Sacco, Vanzetti und die »heute Show«

Attacke auf Medien Der Überfall auf das Team der »heute Show« zeigt altbekannte Muster: Medien, Ermittler und Rechtsaußen – gemeinsam gegen links. Fakten? Weitgehend Fehlanzeige.

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Zugegeben – Zeit-Analogien haben ihre Stärken und ihre Tücken. Am 5. Mai 1920 wurden in einer Kleinstadt im US-Bundesstaat Massachusetts die beiden anarchosyndikalistischen Arbeiter Nicola Sacco und Bart Vanzetti verhaftet und in der Folge eines Raubmords angeklagt. Die Beweise waren zweifelhaft und vage. Zeugenaussagen erwiesen sich im Rückblick als präpariert sowie teils unter erheblichem Druck entstanden. Alternativen Spuren – darunter solche, die in Richtung des organisierten Verbrechens führten – wurde ebensowenig nachgegangen wie entlastenden Indizien. Die Medien verurteilten nach Kräften vor; eine voreingenommene, manipulierte Jury sowie ein zu exemplarischer Härte entschlossenes Gericht sprach die beiden für schuldig und verhängte die Todesstrafe. Das Ende ist aus den Geschichtsbüchern bekannt: Weltweiter Proteste ungeachtet und trotz prominenter Fürsprecher wie Physik-Nobelpreisträger Albert Einstein, Thomas Mann, dem Papst sowie dem deutschen Reichstag wurden Sacco und Vanzetti am 22. August 1927 auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet.

Mit dem berühmten Gesinnungsjustiz-Fall vor hundert Jahren scheint der am 1. Mai erfolgte Überfall auf ein Kamerateam der »heute Show« wenig zu tun zu haben. Der Ablauf im Zeitraffer: Nach einer Vor-Ort-Recherche bei der umstrittenen, stark verschwörungstheoretisch ausgerichteten und entsprechend auch von Rechten stark frequentierten »Hygienedemo« am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin–Mitte wurde ein siebenköpfiges Kamerateam der ZDF-Satiresendung »heute Show« von einer größeren Gruppe überfallen und teils krankenhausreif geprügelt. Hinterlassene Utensilien am Tatort: unter anderem eine Eisenstange. Sechs Verdächtige wurden in unmittelbarer Nähe des Tatorts festgenommen. Die sechs Verdächtigen – vier Männer und zwei Frauen – befinden sich zwischenzeitlich wieder auf freiem Fuß: teils, weil die Verdachtsmomente nicht ausreichten, teils, weil nicht genügend Gründe für Untersuchungshaft gegeben waren.

Ungeachtet äußerst dürftiger Faktenbasis wird der Spin, die Täter(innen) wären der politischen Linken zuzuordnen, mittlerweile durch immer mehr Medien durchgereicht. Da die Ermittlungsbehörden, darunter der Berliner Staatsschutz, in Sachen Auskünfte äußerst informationskarg agieren, stützten sich die ersten »Hinweise« auf Täterschaft aus der linken Ecke vorzugsweise auf eine Meldung der Nachrichtenagentur dpa. In der Twitter-Sphäre wurde dieser Spin unter anderen von dem für mehrere Leitmedien schreibenden Journalisten Julius Betschka durch- und weitergereicht. Logik ergibt das noch immer nicht – es sei denn, Betschka hätte Infos aus erster Hand, etwa aus Polizeikreisen. Allerdings hält auch Betschka sich in Sachen nachvollziehbare Details bedeckt – so dass man davon ausgehen muß, dass seine Verlautbarungen auf Twitter nichts anders sind als persönliche Vermutungen.

Wenig Klarheit ins Licht bringen auch die restlichen Medien. Einige – darunter Tagesspiegel, Berliner Morgenpost, Süddeutsche Zeitung und der Merkur – haben die Aussage »vermutlich linke Täter«, abgesichert mit dem Verweis auf dpa, mittlerweile in ihre Berichterstattung übernommen. Andere – wie Zeit Online, SPON und Welt – halten sich diesbezüglich zurück, lassen die Täterfrage allerdings insgesamt offen. So sind wir nun doch bei »Sacco & Vanzetti« – respektive einer Schuldzuweisung in Richtung Links, die faktisch äußerst kärglich unterfüttert ist. Jenseits aller Plausibilität bleibt der – durch das Wörtlein »vermutlich« nur scheinbar entschärfte – Tatvorwurf in Richtung links durch eine ganze Reihe von Umständen:

1. Das »heute Show«-Team recherchierte – mit anzunehmen satirischer Absicht – eine Kundgebung, die von Verschwörungstheoretikern und Rechten zumindest stark durchsetzt und von ebendiesen geprägt war. Dass Linke – gegendemonstrierende Antifa war ebenfalls vor Ort – ihre »eigenen Leute« attackieren ist, nett formuliert, ein ziemlich abwegiger Gedanke.

2. Sowohl die Brutalität der Attacke als auch der Umstand, dass potenziell mordgeeignetes Instrumentarium am Tatort sichergestellt worden war, spricht eher für eine Aktion von Rechten. Für eine solche sprechen auch die seit Jahren sich steigernden Übergrifflichkeiten gegen Medienvertreter am Rande rechter Demos und Kundgebungen – eine Haltung, die in der charmanten Parole »Lügenpresse – auf die Fresse!« recht prägnant zur Geltung kommt.

3. Die räumlichen Dimensionen: Die Attacke fand sowohl zeitlich als auch räumlich in unmittelbarem Bezug zur »Hygienedemo« auf dem Rosa-Luxemburg-Platz statt. (Entfernung: siehe hier und hier bei Google Maps). Der Schwerpunkt linker Aktivitäten an diesem Tag – die trotz Corona-Restriktionen gestartete Revolutionäre 1.-Mai-Demo – fand kilometerweit entfernt statt: in den autonomen Kreuzberger Hochburgen nahe Görlitzer Park und Oranienstraße (auch hier: GM-Kartenausschnitt zur Veranschaulichung).

4. Last but not least darf, um es mal so zu sagen, eine linke »Beißhemmung« ernsthaft mit ins Kalkül gezogen werden: Teil des »heute Show«-Teams war der Satiriker Abdelkarim. Dass ein erkennbar Nicht-Geburtsdeutscher von Linken physisch attackiert wird, ist schon eine Vorstellung, die – gelinde gesagt – sehr weit hergeholt ist.

5. wäre – wenn vielleicht auch nicht Gänze ernstgemeint – ergänzend anzuführen, dass die »heute-Show« unter Linken sicher weitaus mehr Zuschauer & Freunde hat als unter Rechten.

Der Eifer, mit dem Plausibilität außen vor gelassen und stattdessen ein Fall mit »linken« Verdächtigen zusammenkonstruiert wird, ist auch mit Blick auf die kargen sonstigen Ermittlungsergebnisse bemerkenswert. Auffällig im bisherigen Fallverlauf ist die rasche Freilassung der sechs – angeblich dem »linken Spektrum« zugehörenden – Verdächtigen. Das kann dreierlei bedeuten: a) die sechs haben sich glaubhaft als unverdächtig erwiesen, b) die Indizienlage ist für eine reguläre Verurteilung zu wackelig, c) es besteht insgesamt wenig Interesse, den Fall ernsthaft aufzuklären. Für Punkt c spricht unter anderem der Umstand, dass die obligatorischen Betroffenheitsbekundungen von Sender, Politik und sonstigen einschlägig Verdächtigen zwar auf dem Fuße folgten, der »Ton der Musik« allerdings eher nach Pflichtübung klang denn nach Enthusiasmus in Sachen Aufklärung.

Hinein passt die Attacke schließlich in eine Diskurslandschaft, die nach wie vor von der politisch stark interessegeleiteten Hufeisentheorie geprägt wird (derzufolge die beiden Enden »links« und »rechts« gleichermaßen schlimm sind). Darüber hinaus erinnert das Vorgehen frappierend an die Art und Weise, wie Ermittlungen bereits in der Vergangenheit gegen die Opfer gekehrt wurden: im Fall NSU, in Chemnitz letztes Jahr und schließlich auch bei den Amoktaten von Halle und Hanau – wobei in den beiden letzten Fällen eine weitere im bürgerlichen Lager sehr beliebte Theorie wieder aufgewärmt wurde: die von den – im originären Sinne dann auch nicht wirklich als »rechts« zu bezeichnenden – Einzeltätern.

Dass für die Rechten die Art »Aufklärung« nichts anderes ist als ein verspätetes Ostergeschenk, liegt auf der Hand. Entsprechend folgt die Schadenfreude auch im Fall »heute Show«-Attacke auf dem Fuß. Der österreichische Identitäre Martin Sellner schlachtete die Causa zeitnah auf seinem YouTube-Kanal aus (an der Stelle nicht verlinkt, jedoch nicht allzu schwer zu finden). Aufgemacht ist der Bericht mit einer Kollage im Clown-Ambiente – wobei dem ZDF, verstärkt durch die Aufmacherzeile »ZDF-CLOWNS« der Part der Clowns zugewiesen wird. Die Hauptzeile wiederum – »HEY ANTIFA WARUM HAUT IHR UNS?« – macht den Gag rund und spitzt auf den rechten Ladenhüter zu, dass Lügenpresse und Antifa schließlich aus einem Stall kommen. Leider muß man im konkreten Fall weniger fragen: »Warum lachen die perfiden Rechten?« Sondern vielmehr: Wer hat ihnen das Szenario zugeliefert?

Trotz weiter bestehender Unklarheiten hat sich die Absicht, den Überfall unter »Linkskriminalität« zu labeln, zwischenzeitlich verdichtet. Ein aktueller Bericht auf tagesschau.de lieferte am Montag, dem 4. Mai zwar ein paar aktuelle Falldetails nach – in Bezug auf die Festgenommenen allerdings auch nur den Allgemeinplatz, dass drei von ihnen polizeiseitig als »linke Gewalttäter« »bekannt« sind. Wie aus polizeilichen Ermittlungen gegen links bekannt, kann das alles mögliche heißen – inklusive der Möglichkeit, dass die Polizei ein paar »links« Aussehende verhaftet hat und eine ad hoc aufgestellte Hypothese auf diese Weise befüttert. Weitere Details, welche den Verdacht auch faktisch plausibel machen würden, liefert so auch die weitere Berichterstattung der großen Medien nicht – was den Verdacht erhärtet, dass medien- wie polizeiseitig hier ein Tathergang zusammengezimmert wird, der mit der Wahrheit möglicherweise nicht so viel zu tun hat.

Sicher mag die politische Großwetterlage – und als Einzelereignis darin die trotz Corona-Restriktionen stattgefundene Revolutionäre-Erste-Mai-Demo – bei diesen Bestrebungen eine Rolle spielen. Allerdings ist hier weder der Raum, diese einer Bewertung zu unterziehen noch Spekulationen darüber anzustellen, inwieweit ein »linker« Überfall auf ein ZDF-Team dazu geeignet ist, den Druck in Richtung Coronarestriktionen-Lockerungen zu verstärken. Nicht in Gänze ausschließen lässt sich schließlich auch die Option, dass Akteur(inn)e(n) aus einem linken Umfeld (konkreter formuliert: hirnlose Idioten, die in jedem Großmilieu anzutreffen sind) tatsächlich in die Attacke involviert waren. Allerdings: Plausibilität und Wahrscheinlichkeit rangieren hier etwa im ein-Prozent-Bereich.

Fazit: Die bislang gestreuten Info-Häppchen haben mit echten Informationen nichts zu tun. Vielmehr handelt es sich bei ihnen um offenkundiges politisches Framing – Framing der Sorte, wo die verfolgten Hintergedanken ebenso intransparent sind wie die Fakten-Häppchen, die man zur Fütterung des geneigten Publikums präsentiert. Auch wenn der Fall weitaus weniger schwerwiegend ist, steht er ausrichtungstechnisch in einer ähnlichen Tradition der Vorverurteilung wie der Fall gegen die beiden US-amerikanischen Anarchosyndikalisten.

Der Fact, dass der elektrische Stuhl selbst in den USA schon lange aus dem Verkehr gezogen ist, macht diese Form gegen die Linke gerichteter Kampagnenpolitik nicht besser.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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