Aus gegebenem Anlass: Das Kreuz mit dem Kreuz

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Stille Stunde in Quedlinburg

Am dritten Tag einer Harzreise fuhren wir nach Quedlinburg - das Wetter hatte sich ins Trübe gewendet und Nebel verbarg die Schönheit der Landschaft. Quedlinburg war schon zu vergangenen Zeiten Brennpunkt der Restaurierung von Fachwerkbauten und die Polen waren - weil sie gute Erfahrungen mitbrachten - gern eingeladene Gastarbeiter. Die Ergebnisse aus allen Epochen können sich sehen lassen.

Aber zuerst sind wir zum Quedlinburger Dom gegangen, der kein Fach-, sondern ein Steinwerk, auch kein richtiger Dom, sondern eine Stiftskirche ist.

Wir standen noch unschlüssig an der Kasse und überlegten, ob wir erst in das danebenliegende Schloss gehen wollen, um den Schatz zu besichtigen, als sich die Tür öffnete und man fragte, ob jemand an der Andacht teilnehmen will. Dafür brauche man nichts zahlen, erklärte uns der Herr am Eingangsdienst. Wir gingen - angemessen schlechten Gewissens - mit, weil wir das Eintrittsgeld sparen wollten und setzten uns in eine der Stuhlreihen.


Vorn saß ein junger Mann mit seiner Gitarre, der sich immer wieder die Hände rieb, denn es war kühl im Chorraum. Während wir warteten blickte ich auf das große metallene Kreuz, das über dem Längsgang hing. Es zeigt nur die Umrisse des Gekreuzigten, aber nicht völlig proportional, sondern seltsam verzerrt, was mir wie ein Verweis auf das Disharmonische, Verzerrte erlittenen Schmerzes schien.

Während ich darüber noch nachdachte, fing der junge Mann mit dem Gitarrenspiel an. Es waren keine geistlichen Gesänge, sondern eine sehr bekannte spanische Musik, ich glaube von Albeniz. Wir lauschten gern, auch der immer eilige und umtriebige P. wurde still.

Der Dompfarrer las erbauliche, vernünftige Texte von Jörg Zink. Halb hörte ich zu, halb dachte ich weiter über das Kreuz nach. Wie eine Antwort auf den Disput um den Film "Passion" von Mel Gibson, erschien mir diese Arbeit. Gibson, der das Leid des Gemarterten mit perverser Ausführlichkeit ausbreitet, steht in der Tradition derer, die den Menschen Schuldgefühle machen, sie zurückwerfen und klein machen wollen, vielleicht – so ein anderer Vorwurf – nur geil machen sollen.

Weil ich mich sehr über diesen Film geärgert hatte fand ich tröstlich, dass dieses Kreuz anders gemeint ist. Es hängt erst seit dem Jahr 2005 im Dom Vielleicht hat die Debatte um diesen Film den Künstler - es ist der Hallenser Thomas Leu - inspiriert.

In den ausliegenden Prospekten las ich nach: "Die Lichtgestalt' ist eine überlebensgroße Verkörperung des auferstehenden Christus. Kreuz und Körper werden als Einheit dargestellt. Kopf, Arme und Beine streben in den Raum auf den Betrachter zu, scheinen sich gerade aus einer Fesselung zu lösen. ... Das verwendete Material für das Triumphkreuz ist Aluminium. Die Konturen sind an den Innenseiten vergoldet.", so las ich nach. Wenn ich theologische Debatten auch nur noch aus der Ferne verfolge, man ist - kindlich geprägt - doch froh, wenn sich Erlösung statt Schuldaufrechnung durchsetzt im christlichen Abendlande. Es geht nicht um Schmerz, sondern um Befreiung.


Dieser Text fiel mir wieder ein, als ich die Debatten um den hessischen Kulturpreis las. Es ist ja der damalige Kirchenpräsident Dr. Peter Steinacker an der Spitze jenes Dokuments der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau zu finden, das im vorigen Jahr erschienen ist.


Stellungnahme des Leitenden Geistlichen Amtes

zur umstrittenen Deutung des Todes Jesu als ein Gott versöhnendes Opfer


Gleich zu Beginn steht da: „In den letzten Jahren ist das Thema des „Sühnopfers“ in unserer Kirche Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen gewesen.“ Weiter nach kurzem Exkurs in die von außen erhobene Kritik wird erklärt:

„Neben (der) religionskritischen Argumentation von außen werden innerkirchlich vor allem exegetische, religionswissenschaftliche und systematischtheologische Einwände gegen die Sühnopfer-Theologie der Dogmengeschichte erhoben.“

Kritik nicht nur von feministischen Theologinnen

...„Hinter der Opfervorstellung verberge sich eine Vermenschlichung der Gottesvorstellung. Systematisch-theologisch wird nicht allein von feministischen Theologinnen betont, das Verständnis des Kreuzes als Sühnopfer habe ein despotisches, grausames und sadistisches Gottesbild im Hintergrund, das der Lehre Jesu widerspreche und daher nicht nur beseitigt werden könne, sondern auch müsse. Diese theologische Kritik verknüpft sich mit psychoanalytischen Theorien ...„Gewichtiger als diese Kritik (sic!)scheint uns der Einwand, die Rede von dem Gott, der im Kreuz durch den Opfertod Jesu Leben und Heil schaffe, trage eine unerträgliche Mehrdeutigkeit, innere Polarität, Gespaltenheit und Ambiguität in das christliche Gottesbild ein undschreibe daher ein untergegangenes theistisches Gottesbild fest, das keineswegs biblisch sei (Michael Welker, Sigrid Brandt).“

Weiter will und kann ich gar nicht in diese Debatte einsteigen. Sie zeigt sehr deutlich, dass Navid Kermanis Betrachtung in einen innerreligiösen Streit hineinfällt, in wankende Glaubensfundamente könnte man übertrieben sagen, und bei fehlenden eigenen Sicherheiten bleibt auch die Toleranz auf der Strecke oder fällt besonders schwer. Nie wurde mir deutlicher, dass Toleranz immer aus eigener Stärke kommt, nicht aus ängstlichem Festhalten.

Deshalb hat mir das Kreuz im Quedlinburger Dom so gefallen. Es hält nichts fest, keinen Körper und keine Gewissheiten – das alles ist noch da aber nicht mehr hier. Überwindung in ermutigendem Sinne.



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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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