Alles ein Abwasch XVII - Sehergaben aller Art

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Es ist wirklich unglaublich, was die Leute so bereit sind zu glauben, wenn es ihnen Hoffnung macht. Das kam mir heute beim Dienst am Abwaschbecken in den Sinn.

Die gestrige Maischberger-Sendung mit den beiden „Seherinnen“ und dem abenteuerlichen Pfarrer Fliege, der eine der Handleserinnen als eine Art Jesus einordnete, war der Anlass. Es gehört zur menschlichen Natur, ein bisschen Spökenkieken, ein bisschen in die Kugel gucken, ein bisschen....das Schicksal überlisten.

Andererseits, es gibt ja wirklich Sachen. Meine Mutter zum Beispiel hatte die verblüffende Fähigkeit, aus der Handschriftvon Leuten auf deren Charakter zu schließen. Sie war überhaupt nicht ausgebildet auf dem Gebiet, sie blickte da grübelnd drauf und dann fing sie an, zu umreißen, was das für ein Mensch ist. Sie hat nie gesagt, dass sie sich ganz sicher sei. Aber sie hat sich selten geirrt. Manchmal war sie „unscharf“ und zu allgemein, aber meistens fast messerscharf. Natürlich waren es auch ihr Hintergrund, ihre Werte, die eine Rolle spielten, wenn sie jemanden sympathisch oder weniger angenehm einordnete.

Wenn ich von Berlin zu meiner Mutter nach Leipzig fuhr, hatte ich manchmalSchriftproben mit. Kolleginnen wollten etwaswissen, über sich, über andere Leute, die sie kannten und die ihnen wichtig waren.

Das waren immer komplizenhaft-gemütliche Stunden zu Hause.

Meist nach dem Frühstück nahmen wir uns viel Zeit, meine Mutter noch im bequemen Morgenmantel und auch ich noch nicht so recht bereit für das reale Leben. Wir plauderten immer sehr sehr lange und ausgiebig. Ich fragte dann mit ein bisschen Bitte-Bitte in der Stimme, ob sie wohl in Stimmung und so...

Sie zögerte meist und ließ sich bitten: Ach, Kind, ich mag nicht.

Ich legte ihr die Schriftprobe trotzdem einfach hin und dann seufzte sie und beugte sich drüber. Ach der ist aber bestimmt handwerklich begabt, ist das überhaupt ein Mann? fragte sie dann nach, denn das wusste sie nicht immer.

Ach, das ist ein Einzelgänger. Sehr unzugängliche Natur.

Oder über eine Freundin: Die ist sehr melancholisch, aber gerade deshalb kann sie Leute tief verletzen. (Bingo – so war es auch)

Einmal sprach sie im Brustton der Überzeugung: Also, an der ist überhaupt nichts dran, das ist ein völlig substanzloser Mensch. Punkt. Aus. Auch das traf leider zu.

Oder sie meinte: Das ist eine einfühlsame Natur, sehr liebebedürftig. Praktisch veranlagt, vielleicht ein bisschen verschlossen, trotzdem kein Pessimist, zum Narren lässt der sich nicht machen (das war mein späterer Mann)

Einmal fragte ich meine Mutter so aus Spaß, ob sie auch aus der Handschrift des Papstes was rauslesen könne und sie meinte nein, das ginge nicht, weil da schon zuviel öffentlich über ihn gesagt sei. Das vermische sie dann.

Manchmal legte ich meine Handschrift vor. Deine Schrift kenne ich doch, mein Kind, da kann ich wenig sagen. Aber einmal hing sie sich doch drüber und meinte: Mädchen, du grübelst zuviel, hast Kummer. Das stimmte, und sie konnte es nicht wissen. Vielleicht habe ich nur aus diesem Grunde ihr meine Handschrift mal wieder gegeben.

Und ziemlich deprimierend:Dich kann man manchmal zu schnell klein kriegen. Das hat mich geärgert, aber es stimmte leider auch.

Wenn ich fragte, wie sie das macht, kamen immer nur so Minimalerklärungen, etwas über die Abstände, die Schriftansätze, die Schriftgröße, aber genau sagen konnte sie es doch nicht.

Jetzt, da ich älter bin, frage ich mich manchmal, wieso die Menschen immer von anderen Menschen erwarten, dass die mehr über sie wüssten, als sie selbst. Das ist schon eigenartig. Ich war ja früher auch so. Irgendwann hat sich das gelegt und ich glaube mich zu kennen. und meist auch zu „durchschauen.“

Bedauerlich ist aber trotzdem, dass ich diese Fähigkeit meiner Mutter nicht geerbt habe. Ich weiß bis heute nicht, wo sie das herhatte. Heute könnte man viel Geld damit verdienen. Denn die Menschen sind ständig und nach wie vor auf der Suche nach sich selbst.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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