Ob ARD, stern, Spiegel Online, Welt oder heise.de: Die gefaketen – und zwischenzeitlich mit einer Strafanzeige gekonterten – News zu Renate Künast gehen derzeit durch sämtliche Medien. Die rechte Facebook-Seite »Widerstand deutscher Patrioten« hatte die Grünen-Politikerin zusammen mit dem despektierlichen Slogan »Der traumatisierte junge Flüchtling hat zwar getötet, man muss ihm jetzt aber trotzdem helfen« zusammencollagiert. Was Künast nie gesagt hatte – allerdings als Zitat ausgewiesen wurde aus der Süddeutschen Zeitung vom 3. Dezember.
»Fake News« oder Retourkutsche?
Die Empörungswelle des zivilgesellschaftlichen Teils der Republik rollt. Und: Sicher steht es jedem und jeder frei, in die Empörungswelle mit einzustimmen – zumal es an den Beweggründen der Facebook-Gruppe wenig zu deuteln gibt: rassistische Stimmungsmache gegen Flüchtlinge, Hochkochen des Volkszorns, Demagogie gegen vorgebliche »Systempolitiker«. Nichtsdestotrotz trifft die gefakte Kolportage wunde Punkte. Beispielsweise die Frage, was an dem (falschen) Zitat genau ehrenrührig sein soll – wie es auch ein User im Heise-Forum zu bedenken gab. Juristisch gesehen mag Künast auf der sicheren Seite stehen – vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass hier eine Polemik lanciert wurde mit erfundenen »Fakten«. Allerdings: Was wäre gewesen, wenn die Seitenmacher die Datumsangabe weggelassen und statt »Stuttgarter Zeitung« etwa einen erfundenen Zeitungstitel aufgeführt hätten? Irgendwie wird man den Eindruck nicht los, dass auch eine erkennbar als Satire aufgemachte Form dasselbe Ergebnis gehabt hätte: moralische Echauffierung, Offline-Stellung, Anzeige.
Für die Demokratie sieht das Ganze so weniger gut aus. Frage: Befinden wir uns auf dem geraden Weg zu einem Volk von Mustermännern und Musterfrauen? Die Satire nur noch dann goutieren, wenn darauf ein amtlich beglaubigtes Genehmigungssiegel klebt? Dabei hatte Künast im Sommer die offene Flanke für die rechte Polemik selbst geliefert. Wer via Twitter-Tweed die polizeiliche Stellung eines Amokläufers einer Grundsatz-Kritik unterzieht, liefert durchaus Gründe für die Unterstellung, er oder sie visiere Zustände an, in denen »die« Flüchtlinge juristisch unbehelligt alles tun dürfen, was ihnen eben in den Sinn kommt – Vergewaltigung, Belästigung, Raub und Mord inklusive. Gar nicht gut – schon gar nicht im Hinblick auf die schwelende Vertrauenskrise, welche der offiziellen Politik zunehmend zu schaffen macht.
Zweierlei Maß?
Zum Bumerang entwickeln könnte sich die Affäre darüber hinaus aufgrund des offensichtlichen Messens mit zweierlei Maß. Man muß nicht die Titanic bemühen und ihre monatlichen Titelcover, um zu konstatieren, dass Politiker in Deutschland allgemein durch den Kakao gezogen werden. Auch im politischen Parteienstreit sind derartige Persiflagen gängige Mittel. Nicht zuletzt bei Künasts Partei, den Grünen. »JETZT NEU: LINKSPARTEI ERSTMALS FÜR AUSLANDSEINSÄTZE!« prankte es im März 2014 auf einer virtuellen Collage. Bildmotiv: die Linkspartei-Vize Sahra Wagenknecht – kreativ zusammencollagiert mit ukrainischen Milizsoldaten. In die Welt gesetzt hatte den Tweed der grüne Europagruppenchef Reinard Büttikofer; Cem Özdemir und Katrin-Göring Eckard posteten das Motiv auf ihren Facebook-Seiten. Erst nach massiver Kritik tätigte die grüne Parteispitze einen Rückzieher.
Zweierlei Maß kommt regelmäßig zur Anwendung, wenn es um Belange – oder auch das persönliche Renommée – von Politiker(inne)n aus den Reihen der linken Opposition geht. In Thüringen etwa legte die Landtagsverwaltung der Linkspartei-Abgeordneten Margit Jung Worte in den Mund, die diese nie gesagt hatte. Anlass: eine Presseerklärung an die Angehörigen von Bundeswehrsoldaten, die sich in Auslandseinsätzen befinden. Das Statement: eine Erklärung, die den Eindruck erweckte, Jung unterstütze Bundeswehr-Auslandseinsätze vorbehaltlos. Eine Entschuldigung steht bislang aus. Eine breite Berichterstattung über diesen Fall politischer Vereinnahmung leider ebenso – anders eben als im Fall Künast, wo eine rechte Polemik bei Facebook einen medialen Aufstand auslöst.
Das will nicht heißen, dass derartige Formen der politischen Demagogie reaktionslos hingenommen werden sollten. Allerdings: Hätten Künast – und andere prominente Vertreter der Willkommenskultur – frühzeitig den Willen unter Beweis gestellt, anfallende Probleme (wie etwa das desparate oder auch kriminelle Verhalten einiger) offensiv in Angriff zu nehmen (anstatt sie zu verharmlosen oder gar zum Diskussionstabu zu deklarieren), wäre die Situation vermutlich eine deutlich weniger Brenzlige.
Mit dem Vorteil, dass man über Lösungen für Probleme diskutieren könnte – anstatt in einen Dauerechauffierungsmodus zu verfallen, welcher der AfD grosso modo mehr Wähler zuführen dürfte als ihr abspenstig zu machen. Zusatznutzen dabei wäre, dass Renate Künast beim Vorgehen gegen rechte Schmähkritik richtig gut dastehen würde – anstatt nur halb gut oder ein Viertel gut. Selbst dann, wenn es nur um einen gefälschten Zitatnachweis geht.
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