Alles ein Abwasch XX – DDR-Verklärung

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Unser Geschirr ist ziemlich alt, nee nicht antik, richtig oll. Nur zwei schöne Suppentassen von der Firma Villeroy und Boche sind eine Konzession an die Neuzeit. „Ich glaube nicht,“ sinnierte ich - eine irdene Schüssel aus einer DDR-Mensa in der Hand – „dass ich die DDR verkläre.“ Das nämlich hat mir meine Freundin kürzlich entgegen gehalten. Ich nehme so was ernst. Vielleicht trennt man ja ohnehin zu wenig zwischen den Strukturen und dem eigenen Erlebten.

Andererseits: Wenn ich mir das Leben – das eigne - so angucke. Ich habe Nachteile in Kauf genommen aus Überzeugungen, später habe ich auch bedenkliche Kompromisse gemacht, weniger aus Überzeugung.

Es gibt eben keine schriftliche Bestätigung für das Verhalten in der DDR. So unter dem Motto „Hat sich als nonkonformistische DDR-kritische Person erwiesen und tauglich für ein Leben in einem Deutschland, das diese Tugenden als die allerhöchsten bewahrt und preist.

Nach dem Streit um die Frage, wer jetzt die Abfälle zum Müllschlucker bringt, fiel uns wieder ein, dass der Ehegatte ja eigentlich eine schriftliche Bestätigung seines Widerspruchsgeistes – noch aus den Zeiten der Diktatur des Proletariats – vorweisen kann.

Und das war so: Nach vielen Jahren Dienst bei der Feuerwehr und vier Jahren Abendoberschule wollte er die Laufbahn, die man für ihn vorgesehen hatte, partout nicht einschlagen. Er wollte nicht Brandursachen-Ermittler werden, er wollte was anderes. Das aber wollten die Vorgesetzten nicht. Also hat er, der ziemlich sture und eigenwillige Feuerwehrmann D. dort alles hingeschmissen. Das war nicht einfach, denn die Feuerwehr war in ihren Strukturen reichlich militärisch.

Er hat es geschafft, aber der Preis war ein entsprechendes Zeugnis. Darin stand u.a.: „H.-P. D. hat die Lehren des Marxismus-Leninismus vermittelt bekommen, aber er wendet sie nicht in der Praxis an“.

Oha, das war ein folgenschweres Verdikt.

Der Personalleiter in dem Datenverarbeitungsbetrieb, der das las, brach in ein verhaltenes Grinsen aus und stellte den unsicheren Kantonisten dann doch ein. Und überhaupt – auch ohne dieses unglaubliche Kainsmal wurde dann noch was aus dem Antimarxisten, der er ja gar nicht war. Seitdem verweist er– im Scherz - immer mal wieder darauf.

Weil mir heute aber rebellisch zumute war, wandte ich ein, dass dieses Zeugnis eigentlich der gesamten DDR-Führung hätte ausgestellt werden können. Hätten die mehr von Karlchen Marx verstanden – der Leninismus gilt da weniger – dann hätten sie vielleicht noch so manchen Fehler vermeiden können.

Auch sie wandten den Karl M. nicht in der Praxis an: Sie hätten ja schon im Kommunistischen Manifest nachlesen können: „An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist.“ Um Himmelswillen, bloß nich so was.

Lieber haben sie einen, der seine eigene Entwicklung frei bestimmen wollte, zum Anwendungsfeind von Marx erklärt.

Naja, die das geschrieben haben, kannten wahrscheinlich sowieso nur die Dienstordnung der Feuerwehr.

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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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