Täternamen verschweigen ist Täterschutz

Christchurch-Massaker Massaker, Terroranschläge, Amokläufe: Statt Ross und Reiter zu benennen, spulen Medien und Zivilgesellschaft stets dieselben pseudopädagogischen Rituale ab.

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Eigentlich ist es egal, wo wir anfangen. Ob Breitscheidtplatz, der Terror von Paris, Nizza, Barcelona, die fast im Monatsrythmus stattfindenden Amokläufe an US-amerikanischen Schulen und sonstigen Öffentlichkeitsorten oder nunmehr das Massaker in zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch: Noch bevor die Toten weggetragen sind und die Überlebenden sich aus ihrer Schockstarre lösen, hört man förmlich, wie in deutschen Medien der Hebel des Berichterstattungs-Modus umgelegt wird: weg vom normalen Infoservice (wie unvollkommen oder politisch gespint auch immer) – hinein in eine volkspädagogisierende Selektiv-Berichterstattung, deren Nachrichteninhalt sich eigentlich in dreizehn Worten und zwei Sätzen zusammenfassen lässt: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Das Nachdenken übernimmt nunmehr eure Regierung für euch.

Die Stationen des rituellen Programms sind stets dieselben. Pfeiler eins ist ein Live-Ticker, der zwar »Fakten und nichts als die Fakten« vermitteln möchte, zu drei Vierteln jedoch aus vorgestanzten Presseverlautbarungen besteht. Pfeiler zwei ist ausgiebige Betroffenheitsberichterstattung. Die Begrifflichkeiten in diesem Part sind stets dieselben: »Betroffenheit«, »Trauer«, »Schock«, die visuellen Zugaben ebenfalls: Kerzen, Blumen und sich versammelnde, fassungslose Menschen. Ob Breitscheidtplatz, die Pariser Terroanschläge im November 2015, Nizza, Barcelona oder nunmehr das Massaker in zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch: Geflissentlich ausgeblendet wird dabei stets das Moment der Wut.

Egal ist es zwischenzeitlich auch, ob der Terror einen islamistischen oder faschistischen Hintergrund hat. Wusste man nach dem Auffliegen des NSU 2011 wenigstens die Namen der Hauptverdächtigen Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe einigermaßen zeitnah, ist das Tauziehen um die Namen der Täter mittlerweile ein fester Bestandteil der medialen Betroffenheitsinszenierung. Von Belang sind Namen sowie biografischer Background nicht nur deshalb, weil sie Indizien geben, wertvolle Hinweise auf die Richtung, aus der der Terror kam. Ebenso auf das Umfeld, dass nun eigentlich – unter der Voraussetzung, dass die Ermittlungsbehörden ihren Job ordentlich machen – von Grund auf mit der Taschenlampe durchleuchtet werden müßte. Auch im engeren, ermittlungstechnischen Sinn sind breiteste, ungefilterte Infos nicht hoch genug zu veranschlagen. Negativbeispiel hier: der Eiertanz um die Namenspreisgabe des gesuchten Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri. Wie wir zwischenzeitlich wissen, gab es behörden- und Dienste-seitig »gute« Gründe, Amris Namen möglichst tief zu hängen.

»Keine Namen« ist auch im Anblick des Christchurch-Massakers das oberste Motto der professionellen Leitmedien-Berichterstattung – als wäre der (oder die) Täter von einem fremden Planeten eingeflogen und hätte nichts zu tun mit unserer real stattfindenden Welt. tagesschau.de verschweigt den Namen des Attentäters durchgehend – ebenso die meisten anderen Leitmedien; lediglich Spiegel Online tritt aus der Reihe und nennt den Namen des mutmaßlichen Hauptattentäters. Die Begründungen für diese seltsame, die mediale Informationspflicht eigentlich konterkarierende Vorgehensweise sind stets dieselben: Man wolle den/die Täter und seine/ihre Taten durch die Namensnennung nicht »aufwerten« (!!). Ein zweiter Begründungsstring setzt darauf auf: Da der Täter von Christchurch sich auf Andreas Behring Breivig und dessen Manifest beruft, wolle man für Nachahmungstäter keine weiteren potenziellen Märtyrer schaffen.

Fazit so: Die Nicht-Namensnennung ist rein politisch intendiert. Im ersten Fall wird die Nicht-Information aus einem moralischen Werturteil abgeleitet: Dieser Mensch ist so schlecht, dass wir einfach nicht über ihn berichten. Der zweite ist, mit Verlaub, schlichtweg kindisch – als ließen sich faschistische Militias oder das harte Umfeld des IS vom pietistischen Tenor deutscher Leitmedien-Berichterstattung beeinflussen.

Die gute Nachricht: À la longue wird Brenton Harrison Tarrant (sofern dies sein richtiger Name ist) seinen Platz in der ihm gebührenden Ahnengalerie erhalten – jener »Hall of Fame« der Barbarei, in der Andreas Breivig, Timothy Leigh, Anis Amri, Charles Manson und andere Schreckgestalten bereits auf ihn warten. Für uns Davongekommene, vorgeblich nicht Bedrohte ist die richtige Haltung nicht die, in eine pietätvoll gemeinte Haltung der Schockstarre und des Nicht-Wissen-Wollens zu verfallen. Richtig ist vielmehr: So viel Aufklärung wie möglich – ein weltweites FAQ der faschistischen Terrorszene mit so viel Namen wie nötig.

Wenn konsequent durchgeführte Ermittlungen und eine damit korrespondierende antifaschistische, zivilgesellschaftliche Wachsamkeit noch hinzukämen, wäre das – auch wenn das die Toten nicht mehr lebendig machen kann – der Beginn eines Wegs, der in eine richtige, problemlösende Richtung führt. Auch wenn diese Erwartung – siehe die staatliche Verstrickung in den rechtsextremen NSU-Komplex mitsamt den hier erfolgten Vertuschungsaktionen – fast zu viel des Guten ist.

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Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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