Zur Depublizierung einiger Blog-Beiträge

Freitag-Community Vor kurzem wurden einige dFC-Artikel, betreffend das Thema Montagsmahnwachen, gelöscht. Die Vorgehensweise wirft einige grundsätzliche Fragen zum Umgehen mit der dFC auf.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Die Fakten

Ohne weitere Mitteilungen an die Verfasser(innen) (jedenfalls so weit bekannt), hat die Online-Redaktion, der Verlag oder sonstwer damit Betrautes ein halbes Dutzend Meinungs- und Informationsartikel rund um den Themenbereich »Neue Friedensbewegung / Montagsmahnwachen« gelöscht bzw. im nichtöffentlichen Bereich der jeweiligen Verfasser(innen) »versteckt«.

Zum Thema innerhalb der Community wurde diese »Maßnahme« durch den Artikel einer Betroffenen bzw. Sympathisantin vom 31. Januar. Wann genau die Offlinestellung erfolgte, ist nicht genau nachvollziehbar; Artikel und Diskussion nach zu schließen erfolgte die Maßnahme wohl Ende Januar. Betroffen scheinen insgesamt sechs Beiträge zu sein. Soweit bekannt, thematisieren alle sechs in irgendeiner Weise das Thema Montagsmahnwachen bzw. einen der exponierten Vertreter dieses Spektrums, Ken Jebsen. Soweit bekannt handelt es sich um

- einen Beitrag der dFC-Autorin Dame.von.Welt – wobei der fragliche Artikel (KenFM: »Rassistischer Zionismus«) zwischenzeitlich wieder »On« ist – allerdings ohne die seinerzeitige, recht lebhaft verlaufene Diskussion.

- einen Beitrag von mir (»Showdown der Friedensfreunde«, ein eher beschreibender Zustandsbericht über die Auseinandersetzungen zum Mahnwachenspektrum vom April 2014).

- drei oder vier weitere Beiträge, darunter der Artikel Yes we Ken: NICHT-Handeln hat Konsequenzen.

- als möglicher Auslöser ein bereits im Frühjahr 2014 depublizierter Bericht des ehemaligen dFC-Autoren Steffen Hallaschka, welcher sich ebenfalls in kritischer Form mit dem Mahnwachenspektrum beschäftigte.

Ein kurzes Statement der Online-Redaktion findet sich in dem eingangs aufgeführten Blog zum Thema. Weitere Details zu dieser Sache sind in dem externen Blog-Artikel »Kritisch. Mutig. Meinungsstark, Der Freitag« beschrieben.

Die Probleme

Meines Erachtens werden von den – in dem Ausmaß fast seriell zu nennenden – Depublizierungen drei existenzielle Problembereiche tangiert:

- das aus Communitysicht stark defizitiäre Verhältnis von Redaktion / Verlag zum Online-Bereich bzw. den freien Blogger(inne)n

- die Frage, ob über Schönwetterthemen hinaus kontroverse gesellschaftliche Standpunkte und Fakten diskutiert bzw. berichtet werden können

- die weitgehenden – unter anderem über AGBs und Netiquette deklarierten – Stillschweigeverfügungen, die nicht nur eine offene Thematisierung von Konflikten unterbinden, sondern darüber hinaus auch Fragen der schreiberischen Integrität in essentieller Weise aufwerfen können.

Zum »Friedensfreunde«-Artikel

Über die »Depublizierung« meines Artikels Showdown der Friedensfreunde bin ich aus mehrererlei Gründen konsterniert. Zum einen deswegen, weil er keine besonders exponierten Meinungsaussagen enthält – beispielsweise in der Form, dass er Person X oder Y als »Antisemiten«, »Rechten« oder anderes in der Art bezeichnet. Wie bei den meisten meiner Blogbeiträge stand auch bei diesem weniger meine ganz persönliche Meinung im Vordergrund (im konkreten Fall: Mahnwachen = rechts, antisemitisch – ja oder nein?) als vielmehr eine – die Thematik erst einmal informell erschließende – Zustandsbeschreibung. Im konkreten Fall war dies die Gegenüberstellung unterschiedlicher Ereignisse und Auseinandersetzungen rund um die Eskalation in der Ukrainekrise sowie friedenspolitische und linke Reaktionen darauf.

Getreu meiner schreiberischen Priorität auf dem Punkt Information kamen dabei auch Aspekte sowie Handlungen zur Sprache, deren Aufführung beschriebenen Akteuren möglicherweise nicht so konveniert: Jutta Ditfurths stark umstrittenes 3sat-Interview, Ken Jebsens Auseinandersetzung mit dem rbb, die politische Vita von Jürgen Elsässer, die Haltungen von Grünen, Linkspartei, Piraten usw. zum Ukrainekonflikt und so weiter. Selbstredend waren möglicherweise strittige Aussagen entweder explizit belegt oder aber aufgrund bereits vorangegangener Berichterstattung zweifelsfrei. Wichtig ist bei besagtem Artikel, dass es in ihm vorrangig um Informationsvermittlung ging. Andererseits habe ich in der Auseinandersetzung rund um die Montagsdemos durchaus eine – auch innerhalb der dFC-Community stark umstrittene – Haltung vertreten. Kurz zusammengefasst beinhaltete diese: a) die Montagsdemos nicht vorschnell (und vor allem nicht: ad generalis) in die rechte Ecke zu drängen, b) Prioritäten zu setzen gegen die gegenüber Russland stark angezogene Eskalationschraube sowie die damit verbundene Kriegsgefahr sowie c) in Bezug auf Russland grundsätzlich eine realistische, faire, der Gesellschaft als Ganzem gerecht werdende Wertung vorzunehmen anstatt eine einseitige, idealistisch an westlichen Menschenrechts-Auslegungen orientierte.

Politisch ist das zweifelsohne eine Positionierung. Allerdings sicher keine »extreme«, gemäß den Freitag-AGBs etwa nicht zu tolerierende. Grosso modo entsprechen ihre Essentials denjenigen, die etwa auch die bekannte Ex-ARD-Russlandkorrespondentin Gabrielle Krone-Schmalz zu dem Sachverhalt tätigte. Besagte Haltung war nicht nur innerhalb der Stamm-Community eine eher minoritäre. Im Print-Freitag schlug sich diese alternative Sicht auf die Montagsdemos (= von der Substanz her: um den Frieden besorgte Bürger/innen) so gut wie nicht nieder. Dass die aktuelle »Depublizierungs«-Serie hauptsächlich montagsdemokritische – beziehungsweise sich mit Mitorganisator Ken Jebsen kritisch auseinandersetzende – Berichte tangiert, ist in meinem Fall ein Treppenwitz der Geschichte (was natürlich nicht heißt, dass die Depublizierung der anderen Beiträge okay wäre – im Gegenteil; dazu mehr im nächsten Abschnitt).

Was heißt das für den »Friedensfreunde«-Artikel? Da ich über die Depublizierung nicht informiert wurde, kann ich lediglich Vermutungen darüber anstellen, dass die Aktion möglicherweise in Zusammenhang steht mit dFC-Beiträgen über die Person Ken Jebsen. Da Interventionen von Sich-in-der-Kritik-Sehenden bei Seitenbetreibern derzeit das Standardmittel sind, unliebsame Inhalte aus dem Web herauszubekommen und mir weitere Informationen zum möglichen Lösch-Verursacher fehlen, kann ich mir allerdings ebensogut ausmalen, dass eventuell die Staatsseite, irgendjemand aus dem montagskritischen Umfeld oder irgendjemand aus der grünen Richtung meinen Lageberichts-Beitrag (zumindest posthum, mit zweijähriger Verspätung) erfolgreich abgeschossen hat.

Wertung

Eine Depublizierung von Informations- und Meinungsbeiträgen tangiert das Recht auf Pressefreiheit sowie das auf Äußerung der eigenen Meinung auf recht elementare Weise. Wenn nur noch eine Meinung toleriert wird (»die richtige™«), wird nicht nur jegliche Diskussion obsolet. Auch die Konstatierung einer angeblich vorhandenen Meinungsfreiheit wird durch derlei Praktiken zur Farce, zur Lüge, zur hohlen Parole. Bekanntlich ist dies auch allgemeinpolitisch derzeit eines der größten Probleme; die Auswirkungen reichen von der »Alternativlosigkeit« aktueller Politik (nach dem »TINA-Prinzip«) über den – zwischenzeitlich vermutlich irreparablen – Vertrauensverlust etablierter Medien bis hin zum taktischen Umgang mit Fakten in bestimmten Konfliktkonstellationen (aktuell: siehe Ereignisse zu Silvester).

In letzteren Bereich fallen auch die getätigten Depublizierungen. Wenn – wie im aktuellen Fall möglicherweise anlassgebend – nicht mehr über die Rauswurf-Causa eines bekannten Polit-Protagonisten kontrovers diskutiert werden darf (obwohl die Causa in zahlreichen Berichten etablierter Medien zur Genüge dokumentiert ist), dann bewegen wir uns nicht mehr auf dem Boden irgendeiner Meinungspluralität, sondern sind im Grunde bei Trotzki und den retuschierten Oktoberrevolutions-Fotos angelangt – also der Schönung der Realität, bei Tabu-Themen, Diskussionsverboten und allem, was sich darum rankt und was daraus erwächst. Darüber hinaus enzieht eine derartige Zensur nicht nur jeglicher Diskussion die Grundlage. Sie fällt auf negative Weise auch auf den – seitens des Freitag offensiv beworbenen – Meinungspluralismus zurück.

Die Frage, wie weit dieser Meinungspluralismus reicht, mag letztlich zwar eine des Hausrechtes sein. Allerdings muß es möglich sein, zumindest die praktizierte Form einer Kritik zu unterziehen. Anders als zum Beispiel das Neue Deutschland – welches nicht nur die Montagsdemos, sondern auch andere linke Themen öfters von kontroversen, unterschiedlichen Standpunkten aus aufgreift – verfolgt zumindest der Print-Freitag (sieht man von den ritualisierten Böhme/Augstein-Talks einmal ab) eine stark einheitliche, wenig durch öffentlich ausgetragene Kontroversen auffallende »Linie«. So beispielsweise auch im Hinblick auf die Montagsdemos, die im Community-Bereich zwar unterschiedlich, im Print-Bereich jedoch so gut wie ausschließlich negativ gewertet wurden.

Existenziell tangieren die Löschungen ganz konkret das (sowieso eher suboptimale) Verhältnis zwischen dFC-Community und Redaktion. Hier ist klar zu konstatieren, dass Löschung(en) sowie Nichtbenachrichtung(en) zumindest den Eindruck verfestigen, dass der Online-Bereich nichts weiter ist als ein unverbindliches Pi-Pa-Po-Forum beziehungsweise ein Content-Zulieferer möglichst lifestylig ausfallender und den Print-Content flankierender Beiträge für die redaktionelle Ausgabe. Diese Rolle entspricht jedoch exakt derjenigen vergleichbarer Online-Bereiche bei etablierten Medien – beispielsweise der Zeit oder den Kommentar-Funktionen bei tagesschau.de oder Spiegel Online. Auch dort wird der Meinungsbereich stets dann zugemacht bzw. redigiert, wenn es – im Sinn der Betreiber – argumentativ eng wird oder zuviel Kritik kommt. Das ist, mit Verlaub, Kindergarten und eines ernsthaften Online-Sektors mit eigenständigen Artikeln nicht würdig!

Fazit

What’s to Do? Sollte sich der Trend im Online-Freitag hin zu einem unverbindlichen Schönwetter-Zusatzservice sowie neon- oder HuffPost-Adäquat fortsetzen, stünde meines Erachtens ernsthaft die Frage auf dem Tablet, ob die Organisation strömungsübergreifender linker Diskurse nicht vielleicht unter einem anderen Dach besser aufgehoben wäre. Was die konkreten Vorkommnisse anbelangt, wäre zumindest auf eine nachträgliche Nachinformierung seitens der Redaktion zu insistieren. Zum einem dFC-öffentlich. Da niemand gern für den Papierkorb schreibt, wäre darüber hinaus eine redaktionelle Nachricht an die betroffenen Blog-Autor(inn)en angemessen. Drittens sollte das Entfernen von Artikeln künftig generell von einer entsprechenden Kommunikation flankiert sein. Nicht zuletzt auch zur Pflege des inhaltlichen Niveaus. Denn: Wer Autor(inn)en als unmündige Kinder behandelt, wird über kurz oder lang auch entsprechende Artikel ernten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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