taz-Kongress: Linke, weichgespült

taz Der alljährliche taz-Kongress am 25. April fokussiert explizit auf die »weichen« Themen. Armut, Reichtum, Krise und Krieg – dürfen mal Urlaub machen. What’s Left?

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Veranstaltungsort des taz.lab-Kongresses »Gedöns«:Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Foto: Farbkontrast. Quelle: Wikipedia / Wikimedia Commons. Lizenz: Creative Commons – »Namensnennung 3.0 nicht portiert«.

War das nötig? Peer Steinbrück, Ex-Kanzlerkandidat, Ex-Finanzminister und Fan aussagekräftiger Stinkefinger-Gesten hat – so die wortkarge Info in der Programmübersicht – die Teilnahme am diesjährigen taz-Kongress abgesagt. Als Referent auftreten sollte/wollte Steinbrück im Rahmen einer Veranstaltung zum Thema »›Frei‹handelsabkommen TTIP: Was ist drin, was ist dran?« Eine weitere Absage haben sich die Veranstalter bei einer noch schillenderen prominenten Persönlichkeit abgeholt: Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder. Dabei war die Ansage des Ex-Kanzlers, dass »Gedöns«-Themen nicht sein Ding seien, mottogebendes Stichwort des Kongresses. Die Sozi-Führungsriege – auch posthum noch auf Konfrontationskurs zu den weichen Themen Gender, Gleichstellung sowie geschlechtsdifferenziert-alternative Lebensentwürfe? Jan Feddersen, taz-Redakteur und Mitorganisator des Kongresses, sieht hierfür keine Anhaltspunkte. In einem Interview mit SWR2 Kultur hob er explizit hervor, dass die Absage des hochkarätigen Gastes keine inhaltlichen Gründe habe. Feddersen: »Er hat uns einen sehr freundlichen Brief geschrieben und hat sehr glaubwürdig dargelegt, dass er an diesem Wochenende leider verhindert sei. Er wäre gerne gekommen, das weiß ich aus meinen Quellen in die Sozialdemokratie hinein. Und es wäre ihm eine Freude gewesen, auch die TAZ zu besuchen. Wir gedenken seiner, denn seine Chiffre vom Gedöns hat uns ein wunderbares Kongressthema beschert.«

Linkes Wellnessgefühl in der Cloud

Schade, könnte man sagen. Doch auch ohne den sozialdemokratischen Ex-Kanzler ist der Kongress, der am 25. April im Berliner Haus der Kulturen der Welt stattfindet, eine Art Heerschau des rot-grünen Milieus – respektive seines medial, lobbyistisch oder politisch tätigen Teils. Als ReferentInnen angekündigt sind unter anderem: die Grüne Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt, der Journalist und Glossenschreiber Jan Fleischhauer, der grüne Tübinger OB Boris Palmer, die Netzaktivistin und Ex-Piratin Anke Domscheidt-Berg, die Ökolinke Jutta Ditfurth, der Historiker Jörg Barberowski, diverse Referentinnen des der Förderung der Queer-Kultur verschriebenen Missy Magazine, eine freiberuflich tätige Domina und natürlich – das bleibt bei der Konstellation nicht aus – viele, viele Redakteure der taz.

Trotz der nomentechnischen Vielfalt hat zumindest das Fußvolk dieses Milieus bekanntermaßen Federn gelassen – siehe Agenda sowie die aktuelle neoliberale Sparpolitik. Bekanntlich wird diese auch von Roten und Grünen in diversen Regierungskonstellationen unentwegt-eisern mitgetragen. Andererseits ist in den Jahren ein neues akademisches Milieu nachgewachsen. Das ist zwar – trotz unbezahlter Praktika und miesen Zukunftsaussichten – leistungsorientiert bis zum Burnout. Zu »Öko« sowie den weichen Themen jedoch hat das sogenannte Bobo-Milieu – der über Tierschutz diskutierende Germanistik- und Webdesign-Nachwuchs plus die zwischenzeitlich in den Gesellschafts-Mittelbau eingesickerten Vorkohorten – eine große, um nicht zu sagen: ausschließliche Affinität. Polemisch formuliert: Streß, Altersarmut, Sozialdumping und Kriegsgefahr sind hier als Themen nicht so recht angekommen – zumindest, was ihre gesellschaftliche Verursachung anbelangt. Geht es allerdings um »neue Männlichkeit«, »Rollen« sowie sonstige Selbstfindungsprobleme, sollte man in dem Milieu unbedingt mitreden können.

Doch reden wir Klartext. Die »weichen« Themen liegen in der Luft. Mutterschaftsgeld oder keines, verbesserungswürdige Quoten, Aufschrei-Hashtag und antifeministischer Backlash, Gleichstellung homosexueller Lebensentwürfe, Gleichberechtigung bei der Kindererziehung sowie allgemein die kunterbunte, von der Politik nach wie vor unter den Teppich gekehrte Differenz in den Lebensentwürfen – wäre das nicht Thema für einen großen Ratschlag? Ein Thema, ein Heimspiel sozusagen für ein irgendwie ökolinkes Medium wie die taz? Noch provokativer gefragt: Wäre es – aus linker Warte gesehen – nicht interessant, eben jene Entwürfe und Erwartungen in Korrelation zu setzen mit den aktuellen neoliberalen Krisen- und Kriegsverläufen?

Frontalunterricht für Putinversteher

An sich gäbe es mit Sicherheit einiges zu diskutieren. Ganz sicher auch kontrovers. Kontroversen jedoch meidet das Kongressprogramm wie der Teufel das Weihwasser. Beispiel: die Veranstaltung »Krieg im Namen Gottes: Wie friedliebend sind Religionen wirklich?« Könnte man fragen. Allerdings mit schlechten Karten; die HauptreferentInnen sind Funktionsträger bei einer der beiden christlichen Konfessionen oder beim Zentralrat der Deutschen Muslime. Eine ergebnisoffene Diskussion dürfte auch bei der Veranstaltung zum Thema Ukraine kaum zu erwarten sein. Bereits die Fragestellung (»Freiheit ist eine linke Utopie. Warum Linke in der Solidarität mit der Ukraine versagen«) läßt erkennen, dass hier vorwiegend antirussische Propaganda unters Volk gebracht werden soll. Referenten: der mit Untersuchungen über Parallelitäten zwischen Stalin und Hitler bekannt gewordene Osteuropa-Experte Jörg Barberowski, eine Femen-Aktivistin aus der Ukraine sowie Boris Schumatsky – ein weiterer Autor, der sich im Themenbereich »Stalinistischer Terror« profiliert hat. Unabhängig von den geladenen Referenten: Bereits die Fragestellung der Veranstaltung zeigt deutlich auf, wer – nach Meinung der Veranstalter – in der Ukraine-Krise die Guten und die Bösen sind. Angesichts derart klarer Fronten ist es wenig verwunderlich, dass auch die Heinrich-Böll-Stiftung den taz-Kongress mit unterstützenden Hinweisen bewirbt.

Fragt man sich bei der Ukraine-Veranstaltung etwas ratlos, inwieweit Expertisen zum Stalinismus der komplexen Situation in der heutigen Ukraine gerecht werden, fühlt man sich beim Rest in eine Art Biotop versetzt. »Basteln, Stricken, Selbermachen«, eine Veranstaltung zu intelligentem Design, selbstverklärende Rückblicke (»Damals, 1979 …«) und allerorten Veranstaltungen, die auf irgendeine Weise die große Hauptfrage unser Zeit thematisieren wie zum Beispiel »Fragile Männlichkeit. Cowboys, Macker, Hengste – eine politische Stilkritik« oder auch »Sag’s korrekt, Bitch! Gendergerechte Sprache«. Selbst Wohlmeinende werden sich angesichts der Missionspower von taz & Co. mitunter wohl bei unkorrekten Gedanken ertappen. Wie etwa: Gibt es aktuell keine wichtigeren Probleme? Hat das Ganze nicht mindestens ein bißchen auch zu tun mit dem allerorten sich verschärfenden Überlebenskampf im neoliberalen Haifischbecken? Verhalten Frauen sich nicht konkurrenzorientiert? Und: Was ist die Ursache dafür, dass es im Volk so grummelt?

Stichwort: Pegida & Co. Auch hierzu bietet der Kongress eine Veranstaltung. Thema: »Wie quer steht die Front? Putinversteher, Verschwörungstheorien und rot-braune Querfronten«. Umpff – Pegida kam im Titel gar nicht vor? Der dazugehörige Ankündigungstext bezieht dafür explizit auch das griechische Syriza-Bündnis ein in der Kreis der fragwürdigen Kandidaten. ReferentInnen: die Frankfurter Ökolinke Jutta Ditfurth zusammen mit Ivo Bozic, Mitherausgeber der Jungle World und einer der Hauptideologen der antideutschen Richtung. Da zusätzlich auch die Moderation der Veranstaltung von der Jungle World getätigt wird, wird es eher auf Frontalunterricht hinauslaufen nach dem Motto »Drei Köpfe, eine Meinung« – ohne Möglichkeit zu Widerspruch oder gar Diskussion. Denen dürften bereits die Ditfurth üblichen Veranstaltungs-Disclaimer enge Grenzen setzen: »Wahnwichtel, Querfrontler, Antisemiten, Rassisten und Nazis müssen draußen bleiben.«

Fazit

Sicher wäre auch ein Kongress zu den »weichen« Themen eine erstklassige Gelegenheit gewesen, die undemokratische Entwicklung in Deutschland sowie der EU näher zu thematisieren – sprich: eine Verbindung zwischen diesen beiden Themenwelten herzustellen. Leider verhält es sich so, dass die Veranstaltungsausrichter es sich nicht verkneifen konnten, quasi mit der weisen Hand des Großen Vorsitzenden nach vorne zu weisen und ein weitgehend ergebnisgeschlossenes Programm zu servieren. Der Kongress kapriziert sich nicht nur auf ein äußerst selektives Themenbündel. Auch bei den Fragestellungen sind thematische Rückkoppelungen zur aktuellen Diskussion um Wirtschaftskrise sowie die Reich/Arm-Problematik beflissentlich ausgegrenzt. Noch offensichtlicher wird die ideologische Intention der Veranstalter bei jenen Themenbereichen, die sich nicht um »Gedöns« drehen, sondern aktuelle politische Konflikte. Einzig »ergebnisoffenes« Thema hier ist TTIP – ergebnisoffen in dem Sinn, dass auch von dem nicht teilnehmenden TTIP-Befürworter Peer Steinbrück abgesehen kein expliziter Kritiker der aktuellen Freihandelsabkommen auf dem Podium war. Die promaidanistischen Absichten zur Ukraine-Veranstaltung bilden angesichts der Leisetreterei beim Freihandelsthema einen geradezu schreienden Kontrast. Ebenso verhält es sich mit der Pegida-Thematik. Hier haben es Feddersen und sein Team ebenfalls bevorzugt, einen Propagandapoint zu setzen und – zusammen mit der Ökolinken Ditfurth, die mit dieser Masche seit einem Jahr durch die Lande zieht – erneut Kritiker(innen) der westlichen Eskalationspolitik mit Pegida in einem Sack zu stecken.

Im Klartext nennt man eine derartige Veranstaltung: Agitation und Propaganda. Doch für was? Genauer: zu welchem Zweck? Ungeachtet (oder gerade wegen) der durchsichtigen Absicht – das eskalierende Krisenszenario auszublenden, um stattdessen andere Themen verstärkt auf die »linke« Agenda zu setzen – schimmert durch die beschriebenen Bemühungen doch deutlich die Absicht durch, die eigene Agenda (Gender, Lebensformen) als »wirklich links« hinzustellen und die klassischen linken Themen (Ökonomie und so weiter) als Themen für »rechte Linke« (letztendlich also: unechte, lediglich verkappte oder bestenfalls nostalgische Linke) zu brandmarken. Kongressfazit so: Die »linken Linken« marschieren mit der NATO, stehen meilenweit über EU-Krise und neoliberalem Kahlschlag und tüfteln hippe neue Konzepte aus. Die »rechte Linke« hingegen (wozu anscheinend nun auch Syriza gehört) fraternisiert mit Putin, ist fetischhaft auf die ökonomischen Verhältnisse fixiert, latent antisemitisch und beim Thema »Gender« irgendwo zwischen Steinzeit und Frühaltertum stehengeblieben.

Wird eine solche Auslegung hinhauen? Natürlich kann man derart offensichtliche Spaltungs- und Desorientierungsversuche moralisch sehen, sich entsprechend darüber aufregen. Allerdings – ob griechischer Showdown, Kriege von Afrika / Nahost bis hin zur Ukraine, latent sich verschärfende Handelskriege weltweit, mehr Flüchtlinge, mehr Überwachung oder mehr Sozialkahlschlag: Letztendlich wird die Krise auch die Kinder von Butler, Postfeminismus und fairem Öko nicht verschonen. (In der Tat zieht sie sie bereits in Mitleidenschaft. Allerdings: Der Weg zur Erkenntnis ist in der Mittelklasse erfahrungsgemäss besonders weit.) In diesem Sinn ist ein dröger, thematisch deutlich hinter den Themen der Zeit zurückbleibender Kongress sicher zu verschmerzen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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