Rebellion ohne (linke) Genehmigung?

Klimadebatte Die Klimaktivisten-Bewegung Extinction Rebellion erfährt derzeit auch von links verstärkte Kritik. Nicht jede ist fair. Eine Replik aus aktuellem Anlass

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XR bekommt auch deutliche Kritik von links. Zu recht?
XR bekommt auch deutliche Kritik von links. Zu recht?

Foto: Lucas Barioulet/AFP via Getty Images

Extinction Rebellion ist derzeit in aller Munde. Hauptanlass für das aktuelle Presseecho, etwa im Spiegel, in der taz und der Süddeutschen: die Blockadeaktionen, welche die Gruppe diese Woche gestartet hat. Pünktlich zur Aktionswoche erfuhr die Gruppierung – neben der der hierfür üblichen Verdächtigen – auch deutliche Kritik von links. Außer dem Guardian, welcher der Gruppe exklusionistische, People of Color ausschließende Mechanismen vorwarf, verteilt vor allem die Ökolinx-Aktivistin, Buchautorin und Altlinke Jutta Ditfurth geballte Fundamentalkritik. In 14 kurzen, auch auf ihrer Facebook-Seite online gestellten Twitter-Absätzen charakterisierte sie XR als »esoterische Weltuntergangssekte« und empfahl kategorisch, die Zusammenarbeit mit der Gruppe einzustellen.

Befremdlich ist der schrille, generalisierende Ton, mit dem sie eine konkurrierende Bewegung im linken Spektrum angeht. XR ist derzeit zwar sicher stark medienpräsent. Vor allem in Deutschland jedoch steht die Gruppe noch am Beginn ihrer Bewegungskarriere. Was heißt: Für eine in der Sache notfalls scharfe, sachlich allerdings differenzierte(re) Kritik wäre durchaus Zeit vorhanden gewesen. Der – Nicht-Insider(innen) wenig mitnehmende – Tonfall ist allerdings nicht nur sachlich unangemessen (mehr dazu weiter unten). Die Verurteilung erfolgt darüber hinaus im Duktus eines Zentralkomitees, welches Kraft seiner Rolle die Berechtigung hat, anderen Handlungsanleitungen zu erteilen und – im Sinn einer reinen linken Lehre – ex-cathedralis-Kirchenausschlüsse vorzunehmen.

Angesichts der sachlich eher dürftigen Kritik wiegt der Ton umso schwerer. Schroff, aber zu rechtfertigen wäre diese Form Vorgehen dann, wenn Ditfurth für ihr Urteil eine halbwegs nachvollziehbare Urteilsbegründung liefern würde. 14 knappe, in Form eines Verdikts zusammengefasste Punkte können das kaum sein. Die Maßlosigkeit des Pauschalurteils wird vor allem dann erkennbar, wenn man die realen Mankos sowie kritikwürdigen Punkte von XR der Kritik gegenüberstellt. Die Punkte im Einzelnen:

(1) XR sei, so Ditfurth, keine »›gewaltfreie Klimabewegung‹, sondern eine religiös-gewaltfreie esoterische Sekte«, die zudem Selbstaufopferung empfehle. Bis auf das – tatsächlich propagierte – »Opfer«-Pathos (politisch gesehen zwar Unsinn, ansonsten jedoch typisches Sinnstiftungsmoment in politischen Bewegungen und speziell im Umfeld pazifistischer Gruppen) ist Ditfurths »Sekte«-Verdikt ein reines, nirgendwo weiter begründetes Geschmacksurteil.

(2) XR schüre Emotionen, die »den Verstand vernebeln«. Altlinken-Lametta, basierend auf der in diesem Milieu besonders (wenn auch nicht ausschließlich) gepflegten Emotions-Feindlichkeit nach dem Motto: »Wenn du, faschistischer Folterknecht, nunmehr meine Freundin / meinen Freund folterst, bin ich aus rationalen Gründen zutiefst dagegen«. Beleg der Kritik: XR behaupte, die derzeitige sei die »letzte Generation vor der Auslöschung«. Sicher großes emotionales Drama – allerdings kein Deut anderes Kaliber als die Weltuntergangswarnungen der Anti-AKW- und Friedensbewegung Ende der Siebziger bis Mitte der Achtziger. Petitesse: einen nahen Faschismus prognostizierte auch die von Ditfurth mitbegründete »Nie wieder Deutschland«-Kampagne. Maßleiste hier so: grob doppelte Standards.

(3) XRs Bezug auf Gandhi. In plakativ-verkürzter Form kapriziert sich Ditfurth hier auf Gandhis Fehleinschätzungen und Fehltritte bezüglich dem NS – in ihrem Weltbild offensichtlich Punkte, welche die antikolonialen Errungenschaften bedeutungslos machen. Sicher ist der Gandhi-Kult im pazifistischen Milieu (sowie die gleichfalls zur Dogmatik erhobene Gewaltfreiheit) zu kritisieren. Im konkreten Fall allerdings wird die Kritik von einer nicht weniger dogmatisch gestimmten Ideologin geführt.

(4) XR sei ein getarnt hierarchisches Modell; auch hier wieder der Vorwurf, die Manier esoterischer Gruppen aufzugreifen. Ansätze gibt es; ebenso allerdings auch Gegenbeispiele sowie solche, die auf ein heterogenes Meinungssektrum hinweisen. Frage ansonsten: Wie sieht es mit Hierarchien in der – stetig Jutta Ditfurth in den Mittelpunkt rückenden – Partei Ökolinx aus?

(5) XR kooperiere mit Kapitalfraktionen, die an einer Vermarktung der Klimabewegung Interesse hätten. Allgemeinplatz. Der zudem auf die – von Ditfurth favorisierte – FfF-Bewegung ebenso zutrifft. Anders gesagt: Man kann als Linke(r) zur Klimabewegung auf Totalkonfrontation gehen. Allerdings sollte man das dann auch explizit so sagen – anstatt die vermutete Kapitalfreundlichkeit exklusiv einer bestimmten Gruppe anzuhängen.

(6) XR setze auf Hyperemotionalisierung und sei »intellektuellenfeindlich«. Siehe (2).

(7) XR richte sich vor allem an junge Leute, emotionalisiere diese und spräche von der Bereitschaft zur »Selbstaufopferung«. Siehe (2). Ansonsten: Der Hinweis, dass politische Aktionen persönliche Konsequenzen haben können, ist ebenfalls keinesfalls XR-exklusiv. Darüber hinaus war Ditfurth zumindest zu ihren linksgrünen Zeiten regelmäßig im Bündnis mit Gruppierungen ähnlicher Ausrichtung. Infoservice: Zu Friedenbewegungszeiten hießen diese »gewaltfreie Bezugsgruppen«.

(8) XR will möglichst viele Aktivist*innen ins Gefängnis bringen. Ja; ist deren Strategie. Verantwortung, so Ditfurth, jedoch werde nicht übernommen. Vielmehr würden die Folgen der linken Szene angelastet. Zutreffende Kritik – auch wenn sie sich derzeit nur an wenigen Einzelvorfällen festmachen lässt.

(9) »Alle dürfen bei XR mitmachen, auch ›Rechte‹«. Ebenso wie die Kritikpunkte (10) bis (14) beziehen sich die Anwürfe auf Einzelvorkommnisse, aus denen sich kaum ein Gesamtbild ableiten lässt.

Fazit: Sicher sind einige Punkte bei XR zu kritisieren – etwa das unsolidarische Sich-Herausziehen aus einer laufenden Aktion aufgrund einer vergleichsweisen Bagatelle. Fazite mit Ewigkeitsanspruch wie Punkt (14) – »XR wird niemals ein kritisches, rationales, linkes Projekt sein« – sollten allerdings eher dem Papst vorbehalten bleiben.

Ansonsten kann, soll und »darf« XR natürlich kritisiert werden. So lange die Bewegung allerdings keine deutlichere Entwicklung vornimmt in die von Ditfurth angerissene Richtung, ist es vielleicht zielführender und taktisch-strategisch angemessener, Differenzen nicht ausschließlich via kategorischer Umgangswarnung zu bereinigen, sondern eventuell auch via Dialog respektive direkter Kritik. Wie ein differenzierteres Urteil (das dieser Beitrag explizit NICHT liefern will) aussehen kann, zeigt unter anderem der Blog-Beitrag »Extinction Rebellion: Der Gegner sitzt nicht in der Blockade« auf metronaut.de.

Last but not least: Jutta Ditfurth mag, was den beschriebenen Kommunikationsstil anbelangt, zwar ein besonders exponiertes Beispiel sein. In tutto ist diese Form der Kritik allerdings typisch für ein spezielles Segment linker Altaktivist(inn)en, welche sich in der Rolle der Generalkritik wohnlich eingerichtet hat und keine Bewegung, die nicht unter ihrer expliziten oder impliziten Dominanz steht, gelten lassen will. Sicher liegt man nicht falsch, wenn man hier (auch) ein Generationenproblem attestiert. Auch wenn die Entfremdung zwischen 68-geprägten »Altlinken« und den neu auf den Plan tretenden »Millenial Socialists« sicher noch zunehmen wird: Das Mittel der Generalverurteilung ist im linken Kontext noch nie eines gewesen, dass fruchtbar und weiterführend gewesen wäre.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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