Anregung zum Streit

Migration und Demokratie Der Essay von Oliviero Angeli versucht zwischen sehr unterschiedlichen Standpunkten zu vermitteln.

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Abschottung – aber um welchen Preis?
Abschottung – aber um welchen Preis?

Foto: Rene Gomolj/AFP/Getty Images

Wem gehört die Erde, die wir bewohnen. Sind Grenzen wirklich Besitzmarkierungen? Seit wann gibt es Territorien, die verteidigt werden. Die Chance und die Möglichkeit, sich in der Welt frei zu bewegen, ist das nicht ein Menschenrecht? Fragen, die viel zu bedenken und zu durchdenken geben.

Einwanderung gab es schon immer – darauf kann man heutzutage noch so oft und viel verweisen, es prallt ab, denn die Weichen stehen in Richtung Zukunftsangst. Migration kann eine durchaus gute und nützliche Sache sein, wenn sie praktisch betrachtet und der Ideologisierung widerstanden wird.

Der Streit um das Thema scheint ein probates Mittel für populistische Einwirkungen zu sein. Die Beschwörung kultureller - noch schlimmer. religiöser - Unterwanderung, von Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt ist täglich zu beobachten. Debatten darüber sind berechtigt, aber schwarz-weiß Malereien wenig sinnvoll. Dabei hat sich selten ein gesellschaftliches Klima so vehement geändert wie in den letzten drei Jahren. Über Migration wurde schon einmal viel positiver diskutiert.

Der Politikwissenschaftler Oliviero Angeli hat zu dem Thema einen sehr dichten Essay geschrieben, der sowohl philosophisch als auch pragmatisch zu Werke geht. Angeli bewegt sich in seinen Argumenten also immer zwischen den Stühlen, zwischen Idealisten und Pragmatikern. Migration irritiert und problematisiert zugleich rechtliche und territoriale, kulturelle und auch demokratische Grenzen, erklärt der Autor.

So sinniert er über die allgemeine Frage, wieso Menschen die Einreise in ein Land verweigert wird, wenn – nach den Sätzen großer Denker – die Erde doch allen Menschen gehört? Andererseits gehörten die Schaffung von Privateigentum und die Schaffung von Territorien zusammen, weil nur so die Menschen die Früchte ihrer Tätigkeit in Ruhe genießen könnten. Er erinnert daran, dass Migration und Eroberung in der Antike gar nicht klar voneinander zu trennen waren. Auch in der Mittelalterzeit war es ähnlich und daraus entsteht eine gewisse Beunruhigung, wenn Migration zu lebhaft wird.

Entwicklungshilfe vor Ort begrenzt die Migration nicht sofort

Im Kapitel Migration zwischen Problem und Dramatisierung setzt er sich mit allerlei Fehleinschätzungen auseinander. Eine davon ist jene, die in allen politischen Programmen – quer durch alle Parteien – auftaucht: Entwicklungshilfe „vor Ort“ begrenze die Migration. Das aber sei nicht erwiesen, jedenfalls nie in direkter Folge. Eher erhöhe sich dadurch erst einmal die Zahl der Auswanderer, meint er. Sie steige meist und zumindest so lange bis ein akzeptables Wohlstandsniveau im eigenen Land erreicht ist. Mit steigendem Pro-Kopf-Einkommen erhöht sich auch die Fähigkeit und Neigung zum Auswandern.

Die Auswanderung von Fachkräften den Entwicklungsländern schade – so meint er – den Entwicklungsländern nicht. Eher würde dadurch Entwicklungshilfe geleistet, weil die Migranten sehr viel Geld in ihre Heimatländer schicken. 500 Milliarden Dollar ist die Summe der Rücküberweisungen in Entwicklungsländer. Das ist dreimal so hoch wie die offizielle Entwicklungshilfe.

Eine stille Gegenrevolution

Zur gegenwärtigen Debatte merkt er an, dass eine liberale Einwanderungspolitik konsens- und kompromissfähig sein muss. Deutlich wird auch, dass das Recht auf Einwanderung immer auf das Recht auf Ausschluss treffen kann. Auch das wird umfangreich begründet. Sorge um den Zusammenhalt einer Gesellschaft ist so ein Grund, dieses Recht in den Vordergrund zu rücken. In einer Gesellschaft, die sich auf demokratische Traditionen beruft, kann man die Migration nicht einfach so stoppen. Dies gelingt eher durch das Schüren ohnehin schon vorhandener Ängste und Besorgnisse.

Es geht im Grunde eigentlich um ein ständiges Austarieren des "Für" und "Wider" und um die Suche nach praktikablen Wegen in Zeiten, da – wie der Autor konstatiert - eine stille Gegenrevolution gegen Migration zu verzeichnen ist und dies obwohl – wie er ebenfalls nachweist- die Migration weltweit zwar zugenommen, aber sich in Europa nicht wesentlich erhöht hat. Er macht Vorschläge zur Migration, die sicher sehr viel Gegenrede hervorrufen werden, weil der Zusammenhang von Markt und Migration abgelehnt wird.

Markt und Migration zuammen denken

Die Idee, Migration dem Schwarzmarkt-Bereich zu entreißen und Migration zu legalisieren ist so ein Konzept, das der amerikanischer Ökonom Gary Becker vorgelegt hat. Dabei geht es auch darum, Migration zu steuern.

"Jeder europäische Staat legt einen festen Preis für eine zeitlich beschränkte Zuzugs- und Niederlassungserlaubnis von Zuwanderern aus Entwicklungsländern fest und kann diesen entsprechend der konjunkturellen und strukturellen Veränderung nach und nach anpassen. Für Zuwanderer besonders begehrte Länder könnten einen höheren Zutrittspreis veranschlagen. Es geht um Einreise und Arbeitserlaubnisse."

Die Finanzierung kann privat, aber – wie bei Studiengebühren – auch als Kredit erfolgen. Oder Unternehmen, die Fachkräfte suchen können die Gebühren bezahlen. So sieht Angeli in diesem Modell der preisbasierten Zuwanderungssteuern sowohl wirtschaftsliberale als auch linksliberale Elemente. Das Modell widerspreche im Grunde dem Freiheitsideal des Liberalismus, das überhaupt keine Einreisebeschränkungen vorsehe. Solche Modelle stünden aber, meint Angeli in keinem guten Ruf, weil sie an die ungute Gastarbeiterpolitik der 1960er Jahre erinnerten.

Interessant ist sein Verweis auf transnationale Staatsbürgerschaftskonstruktionen, die die Lebenswirklichkeit der Menschen viel eher abbildeten. Die Debatten hierzulande aber sind eher wieder verstärkt aufs Nationale gerichtet.

„Spätestens seit der sogenannten „Flüchtlingskrise“ wissen wir, das Migration das Potential hat, Gesellschaften zu spalten und die Bruchlinien überkommener Differenzierungen zwischen „uns“ und „den anderen“ radikaler zu markieren“

warnt er in seinem Text. Aber er meint dennoch, dass Fremdenfeindlichkeit mehr in den allgemeinen sozioökonomischen Verhältnissen ihren Ursprung hat. Gerade daraus aber speisen sich – wenn man die Argumente der Linken um Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht betrachtet – die populistischen Argumente gegen Einwanderung. Offene Grenzen sind nicht neoliberal, das ist ein höchst unredliches Verdikt. Offene Grenzen sind ein Appell zu durchdachtem Umgang mit Migration, die auf der Erde weiter zunehmen wird.

So wie die Dinge jetzt liegen, werden sich Asylbegehren und Arbeitseinwanderung ständig weiter vermischen, werden enorme Ressourcen verschwendet, um Menschen von Europa fernzuhalten und Menschen um ihre Chancen gebracht, ein besseres Leben zu finden.

Noch eine Ergänzung:

"Oft würden Migranten und Flüchtlinge dämonisiert und angegriffen. Und Guterres spricht von einem globalen Missverständnis beim Thema Migration. Sie sei Chance - nicht Risiko. Einwanderer, ein bemerkenswerter Motor für Wachstum " (UNO-Generalsekretär Antonio Gutterez)

https://www.deutschlandfunk.de/globaler-migrationspakt-un-generalsekretaer-einwanderer.1773.de.html?dram:article_id=422826

Gibts auch hier https://magdaskram.wordpress.com/2018/07/13/anregung-zum-streit/

Oliviero Angeli

Migration und Demokratie

Ein Spannungsverhältnis

2018 Philipp Reclam jun. Verlag

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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