Am Rande von Niederschönhausen

Abnehmende Untergänge Wir waren im Kino um die Ecke im "Blauen Stern" Niederschönhausen. Zu sehen war die Romanverfilmung "In Zeiten des abnehmenden Lichts".

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Seit wir hier in der Gegend am Rande von Niederschönhausen wohnen, gehe ich oft und gern durch das ehemalige "Städtchen" nah am Schloss. Dort wohnten – nachdem die hohe Nomenklatura längst nach Wandlitz gezogen war – noch immer verdiente alte Genossen. Dort war das Haus, in dem Lotte Ulbricht bis zu ihrem Tode lebte, dort ist das Haus, in dem der ehemalige Ministerpräsident Otto Grotewohl residierte – heute wohnt dort eine bekannte Schauspielerin.

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Dort ist die „Stille Straße“ Stille Zeile 6 in der Monika Marons Abrechnung mit einem alten Genossen spielt.

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Die ganze Gegend wirkt einerseits historisch-betulich und ist andererseits von dem rasenden Wandel bestimmt, der auch hier zugange ist. Neubauten, aufgebesserte Altbauten, Zweckbauten interessanter Art - alles ist zu finden und mischt sich zu einem neuen Bild. Aber, auch heute wohnen dort Leute, die sich das leisten können, nur aus anderen Gründen.

Alles alte Kader, wa?

In Niederschönhausen befindet sich auch das Kino „Blauer Stern“ und deshalb erstaunte uns nicht, dass die 18 Uhr Vorstellung von „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ fast ausverkauft war.

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Es waren sehr viele alte und ältere Leute im Kino und darum anzunehmen, dass die schon länger als wir in der Gegend wohnen. „Alles alte Kader, wa“? murmelte ein etwas alternativer Filmbesucher, der neben uns – ziemlich weit vorn – Platz nahm. Ich musste lachen und fragte mich, warum er uns gegenüber so ungeniert darüber scherzte. Wir sind ja auch älter, mein Mann und ich... Es ist schon komisch, dass irgendwas die verflossenen DDR-Bürger immer zur Stellungnahme herausfordert. Nee, wir sind keine alten Kader, aber auch keine ehemaligen Dissidenten.

Ein berühmte Romanbeginn

„Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist unglücklich auf ihre Art“

Dieser berühmte Anfangssatz musste angesichts der Familie, deren Patriarch den 90. Geburtstag begeht, unbedingt in den Sinn kommen und – wirklich – gegen Ende des Films schlägt Charlotte, die Ehefrau des verdienten Genossen Powileit in ihrem Bett ein Buch auf. Der Rücken trägt die Schrift: „Anna Karenina“.

Es ist keine glückliche Familie, in welcher der Wechsel der Zeiten alles nach oben treibt, was lange unausgesprochen unter der Decke blieb.

Der Enkel ist schon nach dem Westen gegangen. Der Sohn des Patriarchen, Kurt Umnizer, lebt mit seiner alkoholsüchtigen russischen Frau und einer Geliebten in instabilem Hin - und Her. Noch im Stalinschen Gulag haben sie sich kennengelernt und gingen aus "Slawa" nach Berlin, Hauptstadt der DDR. Bei abnehmenden historischen Gewissheiten und zunehmendem Zweifel sind sie unterwegs zum erstarrten Festritual in einem Haus, das in diesem ehemalige Niederschönhausener "Städtchen" zu finden wäre.

Bruno Ganz als Held dieses "Untergangs"

Den Wilhelm Powileit spielt Bruno Ganz und es war darum abzusehen, dass der "Spiegel" seine Filmrezension mit „Der andere Untergang“ überschrieb. .

Was soll uns das heute sagen? Die Fähigkeit zum Selbstbetrug, die Erkenntnis, dass Ehrung und Achtung auf den brüchigen Formalien einer Zeit ruhen, die bald kippt und alles wendet. Glückliche Generation, bei der sich diese Tragik in Grenzen hält, auch wenn am Ende Grenzen fallen.

Die Welt ist ein besetztes Klo

Immer mal wieder kippt die Handlung in den Graben zwischen Familienkomik und Tragik. Der Abschnittsbevollmächtigte scheitert ständig an der Tür zum WC, auf das er so dringend muss, wie Ekel-Alfred in einer Folge von „Ein Herz und eine Seele“ und unterhält sich unter zunehmendem Blasendruck mit den anderen Gratulanten über den Jubilar und seine großen Verdienste. Er macht so den allgemeinen Druck jener Zeit, der überall spürbar ist und nach Lösung und Erleichterung strebt, irgendwie ganz körperlich fühlbar. Die Welt ist wie ein besetzes Klo. Jaja.

Die Ehefrau Charlotte – einstmals dogmatische und linientreue Wissenschaftlerin – hat nur noch zu tun mit ihrer tiefen Abneigung gegen den alten Wilhelm, den sie kaum noch ertragen kann. Aber, warum das so ist, hat sich nicht ganz erschlossen. Dafür, dass sie eigentlich die politisch Aktivere und Klügere war, spricht sie zu wenig politisch, ist sie in ihrer giftigen Ungeduld befangen - sehr weibliche Zuschreibung. Längst ist Wilhelm zur Haushaltshilfe geflüchtet, lässt sich für Geld von ihr wärmen.

Die ramponierte, aber trotzdem schöne russische Schwiegertochter hört hingebungsvoll Wyssotzky, was ganz unverständlich ist, denn eigentlich müsste sie noch ziemlich fest in ihrer poststalinistischen Weltanschauung verwurzelt sein und W. war damals kaum gelitten in der UdSSR. Saufen, laute Musik und grelle Schminke – das ist das, was wir früher satirisch „Hart wie’ ne Sowjetmutter“ nannten. Aber, in ihr ist wenigstens Leben, auch wenn wir nicht wissen, höchstens ahnen können, warum sie es so verpuffen lässt.

Stürmten wir die Eskadronen

Partisanen vom Amur

Der Pionierchor singt vorm Haus

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(Habe ich noch vor kurzem in unserem Singekränzchen hin und wieder gesungen – ein bekanntes Lied aus dem russischen Bürgerkrieg)

Und da ist er nun, der große eichene Ausziehtisch, von dem der alte Powileit behauptet, er sei ein Nazitisch , der am Ende zusammenbricht, da ist das zu dicke, deutliche Symbol und überhaupt zu viel Klopferei und Holzhämmerei.

Probleme mit den Zeit- und Altersangaben

Der Sohn Powileits hat – daran erinnert er den erstarrten Vater - 10 Jahre in Stalins Lagern zugebracht. Da der Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase alles auf diesen Geburtstag 1989 eingedampft hat, wäre er dann noch ein Kind gewesen. Die Lagerhaft musste aber in den Film, sie ist wichtig und deshalb muss man halt nicht nachrechnen.

Es gibt Rezensenten, die jubeln, da sei der Osten endlich mal mit seiner Steifheit, Verträumtheit, seinen Hoffnungen, seiner Sauffreude und leisem Humor glaubwürdig abgebildet (die Zeit) Nein, das ist ein zu enger Ausschnitt – der Fokus auf einer Familie, die überhaupt nicht typisch war für das DDR-Leben.

An diesen alten Genossen ist gar nichts gescheitert, die waren die längst vergessene Garnitur der damals schon voll korrumpierten DDR. Sie waren nur noch als Symbole von Belang. Und darum ist da kein Leben drin.

Niederschönhausen ist übrigens ein Gebiet mit hohem Zuzug, es wird überall gebaut. Das Schloss Schönhausen ist ein gern besuchter öffentlicher Ort Eingebetteter Medieninhalt

nur die Bundessicherheitsakadamie, die jetzt dort auch residiert, mahnt mit einem Schild.

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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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