Antwortbrief an Joachim Petrick

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Antwort auf Deinen Brief an mich

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Ja, es stimmt, Debatten brauchen Adressaten. Hans-Ulrich Wehler will keine Debatte, sondern sein Desinteresse in die Welt posaunen, während andere ein Rieseninteresse dran haben, die DDR als Popanz, als "Angstapparat" (entliehen aus Fontanes "Effi Briest), als Dämon zu erhalten. Und wieder andere drehen halt die Augen zur Decke, vielsagend, aber nicht kommunikativ.

Es gab anfangs auch Debatten, die - wie ich erinnere - unter den DDR-Bürgern durchaus fruchtbar waren. Aber jetzt wollen irgendwelche Erinnerungsingenieure so eine Art zweite Katharsis bei den Bürgern Ost erzwingen, immer mit Bezug auf die Erinnerungsdefizitde nach dem Dritten Reich und das geht nicht auf.

Weiter unten schreibst Du über einen ganz speziellen Phantomschmerz .
Den gibt es und ich finde Mitscherlichs "Unfähigkeit zu trauern" gilt auch heute noch. Nur, die Gründe für die Trauer sind andere, als sie für die Erinnerung an das Dritte Reich gelten. Was uns aber aufgezwungen werden soll, ist wieder anders gemeint.
Der von mir im Blog schon einmal zitierte Martin Sabrow sagt es in einem Diskussionsbeitrag über die Vermittlung von DDR-Geschichte: " Wenn wir mehr wollen als eine illusionäre und wenig freiheitliche Ersetzung des einen Gedächtnisses durch ein anderes, brauchen wir Begegnungsräume, in denen alltägliche Lebenswirklichkeit und historisch gesichertes Wissen aufeinandertreffen können".

Wenn Du schreibst, deutsche Gedanken und Erinnerungslandschaften ....seien Dir eine Blackbox mit sieben Siegeln, dann kann ich nur antworten: Mir oft auch.
Meine Mutter hat es in den Osten verschlagen, sie kommt aus ganz anderen Bereichen. Ich bin in Sachsen aufgewachsen, aber keine Sächsin. Und zum Deutschsein habe auch ich eine gebrochene Beziehung. Mein Vater ist ein Elsässer, meine Bruders Vater stammt aus Mittelfrankreich.

Wegen dieser verworrenen Familiengeschichte erschien es mir aus irgendeinem Grunde, leichter, in der DDR ohne Wurzeln zu leben. Es ging nie um diese bürgerlichen Traditionen. Bürgerlich wurde es in der DDR erst als sie schon gegen ihr Ende ging. Die Genossen waren schreckliche Kleinbürger.
Ein Teil des Kübels, der jetzt so rückwirkend über die DDR ausgeschüttet wird, scheint auch nicht das "Entsetzen über Untaten" und begangenes "Unrecht" zu sein. Nein, es ist die Verachtung der Saturierten für eine kleinbürgerlich-proletarische Welt, deren Verhalten und deren Formen andere und höchst befremdlich sind, weil sie nicht der bundesdesdeutschen Mehrheitsgesellschaft entsprechen. Der Soziologe Wolfgang Engler hat das in seinem Buch "Die Ostdeutschen" sehr interessant dargestellt. Auch mir geht es ein bisschen nach Schuberts Winterreise: "Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus.

Dabei fällt mir ein- natürlich konnte man in der DDR auch die Milieus wechseln.
Ich bin katholisch aufgewachsen, die Schule war "sozialistisch". Ich war in der DDR mal Gegnerin, durfte nicht zum Abitur wegen der Ablehnung der Jugendweihe, habs dann irgendwie doch geschafft auf der Abendschule, war mal unauffällig Mitlebende, mal später begeistert am Mittun und mal auch angewidert und geärgert. Oft hing es von den Menschen ab, denen man begegnet ist und oft auch von der allgemeinen Entwicklung. . Wie auch immer: die siebziger Jahre waren hoffnungsvoller als davor bis die Biermann-Affäre kam.

Was ich oftmals nicht verstehe, ist die Wehleidigkeit mancher Bürgerrechtler. Es kostet in jedem System etwas, wenn man sich deutlich dagegen wendet. Bei mir war es diese Jugendweihe-Geschichte, die mir den Studienplatz erst einmal verwehrte. Aber manche führen sich so auf, als hätten sie vor allen Oppositionsaktivitäten eine "Demokratie-Ausfall-Versicherung" abgeschlossen, die sie jetzt einklagen
Du schreibst, es geht immer um Personen. Sicher, aber alle haben ja doch in Zusammenhängen gelebt. Ich war in den Wendezeiten in den USA und habe mich immer - bei allen sehr lieben Menschen von New York bis Houston - immer gefragt: Was hält diese Gesellschaft zusammen? Ich war es so gewohnt, dass sich Leute ansahen und irgendwie über etwas einig. Aber hier eben nicht immer oder anders. Oder doch? Ich erinnere mich an eine sehr aktive Bürgeraktivistin in Detroit, die mir als erstes erzählte, sie habe bestimmt eine dicke Akte beim FBI. Ich guckte sie an und lächelte - ich wollte nichts dazu sagen. ...

Dieses Auf ich geworfen sein durch die Veränderungen in der Gesellschaft. Das ist eine interessante Wahrnehmung. Darin lag ja auch eine Einladung zum "Wahnsinn".
Es geht nicht nur Leuten mit einer, sagen wir mal, sensiblen psychischen Konstitution besser, wenn sie immer ein bisschen "Außer sich" sein können. Der Verdruss über die Verhältnisse, zu DDR-Zeiten manchmal aber auch eine Spannung, wenn sich irgendwas bewegte, das hat bei Manchen für eine Orientierung nach außen gesorgt. Es war ein Gemeinschaftsgefühl, manchmal auch im Empörten oder im gemeinsam Aufgeregten in der DDR. Man konnte ständig gemeinsam klagen und war sich einig. Das alles lenkte ab von den eigenen inneren Unruhen. Andere wieder sagen, die DDR habe sie krank gemacht. Jedes System hat - glaube ich - seine "Opfer". Auch dieses jetzt schürt in mir Ohnmachtsgefühle intensiver Art.

Aus verschiedenen Gründen hatte ich meine schwerste Lebenskrise in einer anderen Zeit - kurz nach dem Studium. Und ich hatte in Berlin eine gute Adresse. Es gab in Berlin-Hirschgarten eine Station für Psychotherapie, initiiert von Professor Kurt Höck,

www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=64972

ein bekannter Mann, der die dynamische Gruppentherapie förderte, die Psychoanalyse war verpönt. Bis auf den heutigen Tag zehre ich davon und habe die Identitätsprobleme in den "Wendezeiten" ganz gut überstanden. Ich weiß jetzt nicht, ob das in deinem Zusammenhang eine Bedeutung hat, aber ich wollte mal drauf verweisen, weil es da ständige sehr einseitige Schuldzuweisungen gibt.

Deine Wahrnehmung zum Verhältnis zwischen DDR-Deutschen und den Polen haut schon hin. Die Polen waren immer so westfixiert, deren System war auch tief subversiv, sie waren aufmüpfiger, andererseits tief in privaten Sachen verstrickt. Mein Mann ist einige Jahre im Urlaub bei einem polnischen Freund mit auf dem Schiff gefahren - das war eine unglaubliche Politikferne, mehr als das. Mit dem Hintern zum Regime, gewissermaßen. Die haben den Westdeutschen ja. noch zu sozialistischen Zeiten - bei der Wolfsschanze Führerbilder und all so einen Kram verscherbelt. Eigentlich waren sie völlig bar jeder Ideologie - sie waren katholisch und Ende. Und die DDR war Scheißpreußen, die Ostdeutschen hatten keine Westkohle, doppelt Mist und waren laut . Auch DDR-Bürger sangen: "In einem Polenstädtchen".

"Die besseren Verhältnisse" in der DDR - das war immer so ein Streit zwischen einem westeuropäischen Freund, ein sehr Linker und mir. Wenn man in der DDR lebte, konnte einem schon die Galle hochkommen . Und es gab - weil man immer das Gefühl hatte, die "Westler" können ja wieder abhauen, wenig Möglichkeiten sich darüber zu verständigen. Eines ist wahr: Wenn man, wie ich und auch mein Mann, nicht nach irgendwelchen Sachen gestrebt hat, dann lebte man in der DDR ziemlich sorglos, materiell gesehen. Und einrichten konnte man sich auch so halbwegs. Aber ich kenne Leute aus der DDR, die da ganz anders drüber dachten.

Mir hat - schmerzlich und tatsächlich gefehlt - die Möglichkeit, alles zu lesen, sich zu bilden. Das war - aus meiner Sicht - neben der mangelnden Reisefreiheit in den Westen - das schlimmste Manko . Ich habe nach der Wende - wie es der Schriftsteller Wolfgang Hilbig schildert - zwei Päckchen mit Büchern "geschleppt": Über die NS-Zeit, obwohl es da auch DDR-Bücher gab und über die Gulags. Jewgenija Ginzburgs beiden Bände waren eine bewegende Lektüre.

Ganz am Schluss und nebenbei: Ich erinnere mich an eine DDR-Bildungsveranstaltung mit einem Spezialisten über Informationsentwicklungen der Zukunft. Der sagte damals: "Genossen" (der sprach alle mit Genossen an, wie Mielke), wenn sich die Informationstechnologie so weiter entwickelt, haben wir keine Chance mehr. Wie Recht er hatte.

Beste Grüße

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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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