Manchmal gruselt es mich, wenn ich meinen Twitter-Account öffne. Oder irgendein soziales Netzwerk. Wenn im Netz ein Artikel oder ein Interview von mir erscheint, bekomme ich das meist mit, weil die Zahl der privaten Nachrichten in meiner Facebook-Inbox ungewöhnlich in die Höhe schnellt. Es sind nicht Freundinnen und Freunde, die da schreiben. Und vielleicht einen Kaffee mit mir trinken wollen. Nein, es sind fremde Menschen, die mich mit „Miss Piggy“ begrüßen oder gleich ohne Anrede „Fette Sau, verrecke“ tippen.
Warum? Weil ich dick bin. Und selbstbewusst sage: Ich bleibe so, wie ich bin.
Da ich eine Verdrängungskünstlerin bin, habe ich meist schon am Nachmittag vergessen, dass mir morgens jemand den Tod gewünscht hat. Ich verzweifle nicht an solchen Nachrichten. Und trotzdem logge ich mich mit gemischten Gefühlen auf Facebook oder Twitter ein. Diese Gutmenschen-Bubble, von der viele so verächtlich sprechen, ist in Wahrheit mehr als fragil. Herablassende Kommentare schaffen es viel zu oft durch unser links-grün versifftes Panzerglas. Wenn man von gesellschaftlichen Normen abweicht, kommt auf jeden Fall irgendwann ein unterbeschäftigter Troll um die Ecke und erinnert einen daran, dass respektvoller Umgang im Netz immer noch eine Utopie ist.
Meine Erlebnisse sind kein trauriger Einzelfall: Die Grüne-Jugend-Sprecherin Ricarda Lang kritisierte kürzlich öffentlich die beleidigenden Kommentare, die sie zuhauf online bekommt. Im Online-Magazin bento schreibt sie: „Egal, wozu ich mich äußere – Lohngleichheit, Kinderarmut oder Kohlekraft: Ich bekomme als Antwort Kommentare zu meinem Äußeren.“
#whatthefuck
Ihre Antwort auf diese Grenzüberschreitungen war charmant und genussvoll: Auf einem Foto, das die 24-jährige Politikerin in ihren Netzwerken teilte, sieht man sie mit einem Eis in der einen und einem Sticker in der anderen Hand, worauf geschrieben steht: „Hör auf, meinen Körper zu kommentieren.“ Dass wir nach Jahrzehnten moderner feministischer Bewegung dieses Mindestmaß an Respekt immer noch fordern müssen – ein Armutszeugnis. Wieder einmal werden nicht die politischen Ideen einer jungen Frau diskutiert, sondern ihr Aussehen, ihr nicht schlanker Körper. Nach #aufschrei, #MeToo und #TimesUp fällt mir nur noch #whatthefuck ein.
Man muss keine Feministin sein, um zu erkennen, dass Ricarda Langs Erlebnisse mit sexistischen Strukturen zu tun haben. Frauen (und Menschen, die als Frauen gelesen werden, aber keine sind) kennen diese Erwartungshaltung nur zu gut: Bitte möglichst schlank, faltenfrei, keine Cellulite, das Fett höchstens an den „richtigen Stellen“, und immer schön schick machen für den imaginären Traumprinzen, auf den aber sicherlich nicht alle Frauen warten. Wenn frau sich politisch äußert, kann sie mit beleidigenden Kommentaren rechnen. Man findet immer etwas zum Bemängeln.
Neben Sexismus spielt auch ein anderes Phänomen, das seltener kritisch diskutiert wird, eine Rolle: Gewichtsdiskriminierung. Zugegeben, die anfangs genannten Beleidigungen finden die meisten unangemessen und frech. Es gehört nicht zum guten Ton, einer Person direkt ins Gesicht zu sagen, dass sie eine dicke Kuh sei (obwohl es trotzdem immer noch passiert). Aber manch einer denkt vielleicht im Stillen: Na ja, ganz unrecht haben die ja nicht. Ein paar Kilo könnte sie verlieren. Gesund kann das auf Dauer nicht sein ...
In Windeseile passiert etwas, was kaum jemand hinterfragt: dass ein dicker Körper kausal mit bestimmten Krankheiten verbunden wird. Seien es Diabetes, schmerzende Knie, hoher Blutdruck, einzig und allein der dicke Körper scheint Auslöser dafür zu sein. Zumindest wenn man den ganzen Hobbyärzten mit Eierfotos in ihren Twitter-Portalen glauben mag. Die einfache Lösung: Der dicke Bauch muss weg. Die Ironie ist: Wenn dicke Menschen zum Arzt oder zur Ärztin gehen und von Schmerzen oder Auffälligkeiten berichten, hören sie mitunter, dass sie 20 Kilo abnehmen sollen, bevor sie eine passende Diagnose und somit Unterstützung erhalten. Gewichtsverlust als Nonplusultra. Als wären alle Schlanken kerngesund!
Viele Menschen glauben, dass ein schlanker Körper per se ein gesunder Körper sei. Kein Wunder, die Medien sind voll von Berichten über die sogenannte „Dickenepidemie“, die die Gesundheitskosten in astronomische Höhen steigen lässt. Mal davon abgesehen, dass die Weltgesundheitsorganisation mit dafür verantwortlich ist, dass es heute mehr Menschen in der Kategorie „Übergewicht“ gibt, indem sie die Werte für ebenjene Kategorie Mitte der 1990er einfach runtersetzte (und Millionen von Menschen auf einmal „übergewichtig“ wurden). Mal davon abgesehen, dass wir Menschen komplexe Wesen sind, die eben nicht nur aus unseren Kilos bestehen, sondern unterschiedliche Krankheitsgeschichten, verschiedene Herkünfte, Geschlechter und Lebenschancen haben und all dies Einfluss auf die Gesundheit und das Wohlbefinden haben kann.
Denken Menschen wirklich, dass ihre herablassenden Kommentare oder ihr Naserümpfen dazu beitragen, dass dicke Menschen gesünder werden? Ist es wirklich gesund, jeden Tag zu hören, dass man „zu fett“, „zu unsportlich“, „zu hässlich“ ist? Diejenigen, die den ganzen Tag im Netz – und ab und zu auch auf der Straße – anderen hinterherbrüllen, dass sie mal was für ihre Gesundheit tun sollen, glauben die wirklich, dass sie damit andere Menschen dabei unterstützen, etwas für sich und ihr Wohlbefinden zu tun? Solche Sprüche bedeuten für viele dicke Menschen schlicht nur eins: Stress. Scham.
Sporthosen gibt’s nur bis XL
Falls Sie beim Lesen schon etwas nervös werden und bereits nach Studien googeln, die ganz klar eine Korrelation von hohem Gewicht und bestimmten Krankheiten konstatieren, lege ich Ihnen noch folgende Suchbegriffe ans Herz: „Diskriminierung als Stressfaktor“ und „Stress als Faktor für Diabetes“.
Und danach suchen Sie ein Video mit süßen Babyelefanten, damit der Tag dann doch noch schön wird.
In einer Zeit, in der Optimierung und Schlankheitskult wichtiger sind als Genuss und Lebensfreude, werden besonders jene bestraft, deren Körper so gar nicht für Optimierung stehen. Sie werden mit Sprüchen, Blicken und Verächtlichkeit bestraft, selbst wenn sie sogenannte Leistungsträgerinnen wie die Grüne Ricarda Lang sind. Sie bekommen eine schlechtere Behandlung beim Arzt, erfahren Vorurteile in der Arbeitswelt und können sich noch nicht mal eine passende Sporthose kaufen, wenn sie dann wirklich ein paar Pfunde verlieren möchten – die hören nämlich oft schon bei Größe XL auf.
Was Ricarda Lang und ich gemeinsam haben? Wir sind beide dicke Frauen, die öffentlich über Politik und Feminismus sprechen. Eine gefährliche Mischung, wenn man den (meist männlichen) Kommentatoren trauen mag. Ricarda Lang hat das längst erkannt und sagt: „Die Beleidigungen und Kommentare sind ein Machtinstrument, um Frauen aus dem öffentlichen Diskurs zu verdrängen. Darauf habe ich keinen Bock mehr!“
Ich auch nicht. Darauf ein Eis!
Info
Von der Autorin gerade erschienen: Fa(t)shionista Ullstein extra 2018, 336 S., 16 €
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