Die Handlung von Tod von Freunden ist schnell erzählt. Zwei Pärchen mit Öko-Background, kulturell renomméeträchtigen Jobs und jeweils zwei Kindern haben sich auf einer dänischen Ostseeinsel zu einer verschworenen Gemeinschaft zusammengefunden – zu einer Art Patchwork Family, wie das bei Habecks & Co. halt so ist. Da die Idylle zu schön ist, um wahr zu sein (und kaum über sieben Folgen tragen würde), lugt das Unglück bereits um die Ecke. Dramatischer Auslöser – und gleichzeitig das Ereignis, zu dem die Serie immer wieder zurückkehren wird, ist eine Bootsfahrt. Sechs sind losgefahren, aber nur fünf werden zurückkehren: Jakob und Charlie Jensen, das dänische Paar, ihre beiden Kinder Cecile und Emile sowie Karl – der autistische Sohn von Bernd und Sabine Küster. Deren zweiter Sohn, Kjell ging über Bord. Was los war, was geschah und was das Ganze auslöste, beleuchtet die Serie in einem Pilotfilm und sechs weiteren Folgen. Wobei die Handlung nicht linear weiterentwickelt wird. Vielmehr widmet sich jede Folge dem Point of View eines anderen Beteiligten. Zu denen sich als handlungstragende Figur Nummer neun Jakob Jensens Bruder Jonas hinzugesellt – ein Außenseiter, der früher möglicherweise Sabine vergewaltigt hat und zudem unliebsame Vergangenheiten politlinker Couleur wieder gegenwärtig macht.
Zugegeben: Der Plot ist nicht direkt die Neuerfindung der Brotschneidemaschine – zumal im Verlauf der Serie auch nicht viel mehr hinzukommt. Die Grundanlage erinnert an Bloodline – eine Netflix-Serie aus der Anspruchsklasse, die mit einem ähnlichen Grundszenario die düsteren Familiengeheimnisse einer im Ausflugs- und Tourismusgeschäft tätigen Südstaatenfamilie in den Florida Keys zum Thema hatte. Tod von Freunden hätte durchaus das Zeug gehabt, einen ähnlichen Weg zu nehmen – oder, alternativ: auch den von Big Little Lies, einer HBO-Serie, die sich dem dolce vita der aufgeklärten Westküsten-Bourgoisie widmete. Im ersten Fall hätte die ZDF-Produktion die selbstgeschaffene heile Aussteigerwelt Stück für Stück zerbröselt. Im zweiten Fall wären ähnliche Erkenntnisse rumgekommen – allerdings mehr sophisticated. Der springende Punkt allerdings ist leider: In beiden Fällen hätte Tod von Freunden mit einer nachvollziehbaren Handlung aufgewartet.
In realitas kann nicht mal in Ansätzen davon die Rede sein. Sicher – die Serie hangelt sich treu und redlich durch ihren Plot. Und ihr selbstgesetztes Setting, jede Folge einen anderen Part seinen Teil der Geschichte erzählen zu lassen. Im Verlauf dieser Inszenierung tappt die Serie allerdings nicht nur in jede Fehlerfalle, die bei deutschen Ambitions-Produktionen zum »State of the art« zählt. Sie sucht sie geradezu, um sich begierig darin reinplumpsen zu lassen. Fehler Nummer eins ist der wohl »typisch deutscheste«: die Geringschätzung der Handlung – nach dem Motto: Die Zuschauer halten schon bis zum Ende durch, wo sie die Auflösung dann schließlich serviert bekommen. Das Wenig an Plot wäre sicher kompensierbar gewesen – entweder mit kleinen Nebenstängen, mit mehr Detailzeichnung, oder insgesamt mehr Inszenierweise nach Arthouse-Kinoart. Von ebenjener kann nicht mal ansatzweise die Rede sein. Nach der Devise »Es zählt nicht, was passiert – es zählt, was du fühlst« dauerurschreien sich die involvierten Figuren durch insgesamt sieben Stunden. Womit wir beim zweiten Konventionalfehler wären: der auf Dauermodus gestellten Überfrachtung – Überfrachtung mit Sinn, mit Sinnsuche und, weil das perfekte Leben sich nicht einstellen will, eben Gefühlsexpressionismus im 24/7-Modus.
Die dazugehörige Farbgebung – Fehler Nummer drei – darf bei Anspruchskitsch dieser Güteklasse natürlich nicht fehlen. Keine – buchstäblich keine – Szene, die nicht ausgeleuchtet wäre wie die Lightshow auf einem Kuschelrock-Konzert beim Stadtfest. Der postproduktionelle Farb-Zuckerguss darf auch beim prä-koitalen Techtelmechtel nicht fehlen. Wenn Sabine Küster (Katharina Schüttler) sich im rotbraunlilalen Schummerlicht an ihren Ehemann (Jan Josef Liefers) kuschelt, um ein paar Problems zu bekakeln, fehlt eigentlich nur der Edeldesign-Möbelhauskatalog auf dem Nachtisch. Wobei der auf dem Fernsehtisch vorm Sofa – auch Lockdowns haben schließlich mal ihr Ende – vielleicht noch besser aufgehoben wäre. Fehler Nummer vier gehört ebenfalls zum Gütesiegel »made in Germany«: die notorische Geringschätzung von Plausibilität oder Dingen, die man ansatzweise als stringent fortgeführter roter Faden bezeichnen könnte. Was im Rahmen dieser Serie ebenfalls seine Logik hat. Die Figuren verhalten sich eben auf eine Weise dauerüberdreht, wie es im echten Leben nicht mal ansatzweise vorkommt. Da stört Realität ähnlich wie das aufgemachte Fenster beim zünftigen Horrorfilm-Abend.
Nichtsdestotrotz feiern die Produktion derzeit fast alle – von der Süddeutschen bis hin zu FAZ und Morgenpost. Das könnte man vielleicht stehen lassen – das Land ist pandemiegeplagt; ein kleiner Serien-Abheber zum Lockdown-Durchstehen ist da vielleicht nicht verkehrt. In seinem Wesenskern frei legt Tod von Freunden letztlich vor allem eines: die Selbstbezogenheit eines bestimmten Milieus, das mit dem Begriff »Helicopter-Eltern« vielleicht ganz treffend beschrieben ist und das zwischen arrivierter Korrektheit und alternativradikalen Vergangenheits-Phantomschmerzen hin und her oszilliert. Anders gesagt: Hätte das ZDF diese Produktion auf die gängige, übliche Weise in den Sand gesetzt, könnte man kommentarlos darüber hinweggehen – mehr als zwei Produktionen pro Jahr kriegt auch ein Ausnahmetalent wie Lars Becker nicht hin. Was neu ist, ist der Umstand, dass Tatort- und Fernsehfilm-Routinier Friedemann Fromm nicht einmal den Versuch unternommen hat, zu seinen Figuren etwas wie Distanz zu schaffen. Überwältigt werden die Zuschauer(innen) stattdessen nicht nur mit Personen, bei denen es Mühe bereitet, sie sympathisch zu finden. Friedemann übernimmt das Ego-Monsterhafte seiner Protagonisten eins-zu-eins – kritiklos, distanzlos und hin bis zu jenen Momenten im Zehnminutentakt, wo sie auf Außenstehende nur noch peinlich wirken.
Darf ich dich anfassen? Ja, du darfst – komm: Es ist diese im Öko-Hausprojekt beheimatete Hybris, die sich mit jeder Szene selbst ein Monument setzen will, die an dieser Produktion, Pardon, schwer auf den Zeiger geht. Folgerichtig wird jedes Gefühl nicht nur artikuliert – nein: unter Zelebrieren wollen es Filmemacher und Darsteller keinesfalls machen. Der Schmerz muß, wenn er schon raus muß, im wilden Yoga-Tanz raus, dem toten Teenager wird mit aufsteigenden Papierlampions am nächtlichen Ostseestrand ein Monument abgefackelt, und der Künstler verbrennt seine bloß kunsthandwerklichen Bilder, um in einem Akt der Katharsis nunmehr Stahlinstallationen zu schweißen. Und auch der Rest der Welt – hallo, laut Programmheft sollte das Ganze auf einer INSEL spielen, nicht: auf einer unbewohnten Insel – kommen auf eine Weise vor, angesichts dessen der Begriff Präsent-Sein Hochstapelei wäre. Anders gesagt: Sie kommen so gut wie nicht vor; neunzig Prozent dieses expressionistisch-schwülen Kammerspiels im Freien spielen sich unter den neun tragenden Figuren ab. Die sich permanent um sich drehen, um ihre Träume, Sehnsüchte und ihre selbstredend einzigartige Geschichte.
Eine Art Familienaufstellung mit grün angehauchten Darsteller(innen) – man hat das schon mal witziger gehabt, etwa in dem Dramedy-Fernsehfilm Wellness für Paare. Aber vielleicht ist Tod von Freunden mehr als der übliche Ö/R-Kitsch vor grünarrivierter Kulisse. Sollte die von Friedemann Fromm inszenierte Gefühlsgemengelage symptomatisch sein für das portraitierte Milieu, kann die Zukunft nur wüst werden. – Übrigens egal, mit welchem Kanzler oder welcher Kanzlerin.
Tod von Freunden. Miniserie, 1 Pilotfilm + 6 Folgen. 55 bis 115 Minuten. ZDF. Regie: Friedemann Fromm. Darsteller: Jan Josef Liefers, Katharina Schüttler, Thure Lindhardt, Lene Maria Christensen und andere. Sendetermine: 14., 21. und 28. Februar, jeweils 22:15 Uhr. Abrufbar in der ZDF-Mediathek.
Kommentare 13
Deutsche Serien haben gerne etwas stark klischiertes. Zusammen mit zumeist dick aufgetragenem Pathos, der auch noch künstlich wirkt (und einem am Arsch vorbei geht), entsteht da häufig ein merkwürdiger Stilmix. Ebenfalls beliebt, nicht nur bei den Öffentlich-Rechtlichen, sondern ganz besonders auch im Streamingbereich: Die harte-Mann-Tour. Lauter knallharte, vom Leben gezeichnete Individuen prallen aufeinander, meistens im Raum von Grossbaustellen, dem Kiez (welchem auch immer) oder im Gang-Milieu. Die Männer riechen nach Lederjacke, bellen gerne rum, stecken Lebenskrisen weg wie einen doppelten Whisky („noch mal einen, bitte!“) und haben die Hand ständig am Schiesseisen. Total abgeklärte Frauen, ebenfalls krisenerprobt, natürlich tätowiert (Menschen mit Tatoos sind ja so was von selten!), und hart wie ein Kerl beim Sex, ergänzen (oder dominieren) die Produktionen jeweils. Schlimmer sind eigentlich nur noch die Schweizer (Tatortproduktionen). Das sagt ziemlich viel über das Menschenbild der beteiligten Kulturinstitutionen aus!
An der Stelle nur kurz: entspricht in etwa auch meiner Beobachtung.
Mir scheint der Freitag nicht das geeignete Medium zu sein, um einen Horrorfilm zu besprechen…
Klingt gut.
Doch bitte: nicht so streng, Freunde. Auch ungewollter Humor kann Lachen erzeugen. Ich hoffe auf ein Lachen, das nicht im Halse stecken bleibt ... und personifiziere das auf Liefers alias Börne.
Wenn alles nichts bringt, kaufe ich mir einen Reiseführer über Bielefeld, die mutige Stadt im Grünen.
Ich KONNTE (leider) nirgends lachen. Und eigentlich bin ich für Humor – unfreiwilligen inklusive – recht gut beisammen.
Mangels Sichtung kann ich da noch nicht mitreden.Und wie ich mich kenne: wenn ich die Folgen gesehen habe/ haben sollte, ist mein Geist bereits woanders unterwegs. :-)In Hessen sind bald Kommunalwahlen. Und die Regierungsparteien im Landtag haben sich Schläge auf die Wahlzettel redlich verdient.
Ein nicht schlecht angelegter Parkplatz für die Stimme sind die hier – zumindest in Bankfurt. Nicht optimal – aber wenn man sich die Alternativen anguckt, meiner Meinung nach trotzdem eine Überlegung wert.
Wenn ich in Frankfurt leben täte, sicherlich eine der wenigen Optionen.
Ich bin kürzlich in DIE PARTEI eingetreten. Mal prüfen, was die hier in Mittelhessen so auf dem Schirm haben.
Optimal ist doch fast nichts. Vor allem nicht für olle Zweifler und Grantler ...
»Ich bin kürzlich in DIE PARTEI eingetreten.«
Ein Schlechter ging, ein Guter kam. So kann’s eigentlich nur aufwärts gehen ;-).
Ich habe mir den "Piloten" angesehen. Den Rest mag ich nicht wirklich sehen. Dass schon die erste Personenepisode die zweite Hälfte des "Piloten" ist, ist eine merkwürdig mißlungene Montage, die wahrscheinlich irgendeiner Sendeplatzökonomie geschuldet ist. Das für Serien typische extra gedehnte Erzählen besteht hier fast nur aus einem steten Wiederholen schwülstig-betroffenen "Rede-mit-mir!". Als Kunstgriff soll wohl überdies das x-fache Wiederholen der Szenen um den Unfall und des Anrufes mit der Schreckensbotschaft gelten. Und ja, "mächtig auf den Zeiger" geht die Personenzeichnung eines typisch westdeutschen Klischees von einst linksorientierten Weltveränderern, die schließlich auf der eigenen Scholle arrivieren (das Wendland lässt grüßen), aus dem SUV heraus bestürzt über das Schicksal der armen Flüchtlinge sind und dabei so aufrichtig feststellen, "wir haben einfach sehr viel Glück gehabt". Und da der Zuschauer das auch ein bisschen doof finden soll, läuft alles auf eine große Lebenslüge hinaus, die mit der Überharmonie eines Familienpatchworks irgendwo zwischen Junger Gemeinde und westlicher Dinkel-Buddhisten zu kompensieren versucht wird. Das hat man so ähnlich schon so oft gesehen, weshalb auch für mich keine Spannung auf die Auflösung des mysteriösen Sturzes vom Boot geweckt wurde. Und nicht zuletzt Katharina Schüttler, das auf Tragik gebuchte Gesicht des neueren deutschen Films, ist nah an der Unerträglichkeit. Friedemann Fromm kenne ich bewusst bisher nur als Macher von "Weissensee", die eine hervorragende, wenngleich auch ein wenig kitschige, Serie ist.
Schrieb hier nicht erst kürzlich jemand:
"Nicht optimal. Aber wenn man sich die Alternativen anschaut ..."
Darüber, wer in diesem Kontext der Schlechte ist - und wer der Gute - sinniere ich noch. ^.^
»Ich habe mir den ›Piloten‹ angesehen. Den Rest mag ich nicht wirklich sehen. (…)«
Wollte meinerseits in der Besprechnung nicht zu sehr spoilern. Abseits von den dort angerissenen Mankos enthält die Darstellung allerdings unplausible Elemente und Szenen fast am Laufmeter. Die aufgesetzt auf einen Plot, der sowieso stark am Reißtisch zusammenkonstruiert wurde, dürften selbst wohlmeinende Zuschauer(innen) oftmals nur noch »Bahnhof« verstehen – zumal die Grundkonstruktion sowie die auf die Gefühlswelt der Protagonist(inn)en fixierte Darstellungsweise sowieso nicht gerade das Verständnis fördern.
Fragwürdig finde ich zudem die Auflösung in der letzten Folge respektive die politsche Botschaft, die da mitschwingt nach dem Motto: »Die Family Values sind doch die besten«. Auch das völlig unglaubhaft in Szene gesetzt mit einer Heile-Welt-Schlussszene, die völlig im Gegensatz zu dem steht, was in den fünfzehn Minuten zuvor gezeigt wurde.
Rundum also ein Ärgernis. Wobei ich wirklich grübele, wieso die Gatekeeper von den sogenannten Leitmedien (die taz mittlerweile ebenfalls) einen derartigen Schmarrn in den Himmel loben.
Schauen Sie lieber das japanische Original mit dänischem Untertitel. Oder auch deutschem Untertitel. Aber nicht synchronisiert.
Oder besuchen sie einfach einmal die größte der dänischen Ochseninseln. Die Große Ochseninsel. In der Flensburger Förde liegend. Wie ich gerade höre, soll diese, die Große Ochseninsel, nicht die Flensburger Förde, wahrscheinlich renaturiert werden. Dann allerdings auch für Touristen und Schulklassen wieder zugänglich sein - was zurzeit wohl nicht gehen soll. Und nicht nur wegen des Lockdowns. Oder umsegeln sie das Eiland einfach. All dies sind jedenfalls lohnenswerte Erlebnisse im Gegensatz zur Serie "Tod von Freunden". Ich weiß: Segeln ziemt sich nicht für die Leser und Foristen dieser Zeitung. Deshalb: Lassen Sie einfach ihren Geist segeln. Denn die Freiheit des Geistes kann uns ja niemand nehmen. Ich nehme mir jetzt die Freiheit, hier zu enden, und etwas zu essen. Ach so: Ich selbst besitze kein Boot. Aber Laufschuhe. So laufe ich bis zum bitter-süßen Ende unter vollen Segeln. Ahoi!