Der "Marsch auf die Feldherrnhalle"
Vorspruch:
Dieser Abschnitt gehört zu einem biographischen Text, an dem ich schon geraume Zeit herumwerkle. Es geht um die Geschichte meines Großvaters Wilhelm Friedrich Loeper, dessen uneheliche Tochter meine Mutter ist. Dieser Loeper - Teilnehmer im Ersten Weltkrieg, später Mitglied der Reichswehr, glühender Hitlerverehrer und Akteur beim Münchner Putsch, dem Marsch auf die Feldherrnhalle von 1923 - wurde später Reichsstatthalter von Sachsen-Anhalt und Braunschweig. Er starb bereits im Jahre 1935 und Adolf Hitler sprach an seinem Grabe.
Seine Tochter, meine Mutter, hat diesen Mann ein einziges Mal in ihrem Leben gesehen. Sie war eine entschiedene Gegnerin der Nazis. Sie half Fremdarbeitern mit Informationen über die Kriegslage. 1944 wurde sie inhaftiert und zu einer mehrjährigen Zuchthausstrafe verurteilt. 1945 wurde sie in Bremen von den Briten befreit. Darüber habe ich schon einmal geschrieben.
Am 9. November 1923 erschien in der Nordwestdeutschen Zeitung die folgende Meldung: „München. Der gestrige Abend hat in München den Staatsumsturz gebracht. In einer ungeheuer überfüllten und um 7 Uhr polizeilich gesperrten Versammlung im Saale des Bürgerbräukellers hielt der bisherige Generalstaatskommissar v.Kahr die angekündigte große Rede. Ehe er sie aber noch zu Ende geführt hatte, wurde er plötzlich von dem im Saale anwesenden Führer der Nationalsozialisten, Hitler, unterbrochen. Ein Trupp drang in den Saal ein und gab eine Anzahl Schüsse gegen die Saaldecke ab. Es entstand eine ungeheure Erregung. Hitler brach sich durch die Menge Bahn und erklärte, die Regierung Knilling sei hiermit gestürzt und die nationale Diktatur ausgerufen. Heute vor fünf Jahren sei die Revolution angegangen, mit dem heutigen Tage aber sei sie beendigt worden. Das Kabinett Knilling sei abgesetzt. Die Minister Knilling und Schweyer, die in der Versammlung anwesend waren, wurden trotz ihres Protestes sofort verhaftet und vorläufig eingesperrt. Außerdem wurden verschiedene andere prominente Persönlichkeiten verhaftet.
Hitler teilte mit, daß die neue bayerische Regierung bereits gebildet sei. Landesverweser ist Dr.v.Kahr, Ministerpräsident Poehner. Eine deutsche nationale Regierung werde in München gegründet. Es werde sofort eine deutsche nationale Armee errichtet. Die Leitung der deutschen Politik übernehme er, Hitler, selbst.“
In dieser Nacht aber kündigte der preußische Hauptmann L. der Regierung, der er dienen soll, die Loyalität auf. So berichten Biographen, die das als seine größte Heldentat preisen und loben.
Noch wartete die
Reichswehr ab
Die meisten Reichswehrmitglieder dachten zwar wie der preußische Hauptmann, aber die Offiziere hatten keine Lust für einen österreichischen Gefreiten die Büttel zu spielen - noch nicht. In Berlin hatte der preußische General von Seeckt auf die Frage von Reichspräsident Ebert, wo die Reichswehr stehe geantwortet. „Die Reichswehr steht hinter mir“.
Im Herbst 1923 aber stand das Militär aus pragmatisch-taktischen Gründen hinter der Demokratie. Die Reichswehr fürchtete, dass sie selbst unterginge und Deutschland ein katastrophaler Bürgerkrieg drohe, wenn sie sich auf die Seite der Münchner Putschisten schlüge.
Vorbild: Mussolinis
Marsch auf Rom
Wilhelm Friedrich L. aber hatte sich, während in Berlin die meist höheren Offiziere kühl kalkulierten, blindlings entschieden. Er ernannte sich selbst zum Kommandeur und führte die gesamte Pionierschule in München, an der er als Ausbilder tätig war,den Putschisten um Hitler zu. „Seine“ Pioniere beteiligten sich am Demonstrationszug, den Ludendorff und Hitler zur Mobilisierung der Münchner Bevölkerung organisierten, um in Anlehnung an Mussolinis Marsch auf Rom den Putsch bis nach Berlin zu tragen.
Mit den Führern an der Spitze zogen die Demonstranten am 9. November vom Bürgerbräukeller in die Innenstadt. Erst vor der Feldherrnhalle stockte der Zug, als die bayerische Polizei ihn aufzuhalten suchte. Die Polizei schoss in die Menge, es kam zu einem Feuergefecht. Der Demonstrationszug stob auseinander, es gab Tote und Verletzte. Hitler floh zunächst in einem Sanitätswagen, während Ludendorff verhaftet wurde.
Ein mildes Urteil und
eine Dienstenthebung
Die Folgen für Hitler waren ein mildes Urteil von fünf Jahren Festungshaft, von denen er etwas über ein Jahr absaß, und Freispruch für Ludendorff. Der preußische Hauptmann aber wurde nach längerer Untersuchung seines Dienstes enthoben und aus der Reichswehr entlassen.
Für ihn gilt, was Klaus Theweleit in seinen Männerphantasien über den 9. November 1923 schreibt: „Der Tag bezeichnet das Ende der ersten Etappe des Versuchs, das kommende, das „Dritte Reich“ in Deutschland „aufzurichten“, bevor man als geschlagener, aber „im Felde unbesiegter“ Soldat in der „alles umschleimenden zähen Bürgerlichkeit zu „versinken“ drohte“.
Der "Trommler" von
Sachsen-Anhalt
Nun, da der Putsch fehlgeschlagen war, galt es, sich neu zu orientieren. Der Hauptmann a.D., Wilhelm Friedrich L. stellte sich völlig in den Dienst der Nationalsozialisten, arbeitete in der Münchner Parteizentrale im „Braunen Haus“ und kehrte dann nach Dessau zurück, der Stadt in der er aufgewachsen war, in der er seine Frau Elisabeth geheiratet hatte. Aber in die „normale Bürgerlichkeit“ versank er nicht. Er tat alles, um die nationalsozialistische Idee in den norddeutschen Ländern verbreiten zu helfen. Er wurde der „Trommler“ von Sachsen-Anhalt.
Als im Januar 1925 die kurzzeitig verbotene NSDAP neu gegründet wurde, war er einer der ersten, die eintraten. Von Dessau aus reiste er überall im Land umher und redete auf Versammlungen. Er sei ein guter Redner gewesen, sagen die wenigen Zeitzeugen.
Er war ein großer Vereinfacher, aber wohl weniger aus ideologischer Berechnung, sondern weil er selbst schlicht, machtbewusst und rigoros war. Das Militärische in ihm passt zum Konzept der Nationalsozialisten, die – wie die Kommunisten - den Kompromiss zutiefst verabscheuen.
Er beherzigt, was Adolf Hitler aus dem missglückten Putsch in München gelernt und weitergegeben hat, er nutzt die legalen Möglichkeiten der Demokratie, um sie zu stürzen und der Diktatur den Weg zu bahnen. „Statt die Macht durch Waffengewalt zu erringen, werden wir zum Ärger der katholischen und marxistischen Abgeordneten unsere Nasen in den Reichstag stecken. Wenn es auch länger dauert, sie zu überstimmen als sie zu erschießen, so wird uns schließlich ihre eigene Verfassung den Erfolg garantieren“, so die Taktik des „Führers“.
Genau dies setzte der entlassene Hauptmann um. Er zog 1928 in den Landtag ein. Hier führte er kämpferische Reden gegen Politiker der Republik immer am Rande der direkten Beleidigung Im Jahre 1930 legte er sein Landtagsmandat nieder und wurde Mitglied des Reichstages.
Inzwischen war das Reich in Gaue eingeteilt, deren Grenzen in etwa denen der 34 Reichstagswahlbezirke übereinstimmten. An die Spitze eines jeden dieser Gaue setzte Hitler Gauleiter.
Aus dem Hauptmann
wird ein Gauleiter
So wurde aus dem preußischen Hauptmann a.D. im Jahre 1928 der Gauleiter von Magdeburg und Sachsen-Anhalt Wilhelm Friedrich Loeper
Die Weimarer Republik wurde immer charakterisiert als eine Demokratie ohne Demokraten. Es fehlt die Tradition. Die Kommunisten hatten Order aus Moskau, kein Bündnis mit den Sozialdemokraten einzugehen, denn Stalin sieht die Eroberung der Macht durch Hitler keineswegs als das größte Unglück an. Für ihn hat diese Machtergreifung etwas von einem Katalysator, der die Widersprüche zwischen den kapitalistischen Mächten verschärft und sie in einen Krieg hetzt, bei dem er profitieren kann.
Im Jahre 1933 haben die Nationalsozialisten gesiegt. Hitler wird Reichskanzler, Wilhelm Friedrich Loeper ist auf dem für ihn erreichbaren Gipfel der Macht. Er ist nicht mehr „nur“ Gauleiter von Magdeburg –Anhalt, sondern auch NS-Reichsstatthalter in Braunschweig und Magdeburg.
Kommentare 12
"Wenn es auch länger dauert, sie zu überstimmen als sie zu erschießen, so wird uns schließlich ihre eigene Verfassung den Erfolg garantieren“, dies Kalkül funktioniert immer noch. Figuren wie Lenin werden nur durch andere ersetzt, ein paar gewinnen daran immer. Gern gelesen.
www.br-online.de/bayern2/radiotexte-am-samstag/muenchen-roman--DID1222965975581/index.xml
Feuchtwanger's Roman "Erfolg" klärt, - völlig zeitgemäß -, die zunehmende bürgerliche Verwirrung, die der demokratischen Mühsal überdrüssig wird und anfängt Rattenfänger-Diskurse in all ihrer Verdammnis- und Erlösungslyrik vorzuziehen und wichig zu finden.
@ sachichma - genau so ist es. Es sieht schon wieder so aus.
@ hardob - "Erfolg" habe ich mindestens 10mal gelesen. Ein hervorragendes Buch. Und nicht nur wegen der politischen Hintergründe. Es ist ein hervorragend erzählter Schlüsselroman. Der Bayrische Rundfunk zeigt auch gerade wieder die Fernsehserie.
Sehr gerne gelesen
Ein kleiner Nebengedanke, vielleicht sogar abwegig: Die Verwendung von "verhaften": In der Nordwestdeutschen Zeitung im Zusammenhang mit der eigentlich Festsetzung zu bezeichnenden Beraubung der Bewegungsmöglichkeit; bei Ihnen im Zusammenhang mit Ludendorff.
Aus unserem heutigen Sprachgebrauch heraus ist Ihre Verwendung völlig korrekt. Von dieser Warte aus müsste man also Fragen, ob sich die Zeitung nicht ggfs. schon mit einer de-facto Macht arrangieren wollte, in dem der Freiheitsberaubung ein Anschein von Legalität gegeben wurde? Oder war zu der Zeit der Sprachgebrauch ein ganz anderer?
Nicht, dass Sie das jetzt als Anregung nehmen, es würde ernstlich Ihren Erzählfluß hemmen. Aber ich mach mir bei solchen Dingen immer ein wenig Gedanken, nebenher.
Darf ich noch was anbieten?
9. November 1923 - Marsch auf die Feldherrnhalle
Mein illegitimer Großvater - ein Großnazi und Gauleiter - war dabei. Mein Text beschäftigt sich mit dieser Zeit.
Titel: Ein Vorfahr und sein Putsch
diesen beitrag hab ich damals noch nicht gelobt!
das war noch vor meiner bekanntschaft mit der FREITAG-
gemeinde...
Ja, das war mal eine ganze biographische Serie ganz am Anfang. Wäre jetzt auch viel zu lang und breit. Ich wollte ja auch immer mal die Erinnerungen meiner Mutter an ihre Haftzeit in der Nazizeit per Blog hier veröffentlichen, aber es fehlt hier irgendwie inzwischen die Atmosphäre dafür. Sie hat da ein längeres Schreiben hinterlassen.
Angela Merkel tritt nicht mehr an. – »Danke« Frau Merkel!
Die CDU-Vorsitzende Dr. Angela Merkel gab nach massiven Verlusten ihrer Partei bei der Hessen-Wahl die Parteiführung ab, will aber bis zum Ende der Wahlperiode 2021 Kanzlerin bleiben. Dann will sie sich ganz aus der Politik zurückziehen, kündigte die damals 64-Jährige am 29. Oktober 2018 nach Sitzungen der CDU-Spitzengremien in Berlin an. Sie werde nicht wieder als Kanzlerin und auch nicht wieder für den Bundestag kandidieren. Auch andere politische Ämter strebe sie nicht an.
Am 16. Januar 2020 wählt die CDU nun einen neuen Parteivorsitzenden. Kandidaten sind Armin Laschet (Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen), Friedrich Merz (Politiker, Jurist und Lobbyist) und Dr. Norbert Röttgen (Politiker und Rechtsanwalt).Hier die 25 Seiten-Abrechnung eines zornigen Bürgers.
Mit besten Grüßen, Jürgen Beineke
Lieber Flegel, danke für den Hinweis. Es ist hin und wieder allerdings Sitte, den Beitrag, unter den man Hinweise schreibt, auch zu kommentieren. Ich selbst bin in letzter Zeit nicht mehr sehr aktiv. Aus Gründen, die sie anderswo nachlesen können.
https://www.freitag.de/autoren/kakos/november-blues#1609148373582185
haben Sie barbara noltes interview
mit der trauerbegleiterin schroeter-rupieper gelesen
(tagesspiegel vom 3.1.21)?
das ist ein von mir nicht-aufdringlich-gemeinter hinweis.
Liebe Magda, danke für diese Mitteilung und mein herzliches Beileid zu dem Verlust. Das tut mir leid!
Nein, vielen Dank. Ich sehe es mir an.