Was von der Buchmesse übrig bleibt

Buchmesse Special Stars, Preise, Debatten: Abseits der Feuilleton-Highlights ist die Frankfurter Buchmesse die größte Buchmarkt-Roadshow der Welt. Der Autor hat sich ins Getümmel gestürzt

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Ist der gegenwärtige Feuilletonstreit erkenntnisfördernd?
Ist der gegenwärtige Feuilletonstreit erkenntnisfördernd?

Foto: Wikimedia: MJK 60743 Das Literarische Quartett (Frankfurter Buchmesse 2019) von Martin Kraft (CC BY-SA 4.0)

Das Feeling nach der Frankfurter Buchmesse hat jedes Mal etwas von – nunja, Aschermittwoch. Wie verbringt man das »Danach«? Das Gros der Besucher, Fach- und Buchmenschen wird sich – notgedrungen oder vielleicht erleichtert – in die (mehr oder weniger unspektakuläre) Normalität wieder einspoolen. Für die Booker, Verlage und Agenten hingegen sind die Tage nach der Messe die Zeit, um Bilanz zu ziehen. Zumindest die des ausrichtenden Börsenvereins fällt positiv aus: Die Anzahl der Besucher(innen) sei, so die Presseerklärung mit dem 2019er-Fazit, im Vergleich zum Vorjahr von rund 285.000 auf über 302.000 gestiegen. Auch die Anzahl der Parties, Diskussionen, Lesungen und Begleitveranstaltungen habe leicht über dem Level des Vorjahres gelegen. Minimal zurückgegangen – so der leise Wermutstropfen bei den Zahlen und Fakten zum Ausklang – seien lediglich Anzahl sowie Länderpräsenz ausländischer Aussteller.

Ein Grund zum Feiern war dieses Jahr sicher auch der Umstand, dass Negativschlagzeiten betreffend die Präsenz rechter Verlage weitgehend vermieden werden konnten. Antaios Verlag, Junge Freiheit und Manuscriptum waren zwar vor Ort – untergebracht allerdings in einem polizeigeschützten und nur über eine Art Korridor erreichbaren Sektor in Halle 4.1. Klein-Trouble war trotz der isolierten Lage intendiert – so etwa die Behinderung eines Journalisten durch Antaios-Verleger Götz Kubitschek sowie einen dort im Einsatz befindlichen Polizisten. Das »Besuchen« von Ständen des politischen Gegners sowie das Mitnehmen von – im Netz später als »Beute« präsentierter – Flyer, wie es identitäre Aktivist(inn)en taten, ist allerdings eher ein unfreiwilliges Eingeständnis der Außenseiterrolle, die man in diesem Umfeld spielt, denn ein Zeichen politisch-publizistischer Bedeutung. Nichtsdestotrotz sollte man auch geistig in Isolation befindliche Rechte nicht unterschätzen. Antaios machte sich das Messeerlebnis posthum schön mit einem mit schwül-dramatischer Musik unterlegten Doku-Video. Unerbetenen, wenn auch schnell hinwegkomplimentierten »Besuch« erhielt darüber hinaus eine Lesung von Jutta Ditfurth. Fazit so: Das Thema »Rechte und Buchmesse« ist keinesfalls durch. Vielmehr dürfte es auch in den kommenden Jahren für die ein oder andere Schlagzeile sorgen.

Kleiner Trost, wenn man so will: Die großen Debatten fanden 2019 in anderen Lufthöhen statt. Der Zwist zwischen dem Literaturnobelpreisträger Peter Handke und dem Deutscher-Buchpreis-Gewinner Saša Stanišić sorgte einerseits dafür, dass die Frankfurter Buchmesse (endlich) wieder über ein sinnstiftendes Meta-Thema verfügte. Im Kern allerdings geht es bei der derzeit laufenden Feuilleton-Debatte um recht profane Dinge: die nach wie vor nicht abschließend geklärte Deutungshohheit betreffend die Jugoslawienkriege in den 1990ern. Einerseits hat der buchmesseanlässlich zu Hochform aufgelaufene Handke-Stanišić-Disput zwar etwas von Schattenboxen – dergestalt, dass alte Schlachten via Feuilleton neu geschlagen werden. Andererseits sind die gesinnungspolizeilichen Töne, die in diesem Streit mitschwingen, durchaus besorgniserregend. So bekannten sich in der ZDF-Renommierveranstaltung zur Messe, dem Literarischen Quartett, zwar alle Teilnehmer(inn)en mehr oder weniger zu Handke – teilweise allerdings in einem Duktus, der nahelegte, dass sie das Urgestein der gesellschaftskritischen 68er-Literatur nur noch mit der Taschenlampe unter der Bettdecke lesen. Fazit: Erkenntnisfördernd ist der gegenwärtige Feuilletonstreit kaum. Wer sich für den Highway to Hell, auf den die jugoslawische Förderation in den Achtzigern zunehmend geraten ist, näher interessiert, dem seien statt Handke und Stanišić zwei Standard-Historientitel etwas älteren Datums ans Herz gelegt: »Geschichte Jugoslawiens im 20. Jahrhundert« von Marie-Janice Calic und »Jugoslawien und seine Nachfolgestaaten 1943–2011« von Holm Sundhausen.

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Sicherlich mit Fug und Recht prämiert wurde 2019 der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado. Salgados Schwarzweißaufnahmen – etwa von Flüchtlingstrecks in Ruanda oder den Goldschürfern in der brasilianischen Serra Pelada führen ins Herz der Dunkelheit. In ihrer auf den Punkt gebrachten Detailgenauigkeit erinnern sie an Gemälde von Hieronymus Bosch; das Mittel der Wahl im konkreten Fall: statt Pinsel und Staffel Kamera und Entwicklungslabor. Salgado selbst war auf der Messe dauerpräsent – anlässlich von Interviews oder beim Signieren. In der Luxus-Großversion kostet ein Bildband rund 3000 Euro, in den normalen Consumer-Varianten 50 bis 70 Euro. Wie umfangreich das Ausstellungssortiment der Frankfurter Messe ist, stellt man erst fest, wenn man an ein Highlight gerät wie den diesjährigen Friedenspreisträger. Wie in den Jahren zuvor lässt das Volumen der Frankfurter Messe allenfalls erahnen. Weltweit ist sie die größte. Konkret bedeutet dies: 6 Hallen, rund 20 Hallengeschosse mit unterschiedlichen Schwerpunkten, x-Millionen Buchtitel, Tausende von Ausstellerständen, x-Hunderte kleinerer und auch größerer Veranstaltungen, hinzukommend externe sowie auf dem Buchmessengelände selbst stattfindende Veranstaltungen, Sub-Divisions für einzelne Sparten und Berufsgruppen sowie ein Dauer-Unterhaltungsprogramm unterschiedlicher Aussteller auf dem zentralen Messeplatz.

Konsequenz: Selbst für Dauergäste sowie sonstige Messe-Cracks ist es ein Ding der Unmöglichkeit, auch nur annäherungsweise alles in Augenschein zu nehmen. Das gilt umso mehr, als dass bei jeder Messe ein Gastland zusätzlich mit seinem Sortiment Präsenz zeigt – in diesem Jahr Norwegen. Am Wochenende – also ab Freitag – wird die Visitation zunehmend auch physisch zur Belastung. Insbesondere in den Reihen mit attraktiven Publikum-Acts geht fortbewegungstechnisch allenfalls noch Stop-and-Go. Speziell Halle 3.0, wo sich die großen Publikumszieher in Form von Kochbuchverlagen, Anime-Anbietern, Ausmalbuch-Dienstleistern und ähnliche konzentrierten, offerierte stellenweise das Feeling einer Duisburger Loveparade. Anhänger(inne)n des Schöngeistig-Intellektuellen wird hier bereits durch Präsenz der schieren Masse der Zahn gezogen, geschliffene Worte allein bestimmten den Lauf der Welt. Andererseits hat die Dienstleistung auch ihr Gutes. Thema Verköstigung: Waren vor zwanzig Jahren noch Mondpreise für in heißes Wasser getauchte Hot Dogs gastronomischer Normalzustand, gibt es für das immer noch im höheren Veranstaltungsbereich angesiedelte Preissegment zwischenzeitlich wenigstens entsprechende Äquivalente – sprich: ein breit gefächertes Angebot, welches auch Leib und Magen zu ihrem Recht verhilft.

Anders gestaltet sich die Messe für (verlagsuchende) Autoren und Autorinnen. What’s the Difference? Die brancheninterne Wetterregel, derzufolge Leipzig die autorenfreundlichere der beiden Großmessen ist und die Frankfurter die große Bühne der Booker, Lizenzabschließer und Vermarkter, bewahrheitet sich von Messe zu Messe mehr. Zur Frankfurter Messe gehören entsprechend auch die Namen der Verlage, die dort nicht mehr präsent sind. Nicht oder nicht als Hauptaussteller präsent waren 2019 unter anderem: das Musiklabel des Trikont-Verlags, Schwarzkopf & Schwarzkopf, die jungle world, die Dependance des Online-Lexikons Wikipedia, der konkret Literatur Verlag und eine Reihe anderer. Auch sonst ändert sich die Verlags-Großzusammensetzung mit jedem Jahr. Ein Anbieter, der den etablierten Verlagen durchaus Ärger bereiten könnte, ist Amazon Publishing. Aus Gründen, die hier nicht weiter erörtert werden sollen, hat sich der Online-Grossist seinen nicht so tollen Ruf zwar hart erarbeitet. Ungeachtet dessen dürfte die Tatsache, dass Amazon nunmehr auch als Verleger in Erscheinung tritt, durchaus einen Sog ausüben – speziell auf Autoren und Autorinnen, die bei den Etablierten und/oder Kleinen auf Schranken stoßen. Karg sind bislang die Infos zu den Konditionen. Eine Stand-Mitarbeiterin bestätigte zwar, dass der übliche Review-Prozess von Auswahl und Lektoratsprozess auch bei Amazon Publishing zum Tragen komme. Allerdings: Etwas mehr als Werbung und bunte Bildchen hätte man als angehender Amazon-Publisher schon ganz gern.

Traditionelle Anlaufstellen im Meer der Unübersichtlichkeit sind die Hot Spots einiger großer Aussteller. Im Wesentlichen waren das 2019 dieselben wie in den vergangenen Jahren: die alte Tante ARD, der Kultursender arte, der SPD-Traditional Vorwärts, der Spiegel, das Buchmesse-Lesezelt sowie ein ähnliches Angebot der Buchhandelskette Hugendubel. Einerseits ist das offerierte Non-Stop-Programm aus Lesungen, Interviews und Podiumsdiskussionen fast ein Must, um den Besucherscharen Fixpunkte zu bieten. Andererseits fiel auf, dass ein rundes Dutzend Acts von den aufgeführten Verdächtigen rauf und runter vermarktet wurde. Beispiele hier: die 2019er-Bestsellerautorin Nora Bossong (»Schutzzone«), ARD-Tatortkommissar Ulrich Tukur in Personalunion als Romanautor oder die Spiegel-Journalistin Patrizia Schlosser, die sich – mit ihrem Vater, einem pensionierten Ex-Polizisten, an der Seite – auf die Suche nach den sich im Untergrund versteckenden »RAF-Rentnern« begeben hatte und sich, mangels Erfolg, in ihrem Buch wehleidig über die mangelnde Auskunftsfreudigkeit der linken Szene auslässt.

Naivität oder Kalkül mit derselben? Trotz – oder vielleicht auch wegen – des journalistisch fragwürdigen Konzepts ist Schlossers Titel einer der Erfolgstitel des Buchherbstes 2019. Ein Part des Frankfurter Buchmesseprogramms ist seit Jahren der linke Konterpart dazu – die Gegenbuchmesse, oder, genauer: die GegenBuchMasse. Zumindest was die Besucher*nnenzahlen anbelangt, kann sich die – über diverse Zentren und sonstige Ausrichter verteilte – Veranstaltungsreihe durchaus mit den »Etablierten« messen. Eine vom Verlag papyrossa ausgerichtete Veranstaltung zu einem Buchtitel über die Gilets Jaunes im Club Voltaire besuchten rund 100 Leute. Der traditionelle Höhepunkt der GegenBuchMasse – die lange Lesenacht im Café Exzess – verzeichnete rund 300 interessierte Männer, Frauen sowie Diverse. Das Themenspektrum bei dieser Renommierveranstaltung der linken Verlage reichte von aktuellen Ausgrenzungs- und Rassismus-Erfahrungen bis zu Erlebnisprotokollen aus der Ära des alten Arbeitersyndikalismus – konkret: der Mujeres Libres, einer libertären Frauenorganisation, die während des Spanischen Bürgerkriegs stark an Zulauf gewann.

Selbst anarchistische Verleger(inn)en werden kaum umhinkommen, die Regierung zu loben – wenn sie (mal) was Gutes tut. Ein warmer Regen war der von der Kultur- und Medien-Bundesbeauftragten Monika Grütters (CDU) verliehene Deutsche Verlagspreis, der in diesem Jahr zum zweiten Mal vergeben wurde. Mit jeweils 15.000 Euro dotiert wurden rund 60 Klein- und Mittelverlage, deren Programm für Vielfalt und Qualität des deutschen Buchsortiments steht. Unter den 2019er-Preisträgern mit dabei: linke Verlage wie Edition Nautilus und Edition Assemblage, der auf Grafikdesign und Mediengestaltung versierte Mainzer Verlag Hermann Schmidt sowie der auf die Klassiker-Backlist spezialisierte Reclam-Verlag. Die Breitenstreuung bei den Preisträgern erinnert fördertechnisch zwar stark an das bekannte Gießkannenprinzip. Andererseits können gerade kleine(re) Verlage mit 15.000 durchaus Sinnvolles auf den Weg bringen – etwa das ein oder andere Buchprojekt, dass ohne Außenfinanzierung nicht zu stemmen wäre.

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Samstag und Sonntag legt die Messe eine ordentliche Schippe Bunt zu. Der Grund: die Cosplay Area – eine Art Parallelveranstaltung, die bereits seit Jahren Messebestandteil ist und diesmal, anders als noch in den Vorjahren, gleich in das reguläre Programm mit integriert wurde. Mit ihren Ausstellungen, Ständen, Infopoints zählt die Cosplay Frankfurt zu den Top-Events der Manga-, Animé- und Comic-Szene. Obwohl die fantasievoll-eskapistisch kostümierten Kids schon seit langem mit zum Bild der Frankfurter Messe gehören, stieß ihre Präsenz bisweilen auf Kritik. Für die Szene selbst ist der Frankfurter Wochenend-Event eine der Gelegenheiten im Kalenderjahr, sich zu treffen und ihren Livestyle zu zelebrieren. Außerhalb der Cosplay, im normalen Leben sei die Toleranz oft nicht so groß, so eine Teilnehmerin gegenüber dem hr. Vielfaltstechnisch fächert sich die Szene mehr und mehr auf. Zu den klassischen Manga- und Anime-Kostümierungen gesellen sich zunehmend solche aus der Serienwelt von Marvel, DC und ähnlichen Anbietern. Warum das Ganze? Im Prinzip, so eine Teilnehmerin, gehe es darum, sich gemäß den Comic-Vorlagen und Serien-Rollen zu kostümieren, ergo um eine Art Schauspielerei. Wobei – ein nützlicher Tipp in den Zeiten von Hartz IV & Co. – die Zusammenstellung des Outfits auf ähnliche Weise erfolgt wie bei Erwachsenen: Highlights werden für Cash fertig erstanden, der Rest wird mit Fantasie zusammengebastelt und zusammengeschminkt.

Den Umfang der Frankfurter Messe bemerkt man beim Betreten und Verlassen. Ein weiterer Sektor – wenn auch außerhalb des Messegeländes – ist das Terrain der Antiquariate. Ob alte Spiegel-Ausgaben aus den 1950ern, Science-Fiction-Taschenbuchausgaben oder ein vergessener Lieblingsroman aus den Siebzigern – hier ist die Chance groß, fündig zu werden. Ebenfalls vor Ort: diverse Tonträger-Dealer, die jene (potenziell) mit Stoff versorgen, für die CD und Vinyl noch nicht Dinge von vorgestern sind. Beim Passieren des Bereichs – irgendwann am frühen Sonntagsnachmittag auf dem Weg zur U-Bahn – dringt mir Bekanntes in die Ohren: »I Heard it Through the Grapevine« von Creedence Clearwater Revival. Ich groove automatisch mit. Der Plattendealer um die Ecke tut dasselbe; es folgt das Erkennungsgrinsen zwischen zwei weißen, nicht mehr ganz taufrischen Soulbrothers. Das war sie – die Frankfurter Buchmesse. Was bleibt? In aller Bescheidenheit vielleicht: vertieftes Verständnis betreffend die Taktung des deutschen Buchmarkts. Verlagsregel Nummer eins: Die anspruchsvollen, ambitionierten Titel erscheinen stets zu den beiden Messen – also September/Oktober und Februar/März. Der Lesestoff fürs gemeine Volk hingegen – also »Abnehmen in 20 Schritten«, »Weihnachtsgeschichten für Kinder« oder die x-te Biografie von Dieter Bohlen – werden stets vor Weihnachten oder im Hochsommer rausgehauen.

Was das heißt? Alles im grünen Bereich. Der Buchmarkt ist nach wie vor divers bis zum Abwinken. Was umgekehrt heißt: Man muß die Frankfurter Buchmesse nicht »verstehen«. Das sinnstiftende Prinzip lautet vielmehr: Dabeisein ist alles. Wobei es zu ergänzen wäre mit der alten Sepp-Herberger-Weisheit: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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