Form penetrierender Zuschauerbelästigung auskommen.

Fazit

Grosso modo fällt die Qualitätsserien-Offensive deutscher Sender nicht ganz so desaströs aus wie zu befürchten. Deutschland 83, von der Kritik fast durchgängig gelobt, wurde immerhin in 20 Länder weiterverkauft. Da allerdings die Quoten in den Augen der Werbeplatzplaner zu wünschen übrig ließen (laut einem Artikel bei faz.net 1,62 Millionen Zuschauer bei der letzten Folge), steht eine zweite Staffel aktuell in den Sternen. Auch bei Morgen hör ich auf reichte es, legte man die Qualitätslatte aktueller Autorenserien-Highlights an, allenfalls für die Schulnote drei plus. Allerdings ist das nicht die Liga. Tatsache ist, dass ARD und ZDF weder heute noch morgen Produkte auf der Hand haben, um in der Sopranos- oder The Wire-Liga mitzuspielen. Mißt man Morgen hör ich auf hingegen am aktuellen deutschen Seriendurchschnitt, wird aus dem Ganzen durchaus ein Schuh’ – zumindest in einem Fall. Selbst wenn man die knickerig bemessene Folgenanzahl mit einbezieht, weist Morgen hör ich auf durchaus in die richtige, zukunftsweisende Richtung.

Bliebe die in so gut wie jeder Hinsicht ärgerliche ARD-Miniserie. In ihrer Sterilität bestätigt sie die Nullkompetenz der ARD im Bereich fiktionaler Formate auf ein weiteres Mal. Auch dies hat seine Logik. Zwar hat sich die Konkurrenz aus Mainz in der Vergangenheit ebenfalls nicht immer mit Ruhm bekleckert. Auch bei den Mainzelmännchen regieren Konformität, Biedersinn und staatstragender Impetus. Allerdings hat das ZDF seine Nischen – die Satiresendung Die Anstalt etwa, die Nachtschicht-Krimireihe sowie – pro Jahr – eine nicht unerkleckliche Anzahl ansehbarer Psychothriller. Die ARD hingegen hat sich zwischenheitlich bis zum Haarscheitel in ihren staatstragenden Belehrungs-Impetus verstrickt. Darüber hinaus erweckt so gut wie jede Fiktional-Produktion des Senders den Eindruck, dass die Sender-Verantwortlichen die Ausführenden bis ins letzte Detail mit Vorgaben überfrachten. Bürokratische Reglement-Zustände dieser Art konterkarieren allerdings die Grundregel Nummer eins der neuen Anspruchs-Formate: die künstlerische Freiheit der Kreativen und den Willen, in diesen das nötige Vertrauen zu setzen.

In dem Sinn: Die überflüssigste aller deutschen Sendeanstalten hat mit Die Stadt und die Macht ihre Entbehrlichkeit erneut unter Beweis gestellt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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