Trostpflaster für den Shutdown

Corona-Krise Corona-Songs sind bei YouTube & Co. der neueste Hit. Manches ist albern, manches gutgemeint. Ein paar allerdings treffen punktgenau den Nerv der Zeit.

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Zumindest eins kriegt die aktuelle Pandemiewelle nicht unter: die Kreativität. Genauer: eine Teilsparte davon, den musikalischen Ausdruckswillen. Prekär gesehen hat das eine gewisse Logik: Was tun, wenn der Shutdown dem Broterwerb den Teppich plötzlich unter den Füßen wegzieht, umgekehrt jedoch ebenso plötzlich jede Menge Zeit verfügbar ist? Nun – zumindest in den besseren Momenten schlägt man sie halt mit Komponieren, Texten, Einspielen, Samplen und Videoschneiden tot. Das Spontan-Liedgut, das derzeit in die Social Medias hineinschwappt, ist hochgradig situativ. Wie bei YouTube & Co. üblich wurde es zumeist mit handelsüblichem Homeoffice-Equipment erstellt. Profis sind ausstattungstechnisch natürlich etwas besser dran. Gemeinsamkeit von Amateuren und Profis: die Ad-hoc-Songs zur aktuellen Krise sind extrem heterogen. Einige der bei YouTube & Co. eingestellten Liedwerke kommen zynisch; nicht wenige der Online-Barden scheinen zudem auch die Zeichen der Zeit (noch) nicht erkannt zu haben. Verschwörungstheoretisches findet sich an einigen Ecken ebenfalls. Andere wiederum betätigen sich an der musikalischen Hilfsfront. Wieder andere entdecken den Singer-Songwriter in sich und bereichern die aktuelle Entwicklung mit persönlichen Betrachtungen und Aspekten – der Klopapier-Frage etwa, oder wie man die Einsamkeit deichselt.

Woher auf die Schnelle passende Riffs nehmen, Melodien, Songstrukturen? Gut, dass über diesen Aspekt schon vorher Leute nachgedacht haben. Ein abgehangener Glam-Rock-Titel aus dem Jahr 1979 etwa feiert derzeit fröhliche Urständ – wie beispielsweise in dieser und in dieser aktualitätsangepassten Variante. Prognose: »My Sharona« von The Knack wird DER Soundtrack-Titel der Corona-Krise 2020 – oder zumindest der Phase, bevor sie richtig einschlug. Ebenfalls in der Reanimationsphase: alte Stones-Gassenhauer (»I Can’t Get No Desinfection«) sowie ebenso betagte Udo-Jürgens-Hits – einen F**** darauf gebend, sich der Tanz auf dem Vulkan derzeit eher in den Zwangsurlaub verabschiedet hat.

Nudeln und Klopapier

Da Songs, die im Ohr hängen bleiben und das aktuelle Lebensgefühl auf den Punkt bringen, schon mehr enthalten müssen als alte Melodien plus neues Reimwerk, präsentiert der Intro-Clip ein Stück, welches das Allerunmittelbarste ins Visier nimmt – die menschlich wie versorgungstechnisch durchwachsene Situation an der Versorgungsfront. Danger Dan, Reimexperte der Formation Antilopen Gang, chansont und liedet seine Verachtung, Bestürzung und Irritation über aktuelle Verhaltensweisen auf recht ungekünstelte Weise – elektronisches Homepiano und ein Office-Mike der etwas wertigeren Bauart müssen als Unterstützung reichen. Nudeln und Klopapapier sind auch der Aufhänger dieses kleinen Spontanstücks – fabriziert von einem Nachwuchstalent namens Larissa, die sich frei an dem alten Schlager »Probier’s mal mit Gemütlichkeit« entlanghangelt.

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Insgesamt ist die Art und Weise, wie zur Krise sich äußernde Musiker(innen) mit selbiger umgehen, recht unterschiedlich. Ebenso auch die Stimmungen, Aussagen, Befindlichkeiten und Aspekte. Sebel ist ein Veteran der Neunziger-Deutschrock-Szene. Der gebürtige Bochumer spielte unter anderem mit dem Indierocker Stefan Stoppok zusammen. Seine sonstigen Meriten verdiente er sich – mal eher am Rand, manchmal auch mittendrin – im nie ganz ausgestorbenen Metier Rock’n’Roll-Revival. Stilistisch ist »Zusammenstehen (Corona Virus Lied)« – je nachdem, wie man es nimmt – entweder Deutschrock-Ballade oder aber Songcontest-tauglicher Blue-Eyed-Soul. Inhaltlich offeriert er Töne, die viele in diesen Tagen wohl bitter benötigen werden. Fazit: ein Mutmacher letztlich von einem, der zweifelsfrei zu den Guten zählt – und ein Stück, der vom Willen kündet, bei allen anstehenden Härten die Krise durchzustehen.

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Ah Nice, ein Nachwuchsact aus dem Graubereich zwischen Hip Hop und R&B und verifizierter YouTube-Influencer, kommt aussagetechnisch ziemlich ohne Netz und doppelten Boden. Normalerweise ist der Rassismus, mit dem er als Farbiger in Germany konfrontiert ist, eines seiner Kernthemen. Sein »Corona Song« (sic) thematisiert die Auswirkungen des aktuellen Social Distancing. Vor tristnächtlich-menschenleerer Trabantenstadtkulisse beschreibt er die kommunikativen Veränderungen, welche der Hurrikan Corona mit sich gebracht hat. Das Kontrastprogramm bietet ein weiterer Influencer – Timo Schmiering, ein Web-Selbstvermarkter, den man sich in etwa als eine Art singender Philipp Amthor vorstellen kann. Sein humoristisch-satirischer Clip »Corona Grün / Weltuntergang« kommt selbst bei der spaßgestählten YouTube-Gemeinde eher durchwachsen an. Neben Lob wie »Für ein 48-Stunden-Projekt und die Nachtschicht Schnitt kann man, glaube ich, mit dem Endprodukt zufrieden sein! Hat mega Spaß gemacht!« finden sich so auch kritische Kommentare, etwa: »dies ist der grund warum es bald ueberall ausgeverbot gibt corona ist nicht zum spassen da und das video gibt falschen eindruck von dem corona nur so am rande«.

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Zwischen Weltuntergang und Zweckoptimismus

Sollte es ein allgemein akzeptierter Hit zur Krise hoch in die Charts schaffen, ist schon heute klar: Ironie, Sarkasmus und Wurstigkeit werden textlich nicht reichen. Zeug dazu, die aktuelle Stimmung auf den Punkt zu bringen, hat eine Band, die in link(sliberal)em Umfeld einen eher umstrittenen Ruf genießt: die aus Südtirol kommende Deutschrock-Formation Frei.Wild. Kritiker werfen der Band anhaltende Flirts mit Rechts vor. Die Gruppe selbst hat sich einerseits zwar mehrfach von rechten Haltungen distanziert. Ebenso Teil der Bandvita ist allerdings eine unklare, affine Haltung, die sie – ähnlich wie früher die Böhsen Onkelz – nach Rechts zumindest anschlussfähig macht. Finden Frei.Wild in den Mainstream zurück – inklusive einer durchaus mainstreamkritischen oder auch nachdenklichen Haltung? »Corona Weltuntergang« offeriert jedenfalls alles, was einen zeitkritischen Rocksong ausmacht – eine zündende, durchaus ohrwurmtaugliche Melodie und, im konkreten Fall, einen Text, der das auf den Punkt bringt, was es zur aktuellen Krise zu sagen gibt. Einen irritierenden Punkt setzt lediglich der Outro-Satz (»Wir klagen was anderes an«) – mal sehen, was die Musikfans zum Krisenstück der Südtiroler Band sagen.

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COVID-19 verändert die Menschen natürlich nicht dergestalt, dass alles, was sonst noch an Background so da ist, bedeutungslos wird. Einige Songs haben allerdings das Zeug, das, was sonst noch an (allzu) Menschlichem da ist, zusätzlich zu grundieren: mit Emotionen, Aussagen, Klängen – und mit Haltung. Der Hinweis, dass Metal – neben Hip Hop und Punk – zu den notorischen Sorgenkindern des bürgerlich-betulichen Feuilletons zählt, wird an der Stelle kaum jemand überraschen. Und so lässt sich auch Rammstein – genauer: das Sideprojekt Lindemann des Rammstein-Frontmans Till Lindemann mit dem schwedischen Musiker Peter Tägtgren – entsprechend einsortieren: indem man Text und Attitüde möglichst eins zu eins nimmt und den Musikern respektive der Richtung eine tendenziell menschenfeindliche Grundhaltung unterstellt. Zugegeben – gerade Angehörige der Metal-Fraktion tun viel dafür, das »böse« Image ihrer Richtung nach Kräften zu grundieren. So auch Lindemann. Nachdem das im November veröffentlichte »Knebel«-Video bei YouTube gelöscht wurde, ersetzte die Band es mit einer Version, welche die »expliziten« Stellen mit Balken überdeckte. Singen mit Pfadfindern ist das zwar noch immer nicht. Das Video jedoch ist On und der Aufmerksamkeitsfaktor in trockenen Tüchern.

Ungeachtet oder gerade wegen der »Censored«-Balken: sich mit Rammstein aus der Pandemie-Tristesse herausbeamen wird mit Sicherheit keine Empfehlung sein, die man derzeit an prominenter Stelle findet. Andererseits – die Stimmung, dass the World manchmal schlicht a Fucking Shit ist, wird in diesen Tagen sicher nicht nur notorische Headbanger und sonstige Schwarzgewandete umtreiben. Doch kommen wir zum echten Drama. Laut »Welt« hat Italien – Stand: 22. März – im Zug der Corona-Krise bislang fast 5.000 Tote zu beklagen. Fast 800 davon starben allein am gestrigen Tag. Bilder, die manchen mittlerweile an mittelalterliche Pestzüge denken lassen – beispielsweise der Militärlaster-Konvoi, welcher die normal nicht mehr bestattbaren Leichen ins Krematorium transportierte. Und doch: der Mensch – insbesondere auch der Italiener inklusive weiblicher und diverser Pendants – will sich nicht so einfach ergeben. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Ein eindrucksvolles Bild davon vermittelte am letzten Wochenende ein Flashmob der eigenen Art: Millionen Italiener(innen), die sich zu einem verabredeten Singen auf Balkonen und an Fenstern versammelten:

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Die Lage ist ist ernst. Hoffungslos ist sie allerdings erst dann, wenn wir uns selber aufgeben. In dem Sinn sind auch die musikalischen »Abwehrkräfte« Indizien dafür, dass es mit der Krise zumindest kein gänzlich schlimmes Ende nehmen wird.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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