Wir wohnen im trostlosesten Häuserblock von ganz Ostberlin. Wir haben es schriftlich. Der bekannte Spiegel- und Romanautor Alexander Osang hat es vor einigen Jahren in einer Erzählung für eine Tageszeitung geschrieben. Da will sich einer der Wendeverlierer aus dem Fenster einer Wohnung stürzen, die in genau diesem Häuserblock liegt. Ein Versager im Plattenbau. Kling klang klong - Klischee.
Klotziges Torhaus
Es ist wahr, dass dieser Häuserblock mit den Zehngeschossern - der einzige in Pankow Heinersdorf – etwas Anmaßendes hat. Ein klotziges Torhaus aus altsozialistischen Beton ist das. Allen, die aus dem Norden, aus Richtung Hamburg-Prenzlau, nach Berlin reinfahren, steht dieser Häuserblock ruppig entgegen. Schön ist er nicht, das stimmt, aber auch nicht öde, wie Osang beschreibt. Vor allem dann nicht, wenn man rausschaut. Das war Liebe auf den ersten Blick – eine solche Weite bei optimaler Verkehrsanbindung. Man muss aber wirklich oberhalb des sechsten Stockes wohnen – wir sind im neunten. Und man muss gute Nachbarn haben. Sehr wichtig in so einem Haus mit vielen Wohnungen.
Eben ist ein Hubschrauber in ziemlicher Nähe am Fenster vorbei geflogen. Das kommt immer mal vor. Meist sind es die vom ADAC oder ein Rettungshubschrauber. Einer ist auch schon einmal mal auf der Wiese neben unserem Block gelandet. Andere fliegen zum Klinikum Berlin-Buch.
Übersicht über alle Verkehrsmittel
Überhaupt gibt es kein Fortbewegungsmittel in dieser Stadt, dessen Wirken ich nicht vom Fenster aus betrachten kann. Vor dem Haus die Straße, dahinter der Autobahnzubringer, dahinter die Bahngleise und am Himmel der Luftverkehr. Sie haben gute Schallschutzfenster eingebaut und nach „hinten“ raus hört man das alles nur noch als diffuses leises Rauschen. Man kann dort immer die Fenster offen lassen. Wenn ich mich auf mein Fahrradergometer setze, kann ich bestimmen: Bis zur übernächsten S-Bahn stadtauswärts hältst Du jetzt durch mit dem Strampeln. Und dabei beobachte ich die den Flughafen Tegel ansteuernden Maschinen.Abends, wenn sie schon beleuchtet sind, fliegen sie manchmal so kurz hintereinander, dass man denkt, es hängen Lampions am Himmel.
Fern der Erde - naturverbunden
Auch wenn ich am Schreibtisch sitze, blicke ich kilometerweit über Heinersdorf, Malchow bis nach Hohenschönhausen. Dazwischen ein Meer aus Grün, denn diese ganze Riesenfläche ist von Feldern und Gartenanlagen besetzt.Seit wir hier oben – entfernt von der Erde - wohnen fühle ich mich seltsamerweise der Natur verbundener als im ersten Stock mitten in der Stadt. Jeden Tag ist der Himmel in den ich schaue anders, jeden Tag eine andere Sicht – schärfer oder verschwommener.
In jedem Zimmer, in das wir hier treten – zieht es den Blick sofort ins Weite, in die Ferne. Auch nach der anderen Seite hin blicken wir über die 6-Geschosser hinweg bis zum Funkturm auf der rechten Seite und zum Märkischen Viertel auf der linken Seite.
Wir wohnen in einer Aussicht. Und deshalb denke ich: Osang hat nicht Recht. Sein Held hat ja am Ende auch Glück. Und wir haben immer den Kopf in den Wolken und sind mit der Welt verbunden.
Kommentare 4
Ach Magda, was für schöne Erinnerungen: Wenn wir nach drei Prerow-Wochen heimfuhren, war mir das Auftauchen dieser Blocks immer der liebste Moment, das Zeichen, wieder zuhause zu sein. Doch nie habe ich, obwohl ich in Pankow zur Schule ging, jemanden gekannt, der dort wohnt. Die Aussicht - ich kann sie mir vorstellen. Das ist ja immer das Ding mit den Plattenbauten: Besser man wohnt drin, als man schaut drauf.
Herzlich
kk
Also es kennen doch viele, dieses Teil. Wie schön. Man darf aber glaube ich an der Autobahn jetzt nicht nach "Zentrum" abbiegen, sondern da steht "Frankfurt/Oder" dran, glaube ich. Wenn man "Zentrum "abfährt, kommt man nach Reinickendorf oder so.
Zu DDR-Zeiten wohnten hier ja auch so mittlere Kader aller möglicher Institutionen. Ich bin im Mieterbeirat und da gibts schon noch - sanft resignierte - ehemalige Genossen. Einer hat an der Wand eine schöne Holzarbeit. Die stammt vom Kaiser Bokassa, hat er mir erzählt. Sie sind aber jetzt ganz ruhig und verzehren ihre Rente.
Mich stören sie wenigstens nicht.
Eine Schnapsidee war das, so einen Klotz dahin zu stellen. Aber - wirklich - nach hinten raus beginnt die Schlossallee und dann ist man in dieser wunderbaren Gartenlandschaft von Lenné man kann an der Panke entlang in allen Richtungen. Also ich finde das schön. Und - unverbaubar.
Meine ganze Berliner Zeit habe ich aber im Prenzlauer Berg verbracht und alle meine dortigen "schöngeistigen" Freunde rümpfen die Nase: (Das ist doch keine Gegend).
Na, und so weiter. Man ist tatsächlich aber in 15 Minuten in der Friedrichstraße, wenn man das will, mitten im Zentrum.
Kurzerhand - schon sehr schön. Und - wie Du sagst - von außen ein bisschen merkwürdiger Klotz.
Danke fürs Lesen und herzlich zurück
Magda
Liebe Magda,
die Randgebiete bleiben, scheint's, verschont von der Welle neuberliner Sinnsucher. Und Pankow war ja immer schon auch das größere Wandlitz. Neben der Lage spielte da wohl auch die Art der Bebauung eine Rolle. In meiner Schule (Carl von Ossietzky, heißt die eigentlich noch so?) waren mal in einem Jahrgang die Söhne von Krenz und Wollenberger. Gottlob nach meiner Zeit, ich weiß nicht, wie ich mich in diesem Strudel verhalten hätte.
Apropos Wandlitz. Auf dem Gelände der Regierungs-Siedlung, also eigentlich Waldsiedlung bei Bernau, sind ja nun Patienten der Brandenburg Klinik untergebracht, hinzu kamen eliche Reihenhäuser, weg fiel das Mäuerchen. Dort konnte man Ende der 90er Jahre sehr schön beobachten, wie Ost und West zusammengehen, wenn politische Ambitionen, überhaupt gesellschaftspolitisches Denken draußen bleiben. Die Ehemaligen (Koch, Fahrer, Schneider) und die Neuen (Klinikchef, Anwalt, Unternehmer) vertrugen sich aufs Bekömmlichste. Der Chef wohnte zunächst "zur Untermiete bei Ulbricht", wie er sagte, und hat das Haus in einer Mischung aus Erhfurcht und Anstand tatsächlich mehr oder weniger so gelassen, wie es war. Sogar die Plattensammlung war nach seinem Auszug quasi unberührt. Als vor vielen, vielen Jahren Regine Hildebrandt mal bei einer Wahlkampf-Schaffe im alten Klubhaus Bouletten zubereitete (bzw. vor allem über die Zubereitung von Bouletten sprach), lehnte hinten Honeckers Koch an der Wand und sah zu. Dazwischen war der Saal voll von Alt- und Neusiedlern und Leuten aus den Nachbardörfern, die schlicht was erleben wollten. Sie trafen sich sonst im Tennisclub oder in der Tanzstunde oder Himmelfahrt zum Singen im Garten. Eine Vergangenheit gab es nicht, die Zukunft war ungewiss, was zählte, war die Gegenwart.
kk
Die Ossietzky-Schule heißt noch so. Das ist doch die in der Görschstraße. Da komme ich jede Woche mal dran vorbei.
In Pankow selbst mischt sich schon Ost und West ganz schön. In den Bauten ums Schloss - den Einfamilienhäusern - gibt es gutsituierte Wessis. Ich habe dazu woanders mal was geschrieben. Bei uns in Heinersdorf aber ist noch ziemlich eindeimensional die Mischung. Nur nicht auf der anderen Seite der Autobahn, da sind auch ost und West gemischt in den Einfamilienhäusern.
In der Wandlitzsiedlung sind wir auch mal gewesen. Da hat sich wirklich alles pragmatisch aufgelöst.